Kampf gegen Arzneimittellieferengpässe steht und fällt auch mit der Qualität der Daten

Martina Stamm-Fibich MdB, SPD, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages

Arzneimittellieferengpässe sind kein neues Phänomen. In den letzten Wochen und Monaten ist die Problematik jedoch verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Das Fehlen von Onkologika, Immunglobulinen, Fiebersäften und anderen Arzneimitteln hat vielen Bürgerinnen und Bürgern vor Augen geführt, dass es sich bei Arzneimittellieferengpässen um ein Problem handelt, das jeden von uns treffen kann – entsprechend steigt nun auch der Druck auf die Politik zügig eine Lösung für das Problem zu finden.

Als Resultat dieser Entwicklung hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor kurzem ein Eckpunktepapier vorgelegt, das insbesondere im generischen Bereich Maßnahmen vorschlägt, die zur Vermeidung von Lieferengpässen beitragen sollen. Die Intention dieses Papiers geht in die richtige Richtung, aber die Instrumente sind aus meiner Sicht nicht zielgerichtet genug. Es ist zu begrüßen, dass das BMG den Kostendruck im generischen Markt senken möchte, allerdings werden die bloße Erhöhung der Festbeträge und die Abschaffung von Rabattverträgen nicht dazu führen, dass Lieferketten langfristig und strukturell sicherer gestaltet werden. Auch eine Stärkung des Standorts durch diese Maßnahme halte ich für nicht realistisch.

 

Teil der Antwort: Einführung der Standortberücksichtigung

Die Frage, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen müssen lautet: Wie können wir sicherstellen, dass höhere Erstattungsbeträge auch tatsächlich dazu genutzt werden, um resilientere Lieferketten zu schaffen. Es ist nicht im Interesse der Versicherten, dass ihre Beiträge in den Taschen der Shareholder versickern, ohne dass sich etwas verändert.

Die Einführung der Standortberücksichtigung im Rahmen der Rabattvertragsausschreibungen nach § 130a Absatz 8 SGB V kann ein Teil der Antwort auf diese Frage sein. Allerdings bleibt zum jetzigen Zeitpunkt unklar, auf welche Produktionsschritte sich der Begriff der „Wirkstoffproduktion“ überhaupt konkret bezieht. Eine Regelung muss alle wichtigen Schritte der Produktion von Anfang bis Ende umfassen, ansonsten bleibt sie wirkungslos. Dazu gehört zum Beispiel, dass auch die Produktion von Vorprodukten und APIs in der EU erfolgt. Es bringt niemandem etwas, wenn die Endfertigung in Europa stattfindet, die Grundstoffe jedoch hauptsächlich weiter aus China oder Indien importiert werden.

Grundsätzlich gilt aus meiner Sicht: Der Standort sollte für die Ausschreibung nur ein relevanter Faktor unter mehreren sein. Die nachgewiesene Diversifizierung der Lieferketten, Krisenpläne für Lieferengpässe, sowie Umwelt- und Arbeitsstandards sollten ebenfalls Berücksichtigung in der Ausschreibung finden, wenn dies vergaberechtlich möglich ist. Mein Vorschlag wäre deshalb ein Punktesystem, das alle genannten Kriterien in unterschiedlicher Gewichtung einbezieht und das für alle Ausschreibungen gilt – ähnlich wie dies in anderen Bereichen bereits existiert. Standortpolitik kann zudem nicht nur mit GKV-Beiträgen gemacht werden. An dieser Stelle braucht es flankierende Maßnahmen aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und von Seite der EU.

 

Mangel an guten Daten zur Einschätzung der Situation

Ein Thema, über das viel mehr gesprochen werden sollte, ist der Mangel an guten Daten zur Einschätzung der Situation durch das BfArM. Die derzeitigen Meldeverpflichtungen der Hersteller reichen nicht aus und führen dazu, dass Lieferengpässe erst dann publik werden, wenn es bereits zu spät ist und keine unmittelbaren Gegenmaßnahmen mehr möglich sind. Ebenso wissen wir nicht, wie viele Arzneimittel sich an welcher Stelle im Markt befinden und können deshalb Allokationsproblemen nicht entgegenwirken. Mit solchen eklatanten Erkenntnislücken ist an ein effektives Management von Lieferengpässen oder ein Frühwarnsystem derzeit nicht zu denken.

Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, dass dieser Punkt in einem der kommenden Gesetze gut geregelt wird. Wir brauchen verbindliche Meldepflichten, die auch mit Sanktionen hinterlegt sind. Darüber hinaus würde ich mir einen Marktüberblick in Echtzeit in wünschen. Denn nur so können wir wirklich wissen, was eigentlich mit den Arzneimitteln in Deutschland geschieht und welche Rolle zum Beispiel Importe und Exporte für die Versorgung spielen. In diesem Zusammenhang erscheint der Ausbau von Securpharm als eine mögliche Option.

Am Ende möchte ich auch noch kurz auf das Thema Bevorratung kurz eingehen. Hierzu schwirren aktuell viele Ideen durch die Diskussion. Die Bevorratungspflicht beim Apotheker auszuweiten, halte ich für nicht sinnvoll. Zu diskutieren wäre jedoch eine Bevorratungspflicht beim Hersteller. Hierzu gibt es bislang keine Vorschriften, allerdings enthalten einige bestehende Verträge Verpflichtungen zur Lagerhaltung, und die Erfahrungen damit scheinen bislang sehr positiv zu sein.


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