„Wir steuern auf einen Kollaps zu, wenn wir jetzt nicht handeln“

Maria Klein-Schmeink MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen

„Mehr Fortschritt wagen“ haben sich die Ampel-Partner im Koalitionsvertrag vorgenommen. Knapp 180 Seiten voller Aufbruchsstimmung. Ein „vorsorgendes, krisenfestes und modernes Gesundheitssystem“ definieren SPD, Grüne und FDP als eines der zentralen Zukunftsfelder. Doch, welche Aufgaben sehen die Gesundheitspolitiker des Bundestages für sich federführend? Was wollen sie politisch verändern, an welchen Stellschrauben drehen für ein verlässliches Gesundheitssystem? Heute positioniert sich Maria Klein-Schmeink MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen.

 

Uns, den Koalitionspartnern, ist bewusst, dass der Koalitionsvertrag in einer Krisenzeit entstanden ist, die noch lange in die Phase der Umsetzung hineinwirken wird. Die Folgen der Pandemie sind vielfältig: erschöpftes Gesundheitspersonal, zunehmender Fachkräftemangel, aufgeschobene Therapien, riesige Finanzlücken. Durch den Krieg in der Ukraine sind die Herausforderungen noch einmal gewachsen. Selbstverständlich werden wir die zu uns Geflüchteten versorgen, das sind zumeist Mütter mit ihren Kindern und alte und chronisch kranke Menschen mit hohem Behandlungsbedarf. Auch die finanziellen Belastungen werden durch die konjunkturellen Folgen des Krieges deutlich ansteigen.

Das alles macht es nicht einfacher, die Vorhaben umzusetzen. Die Dinge einfach so weiterlaufen zu lassen, wäre jedoch die schlechtere Alternative. Durch die Krisen treten die Probleme und Anfälligkeiten unseres Gesundheitswesens stärker zutage. Es wird deutlich, was alles nicht funktioniert, wo der größte Reformbedarf herrscht. Und dass wir auf einen Kollaps zusteuern, wenn wir jetzt nicht handeln.

Unser Ziel ist die Verbesserung der Versorgung von Patientinnen und Patienten und Pflegebedürftigen, und zwar unter den Bedingungen des demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts. Damit dabei niemand auf der Strecke bleibt, müssen wir schnell an verschiedenen Stellen aktiv werden.

 

Erste Aufgabe: stabile Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung

Zuallererst müssen wir für eine stabile Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung sorgen. Dazu dürften kurzfristig erneute Steuerzuschüsse notwendig sein. Im Koalitionsvertrag sind weitere Maßnahmen genannt, die für eine verlässliche Finanzierung sorgen, indem sie klarer zwischen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben und Aufgaben der Versicherung trennen. Dazu gehören in der GKV die regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses und eine höhere Finanzierung der Beiträge für ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher. In der sozialen Pflegeversicherung wollen wir vor allem die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige aus Steuermitteln finanzieren. Zudem planen wir, Instrumente zur Begrenzung der Arzneimittelpreise fortzuführen bzw. weiterzuentwickeln. Auch moderate Beitragssatzsteigerungen sind kein Tabu.

Um eine gute flächendeckende Versorgung gewährleisten zu können, wollen wir die Krankenhausfinanzierung bedarfsgerecht und an Versorgungsstufen orientiert ausgestalten. Dazu wird, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt, die schnell Lösungsvorschläge für eine am Bedarf orientierte Planung und Finanzierung erarbeiten wird. Mit Priorität wird dabei die bedarfsgerechte und auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe behandelt werden. Insgesamt wird bei der Reform der Krankenhausversorgung auch zu berücksichtigen sein, wie und wo das vorhandene Pflegepersonal zum Besten der Patientinnen und Patienten eingesetzt werden kann. Zu einer Reform der Krankenhausversorgung gehört auch das Aufbrechen der starren Grenzen zwischen dem ambulanten und stationären Bereich. Instrumente für eine gemeinsame Vergütung wie die im Koalitionsvertrag erwähnten Hybrid-DRGs sollten Teil des Auftrags an die Regierungskommission zur Reform der Krankenhausversorgung werden.

 

Gute Arbeitsbedingungen gewährleisten

Das beste Gesundheitswesen ist nichts wert ohne Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ärztinnen und viele andere. Damit uns in der alternden Gesellschaft der Nachwuchs nicht wegbricht, müssen wir dafür sorgen, dass es in allen Gesundheitsberufen gute Arbeitsbedingungen gibt, die die Vereinbarung von Familie und Beruf ermöglichen, dass es Karriereoptionen gibt, dass Fachkräfte auch die Tätigkeiten ausüben können, die ihrer Ausbildung entsprechen und dass alle Fachkräfte angemessen vergütet werden. Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass schnell ein Maßnahmenpaket für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege auf den Weg gebracht wird. Wir wollen jetzt mit den Vorarbeiten zur Entwicklung eines Berufsgesetzes für Community Health Nurses sowie für bundeseinheitliche Berufsgesetze für Pflegeassistenz, Hebammenassistenz und Rettungssanitäter beginnen.

Für die Heilmittelerbringer wollen wir schnell ein Modellprojekt für den Direktzugang auf den Weg bringen und die Überführung der Modellstudiengänge in reguläre Studiengänge vorbereiten.

 

UPD soll dauerhaft, staatsfern und unabhängig werden

Weil für uns die Bedürfnisse und der Nutzen für die Patientinnen und Pflegebedürftigen im Mittelpunkt stehen, wollen wir ihre Mitspracherechte in den Gremien des Gesundheitswesens ausbauen. Wir wollen mehr Qualitätstransparenz im Gesundheitswesen und sorgen dafür, dass die gesetzlichen Krankenkassen ihre Service- und Versorgungsqualität zukünftig anhand von einheitlichen Mindestkriterien offenlegen. Einer der ersten Schritte wird es sein, dafür zu sorgen, dass die Unabhängige Patientenberatung (UPD) in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen überführt wird. Um den Zugang aller Menschen zu einer guten Versorgung sicherzustellen, werden wir noch in diesem Jahr einen Aktionsplan für ein inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen entwickelt und klären, wie die Beteiligung der Akteure sichergestellt wird.

Mit diesen Vorhaben, denen weitere, wie die Förderung von Gesundheitsregionen, die Ergänzung des SGB XI um innovative quartiernahe Wohnformen oder die Gründung eines Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit – um nur einige, wenige zu nennen – folgen werden, sind wir auf einem guten Weg.

 

Lesen Sie auch im Observer Gesundheit:

Erwin Rüddel: „Digitale Gesundheit muss von Anfang an intersektoral ausgerichtet werden“ – 30. April 2022

Kristine Lütke: „Gesundheitspolitik 2.0: Stigmatisierung beenden! – 28. April 2022

Armin Grau: „Gesundheit muss wieder im Mittelpunkt der Menschen stehen“ – 25. April 2022

Kordula Schulz-Asche: „Pflege stärken – Arbeitsbedingungen verbessern“ – 21. April 2022

Stephan Pilsinger: „Gesundheitspolitik ist mehr als Corona-Management“ – 14. April 2022


Observer Gesundheit Copyright
Alle Kommentare ansehen