Ein Zielbild für neue kommunale Versorgungsstrukturen

Wie aus GVSG und KVVG eine Erfolgsstory werden könnte

Dr. Matthias Gruhl, Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Staatsrat a.D.

Statt sich im Klein-Klein der vielen Projekte, Ankündigungen und Entwürfe aus dem BMG zu verheddern, hilft es ab und zu, sich die Potentiale und Chancen vor Auge zu führen, die sich aus den Vorhaben entwickeln könnten.

Aus den bisher vorliegenden Bausteinen des Krankenhaus-Reformgesetzes (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz – KVVG) und dem Entwurf des Gesundheitsversorgungstärkungsgesetzes (GVSG) lässt sich ein neues Zielbild einer Versorgungslandschaft entwickeln, das für ein anderes Gesundheitswesen stehen könnte: regional, vernetzt, ganzheitlich, präventiv und sektorenübergreifend.

 

Blick in die Zukunft in mehreren Etappen

In beiden Gesetzesvorhaben geht es immer wieder um eine neue Perspektive für unterversorgte regionale Strukturen, wobei der Begriff „Region“ gleichzusetzen ist mit den Verwaltungsstrukturen von der Kreisebene bis zu den Gemeinden. Es gibt bereits einige Aufgaben und Möglichkeiten im SGB V und XI für ein regionales Engagement (zum Beispiel die Option zur Gründung kommunaler MVZ, von Pflegestützpunkten oder eine Beteiligung in den Arbeitsgemeinschaften zur Gesundheitsförderung), aber mit diesen beiden geplanten Gesetzen würde die Möglichkeit eines neuen kommunalen gesundheitlichen Zielbildes geschaffen. Dieses Zielbild soll im Folgenden exemplarisch und fiktiv, aber immer exakt entlang der in den Gesetzentwürfen erwähnten Bedingungen, skizziert werden:

 

November 2024

Soeben sind das GVSG und das KVVG im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. In einem ländlichen Flächenkreis am geographischen Rand Deutschlands wird diese Entwicklung aufmerksam beobachtet. In der Kreisstadt in den umliegenden Gemeinden verschlechtern sich seit mehr als zehn Jahren die vertragsärztliche Versorgung, insbesondere im hausärztlichen Bereich. Verschiedene Gemeinden haben sich aktiv für die Einwerbung von Hausärztinnen und Hausärzte engagiert, zum Teil durch kostenlose Überlassung von Immobilien oder Bauplätzen oder durch Vergabe von Stipendien oder Darlehen. Der Erfolg war begrenzt und wird die anstehenden Pensionierungen von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten nicht kompensieren können. Fast alle von ihnen zurück, dass sie keine Nachfolge in ihren Individual- oder Gemeinschaftspraxen gewinnen konnten. Laut den zuständigen KVen wird in einer Prognose die Schwelle zur formalen Unterversorgung in den nächsten fünf Jahren in dem fast deckungsgleichen Mittelbereich als relevante Planungsgröße erreicht. Das wundert nicht, da bereits 2023 knapp 5.000 hausärztliche Vertragssitze in Deutschland unbesetzt blieben – Tendenz steigend.

Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, insbesondere aus den Randgemeinden des Kreises, haben sich besorgt und zum Teil hilfesuchend an die Gemeinde- oder Kreisvertretungen gewandt. Sie finden keine hausärztliche Praxis, die sie betreuen können. Die KV betont, dass eine Unterversorgung noch nicht eingetreten ist. Sie ist deshalb nicht willens, über Eigeneinrichtungen, Sonderzulassungen oder andere Möglichkeiten direkte Verantwortung zu übernehmen. Sie verweist auf ihre Bereitschaft, niederlassungswilligen Ärztinnen und Ärzten finanzielle Garantien und andere Unterstützungen anzubieten.

