13.06.2022
„Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns Menschen“
Johannes Wagner MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Gesundheitsausschuss, Berichterstatter für ÖGD/Public Health, Kindergesundheit, internationale Gesundheitspolitik, Klimawandel, Gesundheit und Ärzteschaft
„Mehr Fortschritt wagen“ haben sich die Ampel-Partner im Koalitionsvertrag vorgenommen. Knapp 180 Seiten voller Aufbruchsstimmung. Ein „vorsorgendes, krisenfestes und modernes Gesundheitssystem“ definieren SPD, Grüne und FDP als eines der zentralen Zukunftsfelder. Doch, welche Aufgaben sehen die Gesundheitspolitiker des Bundestages für sich federführend? Was wollen sie politisch verändern, an welchen Stellschrauben drehen für ein verlässliches Gesundheitssystem? Johannes Wagner MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Gesundheitsausschuss, Berichterstatter für ÖGD/Public Health, Kindergesundheit, internationale Gesundheitspolitik, Klimawandel, Gesundheit und Ärzteschaft, schreibt heute zum Klima- und Gesundheitsschutz.
Leider reagiert die Politik in Deutschland oft erst, wenn es zu spät ist. In der Krise wird dann deutlich, welche Versäumnisse der Vergangenheit die Probleme heute verschärfen. Schon 2009 schreibt die medizinische Fachzeitschrift The Lancet: Die Klimakrise ist die größte gesundheitliche Bedrohung in diesem Jahrhundert. Dennoch spielten die Gesundheitsfolgen der Klimakrise in der Klimapolitik lange Zeit keine Rolle. Wir Politiker schulden es aber gerade der jungen Generation, konsequent zu handeln und Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz zu vereinen.
Bevor ich im September in den Bundestag gewählt wurde, war ich dabei, mich im Coburger Klinikum zum Kinderarzt fortzubilden. Oft habe ich mich gefragt: Wie ist es möglich, dass wir hier im Krankenhaus alles dafür geben, dass Kinder gesund werden und gleichzeitig als Gesellschaft die zukünftige Lebensgrundlage eben dieser Kinder zerstören?
Prävention muss Grundlage des Handelns werden
Meine Erkenntnis daraus ist: Prävention muss zur Grundlage unseres Handelns werden. In der Gesundheitspolitik ist es notwendig, die vorhandenen Mittel so einzusetzen, dass die Präventionsmaßnahmen auch bei denjenigen ankommen, die sie am dringendsten brauchen.
Deshalb werde ich das Thema Prävention in den Mittelpunkt meiner Arbeit stellen. Denn auch bei meinem Herzensthema Klimawandel und Gesundheit, geht es ja genau darum: Prävention, weil Vorsorge eine Investition in die Zukunft ist. Wer nicht krank wird, der muss nicht behandelt werden. Und das verringert nebenbei auch den ökologischen Fußabdruck des Gesundheitssektors und damit auch die Kosten. Wir müssen Denkblockaden lösen. Dann werden wir erkennen, dass es eben auch ganz anders, klimafreundlicher geht, als man es die vergangenen Jahrzehnte gemacht hat. Wenn wir den CO2-Ausstoß reduzieren, weniger Ressourcen verbrauchen und eine klimaneutrale Gesundheitswirtschaft erreichen, dann bringt uns das langfristig viele Vorteile. Jede Investition in diesem Bereich lohnt sozusagen doppelt. Viele Menschen im Gesundheitssektor engagieren sich bereits und entwickeln Ideen, wie es vorangehen könnte. Nun ist es an der Zeit, dass die Politik hier aktiver wird, eingreift und unterstützt.
Beschäftigte im Gesundheitswesen: Motor des Transformationswesens
Auch aus diesem Grund hat sich die Ampel im aktuellen Koalitionsvertrag auf eine Klimaanpassungsstrategie verständigt. Hier könnte das Gesundheitswesen eine echte Vorreiterrolle einnehmen. Denn, wie in der Energie- oder auch in der Verkehrspolitik braucht es auch hier einen Bewusstseinswandel, ein Kulturwandel aller relevanten Akteure: Politik, Selbstverwaltung, aber eben auch der Bürger. Die über fünf Millionen Beschäftigten im Gesundheitssektor genießen als Mitglieder der Heilberufe ein sehr hohes gesellschaftliches Ansehen. Sie können dadurch zu einem Motor der Transformation zu einem gesünderen Planeten werden.
Klima- und umweltfreundliches Handeln schützt generell die menschliche Gesundheit, denn nur auf einer gesunden Erde können wir gesund leben. Durch Klimawandel beschleunigte Umweltveränderungen haben vielfältige Auswirkungen auf unsere Gesundheitsversorgung. Wir erleben schon heute zum Beispiel Lieferschwierigkeiten von Grundstoffen für die pharmazeutische Industrie oder eine Zunahme von pandemischen Ereignissen durch die Zerstörung der Lebensräume.
Gerade jetzt müssen die Menschen in Indien mit immer öfter wiederkehrenden Hitzewellen leben. Aber auch bei uns führen die immer heißeren Sommer ganz konkret zur Verschlechterung der Gesundheit der Menschen. Hitzestress und hohe Ozonkonzentrationen können schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben, insbesondere bei Kindern, im Freien arbeitende oder ältere Menschen und solche mit Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen. Diese Risikogruppen haben ein erhöhtes Risiko für Krankenhauseinweisungen oder sogar vorzeitigen Tod. Laut dem Lancet Countdown (2018) werden bis 2030 in der EU bereits 30.000 zusätzliche, hitzebedingte Todesfälle erwartet.
Ganzheitlicher Gesundheitsansatz erforderlich
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Verhindern wir eine übermäßige Erwärmung unseres Planeten in diesem Jahrhundert, so werden kommende Generationen davon ganz direkt gesundheitlich profitieren. Ein solcher ganzheitlicher Gesundheitsansatz, der den Kampf gegen den Klimawandel und für die Biodiversität unseres Planeten beinhaltet und vereint, ist unter anderem als „One Health“ bekannt. Verfolgen wir ihn, wird unsere Gesellschaft gesünder und länger leben. Im Sinne der sogenannten „co-benefits“ lohnen sich Initiativen für den Klimaschutz also oft gleich doppelt.
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