25.04.2022
Gesundheit muss wieder im Mittelpunkt der Menschen stehen
Prof. Dr. Armin Grau MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Gesundheitsausschusses, Berichterstatter für Krankenhauspolitik, ambulante und sektorübergreifende Versorgung
„Mehr Fortschritt wagen“ haben sich die Ampel-Partner im Koalitionsvertrag vorgenommen. Knapp 180 Seiten voller Aufbruchsstimmung. Ein „vorsorgendes, krisenfestes und modernes Gesundheitssystem“ definieren SPD, Grüne und FDP als eines der zentralen Zukunftsfelder. Doch, welche Aufgaben sehen die Gesundheitspolitiker des Bundestages für sich federführend? Was wollen sie politisch verändern, an welchen Stellschrauben drehen für ein verlässliches Gesundheitssystem? Heute äußert sich Prof. Dr. Armin Grau MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Berichterstatter für Krankenhauspolitik, ambulante und sektorübergreifende Versorgung, zur sektorübergreifenden Versorgung.
Die mittlerweile seit mehr als zwei Jahren anhaltende Corona-Pandemie hat das Leben in unserem Land und die Gesundheitspolitik im Bundestag geprägt. Glücklicherweise hat das deutsche Gesundheitswesen die immensen Anforderungen der Corona-Pandemie im internationalen Vergleich bislang gut bewältigt. Dabei haben niedergelassene Ärzte sowie Ärztinnen und Krankenhäuser erfolgreich zusammengearbeitet. Jetzt muss es darum gehen, neben der weiteren Bewältigung der Pandemie die vielfältigen gesundheitspolitischen Aufgaben beherzt anzupacken.
Grundsätzlich liegen mir besonders die Themen der flächendeckenden stationären, ambulanten und sektorübergreifenden Gesundheitsversorgung und -planung am Herzen, für die ich auch zuständiger Berichterstatter bin. Dieser Themenkomplex umfasst Aspekte wie u.a. Krankenhausplanung und -finanzierung, Ambulantisierung, Gesundheitsregionen, Medizinische Versorgungszentren. Um diese Themen konkret anzupacken und Reformen zu bewirken, stehe ich im engen Austausch mit anderen Gesundheitspolitiker:innen meiner Fraktion, den entsprechenden Berichterstatter:innen der anderen Ampel-Fraktionen und dem Bundesministerium für Gesundheit. Da sich diese Themenbereiche zum Teil auch mit anderen Ausschüssen fachlich überschneiden, engagiere ich mich zusätzlich als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, im Ausschuss für Umwelt und im Unterausschuss Globale Gesundheit.
Ein auf Vorsorge gerichtetes Gesundheitswesen stark machen
Bezogen auf die stationäre Versorgung hat der wirtschaftliche Druck die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern häufig in Konfliktsituationen gebracht zwischen der Wahrnehmung der Interessen der Patienten und Patientinnen sowie den wirtschaftlichen Interessen ihrer Arbeitgeber. Wir Grüne wollen gemeinsam mit unseren Ampel-Partnern ein auf Vorsorge ausgerichtetes Gesundheitswesen in Deutschland stark machen. Krankenhäuser haben einen hohen Anteil an fixen Kosten, vor allem Personalkosten, die getragen werden müssen, um überhaupt leistungsfähig zu sein und um etwa eine Notaufnahme, einen OP oder einen Herzkatheter rund um die Uhr betreiben zu können. Diese Kosten, sogenannte Vorhaltekosten, werden bislang lediglich über die Finanzierung von Einzelleistungen gedeckt. Die Deckung dieser Kosten, die häufig einen erheblichen Teil der Gesamtkosten ausmachen, hat in der Vergangenheit Fehlanreize hin zu Fallzahlausweitungen gesetzt, die dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ widersprechen und nicht im Interesse der Patienten und Patientinnen sind. Wir streben im Ampel-Koalitionsvertrag eine separate Vergütung der Vorhaltekosten an, die aus meiner Sicht nicht zu kurz greifen darf, um wirksam zu sein.
Verbesserung der Investitionskostenfinanzierung
Dabei wollen wir kurzfristig für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe sorgen. Mittelfristig wollen wir das bisherige System um ein nach Versorgungsstufen (Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Uniklinika) differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzen. Eine kurzfristig eingesetzte Regierungskommission wird hierzu Empfehlungen vorlegen und insbesondere Leitplanken für eine auf Leistungsbereichen und Versorgungsstufen basierende und sich an Kriterien wie der Erreichbarkeit und der demographischen Entwicklung orientierende Krankenhausplanung erarbeiten.
Die finanzielle Not der Krankenhäuser bedarf neben einer Reform der Betriebskostenfinanzierung ganz entscheidend auch einer deutlichen Verbesserung der Investitionskostenfinanzierung. Seit vielen Jahren kommen die Bundesländer ihren Verpflichtungen im Bereich der Investitionskostenfinanzierung nur unzureichend nach. Dies ging über viele Jahre nicht nur mit mangelnden Investitionen, sondern auch mit Einsparungen beim Personal, vor allem zu Lasten der größten Personalgruppe, den Pflegekräften, einher und hat die Arbeit in den Kliniken zunehmend unattraktiver gemacht. Dies stellt gerade in der Pandemie eine kaum hinnehmbare Entwicklung dar. Hier sind die Länder seit Jahren gefordert, eine regelmäßige Unterstützung durch den Bund wäre ausgesprochen wünschenswert.
Grüne Idee der „Gesundheitsregionen“ umsetzen
Der notwendige Reformbedarf bezieht sich allerdings nicht nur auf den stationären Bereich, sondern sollte Hand in Hand mit der ambulanten Bedarfsplanung gehen und damit im Rahmen einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung konzeptualisiert werden. Im Mittelpunkt sehe ich da die grüne Idee der „Gesundheitsregionen“, in denen sich die regionalen Versorger, niedergelassene Ärzten und Ärztinnen, Krankenhäuser, Therapeuten und Therapeutinnen etc. zusammenschließen und mit den Krankenkassen Versorgungsverträge schließen. Kurzfristig sollten die Krankenhäuser bessere Möglichkeiten zur ambulanten und teilstationären Behandlung ihrer bisher stationär behandelten Patienten und Patientinnen bekommen; dazu sind Pauschalen angemessen, die bezahlt werden, egal ob die Patienten und Patientinnen ganz oder teilweise stationär oder ganz ambulant versorgt werden. Das schafft Anreize für die Krankenhäuser zu mehr ambulanter Versorgung; die zusätzlichen Gewinne durch ambulante Behandlungen müssen in den Aufbau von Tageskliniken und Ambulanzen fließen.
Diese Maßnahmen zielen nicht darauf ab, bisher von den niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen versorgte Patienten in die Krankenhäuser zu holen. Weitere wichtige Aufgaben der nahen Zukunft betreffen die regional und nach Fachbereichen unterschiedlich ausgeprägte Übernahme von MVZ durch private equity Unternehmen und ganz besonders wichtig die Sicherung der Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen.
Zusammengefasst möchte ich mit den skizzierten, wichtigen Reformvorhaben an einem Aufbruch mitwirken hin zu einer Versorgung, in der die Gesundheit der Menschen wieder mehr im Mittelpunkt steht – das lag mir als langjähriger Arzt bereits weit vor meinem Einzug in den Bundestag sehr am Herzen und wird mich auch die nächsten Jahre intensiv bei meiner Arbeit im Parlament antreiben.
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