Von den drei bisher im Kreis vorhandenen Krankenhäusern hat 2023 ein Krankenhaus nach einer Insolvenz geschlossen, das zweite Krankenhaus berichtet mehrfach von seiner schlechten Ertragslage. Beide Häuser weisen bzw. wiesen unter 200 Betten aus und sind in dieser Größenordnung strukturell in einer prekären ökonomischen Ausgangslage. Neben dem Krankenhaus der Regelversorgung in der Kreisstadt liegt ein Haus der Maximalversorgung circa 40 bis 60 km entfernt.

In der stationären Langzeitpflege gibt es noch eine gute Angebotsstruktur im Kreis. Allerdings berichten vorwiegend die Anbieter der ambulanten Pflege, dass sie aus Personalmangel nicht mehr alle Anfragen auf Pflegeleistungen abdecken können. Es besteht ein offensichtlicher Mangel an Plätzen in der Kurzzeitpflege sowie in der Tages- und Nachtpflege. Der Kreis betreibt zusammen mit den Pflegekassen einen Pflegestützpunkt in der Kreisstadt mit ausgelagerten Sprechstunden an anderen Standorten.

Das Gesundheitsamt erhielt durch den Pakt für den ÖGD mehrere zusätzliche Stellen, die es nicht nur zur Deckung der Pflichtaufgaben, sondern auch zur Identifikation der gesundheitlichen Situation im Kreis im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung und zum Auf- und Ausbau von Präventionsangeboten einsetzte. Aus den vorliegenden Daten wird deutlich, dass insbesondere die Altersentwicklung, aber auch die Armutsprognosen für den Kreis belastend sein werden. Schon heute sind die Transferleistungen, auch durch die Folgen der Migration, überdurchschnittlich hoch.

Mehrere namhafte und für die Region bedeutende mittelständische Betriebe haben sich ebenfalls in Gesprächen mit den politischen Repräsentanten und inzwischen auch öffentlich kritisch dazu geäußert, dass sie bei der Personalakquise auf keine gesicherte medizinische Versorgung verweisen können. Diese gesundheitliche Versorgung im Firmenumfeld wird von gesuchten Fachkräften explizit bei den Bewerbungen abgefragt.

Der Unwillen in der Bevölkerung über die gesundheitliche und pflegerische Versorgung, der im Zusammenhang mit der Krankenhausschließung öffentlich sichtbar wurde, nimmt zu. Die regionalen Repräsentanten der politischen Parteien und Gremien werden als untätig und unfähig scharf kritisiert. Deren Verweis auf fehlende Zuständigkeiten hilft wenig. Es besteht die Befürchtung, dass sich diese Stimmung in den Wahlergebnissen der in zwei Jahren anstehenden Gemeinde- und Kreiswahlen abbilden wird. 


Februar 2025

In kontroversen Debatten im Kreistag und gemeinsam mit den Gemeindevertretungen wird immer wieder auf die Sicherstellungskompetenz der KV und die jetzt schon schwierige finanzielle Situation von Gemeinden und Kreis verwiesen, die die Übernahme einer weiteren freiwilligen Leistung infrage stellt. Andere beziehen sich auf den kommunalen Auftrag zur Absicherung der Daseinsvorsorge und die Konsequenzen einer weiter erodierenden Versorgung. Die Chancen aus dem GVSG werden erörtert. Angetrieben durch das Engagement einzelner Bürgerinnen und Bürger, begleitet durch das Gesundheitsamt und einigen Ärztinnen und Ärzten vor Ort, fassen die Gremien letztendlich den Beschluss, die neuen rechtlich gegebenen Möglichkeiten für ein eigenes kommunales Engagement in der Gesundheitsversorgung zu prüfen und ggf. auszuschöpfen und setzen dazu einen finanziellen Rahmen von maximal 200.000 € pro Jahr. Die Sanierung des Freibades wird zurückgestellt. 


