Protektionismus statt Ambulantisierung

Gegen das Konzept der DKG zu krankenhausexklusiven Hybrid-DRG

Dr. rer. medic. Ursula Hahn, Geschäftsführerin des OcuNet Verbundes

Ambulantisierung geht (zurecht) mit großen Erwartungen einher – Vermeidung von für Patienten problematischen und medizinisch-fachlich unnötigen stationären Aufenthalten, Effizienzgewinne und Basis für Strukturbereinigung. Vorschläge dazu, welche Leistungen neu in den „Katalog ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen“ (§ 115 b SGB V) aufgenommen werden sollen, liegen auf dem Tisch.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat jetzt die Themen „Vergütungssystematik“ und „Wer ambulantisiert?“ aufgerufen. Ihr Vorschlag zur Systematik ist die Hybrid-DRG. Egal ob die Leistung ambulant oder stationär erbracht wird, die Vergütung ist immer gleich hoch. Der Clou dabei: Die Hybrid-DRG soll für eine Übergangszeit Krankenhäuser vorbehalten bleiben. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG, räumt kürzlich bei einer Veranstaltung laut Presseberichten selber ein, dass dieser Closed Shop nicht aus Versorgungsgründen notwendig sei, vielmehr soll er den Wandel der Krankenhauslandschaft gestalten helfen (https://www.aend.de/article/218861 Expertenforum Ambulantisierung am 6. Juli 2022).

Das ist schon starker Tobak. „Ambulantisierung“ wird mit Ansage zum Tropf für Krankenhäuser umgebogen. Laut Berichterstattung billigten viele der anderen Referenten die Idee und damit die – in jedem ökonomischen Lehrbuch nachzulesenden – Nachteile von Protektionismus: Nicht die beste, sondern die protegierte Lösung macht das Rennen. Dass die Ambulantisierung verlangsamt wird, dass die Patientensicht unbeachtet bleibt, dass gut funktionierende vertragsärztliche OP-Zentren geschwächt werden, dass Effizienz und Kosten über Bord gekippt werden – das alles spielt bei den Gedankenspielen keine Rolle.

 

Ambulantisierung auf unbestimmte Zukunft verschoben

Zum Plan gehört, dass krankenhausexklusive Hybrid-DRG die konsequente Ambulantisierung verlangsamen. Die in der Presse (s.o.) berichtete Frage von Prof. Josef Hecken, Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses, wie lange die Schutzzäune bestehen sollen, ist sehr berechtigt. Haben Krankenhäuser wirklich ein Interesse an einer zeitlich befristeten krankenhausexklusiven Hybrid-DRG? Ein Blick auf die Augenheilkunde gibt einen Eindruck davon, wie groß das Beharrungsvermögen in Krankenhäusern ist: Vertragsärztliche Praxen waren zwischen 1990 und 2010 die Pioniere der Verlagerung von Kataraktoperationen aus der stationären in die ambulante Versorgung. Während in vertragsärztlichen/belegärztlichen Praxen und MVZ und in anderen Ländern Kataraktoperationen mittlerweile weit überwiegend ambulant durchgeführt werden, liegt der Ambulantisierungsgrad bei augenmedizinischen Hauptabteilungen in Deutschland nur bei etwas unter 50 Prozent (Auswertung Qualitätsberichte 2020).

Auch die Patientensicht scheint unerheblich, sie würde der Restrukturierung der Krankenhäuser untergeordnet. Nach unserer Erfahrung ziehen Patienten die ambulante Behandlung oft der stationären vor, sie wollen natürlich qualitativ gut versorgt sein, aber auch Serviceorientierung, kurze Wartezeiten bis zur Behandlung und beim eigentlichen Termin, eine Behandlung nahe beim Wohnort und gute koordinierte Anschlussversorgung. Krankenhäuser mögen insgesamt (zu?) häufig sein, für die unterschiedliche Fachabteilungen, die ambulante Operationen durchführen, gilt das nicht. In der Augenheilkunde gibt es rd. 115 Hauptabteilungen in Deutschland, das reicht bei weitem nicht. Im Jahr 2020 entfielen nur rd. 15 bis 20 Prozent aller Kataraktoperationen auf Krankenhäuser. Dass ein rein krankenhausgebundenes ambulantes Operieren nicht funktioniert, zeigt das Beispiel des NHS: Um Druck aus dem System zu nehmen, wurden in den letzten Jahren zahlreiche ambulante OPs außerhalb der Krankenhäuser gegründet, die Behandlungskosten dort werden übernommen.

