Die versteckten Hürden für Krankenhausstrukturreformen

Dr. Matthias Gruhl, Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Staatsrat a. D.

Selten gab es im Vorfeld einer neuen Legislaturperiode einen solch einmütigen gesundheitspolitischen Konsens über die Notwendigkeit einer Krankenhausreform. Parteien, Krankenkassen oder Interessensvertretungen sind sich an dieser Stelle erstaunlich deckungsgleich. Es bedürfe eines „gemeinsamen Kraftaktes“[1], eines „lagerübergreifenden Impulses“[2], um die Krankenhausversorgung neu aufzustellen, die DKG fordert gleich eine Bund-Länder-Zukunftskommission[3].

Neben einer Finanzierungsreform stehen dabei immer wieder die unzureichende Investitionsmittelausstattung und die Krankenhausplanung der Länder am Pranger. Die DKG richtete jüngst einen Appell an Bund und Länder, für eine geordnete Struktur der Krankenhausversorgung Sorge zu tragen und dabei einen „kalten Strukturwandel“[4] durch Ausbluten der Krankenhäuser zu verhindern. Aber wie genau das alles gehen soll, darüber herrscht im Detail die übliche Berliner Vielstimmigkeit, noch mehr Wunschdenken und leider auch allzu oft fehlende Faktenkenntnis.

Vielleicht gelingt noch eine theoretische Einigung auf die Notwendigkeit eines Dreiklangs[5] [6].

Wir benötigen:

  • eine Finanzierungreform, die die wettbewerblichen Anreize zur ungesunden Maximierung von Fallzahlen und Fallschwere deutlich reduziert,
  • dazu eine Krankenhausstruktur, die besonders bei aufwändigen Behandlungen zu Absprache und Konzentration führt und ungute Doppelstrukturen vermindert,
  • eine auskömmliche Investitionsmittel-Finanzierung dieser neuen, wahrscheinlich reduzierten Krankenhauslandschaft.

Der erste Schritt, die Finanzierungsreform, obliegt dem Bundesgesetzgeber und ist zwar sicherlich interessens- und deshalb streitbesetzt, aber rechtlich im üblichen Gesetzgebungsverfahren machbar.

 

Machtlosigkeit der Bundesländer

Der zweite Schritt fällt verfassungsrechtlich zweifelsohne in die Verantwortung der Länder. Aber hier ist die rechtliche Lage kompliziert. Oft wird angenommen, dass die Länder nur entweder zu feige oder zu unfähig oder unwillig wären, die erkannten Doppelstrukturen und unnötigen Vorhaltungen in „ihren“ Krankenhäusern planerisch anzugehen[7]. Aber selbst bei bestem Willen: Die Länder können in unserem Rechtsstaat keine strukturelle Neuordnung der Krankenhauslandschaft durchsetzen. Gegen den Willen der Träger ist in Deutschland de facto keine Veränderung der Krankenhausstrukturen möglich. Die gesicherte Rechtsprechung von Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht steht klar auf Seiten der Krankenhäuser. Jede planerische Einschränkung von einmal genehmigten Strukturen, jede Zurückweisung des Wunsches von Krankenhäusern auf Aufnahme in den Krankenhausplan hat bei einer Klage dagegen kaum Bestand, da die gesicherte Rechtsprechung von dem Primat der freien Berufswahl bzw. der Gewerbefreiheit (Artikel 12 Abs. 1 GG) ausgeht. Sobald Betten belegt sind, wird dies rechtlich als Bedarf anerkannt. Man lese dazu die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, der in aller Schonungslosigkeit die Ohnmacht der Länder beschreibt[8].

Und selbst die Bundesregierung erkennt die Machtlosigkeit der Länder an.[9]. Es gibt dementsprechend auf allen Instanzebenen genügend Urteile, die in vielen Einzelfällen sinnvolle krankenhausplanerische Maßnahmen unterbinden. Aber auch die Krankenkassen tragen zu dieser Misere bei: In einer deutschen Großstadt warb ein kleines, nicht bedarfsnotwendiges Haus mit Bademänteln, Luxusausstattung und Tageszeitung um Patienten und Patienten mit „lukrativen“ Erkrankung. Es dauerte nicht lange, und Krankenkassen, die vermeintlich etwas „bessere“ Versicherte zufrieden stellen wollten, schlossen Versorgungsverträge mit diesem Haus, andere Krankenkassen wollten nicht nachstehen. Die Betten, die bisher nicht im Krankenhausplan verankert waren, füllten sich. Dann beantragte das Haus die Aufnahme in den Krankenhausplan, und das Land hatte keine rechtliche Handhabe, diesen „nachgewiesenen“ Bedarf im Krankenhausplan nicht abzubilden. Die Bitte der Landesregierung, keine weiteren unabgestimmten Versorgungsverträge mehr abzuschließen, lehnten die Krankenkassen aus Wettbewerbsgründen ab.

