Apothekenvergütung: Auseinandersetzungen gehen weiter

Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der Treuhand Hannover Steuerberatung und Wirtschaftsberatung für Heilberufe GmbH

Im Juni schien der bundesweite Protest der Apotheker Karl Lauterbach noch nicht zu beeindrucken. Im Juli kam dann erste Bewegung in die Debatte zur wirtschaftlichen Lage der Apotheken. Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA, informierte die „lieben Kolleginnen und Kollegen“, der Minister sei inzwischen zu einem Gespräch bereit. Das ist zumindest ein erster Schritt. Die Lage ist kompliziert – und ernst. Im Kern geht es um das fundamentale betriebswirtschaftliche Problem der Kostenunterdeckung in der RX-Arzneimittelabgabe.

Die Preise für die Abgabe rezeptpflichtiger Fertigarzneimittel in öffentlichen Apotheken sind hoheitlich administriert: Die Stückvergütung ist auf 8,35 Euro je Packung zuzüglich eines dreiprozentigen Aufschlages auf den Apothekeneinkaufspreis fixiert, und der GKV ist zugleich ein Abschlag von zwei Euro inklusive Umsatzsteuer je Packung zu gewähren. Im Management-Beitrag für den Observer Gesundheit vom 26. April 2023 unter dem Titel „Vor-Ort-Apotheken & Arzneimittelinnovationen“ habe ich analysiert, dass – wenn man dieser Stückvergütung die anteiligen GKV-RX-Stück-Betriebskosten gegenüberstellt – sich keine Stückgewinne, sondern seit 2020 sogar Stückverluste für die statistische Durchschnittsapotheke ergeben. Die vom BMWK als zuständigem Verordnungsgeber vorgesehene „Taxvergütung“ ist in der GKV-Versorgung defizitär. Sie wird derzeit von anderen Umsatzsegmenten und aus Einkaufskonditionen der Apotheken subventioniert. Diese Aussage hat beträchtliche Aufmerksamkeit erzeugt und wurde von den Apotheken auch bei dem Protesttag am 14. Juni 2023 thematisiert.

 

Der aktuelle Sachstand der Diskussion

Der nach § 78 AMG für die AMPreisV zuständige Bundeswirtschaftsminister Habeck hat sich in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Lauterbach gewandt, um Anpassungsbedarf bei der Apothekervergütung zu besprechen. Habeck ist mit dem betriebswirtschaftlichen Argument konfrontiert, dass die Stückbetriebskosten der Apotheken seit 2004 nur ein einziges Mal und das auch nur teilweise in einer Anpassung der Stückvergütung berücksichtigt wurden. Und: Er hat nach dem Wortlaut von § 78 AMG explizit die rechtliche Verantwortung, für eine angemessene Vergütung der Apotheken zu sorgen. Ein perpetuiertes Nichtstun würde dieser Verpflichtung zuwiderlaufen. Im BMWK besteht offenbar zumindest eine gewisse Nachdenklichkeit in dieser Thematik.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach, auch zuständig für die GKV-Finanzen, hatte zunächst erklärt, „im Moment“ stünde dafür kein Geld bereit. Das ist unzutreffend. Geld ist durchaus da, was z.B. die Pläne für ein flächendeckendes Netz von neuen Gesundheitskiosken zeigen. Was fehlt, ist die politische Bereitschaft zu entsprechenden Prioritäten bei der Mittelverwendung. So zeigte Lauterbach trotz bundesweiter Aktionen keine Bereitschaft, sich mit der betriebswirtschaftlichen Realität auseinanderzusetzen. Bis vor kurzem herrschte schlicht politisches Nichtwollen. Ob nun aus dem zarten Pflänzchen der Gesprächsbereitschaft letztlich auch der Auftrag Lauterbachs zur Überarbeitung der Apothekenvergütung – z.B. in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe – erwächst, bleibt abzuwarten.

Die CDU/CSU-Fraktion hat im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages beim sog. „Lieferengpassgesetz“ einen Änderungsantrag eingebracht, das Apothekenfixum auf 10 Euro je RX-Fertigarzneimittel anzuheben. Der Antrag fand allerdings nicht die parlamentarische Mehrheit.

Die ABDA fordert eine Anhebung des Fixums auf zwölf Euro sowie eine „Basispauschale“. Letzte hat durchaus eine Analogie zu den bei der Krankenhausvergütungsreform diskutierten „Vorhaltekosten“. Doch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Änderungsvorschlägen der ABDA ist bislang nicht erfolgt.