April 2025

Finanziert durch ein Förderprogramm des Landes kann ein in der Umsetzung kommunaler gesundheitlicher Strukturen erfahrenes Beratungsunternehmen (davon gibt es einige!) gewonnen werden, das nach Sichtung der Daten des Gesundheitsamtes vorschlägt, primär in drei Gemeinden mit besonders prekärer Versorgungslage hausärztliche kommunale MVZ zu gründen. Ausschlaggebend war, dass – nach einer Anlaufphase – eine Rentabilität erreicht werden kann, was vielfältig an anderen Standorten gelungen ist. Die erleichterten Bedingungen für die Sicherheitsgarantien gegenüber der KV, die mit dem GVSG verabschiedet wurden, mindern die Vorlaufkosten. Da die gesetzlichen Voraussetzungen einer drohenden hausärztlichen Unterversorgung im Kreis gegeben sind, werden die kommunalen MVZs als Primärversorgungszentren (PVZ) etabliert. Dafür haben die Kommunen das Initiativrecht. PVZ haben für die Kommune und die dort tätigen Hausärztinnen und Hausärzten den Vorteil, dass neben der hausärztlichen Versorgung auch zusätzlich die Leistungen von „nichtärztlichen Fachkräften“ erbracht und abgerechnet werden können. Diese unterstützen Versicherte mit besonderen medizinischen und gegebenenfalls auch sozialen Bedarfen nach teambasierten Absprachen mit den Hausärztinnen und Hausärzten.

Mehrere Hausärztinnen und Hausärzte aus den Gemeinden sind bereit, ihren Kassensitz vor dem Eintritt in die Pensionierung in die MVZs , die vom Gesetz vorgeschriebenen zusätzlichen Arztsitze stehen aufgrund des schlechten Versorgungsgrades zur Verfügung. Die Möglichkeit, in einem PVZ mit geregelter Arbeitszeit, gesicherter Vertretung und mit den zusätzlichen sozialkompensatorischen Fachkräften im Team zusammenzuarbeiten, ist für jüngere Ärztinnen und Ärzte der Allgemeinmedizin oder der Inneren Medizin hoch attraktiv. Schon 2023 arbeiten z.B. bis zu 40 Prozent aller ambulant tätigen Hausärztinnen und Hausärzte in Baden-Württemberg im Angestelltenverhältnis. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass eine Besetzung der zusätzlichen Sitze überraschend schnell erfolgen kann. An zwei Standorten bietet es sich an, die PVZ in den für die Gemeinden zentralen Krankenhausstandorten räumlich zu integrieren beziehungsweise einzubinden.

Das inzwischen geschlossene Krankenhaus befindet sich noch im Krankenhausplan. Der vorherige Träger ist bereit, für eine Anerkennungssumme die Immobilie dem Kreis zu überlassen. Der Trägerwechsel wird vom Land anerkannt. Das Land ist daran interessiert, den geschlossenen sowie den zweiten, insolvenzbedrohten weiteren Standort in sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen nach dem KVVG zu überführen und die dafür notwendigen überschaubaren Investitionsmittel aus dem Strukturfonds mit den Krankenkassen bereitzustellen. Die von dem PVZ genutzten Räumlichkeiten sind davon ausgenommen, aber aus der Substanz des Hauses gut darstellbar. Die Hausärztinnen und Hausärzte der PVZ sind bereit und fachlich daran interessiert, die ärztliche Versorgung für diese stationären Angebote in diesen Einrichtungen zusammen mit anderen Ärztinnen und Ärzten vor Ort im Rahmen des vorgegebenen Krankheitsspektrums zu übernehmen. Dies eröffnet ihnen bei bis zu 20 Prozent der früher stationär einzuweisenden Patienten eine umfassendere medizinische Betreuung und Behandlung vor Ort, die den Patienten zugutekommt. Der zeitliche Aufwand ist überschaubar, da die sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen sehr qualifizierte und motivierte in den Einrichtungen aufweisen, die die Pflege und Therapieumsetzung vollumfänglich erledigen können. Für Pflegekräfte bieten sich dort durch die Option zu mehr eigenständigem Handeln bis hin zur Übernahme der Leitungsfunktion hoch attraktive Arbeitsplätze.