 

Feingliedrige Leistungsplanung allein kein Ausweg

Neben solchen grundgesetzlichen und faktischen Restriktionen kommt eine weitere, schwer überwindbare Hürde hinzu: das Kartellrecht. Bekanntlich ist die Zusammenführung von Krankenhauskapazitäten, gerade mit dem Ziel, Doppelstrukturen aufzugeben, kartellrechtlich nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) anzuzeigen. Das Kartellamt prüft für jede Disziplin im jeweiligen Einzugsgebiet, ob Patientinnen und Patienten alternative Behandlungsmöglichkeiten haben. Dabei spielen Mindestmengen oder Fachkräftemängel eine geringere Rolle als die theoretische Wahlmöglichkeit. Dieser, einer Neuordnung der Krankenhauslandschaft meist diametral entgegenstehende Ansatz, wurde jüngst vom Kartellamt nochmals offensiv vertreten[10]. Auch wenn es im Einzelfall gelingt, das Kartellamt nach § 36 Abs.1 Satz 2 Ziffer 1 GWB von der Umwandlung zu überzeugen, gibt es genügend Beispiele, dass die kartellrechtlichen Bedenken krankenhausplanerische Überlegungen beenden.

Nachdem sich jahrzehntelang die Krankenhausplanung immer weiter zurückgezogen hat, setzt im Augenblick der Versuch ein, durch eine feingliedrige Leistungsplanung wieder mehr Einfluss auf die Versorgungstruktur zu erhalten. Bestes Beispiel ist das neue Krankenhaus-Planungsrecht in Nordrhein-Westfalen. Zwar erhöht dieses Vorgehen die Eingriffstiefe der Krankenhausplanung, kann aber die übergeordneten rechtlichen Hindernisse in keinem Fall neutralisieren.

Mit starken Worten oder einfachen Schuldzuweisungen wird es also keine Krankenhausstrukturreform geben können. Da müssen die Koalitionäre schon ein bisschen mehr in die Hand nehmen. Ohne eine Stärkung der landesrechtlichen Position, die aufgrund der geschilderten grundgesetzlichen und kartellrechtlichen Belange nicht „mal eben so“ herstellbar sein wird, wird es den Ländern auch künftig nicht möglich sein, eine strukturell notwendige Krankenhausplanung umzusetzen.

 

Auskömmliche Investitionsfinanzierung: kein unüberwindbares Hindernis

Zwar ist es gut denkbar, dass es in der Umstellungsphase vorübergehend zu einem höheren Investitionsbedarf kommen wird. Aber anschließend kann durch eine gestraffte und optimierte Krankenhauslandschaft davon auszugehen sein, dass weniger Mittel für die Erhaltung der reduzierten Struktur notwendig sein werden. Insofern dürfte der dritte Schritt des Dreiklangs – eine auskömmliche Investitionsfinanzierung – kein unüberwindbares Hindernis darstellen. Über die Systematik des Strukturfonds können zusätzlich Bundesmittel eingebracht werden, falls die Länder ihre Ansätze nicht erhöhen können oder wollen. Hier ist gesetzgeberisch nur noch wenig nachzuschärfen.

Allerdings sei es erlaubt, noch einmal kritisch auf die angebliche Höhe des fehlenden Investitionsvolumens zu schauen. So meldete der GKV-SV kürzlich, dass sich die Investitionssumme der Länder erneut reduziert habe[11]. Dies ist aber schon deshalb unglaubwürdig, da die zusätzlichen und begehrten Mittel des Strukturfonds an die Beibehaltung des bisherigen Investitionsniveaus gekoppelt sind. Unklar bleibt ebenso, ob neben den Landesmitteln auch die kommunalen Kofinanzierungsmittel, die zwischen 20 bis 40 Prozent des Gesamtinvestitionsvolumens betragen, in den Kalkulationen mitberücksichtigt sind.

Unstrittig ist jedoch, dass die heutige gewachsene Krankenhausstruktur unterfinanziert ist. Aber man stelle sich vor, dass alle angemeldeten heutigen Investitionsbedarfe der Krankenhäuser gedeckt werden – wie wäre es dann mit dem Veränderungswillen der Krankenhausseite bestellt? Wahrscheinlich ziemlich schlecht! Man kann die These wagen, dass erst durch die unzureichende Investitionsfinanzierung und die reduzierte Möglichkeit, dies durch immer mehr Fälle zu kompensieren, die Bereitschaft zu einer großen Krankenhausreform gewachsen ist.

 

Fazit

Wie immer im deutschen Gesundheitswesen ist der Konsens über das Defizit und das zu erreichende Fernziel auf der abstrakten Ebene leicht herstellbar. Dagegen leidet allzu oft die Bereitschaft, sich in die Mühen der Ebenen mit konkreten Lösungsvorschlägen zu begeben. Die notwendige Krankenhausreform wäre ohne einen Willen zur Veränderung der Krankenhausstrukturen erneut nur Stückwerk. Dazu bedarf es aber des rechtlichen Spielraums, der aus bundesrechtlichen und grundgesetzlichen Vorgaben heute nicht möglich ist. Insofern ist nicht die föderale Struktur das wirkliche Problem, sondern es sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, die der notwendigen Handlungsfreiheit entgegenstehen.