In den pharmapolitischen Diskussionsrunden in Berlin werden zuweilen, wenn auch ohne nähere Spezifikation, zu den ABDA-Vorstellungen „alternative“ Ansatzpunkte in Sachen Apothekenvergütung genannt:

  • „Verrechnung mit neuen Dienstleistungen“: Dieser Ansatz negiert die Notwendigkeit einer Anpassung der RX-Stückvergütung mit dem Hinweis auf neue Verdienstmöglichkeiten der Apotheken durch pharmazeutische Dienstleistungen (pDL). Es ist zwar zutreffend, dass mit den neuen honorierten pDL sich für die Apotheken auch neue Verdienstmöglichkeiten ergeben. Doch das fundamentale betriebswirtschaftliche Problem der Kostenunterdeckung in der RX-Arzneimittelabgabe bleibt unverändert bestehen. Zudem ist das Quantum der pDLdes Umsatzvolumens auf 150 Mio. Euro p.a. begrenzt, und die daraus erzielbaren Gewinne sind überschaubar.
  • „Nach Apothekenumsatz gestaffelte Kassenabschläge“: Um das Sterben „kleiner“ Apotheken zu verhindern, sollen dieser Idee zufolge die Kassenabschläge nach der Apothekenumsatzgröße gestaffelt werden, wobei „große“ Apotheken höhere Abschläge zahlen sollen als „kleine“. Abgesehen von der damit verbundenen Bürokratie würde die Idee ihrem Ziel diametral entgegenwirken. Weil damit „große“ Apotheken niedrigere Verkaufspreise hätten, würde eine systematische Rezeptsteuerung zu den preiswerten „Großapotheken“ und weg von den teuren „Kleinapotheken“ erfolgen. Damit würde versorgungsrelevante Apothekenstruktur maximal gefährdet.
  • „Vergütungsdeckel“: Dahinter steht die Idee, den dreiprozentigen Vergütungsaufschlag auf den Einkaufspreis ab einem Höchstbetrag zu begrenzen. Das Apothekenhonorar würde dann nicht mehr mit steigendem Herstellerabgabepreis steigen. Abgesehen davon, dass der dreiprozentige Apothekenaufschlag im Vergleich zum 19%igen Mehrwertsteueraufschlag die Apothekenverkaufspreise nur marginal verändert, hätte dieser Vorschlag eine fatale Auswirkung auf die Arzneimittelversorgung: Denn ab einem bestimmten Einkaufspreis würden die umsatzvariablen Stückkosten über dem Honorardeckel liegen, und eine Abgabe dieser Arzneimittel würde dann „unter Einstandskosten“ erfolgen, wäre also ruinös. De facto müssten die Apotheken die Abgabe dieser Produkte einstellen. Je nach Fixierung wären davon noch mehr Produkte als heute von Lieferengpässen betroffen. [i]

Eines steht heute schon fest: Der weitere Fortgang der Diskussion in Sachen Apothekervergütung bleibt spannend.

 

[i]  Würde beispielsweise der Prozentaufschlag bei 100 Euro gedeckelt, würde ab einem Apothekeneinkaufspreis von 3.333,33 Euro die Stückvergütung der Apotheken (vor Kassenabschlag) auf 108,35 Euro limitiert. Die Apotheken haben aber umsatzvariable Betriebskosten (z.B. für die Vorfinanzierung des Warenlagers usw.), die seit 2004 im Vergütungsmodell mit 3 % angenommen worden sind. Insofern würde ab diesem AEP die RX-Arzneimittelabgabe für die Apotheken betriebswirtschaftlich unsinnig. Im Preissegment ab 3.000 Euro liegen etwa 2.000 verschiedenen Arzneimittel – ein Vergleich zur Einordnung der gesundheitspolitischen Relevanz: Derzeit sind „nur“ rund 500 verschiedene Arzneimittel von Lieferengpässen betroffen, und dies wird allenthalben als inakzeptables Versorgungsproblem wahrgenommen.

 

 

Weitere Beiträge von Dr. Frank Diener:

„Vor-Ort-Apotheken & Arzneimittelinnovationen“, Observer Gesundheit, 26. April 2023,

„Nach ´zu` kommt ´ab`!“, Observer Gesundheit, 26. November 2019,

„Gewinne für Heilberufler“, Oberserver Gesundheit, 13. August 2018,

„2hm-Gutachten zur Apothekenhonorierung“, Observer Gesundheit, 3. Mai 2018.

 


Observer Gesundheit Copyright
Alle Kommentare ansehen