Durch die Reduzierung der Krankenhausbetten kann das notwendige pflegerische und sonstige nicht-ärztliche Personal des Care- und Case-Managements übernommen werden. Die Finanzierung der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen ist weitgehend leistungsunabhängig ausgestaltet, da sie an den Ist-Kosten ausgerichtet sein soll und somit für die Kommune als Träger kein substantielles Risiko darstellt.

 

Dezember 2025

Ein Pflegeanbieter offeriert, in den sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen Angebote der Kurzzeitpflege, der Tagespflege und vielleicht später auch der Nachtpflege in Kooperation mit den anderen dortigen Angeboten zu eröffnen. Die pflegerische Leitung der Einrichtung übernimmt auch dafür die Verantwortung. Es lassen sich zahlreihe Synergien über diese, im Gesetz vorgesehene Kooperation erzielen. Bei der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung insbesondere von temporär unterstützungsbedürftigen Personen können über die Verknüpfung von medizinischen und pflegerischen Leistungen gleitende Systemübergänge entwickelt werden, die für die Patienten unmerklich im Hintergrund arrangiert werden

Durch das Engagement des Gesundheitsamtes und die Vorhaltung einer breiten Palette von Präventionsangeboten in den unterschiedlichen Lebenswelten ist es naheliegend, die durch das GVSG gebotene Chance für den Aufbau eines Gesundheitskiosks zu nutzen. Die im Gesetz genannten Voraussetzungen von mehr als 80.000 Einwohnern sowie einer schwierigen soziale Lage mit hohen Transferleistungen sind gegeben. Der für die Kommune anfallende Finanzierungsanteil von 20 Prozent, also rund 60 bis 80.000 €/Jahr kann zum Teil durch die Verfügungstellung von Immobilien und Personal den Krankenkassen nachgewiesen werden. Das Personal des Gesundheitskiosks arbeitet eng mit den sozialkompensatorischen Fachkräften der PVZ und den Fachkräften des Care- und Casemanagement der gesundheitsbezogenen Versorgungseinrichtungen zusammen. Der Pflegestützpunkt wird räumlich in den Standort des Gesundheitskiosks integriert, so dass die Beratungstätigkeit und die Fallbesprechung gerade für ältere Patienten erleichtert werden. Der kurze Draht zum Sozialamt, aber auch zur Wohnungshilfe bewährt sich. Der Kiosk wird im Gesundheitsamt angesiedelt. Damit können die präventiven Leistungen gut verzahnt und gefördert werden. Durch die Nutzung von zwei Außenstellen des Gesundheitsamtes kann auch außerhalb der Kreisstadt eine beratende und unterstützende Tätigkeit im Verbund mit den PVZs angeboten werden.

Als Nebeneffekt werden Raumkosten auf den Eigenanteil des Kreises angerechnet. Insgesamt gelingt es mit einem gesamten Finanzvolumen von 400.000 € zunehmend, eine fachübergreifende Koordination und Unterstützung der gesundheitlichen Versorgung spürbar für viele Bürger zu etablieren und Ansprechpersonen für nicht gesundheitliche Anliegen anzubieten.
Es zeigt sich, dass durch die Kooperation zwischen PVZ, sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen, Gesundheitskiosk und den Angeboten der Pflege ein strukturiertes Netzwerk, insbesondere für geriatrische Patienten, entstanden ist, das das Verbleiben in der Häuslichkeit erleichtert.