 

Überzeugende Versorgung von vertragsärztliche Operationszentren

Das Totschlagargument, nur Krankenhäuser seien in der Lage, qualitativ hochwertige Versorgung bei komplexer Versorgung zu erbringen, kennen wir im OcuNet Verbund gut. Ein wichtiger Grund für die Gründung des OcuNet Verbundes im Jahr 2002 war, sich gemeinsam und auf Basis von Daten der lauten öffentlichen Skepsis von ophthalmologischen Hauptabteilungen zu stellen. Die Ergebnisse der extern monitorierten klinischen Studien haben wir national und international publiziert und auf Kongressen vorgestellt. Die Kritiker sind verstummt – und zwar bezogen auf das gesamte operative Leistungsspektrum der vertragsärztlichen Zentren, das mittlerweile (nahezu) alle anatomischen Strukturen und Eingriffstypen der Augenheilkunde umfasst.

Natürlich ist die krankenhausexklusive Hybrid-DRG-Idee auch ein Angriff auf die vertragsärztlich-fachärztliche Versorgung. Deren ambulante Operationszentren versorgen seit Jahren mit effizientem Operationsmanagement – was Krankenhäuser scheint’s erst noch lernen müssen. Krankenhausexklusive Hybrid-DRG werden diese vertragsärztlichen Strukturen schwächen: Zum einen werden sie von dem erweiterten § 115b Katalog abgeschottet und geraten damit auch aus dem Blickwinkel der nicht operierenden Kollegen und Patienten in die zweite Reihe. Das Belegarztwesen leidet seit Jahren unter einer vergleichbaren Konstellation: Dass Vertragsärzte/Belegärzte lange nicht alle Operationen, sondern nur die, die explizit im EBM aufgelistet sind, anbieten dürfen, ist ein wesentlicher Sargnagel für das Belegarztwesen. Über krankenhausexklusive Hybrid-DRGs könnten auch die aktuellen Effizienzvorteile bei „Altverfahren“ der vertragsärztlichen Operationszentren verloren gehen. Gut möglich, dass beide Nebeneffekte – Schwächen eines Wettbewerbers und Aus dem Weg räumen von allzu harten Effizienzmaßstäben – aus dem Krankenhausblickwinkel erwünscht sind.

Welche finanziellen Konsequenzen hätten „Schutzzäune“? Natürlich kostet Ambulantisierung erst mal Geld, schließlich müssen Strukturen geschaffen werden. Das war auch bei der Kataraktoperation so, hier kamen Strukturverträge zum Einsatz. Wir hören oft, dass Vertragsärzte anderer Fachgruppen deshalb nicht oder wenig ambulant operieren, weil ihnen die dafür notwendige Anschub- und Betriebsfinanzierung verweigert wurde. Das war und ist kurzsichtig, wie das augenheilkundliche Beispiel zeigt: Ambulante Kataraktoperationen waren zu jeder Zeit niedriger vergütet als stationäre. Würden alle Katarakte heute noch stationär erbracht, fehlten dem System mehr als eine halbe Milliarde Euro für die Versorgung anderer Erkrankungen. Sinn und Zweck von Hybrid-DRG ist, den Wandel von Krankenhäusern finanziell abzufedern. Sprich: Ambulantisierung via krankenhausexklusive Hybrid-DRG wird langsamer vonstattengehen und (erhebliche) Mehrkosten auslösen.

 

Krankenhausexklusive Hybrid-DRG: keine Alternative zur Strukturbereinigung

Das Fatale: Politikerinnen und Politiker könnten versucht sein, auf krankenhausexklusive Hybrid-DRG einzuschwenken, weil sie darin einen alternativen Weg zu der schmerzhaften und politisch fordernden Strukturbereinigung der stationären Landschaft sehen. Ein Trugschluss: Es gibt ja eine neue Subventionierung, warum sollten also Krankenhäuser vom Netz gehen? Stationäre Versorgung ist expliziter Bestandteil der „Hybrid-DRG“, in der Logik müssen die jeweiligen Standorte auch stationäre Versorgung aufrechterhalten. Mit allen politischen Konsequenzen wie z.B. der Aktivierung der regionalen Bevölkerung oder dem Einsatz von Kommunen, Kreisen und Ländern für Krankenhausstandorte. Krankenhausexklusive Hybrid-DRG sind keine Alternative zur Strukturbereinigung: Ob die Kosten so mittelfristig sinken, ist mehr als spekulativ. Die Probleme der Maximalversorger werden nicht gelöst.

Es braucht – natürlich – Krankenhäuser. Für die Leistungen, die zwingend krankenhaus-gebunden sind, steht ihnen ohne jede Frage eine auskömmliche Vergütung zu. Aber Ambulantisierung funktioniert nur unter wettbewerblichen Rahmenbedingungen. Alles andere ist Protektionismus und keine sinnvolle und patientenzentrierte Versorgungssteuerung. Wir – die Mitglieder im OcuNet Verbund – bringen gerne unser Know How zu erfolgreicher Ambulantisierung ein.


Observer Gesundheit Copyright
Alle Kommentare ansehen