Hybrid-DRG: richtige Weichenstellung mit großem Nachbesserungsbedarf

Priv.-Doz. Dr. Ursula Hahn, Geschäftsführerin des OcuNet Verbundes

Gleiches Geld, egal ob, eine Leistung stationär und ambulant erbracht wird, fördert Ambulantisierung – das sagt einem nicht nur der gesunde Menschenverstand, das ist auch das Ergebnis der Analyse von Schreyögg und Milstein zu erfolgreichen Ambulantisierungsstrategien anderer Länder. Der deutsche Weg ist jedoch – leider – mit deutlichen ABER gepflastert. Daher: Ob Ambulantisierung gelingt, muss sich erst noch zeigen.

Eins ist klar: Schon die pure Zahl an (potenziellen) Hybrid-DRG-Fällen (hDRG) lässt die möglichen Konsequenzen für Versorgungsgeschehen und Angebotsstrukturen erkennen. Die gültige Verordnung vom 21.12.2023  sieht 12 hDRG vor, die sich alle aus „regulären“ DRG (oder auch Referenz-DRG) des DRG-Katalogs ableiten lassen. Der Mengenanteil dieser Referenz-DRG am gesamten stationären Leistungsgeschehen nach den jeweiligen DRG-Kapitel (Major Diagnostic Category (MDC)) ist z. T. sehr hoch. So lassen sich 28 % der stationär erbrachten Eingriffe des MDC 13 „Krankheiten und Störungen der weiblichen Geschlechtsorgane (N01A-N62B)“ in 2022 via Operation und Prozedur (OPS) grundsätzlich einem der drei hDRG des Starterkatalogs (Quelle für Berechnung der Anteile: https://datenbrowser.inek.org/DRG2022, Datenlieferung DRG 2022 gruppiert nach 2023, eigene Berechnungen) zuordnen. Der potenzielle Mengenimpact der laut Verordnungsentwurf vom 21.09.2023 für die Ausbaureserve vorgesehenen 55 hDRG ist noch größer: Spitzenreiter ist die MDC 06 „Krankheiten und Störungen der Verdauungsorgane (G01Z-G77B), 2022 entfielen 50 % der in 2022 stationär erbrachten Fälle auf eine der Referenz-DRG zu der hDRG.

Die Existenz eines hDRG bedeutet zwar keinesfalls, dass es keine stationäre Versorgung nach regulärer DRG mehr gibt. Die hDRG begründet sich nicht nur aus der OPS, andere Zuordnungskriterien müssen zusätzlich greifen: Das sind u.a. Diagnose nach ICD, Liegedauer (bei einer Liegedauer >1 Tag ist ein Fall nicht mehr hDRG, sondern regulär stationär) und Komplexitätsgrad des Patienten nach Patient Clinical Complexity Level (PCCL). Was nun hDRG und was reguläre DRG ist, zeigt der DRG-Grouper an. Trotzdem: Das Mengenreservoir der hDRG wird durch die stationäre Fallzahl der Referenz-DRG grundsätzlich abgesteckt. Für die Prognose, dass sich der Medizinische Dienst besonders mit den regulär abgerechneten DRG befasst, zu denen es hDRG gibt, muss man keine besonderen hellseherischen Qualitäten haben. Ein vergleichsweise einfaches „Liegedauerupcoding“ hält Prof. Schreyögg – so erläutert er in einem Webgespräch des Bundesverbands Managed Care – schon jetzt für einen wesentlichen Strickfehler der hDRG-Verordnung.

 

Mit hDRG  verkrustete Strukturen aufbrechen

Vertragsärzte und Vertragsärztinnen waren schon in der Vergangenheit Motor für Ambulantisierung. Dass Vertragsärzte und MVZ bei hDRG Krankenhäusern gleichgestellt sind, ist daher nur konsequent. Laut § 115f SGB V sind die an „§ 95 Absatz 1 Satz 1 sowie § 108 an der Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer“ zur Erbringung UND Abrechnung von hDRG berichtigt. Damit können sowohl Krankenhäuser, aber eben auch Vertragsarzt / Belegarzt oder MVZ „hDRG-Teamspitze“ sein, die verschiedenen an der Versorgung beteiligten Leistungserbringer koordinieren, die hDRG gegenüber der Krankenkasse abrechnen und das Geld an die anderen – also andere Vertragsärzte oder ggf. auch ein Krankenhaus – verteilen.