 

Januar 2026

Dieses Netzwerk, ergänzt durch weitere Leistungsanbieter, sowie die gut strukturierten Vorarbeiten für eine verbesserte Prävention sind hervorragende Voraussetzungen für den Abschluss des im GVSG eingeführten Gesundheitsregionsvertrag zwischen dem Kreis und den Krankenkassen. Auch hier obliegt das Initiativrecht der öffentlichen Hand. Die im Gesetz genannten Voraussetzungen, nämlich eine Zielplanung zu erstellen, ist aufgrund der Vorarbeiten des Gesundheitsamtes, der Daten von Kostenträgern und Dritter herstellbar. Ziel ist es, zusammen mit den Leistungserbringern, den Krankenkassen und den Gebietskörperschaften eine Managementstruktur, insbesondere zur Abstimmung der unterschiedlichen Präventionsträger, aber auch zur Verbesserung der Erreichbarkeit von Gesundheitseinrichtungen und zu einer Vernetzung der Angebote beizutragen. Geplant sind auch eine digitale Verzahnung der regionalen Leistungserbringer, respektive eine telemedizinische Verzahnung zwischen den Gesundheitseinrichtungen und fachärztlicher Expertise.

Eigentlich sind dies bereits Aufgaben, die durch die neuen kommunalen Strukturen jeweils einzeln oder durch klare Kooperationsvorgaben vorgesehen sind. Über einen Gesundheitsregionsvertrag ist es für den Kreis und die Krankenkassen allerdings möglich, die Neuausrichtung der gesundheitlichen Versorgungsstrukturen mit der Betonung der Prävention durch eine professionelle und wirksame Managementstruktur zu unterstützen und die Entwicklung entlang definierter Ziele umzusetzen. Der Kreis hat diese Leistung zur Hälfte zu finanzieren, kann aber den Effekt durch die gleich hohen Zuwendungen der Kassen verdoppeln. Der in der Gesetzesbegründung erwähnte Gesamtbetrag pro Regionsvertrag von 150.000 € pro Jahr erscheint gering, wäre aber schon deutlich mehr, als bisher für eine Koordinierung von Präventionsangeboten und Leistungserbringung im Kreis aufgewandt werden kann.

Der Kreis beabsichtigt, mit den Krankenkassen gemeinsam eine höhere Finanzausstattung für diese Aufgabe einzuwerben. Wo und durch wen diese Managementfunktion erfolgen soll, wird im Rahmen der vorgegebenen Verhandlungen zu klären sein. Durch die innovativen Versorgungsstrukturen konnte sehr engagiertes Personal für die neuen gesundheitlichen und pflegerischen Versorgungstrukturen des Kreises eingeworben werden. Es ist von daher denkbar, die Managementaufgaben des Regionsvertrages einer der neuen Organisationen zu übertragen. Ob zusätzliche externe Managementbedarfe notwendig sind, ist nach den Verhandlungen mit den Krankenkassen zu klären.

 

Dezember 2026

Zwei PVZ sind etabliert und werden von der Bevölkerung gut angenommen. Das Dritte soll Anfang des kommenden Jahres eröffnet werden. Das betriebswirtschaftliche Management wurde an einen externen Dienstleister mit entsprechender Expertise vergeben, die schwarze Null wird spätestens Ende 2027 erwartet. Zusätzliche PVZ sind in der Planung, solange die drohende hausärztliche Unterversorgung nicht behoben ist. Andere ärztliche Fachrichtungen haben Interesse an der Mitarbeit in den PVZ geäußert. Die Verzahnung mit dem Gesundheitskiosk wird als Entlastung der vertragsärztlichen Versorgung und als Bereicherung der Angebotspalette angesehen. Die sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen sind fachlich unstrittig, die Budgetfestlegungen sind eine Herausforderung, da der gesetzlich festgelegte Mechanismus sich als extrem aufwändig und kompliziert erweist. Erfreulich ist die Integration der Kurzzeitpflege, die sich als eine sinnvolle Ergänzung zwischen dem kurzstationären Aufenthalt und eine Rückkehr in die Häuslichkeit erweist.

