Tagesstationäre Behandlung: Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Priv.-Doz. Dr. Ursula Hahn, Geschäftsführerin des OcuNet Verbundes

Im Omnibus „Krankenhauspflegeentlastungsgesetz“ gibt es einen weiteren neuen Passagier: die tagesstationäre Behandlung, von der Krankenhauskommission als Tagesbehandlung vorgeschlagen. Kern des Entwurfs des § 115e SGB V: Krankenhäuser sollen im Einvernehmen mit Patientinnen und Patienten geeignete, bisher vollstationär erbrachte Behandlungen bei somatischen Krankheiten als reine Tagesbehandlungen vornehmen können; geschlafen wird zu Hause.

Ziel ist, „die Krankenhäuser kurzfristig zu entlasten, die Überlastungssituationen des Krankenhauspersonals zu verringern und das Personal von vermeidbaren Aufgaben zu entbinden, ohne Leistungen für Patientinnen und Patienten einzuschränken“. Die Intention ist ehrenhaft, bei genauerer Betrachtung der Konstruktion ist ein Fehlschlag aber wahrscheinlich. Den aber können wir uns nicht leisten, wir brauchen dringend Kapazitäten für die Weiterentwicklung einer echten Ambulantisierung.

 

Keine saubere Abgrenzung von anderen Versorgungsformen

Das Problem dabei: Ohne praxistaugliche Abgrenzung stehen die Scheunentore für Auseinandersetzungen und Streitigkeiten weit offen. Im Planungspapier vom 23.10.2022 konzediert das BMG selber, dass tages- und teilstationäre Versorgung inhaltsgleich sind. Genauer ist tagesstationäre Versorgung eine Teilmenge der teilstationären: Nur bei tagesstationärer Versorgung steht die für den Aufenthalt im Krankenhaus obligatorische Uhrzeit – nämlich der Tag – im Namen. Bei teilstationärem Aufenthalt könnten Patient respektive Patientin auch nachts im Krankenhaus und tagsüber zu Hause sein.

Teilstationäre Versorgung – also die Obermenge für tagesstationär – wiederum ist nicht sauber von vollstationärer Versorgung abgegrenzt. Das Bundessozialgericht (BSG) entwickelte 2004 (Az: B 3 KR 4/03 R) Kriterien: Aufgrund des Krankheitsbildes muss eine Behandlung einerseits über einen längeren Zeitraum, aber ohne ununterbrochene Anwesenheit im Krankenhaus notwendig und andererseits dafür die medizinisch-organisatorische Infrastruktur eines Krankenhauses erforderlich sein.

Diese Abgrenzung liest sich nicht nur sperrig, auch die Praxis der teilstationären Versorgung ist holprig. Für eine so langjährig existierende Versorgungsform (teilstationäre Versorgung gibt es seit 1989) ist die Fallzahl klein (2020: 649.162 Fälle (Statistisches Bundesamt, 2022, Mappe 2.9). Im Vergleich zur Zahl vollstationärer Patientenaufnahmen sind es gerade mal auf 4 %, im Vergleich zu vor- und nachstationären Fällen 12 % (Statistisches Bundesamt, Mappen 1 und 2.9). Nur in wenigen Fächern – konkret Kinder- und Jugendpsychiatrie, Nephrologie, Hämatologie und internistische Onkologie sowie Nuklearmedizin – erreicht teilstationäre Versorgung einen versorgungsrelevanten Anteil an Fällen. Gerade in den Fächern, die schon heute teilstationär unterwegs sind, sah der Bundesminister in seiner Pressekonferenz am 27.9.2022 Kandidaten für tagesstationäre Behandlung. Die Abgrenzung macht das nicht einfacher; zudem: Es drängt sich die Frage auf, warum es denn dann überhaupt eine neue Versorgungsform braucht.

Nicht besser steht es um die Abgrenzung zu ambulanter Versorgung. Der GKV-Spitzenverband hält teilstationäre Leistungen im Kern für ambulante. Auf seiner Internetseite heißt es: „…teilstationäre Versorgung ist eine legislative Finesse, die den Krankenhäusern ambulante Leistungen ermöglichen sollte, ohne das KV-Monopol grundsätzlich in Frage zu stellen.“ (https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/ambulant_stationaere_versorgung/hintergrund/ambulante_kh_leistungen.jsp).

 

Hoher Begründungs- und Kontrollaufwand aufgrund unterschiedlicher Vergütungsformen 

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die vollstationäre Versorgung deutlich attraktiver als die teilstationäre und die ambulante, die tagesstationäre schöbe sich im Ranking hinter die vollstationäre Versorgung. Während bei tagesstationärer Behandlung der Abschlag auf die vollstationäre DRG bei maximal minus 30 % liegen darf, liegen die krankenhausindividuellen Pauschalen für teilstationäre Versorgung dem Vernehmen nach bei weniger als 50 %. Die Vergütungshöhe für ambulante AOP-Leistungen liegt ebenfalls deutlich unter der nach DRG (Hahn & Mussinghoff, 2017).