Der Bundesverband der Belegärzte und Belegkrankenhäuser hat sich bereits positioniert: Belegärzte sind die geborenen Hybrid-Versorger, sie stehen schon bisher für eine ambulant-stationäre Versorgungskultur. Das Bekenntnis ist umso bemerkenswerter, als sich die belegärztliche (aber natürlich auch die vertragsärztliche) Welt mit hDRG ändern wird: Bislang vorwiegend stationäre Eingriffe werden künftig ambulant erbracht werden, außerdem werden nicht mehr nur Belegärzte die OPs des hDRG Katalogs erbringen, denn es braucht für diesen neuen Zweig der Regelversorgung keine Belegarzt-Anerkennung.

HDRG setzen richtige Impulse für Ambulantisierung – auch und gerade in und an Krankenhäusern. Sie werden ambulantisieren, weil es hDRG gibt. Der vielleicht noch wichtigere Impuls zur Ambulantisierung ist jedoch, dass auch die vertragsärztliche Versorgung vollumfänglich an Bord ist. Wettbewerb belebt die Ambulantisierung – diese Erfahrung hat die Augenheilkunde in den letzten Jahrzehnten sehr deutlich gemacht. Mit den jetzt im Starterkatalog in Kraft getretenen hDRG werden Krankenhäuser noch nicht in den ganz harten Wind gestellt: Aktuell sind die chirurgischen Kapazitäten für den geltenden Katalog vor allem an Krankenhäusern angesiedelt. hDRG werden perspektivisch aber die Angebotsstrukturen verändern – Krankenhäuser werden Teile ihres Spektrums in ambulante Operationszentren auslagern, an anderer Stelle werden vertragsärztliche Zentren nach hDRG Verordnung versorgen. Aber genau so soll es ja auch sein: HDRG sind eine Steilvorlage, um die starre Sektorengrenze zu schleifen.

Aber nicht nur die Sektorengrenze wird durchlässiger, auch die Grenzen zwischen Praxen müssen mit hDRG schrumpfen. HDRG sind Komplexpauschalen – sie bringen die an der Versorgung Beteiligten stärker zusammen. Nicht nur muss die Versorgung Hand in Hand passieren, zudem rechnet einer der Beteiligten für alle anderen ab und verteilt das Geld. Eine neue Herausforderung für mit Vertragsärzten zusammenarbeitende Krankenhäuser, aber auch für Vertragsärzte, die mit einem Krankenhaus bzw. Praxen anderer Fachgruppen gemeinschaftlich versorgen. In unseren bisherigen Systemen rechnet jeder und jede für sich ab. Gerade im Augenblick wird an vielen Stellen um gute Lösungen gerungen – schon das ein Schritt in die richtige Richtung. Organisations- und Verteilungsregeln abzustimmen wird gelingen, aber es wird auch Energie binden.

Mit hDRG kommen wir in vielerlei Hinsicht in eine Übergangsphase, damit gehen Hoffnungen, aber auch Sorgen einher. Kostenträger befürchten Mengenausweitung. Das überrascht, sind doch die hDRG mit Vergütungssätzen von zwischen rd. 30 und 60 % der Referenz-DRG alles andere als ein Anreiz für Mengenausweitung. Die Sorge ist so typisch wie vorhersagbar. Man könnte sich auch einen konstruktiveren Angang zur Ambulantisierung vorstellen. Ein Ansatz wäre, der Empfehlung des Gutachtens zu sektorengleichen Vergütung: Nach dem Vorbild anderer Länder mit erfolgreicher Ambulantisierung sollten sich die Erstbewertungen von hDRG an dem Niveau der stationären Vergütungshöhen orientieren. Natürlich liegt darin eine gewisse Überfinanzierung, dafür ist dann aber das Geld da, um die für hDRG notwendigen Strukturen zu entwickeln und zu implementieren. In Deutschland passiert das Gegenteil: deutliche Reduktion der Vergütungssätze, und jetzt sollen wohl auch noch im Entwurf der Verordnung vorgesehene die Härte etwas abfedernde flankierende Regeln wie alternative Abrechnung nach Einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM) oder Abrechenbarkeit des Pflegebudgets entfallen. Ein anderer möglicher Weg wäre, mehr hDRG vorzusehen, die nach Komplexitätsgrad und Aufwand der zugehörigen OPS homogener sind. So berichten die Berufsverbände der von den Starter hDRG betroffenen Fächern, dass komplexe Eingriffe (oft gerade auch wegen der Sachkosten) deutlich unterfinanziert sind. Eine bessere Zuordnung von OPS zu hDRG würde die Bürde der Mischkalkulation bei den Schwerpunktversorgern in der vertragsärztlichen Versorgung und in Krankenhäusern mildern helfen.