 

[1] Jens Bussmann und Franz Knieps: „Das bundesweite Leitbild für die Zukunft“ im Observer Gesundheit, 22.09.21.

[2] Zukunft der Krankenhausversorgung – Neue Impulse für eine zielgerichtete Weiterentwicklung vom 23.06.2021. Gemeinsames Thesenpapier von VUD, BKK DV und vdek

[3] PM DKG 15.10.21, https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/wichtige-kernthemen-benannt/

[4] Gerald Gaß auf dem Herbstempfang der DKG, Observer Gesundheit am 5.10.2021, /

[5] „Ziel einer Neuaufstellung der Investitionskostenfinanzierung muss es sein, eine qualitätsorientierte Leistungskonzentration an geeigneten Krankenhäusern zu erreichen sowie eine auskömmliche Investitionsfähigkeit sicherzustellen…“ aus: Jenseits des Lagerdenkens: Reformansätze für eine

zukunftsfähige und qualitätsorientierte Krankenhauslandschaft, September 2021, AOK-BV und AKK

[6] Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung der BARMER, https://www.bifg.de/media/dl/ePaper/bifg_ePaper_krankenhausstrukturreform.pdf

[7] „Die Krankenhausplanung der Bundesländer hat sich in diesem Zusammenhang als zu undifferenziert erwiesen“, BARMER, siehe Fußnote 6.

[8] Die Herausnahme von Krankenhäusern aus dem Krankenhausplan eines Landes, 2015 Deutscher Bundestag Wissenschaftlicher Dienst 9 – 3000 – 039/14. https://www.bundestag.de/resource/blob/410440/f7d97b857164b19a69bb1b93c5a8336a/WD-9-039-14-pdf-data.pdf. Siehe besonders dort S. 29 und 30: „Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird die Bedarfsgerechtigkeit eines Krankenhauses nicht dadurch in Frage gestellt, dass die im Krankenhausplan bereits enthaltenen Krankenhäuser den tatsächlichen Bedarf decken. Eine rechnerische Bedarfsdeckung durch Dritte, auch wenn sie auf bestandskräftigen Feststellungsbescheiden beruht, hindert die Verwaltungsgerichte nicht daran, die zuständigen Behörden zu verpflichten, auch andere, bislang übergangene Krankenhäuser in den – eigentlich schon ‚vollen‘ – Krankenhausplan aufzunehmen. (…) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Krankenhaus vielmehr auch dann bedarfsgerecht, wenn es neben oder an Stelle eines anderen Krankenhauses geeignet wäre, den fiktiv vorhandenen Bedarf zu decken.“

[9] Siehe Stellungnahme der Bundesregierung/BMG zum Bericht des Bunderechnungshofes vom 11.11.2020, Krankenhäuser seit Jahren unterfinanziert und ineffizient, S. 37 ff. https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/beratungsberichte/2020/krankenhaeuser-seit-jahren-unterfinanziert-und-ineffizient (Langfassung): „Selbst, wenn die Länder bewegt werden könnten, sich zur Einhaltung eines gemeinsamen Strukturkonzeptes zu verpflichten, wäre eine hieraus abgeleitete Anpassung der Versorgungsstrukturen nicht ohne weiteres möglich. Eine Neuausrichtung der planungs- und finanzierungsrechtlichen Strukturen im Krankenhausbereich sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Bundesverwaltungsgerichts relevant für die Berufsausübung der privaten und freigemeinnützigen Krankenhausträger und am Maßstab des Artikels 12 Grundgesetz zu messen. Die wirtschaftlichen Folgen einer Nichtaufnahme in den Krankenhausplan könnten für Krankenhausträger einschneidend sein und zur Schließung des Krankenhauses führen. Dies käme einer Beschränkung der Berufswahl gleich. An die Festlegung der Kriterien für die Aufnahme in den Krankenhausplan und für die Herausnahme bestünden strenge Anforderungen. Planerische Entscheidungen zum Abbau von Überkapazitäten und Doppelstrukturen seien ohne oder gegen das Einverständnis der Krankenhausträger faktisch nicht möglich.“

[10] Bundeskartellamt: Sektoruntersuchung Krankenhäuser – Wettbewerb im Krankenhaussektor in Deutschland und Schutz durch die Fusionskontrolle. Darstellung und Analyse der Strukturen auf den Märkten der Akutkrankenhäuser in Deutschland, Abschlussbericht gemäß § 32e GWB – September 2021. https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Sektoruntersuchungen/Sektoruntersuchung_Krankenhaeuser.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[11] GKV-Spitzenverband Faktenblatt – Thema: Stationäre Versorgung S 7/11, 16.06.2021, Pressestelle GKV-Spitzenverband.

 

Lesen Sie von Matthias Gruhl zur Krankenhausreform im Observer Gesundheit auch:

Fazit aus Corona: Erkenntnisse und Konsequenzen für die Krankenhausversorgung – 18. Juni 2020.


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