Ambulant/stationäre Intermediär-Versorgung – eine Einordnung

Zwei Studien der Bertelsmann Stiftung konkretisieren zusätzliches Versorgungsangebot

Dr. Matthias Gruhl, Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Staatsrat a. D.

Mindestens 20 Prozent der hausärztlichen Krankenhauseinweisungen benötigen bei abgesicherter Pflege und Überwachung keine stationäre Hochleistungsmedizin. Besonders in Folge von Krankenhauskonzentrationen im ländlichen Raum, aber auch in sozial benachteiligten urbanen Gebieten können kurzstationäre Interimskliniken für die Grund- und Übergangsversorgung (kGÜv) eine angemessene und patientenfreundliche Behandlung ermöglichen.

Andere Begrifflichkeiten sprechen in diesem Zusammenhang von Kurzliegerbetten, stationärer Low Care-Versorgung, allgemeinmedizinisch orientierten kurzstationären Versorgungsformen, Decision Units (DU), Ambulant Intermediate Care (AIC), Genesungsbetten, betreuter Übernachtung, Patientenhotels, von einer Erweiterten Ambulanten Versorgung (EAV) oder neuerdings von einer Level Ii-Versorgung.

 

Großes Interesse an kurzstationärer Versorgung

Immer wieder wurde und wird in Deutschland versucht, eine hausärztlich orientierte, kurzstationäre Versorgung zu realisieren. Eine solche ambulant/stationäre Intermediärversorgung steht schon länger auf der politischen Agenda: Erstmals 2016 wurde sie rechtlich aufgegriffen: Mit dem Strukturfonds sollte der Abbau von Krankenhausstrukturen in „nicht akutstationäre örtliche Versorgungseinrichtungen“ investiv ermöglicht werden (§ 12 KHG).

In der letzten Zeit hat das Interesse an einer kurzstationären Versorgung merklich zugenommen:

  • Der Koalitionsvertrag fordert die kurzstationäre Versorgung in Gesundheitszentren.
  • Das Land Niedersachsen hat in seinem jüngst verabschiedeten Krankenhausgesetz den Aufbau von Regionalen Gesundheitszentren (RGZ) mit bettenführenden Einheiten vorgegeben. Eine entsprechende Öffnungsklausel ist auch Teil des neuen Krankenhausgesetzes des Landes Sachsen.
  • Der Innovationsfonds hat einen Antrag der AOK Hamburg/Rheinland („StatAMed“) für sechs „sektorenübergreifende kurzstationäre allgemeinmedizinisch orientierte Versorgungsmodelle“ Ende 2022 genehmigt.
  • Im Zusammenhang mit der anstehenden Krankenhausreform haben prominente Fürsprecher aus Landesministerien und Institutionen des Gesundheitswesens sowie der Wissenschaft für kurzstationäre Einrichtungen geworben. Insbesondere in Niedersachsen, Brandenburg, Baden-Württemberg und Bayern werden entsprechende Planungen vorangetrieben.
  • Die Regierungskommission zur Krankenhausreform bestätigte in ihrer jüngsten 3. Stellungnahme den Versorgungsbedarf für eine intermediäre Versorgung („Level Ii – integrierte ambulant/stationäre Grundversorgung“). Die Überlegungen weisen zahlreiche Übereinstimmungen (Auftrag, Leitung, Ausstattung der Kliniken) zum hier vorgestellten Konzept der kGÜv auf, aber auch einige umsetzungsorientierte Unterschiede.
  • Diese neue Versorgungsstufe ist Teil des Arbeits- und Zeitplans der Bund-Länder-Gruppe zur Krankenhausreform, die ihre Arbeit kürzlich aufgenommen hat.

Allerdings blieb es bisher weitgehend im Unklaren, was aus fachlicher Sicht an konkreten Voraussetzungen, Strukturen und Rahmenbedingungen notwendig und geboten ist.

Die Bertelsmann Stiftung hat im November 2022 in einer ersten Annäherung an diese Versorgungsform 17 etablierte, gescheiterte oder geplante Modelle der kurzstationären Versorgung zusammengetragen und analysiert[1]. Zwar ist der Bedarf für eine solche Versorgungsform groß, aber das Fazit der Expertise ist ernüchternd: „Von den Projekten, der Selbstverwaltung oder auch den Genehmigungsbehörden werden die fehlenden oder inkompatiblen rechtlichen, strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen immer wieder als Grund angeführt, dass Modelle für eine kGÜv nicht oder nur unter grenzwertigen Bedingungen innerhalb der Regelversorgung umsetzbar sind.“

 

Konkretisierung durch Bertelsmann Stiftung

In einer zweiten Analyse legt die Bertelsmann Stiftung jetzt eine praktische Blaupause für die Ausgestaltung von Interimskliniken vor[2]. Sie wurde mit namhaften Praktikern und Kennern aus der Versorgung entwickelt. Auf der Grundlage dieser Expertenvoten konnten Voraussetzungen, Struktur, personelle und sächliche Anforderungen und die Einbindung in die Versorgungsstrukturen eingehend analysiert und prototypisch entwickelt werden. Auffallend ist die hohe Übereinstimmung mit den bisher nur skizzierten Vorstellungen der Regierungskommission zur Versorgung im Level Ii.