Alleinig der Vertrag zur Gesundheitsregion konnte noch nicht geschlossen werden, da sich eine Kassenart aus prinzipiellen Bedenken sperrt. Dafür sieht das Gesetz keine Konfliktlösungsstrategie vor. Eine Nachbesserung wurde politisch angeregt.

Die neuen Versorgungsstrukturen werden von der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen. „Endlich einmal greifbare Verbesserungen“, so der Tenor. Man spürt einen gewissen Stolz, da so viel Gutes über die eigene Region berichtet wird. Bei der Kommunalwahl konnten die politischen Protagonisten dieser neuen gesundheitlichen kommunalen Strategie prozentual zulegen. Der Kreis hat zusammen mit anderen engagierten Regionen ein „Netzwerk Kommunale Gesundheit“ gegründet, das sich vor Anfragen kaum retten kann.

 

Fazit

Soweit eine Extrapolation aus dem heutigen Stand der Gesetzentwürfe des BMG. Wenn man ein solches Gesamtbild entwickelt, fällt auch auf, dass es noch verschiedene „Unebenheiten“ zwischen den einzelnen neuen Organisationsstrukturen gibt.

Beispielhaft sei erwähnt, dass die Anforderungen an die strukturellen regionalen Voraussetzungen zu unterschiedlich sind. Teilweise beziehen sie sich auf die Bedarfsplanungsrichtlinie, teilweise auf Sozialindikatoren, auf die Krankenhausplanung oder auf Einwohnerzahlen. Auch gibt es noch ungeklärte Schnittmengen in der Aufgabenzuweisung zwischen den PVZ und den Gesundheitskiosken. Erschwerend kommt hinzu, dass bei der Formulierung des GVSG die Potenziale der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen und die Kooperationsmöglichkeiten noch nicht berücksichtigt werden konnten. Auch hier gilt es, eine Harmonisierung in den Strukturen zu ermöglichen. Die Komplexität einzelner Verfahren (Finanzierung der sektorenübergreifenden Einrichtungen, Festlegung der Rahmenbedingungen durch die Selbstverwaltung auf Bundesebene bzw. Vertragsabschlüsse zwischen Kommunen und Kassen bzw. andere vertragliche Voraussetzungen) ist oft nicht praktikabel. Sie birgt die Gefahr sehr hoher Hürden oder von jahrelangen Verzögerungen in sich. Man ahnt, dass diese neuen Strukturen die reflexartigen Abwehrmechanismen einiger Spitzenorganisationen auslösen werden.

Deshalb soll betont werden: Wo heute Versorgung gut und genügend funktioniert, bedarf es keiner Konkurrenz. Es geht nicht um einen ideologischen Glaubenskampf, wer Versorgung besser kann. Wo die bisherigen Strukturen aber aus unterschiedlichen Gründen die Versorgung nicht mehr sicherstellen können, sind Alternativen, wie die hier skizzierte kommunale Versorgerrolle, im Interesse der Patienten zu eröffnen.

Eine regionale Netzwerkstruktur eines präventiven und ambulant / stationären Versorgungsmodells in kommunaler Verantwortung ist eine Option, die aus den aktuellen Gesetzentwürfen entwickelt werden kann. Dafür sind die richtigen Weichen in der Gesetzgebung zu stellen. Manchmal hilft ein Blick in die Zukunft, um den Weg dahin besser zu finden.

 

 

Lesen Sie weitere Beiträge des Autors zu diesem Themenbereich:

„Von der Idee ins Gesetz“, Observer Gesundheit, 15. Mai 2023,

„Ambulant/stationäre Intermediär-Versorgung – eine Einordnung“, Observer Gesundheit, 27. Januar 2023,

„1, 2, 3,…, ganz viele Gesundheitskioske“, Observer Gesundheit, 2. September 2022,

Gesundheitskioske – eine Einordnung zur geplanten Einführung“, Observer Gesundheit, 4. Juni 2022.  


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