Natürlich werden (und müssen) Krankenhäuser versuchen, Patienten und Patientinnen aus teilstationärer und ambulanter Versorgung in die besser dotierte tagesstationäre zu verlagern. Da aber laut Begründung im Gesetzentwurf „keine zusätzlichen Ausgaben im Gesundheitswesen verursacht, sondern Einsparungen erzielt werden“ sollen, muss das verhindert werden. Die Folge ist eine weiter ausufernde (und kostenintensive) Bürokratie. Die erforderliche Begründungslogik entbehrt dabei nicht einer gewissen Absurdität. Das Krankenhaus muss darlegen, warum ein Patient primär eine Übernachtung brauchte und wegen dieser Einstufung erst für tagesstationäre Versorgung qualifiziert ist. Würde der Patienten nämlich nicht primär als vollstationär eingestuft, käme für ihn ja die teilstationäre oder ambulante Versorgungsschiene in Frage. Man mag nicht in der Haut derjenigen stecken, die die dafür notwendige fachliche Begründung formulieren müssen. Und nach der Begründung kommt die Kontrolle des Medizinischen Dienstes, nicht weniger aufwendig, nicht weniger absurd.

 

Ziel „Entlastung der Krankenhäuser“ nicht erreichbar

Diverse Gründe sprechen dafür, dass die Zahl tagesstationärer Fälle gering bleiben wird. Die Zahl der Indikation ist klein. Das zeigt schon die Begründung im Gesetzentwurf: Die Versorgungsform komme „für große, komplexe oder risikoreiche Behandlungen … von vorneherein regelhaft nicht in Betracht“. Aus medizinisch-fachlicher Perspektive gibt es wenig Indikationen, bei denen ein Patient / eine Patientin zwar über Nacht gut zu Hause aufgehoben ist, dann aber am nächsten Tag zwingend für sechs Stunden ins Krankenhaus zurückkehren muss. Es wird zudem nicht leicht sein, Patienten und Patientinnen davon zu überzeugen – auch weil der Patient und die Patientin die Fahrkosten selber aufbringen müssen. Betriebswirtschaftliche Gründen sprechen gegen tagesstationäre Behandlung: Der Umsatz ist geringer als bei vollstationärer Versorgung, gleichzeitig müssen Versorgungsprozesse umgestellt, die personellen Kapazitäten für vollstationären Versorgung aber trotzdem vorgehalten und das zusätzliche Haftungsrisiko der Heimkehrer getragen werden. Und on top kommt der Begründungsaufwand. Entlastung sieht anders aus. Es überrascht nicht, dass die Zahl der tagesstationären Versorgung kritisch kommentierenden Krankenhäuser wächst.

 

Einbindung von Praxen, MVZ und Tageskliniken erforderlich

Der Gesetzentwurf präzisiert, dass eine tagesstationäre Versorgung „mit einer täglich mindestens sechsstündigen ärztlichen oder pflegerischen Behandlung erfolgt“. Das können ambulante Operationszentren und Praxiskliniken nach § 122 SGB V auch leisten. Vielleicht sind sie im Durchschnitt sogar besser darin als Krankenhäuser, weil Behandlungen ohne Übernachten schon heute ihren täglichen Versorgungsalltag bestimmen. Sie sind nicht nur die Motoren der „richtigen“ Ambulantisierung (Albrecht, Mansky, Sander, & Schiffhorst, 2022), in vertragsärztlichen Praxen werden Leistungen wie Chemotherapie und Dialyse erbracht, die in Krankenhäusern als „teilstationär“ etikettiert werden. Völlig unverständlich ist, warum belegärztliche Behandlungen explizit nicht in tagesstationäre Versorgung umwandelbar sind.

Es gibt keinen medizinisch-sachlichen Grund, tagesstationäre Behandlung exklusiv für Hauptabteilungen von Krankenhäusern vorzusehen. Vielleicht wird sogar umgekehrt ein Schuh daraus: Würde tagesstationäre Behandlung für Praxen, MVZ und Praxiskliniken geöffnet, dann folgten auch Krankenhäuser. Das ist die Lehre aus der erfolgreichen Ambulantisierung der Kataraktoperation: der Wettbewerb der Sektoren war ein, vielleicht sogar der wichtigste Faktor, dass heute auch Krankenhäuser die Kataraktoperation ambulant durchführen.

 

Fehlversuch „tagesstationäre Versorgung“ verheerend

Die Intention für tagesstationäre Versorgung ist nachvollziehbar und ehrenwert. Aber eine Versorgungsform, die absehbar nicht ans Fliegen kommt, können wir uns nicht erlauben. Sie wird auf kurze und mittlere Sicht Kapazitäten im Ministerium, beim Gesetzgeber, bei Kostenträger und Krankenhäusern binden. Sehr wahrscheinlich, dass die Weiterentwicklung anderer Versorgungsformen an der Sektorengrenze bis nach der vorgesehenen Evaluation zurückgestellt wird.

Das aber bedeutet: Ausbau und Weiterentwicklung einer Ambulantisierung, die den Namen verdient, stagnieren. Ambulantisierung verhilft dem Gesundheitswesen zu mehr Effizienz und hat Patienteninteresse im Blick. Wir brauchen nachhaltige Versorgungssteuerung – gerade bei den aktuellen Herausforderungen. Ambulantisierung muss richtig umgesetzt werden: als Wettbewerb der Sektoren, mit sektorengleichem Leistungsspektrum und sektorengleicher Vergütung. Es ist zu hoffen, dass der im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz ebenfalls erst jüngst eingefügt § 115f „Spezielle sektorengleiche Vergütung“ dazu eine Perspektive bietet.

 

 

Literatur:


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