 

Technische Hindernisse und wirkliches No-Go

Vieles muss aktuell geregelt werden. KBV, DKG und GKV-Spitzenverband verhandeln dem Vernehmen nach zu Abrechnungsdetails – Art des Datensatzes, Abrechnungswege und Konditionen wie z.B. Abrechnungsintervalle. Es muss für Vertragsärzte passende DRG-Grouper geben; die Pflichtdatenfelder der aktuell verfügbaren Versionen passen hier nicht. Es müssen die Eckdaten zwischen den an im hDRG-Fall gemeinsam Versorgenden ausgehandelt und zur Vereinbarungsreife gebracht werden. Kapazitäten für hybride Versorgung sind frei zu schaufeln oder neu zu errichten.

Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg ist jedoch eine auskömmliche Finanzierung. Das gilt natürlich besonders mit Blick auf Krankenhäuser: Sie werden von den im Vergleich zu einer regulären stationären Versorgung deutlich niedrigeren Vergütungssätzen besonders hart getroffen. Der Druck zum „Liegedauerupcoding“ wird erheblich sein. Das könnte sich in einem Krankenhausfinanzierungssystem mit Vorhaltevergütung ändern – aber mit der unübersichtlichen Diskussionslage rund um die Krankenhausreform ist das kein wirklicher Trost. Auch von den Starter-DRG betroffenen Vertragsärzten weisen mit großem Nachdruck darauf hin, dass die Vergütung je nach hDRG und OPS noch unter den aktuellen Sätzen des EBM liegen.

Der gesunde Menschenverstand sagt uns auch, was bei Unterfinanzierung passiert: Systemversagen mit Ansage. Leistungserbringer ziehen sich aus dem jeweiligen Versorgungsbereich zurück, Patienten müssen lange Wege in Kauf nehmen, um überhaupt einen Versorger zu finden. Das Phänomen kennen wir insbesondere gut in der augenchirurgischen Versorgung von Kindern, aber auch viele andere Fächer machen leidvolle Erfahrungen mit prekär ausgestatteten Versorgungsbereichen.

 

Verschleppen ist keine gute Idee

Was also tun: Verschleppen liegt nahe, ist aber keine gute Idee. Nicht nur, weil das Ministerium unmissverständlich klargemacht hat, dass es Ambulantisierung via hDRG will. hDRG mit gleicher Vergütung von ambulant und stationär und gleichberechtigter Beteiligung von Krankenhäusern und vertragsärztlichen Versorgern sind grundsätzlich auch der richtige Weg und eine echte Chance für Ambulantisierung. Allerdings darf der Karren nicht vor die Wand gesteuert werden. Mit der Brechstange – nicht auskömmlicher Finanzierung, zu viel Mischkalkulation, Zwangsmaßnahmen und einem perpetuierten Katz-und-Maus-Spiel um Ausweichreaktion und Gegensteuerung – wird das nichts werden.

 

Lesen Sie von Priv.-Doz. Dr. Ursula Hahn auch: 

„Tagesstationäre Behandlung: Gut gemeint ist nicht gut gemacht“, Observer Gesundheit, 14. November 2022,

„Protektionismus statt Ambulantisierung“, Observer Gesundheit, 25. Juli 2022,

„Plädoyer für ein professionelles Belegarztwesen“, Observer Gesundheit, 12. November 2019.


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