Unsere Geduld ist am Ende

Petition zur gesetzlich festgeschriebenen Finanzierung der psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung startet

Ariadne Sartorius, Mitglied im Bundesvorstand des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten (bvvp)

„Aus Fehlern wird man klug, drum ist auch einer nicht genug“. Dieses Sprichwort scheinen sich die politisch Verantwortlichen bei der Aus- und Weiterbildung der Psychotherapeut:innen angeeignet zu haben.

Bereits das Psychotherapeutengesetz von 1999 hatte „Geburtsfehler“, als man seinerzeit zwar froh war, die Qualifikationsanforderungen von Psychotherapeut:innen gesetzlich zu regeln und die damaligen sogenannten „Kostenerstattler, Psychagogen und Delegationspsychologen“ in das KV-System holen zu können. Doch was schon nach jahrelangen Kämpfen 1999 nicht gelang, gelang auch 20 Jahre später nicht: eine Finanzierung der Aus-bzw. Weiterbildung des Nachwuchses.

 

Finanzaufwand von bis zu 80.000 Euro

Dabei haben wir uns alle so ins Zeug gelegt. Ausgehend von den Protesten, Demonstrationen, Petitionen und der Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere der sogenannten Psychotherapeuten in Ausbildung, aber auch der in den Verbänden und Kammern Aktiven kam 2019 ein neues Psychotherapeutengesetz, das die Ausbildung neu regelte. Damit sollten explizit die Probleme der Ausbildung behoben werden; einer der wichtigen Punkte war die fehlende Finanzierung der Ausbildung. Seit 1999 müssen angehende Psychotherapeut:innen ihre postgraduale Ausbildung selbst finanzieren, starten in ihr Berufsleben mit einem Finanzaufwand von 20.000 bis 80.000 Euro, arbeiten zu Löhnen, die immer wieder mit „Ausbeutung“ betitelt wurde. Denn lange Zeit wurden dafür notwendige praktische Tätigkeiten in Kliniken nicht oder nur sehr schlecht bezahlt. Der „Psychotherapeut in Ausbildung“ wurde so zum „Psychotherapeut in Ausbeutung“. Auch ich erinnere mich an meine Zeit der Ausbildung von 2002 bis 2006, wo die finanzielle Situation zeitweise so eng war, dass ich zum Monatsende nicht nur einmal mir ein „Darlehen“ aus den Spardosen meiner Kinder entnehmen musste, um ihnen ein Schulbrötchen mitgeben zu können.

Es waren kleine Schritte, zu denen sich die Politik entschließen konnte: Die Verpflichtung der Kliniken, den diplomierten Psychologen und Pädagogen bzw. den Master-Absolventen zumindest 1.000 Euro im Monat für ihre Tätigkeit zu bezahlen sowie die Verpflichtung der Ausbildungsinstitute, 40 % des erwirtschafteten Honorars an die Ausbildungsteilnehmer auszuschütten. Diese Zahlen machen eigentlich deutlich, dass eine fundierte Ausbildung Geld kostet. Und dass es so nicht weitergehen kann. Denn welche Berufsgruppe arbeitet für 1.000 Euro im Monat nach fünf oder sechs Jahren Studium?

Deswegen war die Freude groß, als im Jahr 2019 die Ausbildung gesetzlich neu geregelt wurde. Endlich, so war die Hoffnung, würden die Weiterbildungskandidaten nicht mehr nebenbei kellnern müssen, oder Eltern oder Ehepartnern auf der Tasche liegen müssen.

„Nach der Reform ist vor der Reform“, so erinnere ich mich an das Zitat von Dirk Heidenblut, seinerzeit für die SPD „der Mann“ für die Psychotherapieausbildung, immer wieder Ansprechpartner für uns und unsere Verzweiflung angesichts der prekären Situation, als wir ihm unsere Unzufriedenheit äußerten, dass die Aus- und Weiterbildung zwar neu geregelt wurde, aber eben keine Finanzierung gesetzlich festgeschrieben wurde.

Das ist vier Jahre her. Hoffnung erhält ja bekanntlich das Leiden aufrecht. Und lange genug haben wir gehofft – und weiter gelitten –, dass aus Berlin ein Omnibus angefahren kommt in Form eines Gesetzes, das diesen Missstand nach 20 Jahren endlich beendet. Passiert ist – nichts. Unsere Geduld ist am Ende. Also Argumente, aller Protest, alle Gespräche haben nicht geholfen. Eine neue Generation von Psychotherapeuten, die ihr Studium abgeschlossen haben bzw. in Kürze abschließen werden, steht in einer Warteschleife und kann ihren beruflichen Ausbildungsgang nicht fortführen.

 

Gesetzliche Lücke muss geschlossen werden

Denn solange die Finanzen nicht zur Verfügung stehen, wird die Weiterbildung der neu approbierten Kollegen, die auf ihre Weiterbildung zum Fachpsychotherapeuten warten, nicht starten. Und dies ist nicht nur ein Desaster für die betroffenen Psychotherapeut:innen, sondern auch für die Versorgungssituation. Denn eines ist klar: Genug zu tun für Psychotherapeut:innen gibt es, unsere Berufsgruppe wird dringend in der ambulanten und stationären Versorgung und angrenzenden Berufsfeldern benötigt. Wenn jetzt ganze Generationen nicht weitergebildet wird, werden letztlich nicht nur die Kolleg:innen, sondern auch die Patient:innen auf der Strecke bleiben.

Deswegen hören wir jetzt auf zu hoffen und werden offensiver. Als Berufsgruppe haben wir uns zusammen mit den Studierenden und den derzeitigen Ausbildungsteilnehmer:innen zusammengetan. Und wir haben eine Petition vorbereitet, die von einem Psychologiestudierenden, Felix Kiunke, im Bundestag eingereicht wurde.

Herr Lauterbach, Herr Lindner, wir fordern Sie auf: Schließen Sie endlich die bestehenden gesetzlichen Lücken! Sorgen Sie für eine lückenlose psychotherapeutische Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Schaffen Sie die fehlenden Pfade in der Weiterbildung, die verpflichtend ist, um den Fachpsychotherpeutenstatus zu erreichen.

 

Petitionen sind wirksam

Petitionen sind ein demokratisches Recht jedes Einzelnen und im Grundgesetz verankert. Sie können politisch hoch wirksam sein. Das habe ich 2019 gelernt, als wir mit den Psychotherapieverbänden eine Petition gegen eine Regelung des TSVG im Bundestag eingereicht hatten. In Gefahr war mit einem Gesetzesvorhaben damals der Direktzugang zur Psychotherapie und damit ein erstes Tor geöffnet in die Beschneidung der freien Arztwahl.

Damals gab es neben den knapp 160.000 online-Unterschriften auch noch einmal über 43.000 Unterschriften auf Listen. Dies führte nicht nur zu einer Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestags, dem auch der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn teilnahm, sondern letztlich wurde der Passus, gegen den sich die Petition richtete, wieder aus dem Gesetz gestrichen.

Ich schließe mit dem letzten Satz des Begründungstextes der Petition: „Die Sicherung der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich die Politik stellen muss.“

 

Lesen Sie dazu diese Beiträge der Autorin: 

„Wir brauchen eine bessere Versorgung in der Psychotherapie, statt Zugangswege zu versperren“, Observer Gesundheit, 20. Dezember 2018, 

„Zugangssteuerung zur Psychotherapie: Dieser Protest hat sich gelohnt, aber an anderer Stelle geht er weiter“, Observer Gesundheit, 14. März 2019.


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