Mehr Zusammenarbeit auf EU-Ebene bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln

Dr. Peter Liese, CDU-Europaabgeordneter und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament

Ich halte es für richtig und vernünftig, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien zu verstärken (Health Technology Assessment, HTA). Die Zulassung eines Großteils der Arzneimittel wird bereits heute zentral von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in London durchgeführt. Nach der Zulassung müssen die Hersteller des Medikaments jedoch in allen Mitgliedstaaten einzeln nachweisen, ob das Medikament wirklich besser wirkt als eine bisher schon finanzierte Vergleichstherapie.

Diese Praxis bedeutet vor allem, dass in jedem Mitgliedstaat viel Personal auf Seiten der Unternehmen und der zuständigen Behörden, das auch an anderen Stellen gezielter eingesetzt werden könnte, benötigt wird. Durch eine Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien auf EU-Ebene könnte diese Doppelarbeit beendet werden. Es kann schließlich aus wissenschaftlicher Sicht nicht sein, dass ein Medikament in Deutschland das Leben im Schnitt um acht Monate verlängert, aber in Frankreich nur um einen Monat oder um 18 Monate. Die Ärzte und Pharmakologen, die die Wirkung eines Arzneimittels bisher in jedem Mitgliedstaat einzeln, also 28 Mal, prüfen müssen, könnten dann viel sinnvoller in der Forschung und Entwicklung von neuen Arzneimitteln eingesetzt werden.

 

Fehlinvestitionen vermeiden

Ein zweiter, mir wichtiger Aspekt des Kommissionsvorschlags ist, dass Unternehmen dank der entstehenden engen Verbindung zwischen Zulassungsbehörden und Nutzenbewertungsinstanzen zukünftig viel gezielter forschen können. Das jetzige System, in dem die EMA und die nationalen Behörden praktisch nicht zusammenarbeiten, führt aus meiner Sicht nämlich zu Fehlinvestitionen, da sich für die Industrie die Forschung natürlich nur dann lohnt, wenn ein Medikament auch zu auskömmlichen Preisen vom Gesundheitssystem erstattet wird. Hiervon profitieren daher alle: Patienten, Behörden, Beitragszahler und Unternehmen.

 

Kompetenzen streng abgrenzen

Das Europäische Parlament hat am Kommissionsvorschlag dennoch entscheidende Änderungen vorgenommen. Insbesondere wurde eine strenge Abgrenzung zwischen Kompetenzen der Union und der Mitgliedstaaten beschlossen. So sollen beispielsweise ergänzende Studien auf Ebene der Mitgliedstaaten möglich sein, etwa wenn der entsprechende medizinische Standard in dem jeweiligen Land durch die Prüfung der Vergleichstherapie auf europäischer Eben nicht ausreichend abgedeckt wurde.

Außerdem wurde klar formuliert, dass die letztendliche Frage der Kostenerstattung Sache der Mitgliedstaaten bleibt. Wir müssen auch bei diesem Vorschlag schließlich streng darauf achten, dass die Kompetenzen der Mitgliedstaaten beachtet werden. Für die Frage, ob ein Medikament erstattet wird, ist nicht Europa, sondern das nationale Gesundheitswesen zuständig.

 

Mit qualifizierter Mehrheit über Nutzenbewertung abstimmen

Ein aus meiner Sicht entscheidender Punkt wurde im Vergleich zum Kommissionsvorschlag ebenfalls geändert, nämlich, dass das übliche Abstimmungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit für das relevante Entscheidungsgremium eingeführt wurde. Die Kommission hatte ursprünglich vorgeschlagen, dass die Gruppe (je eine Person pro Mitgliedstaat), die über die wissenschaftliche Arbeit entscheidet, im Idealfall einstimmig beschließt. Sie hat jedoch offengelassen, was passiert, wenn keine Einstimmigkeit zustande kommt. Das Europäische Parlament hat für diesen Fall die qualifizierte Mehrheit beschlossen, sodass das übliche Abstimmungsverfahren auf EU-Ebene Anwendung findet.

Dies ist nicht nur demokratietheoretisch sinnvoll, sondern auch praktisch, da es die großen Mitgliedstaaten sind, die über ausreichende Erfahrung in der Nutzenbewertung verfügen und die durch die doppelte Mehrheit, in der auch die Bevölkerungsgröße angerechnet wird, im Vorteil sind. Die qualifizierte Mehrheit im Rat sieht vor, dass 55 Prozent der Mitgliedstaaten für einen Vorschlag stimmen müssen – in der Praxis bedeutet das 16 von 28; und diese zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der Union ausmachen.

Das Votum des Europäischen Parlaments dient nun als Grundlage für die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten.


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