Beispielhaft sei erwähnt:

  • Interimskliniken bieten sich an sowohl für eine krankenhausersetzende Versorgung als auch zur Verkürzung eines Krankenhausaufenthaltes, wenn die akutmedizinische Therapie abgeschlossen ist und die Endstrecke der Behandlung vor Ort erfolgen kann.
  • Zielgruppe sind minderschwere, hausärztlich therapierbare Erkrankungen, wobei patientenbezogene Einschränkungen (z.B. mangelnde häusliche Pflege bei einem akuten Geschehen) hinzukommen. Die möglichen Diagnosespektren und Aufnahmekriterien werden näher beschrieben.
  • Die Interimskliniken werden (haus-)ärztlich betreut, aber durch qualifizierte Pflegefachkräfte geleitet. Casemanagement und gesundheitstherapeutische Kompetenzen sind zwingend einzubinden. Eine pflegerische 24/7-Betreuung und Überwachung ist gesichert.
  • Die stärkere Verantwortlichkeit für die Pflege wird durch verbindliche krankheitsbezogene Leitlinien der hausärztlichen und pflegerischen wissenschaftlichen Fachgesellschaften abgesichert.
  • Eine feste tägliche Kommunikations- und Konsultationsstruktur über digitale Video-Kommunikation unter Einbindung aller beteiligten Fachlichkeiten ist verbindlich.
  • 15 Behandlungsplätze pro Interimskliniken sind mit einem Eingriffsraum für Wundpflege und Punktionen, Ultraschall, Point-of-care-Labordiagnostik und kardialem Monitoring als Basisausstattung vorzusehen.

 

Passgenaues Angebot für Krankenhausreform

Im Rahmen der anstehenden Krankenhausreform besteht der Bedarf, ein solches ergänzendes und kompensatorisches Behandlungsangebot insbesondere bei Krankenhauskonzentrationen anbieten zu können. Deshalb erscheint es geboten, die dafür notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen vorrangig zu entwickeln.

Ein solches Interimsangebot einer kGÜv ist nicht ohne Anpassungen in die heutige Versorgungslandschaft zu integrieren. Die jeweiligen Vor- und Nachteile einer Einbindung in die stationäre und die ambulante Versorgung sowie in den pflegerischen Sektor werden in der Studie beschrieben. Rechtlich und abrechnungstechnisch wäre aufgrund der gegebenen Bedingungen eine Verortung der kGÜv im Krankenhaussektor naheliegend, fachlich spricht vieles dafür, diese im ambulanten Sektor einzugliedern. Strukturell und organisatorisch bietet sich die Integration in den bestehenden stationären Pflegesektor nach SGB XI an.

Auf dieser fachlichen Grundlage erarbeitet die Bertelsmann Stiftung einen tragfähigen Vorschlag zur rechtlichen und ökonomischen Umsetzung. Dieser 3. Teil der Studie wird erneut unter Einbeziehung von institutionellen, administrativen und politischen Experten bis zum Frühjahr dieses Jahres erstellt.

 

[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/kurzstationaere-grund-und-uebergangsversorgung-in-deutschland

[2] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/kurzstationaere-grund-und-uebergangsversorgung-in-deutschland-teil-2

 

 

Weitere Beiträge des Autors zur ambulant-stationären Versorgung: 

„1,2,3…, ganz viele Gesundheitskioske“, Observer Gesundheit, 2. September 2022,

„Gesundheitskioske – eine Einordnung zur geplanten Einführung“, Observer Gesundheit, 4. Juni 2022,

„Die versteckten Hürden für Krankenhausstrukturreformen“, Observer Gesundheit, 20. Oktober 2021,

„Sektorenübergreifende Versorgung – eine Einordnung“, Observer Gesundheit, 19. Juli 2021,

„Bund-Länder-Arbeitsgruppe ´Sektorenübergreifende Versorgung` vor der Reaktivierung“, Observer Gesundheit, 13. August 2020.


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