Wie kommen wir zu einer bedarfsgerechteren Krankenhausversorgung?

Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK)

Die stationäre Versorgung in Deutschland ist gut. Krankenhäuser sind in der Lage, das vollumfängliche Spektrum an medizinischen Leistungen in sehr guter Qualität abzudecken. Gleichzeitig führen wir bereits seit Jahren eine Diskussion über Reformbedarfe für die stationäre Versorgung.

 

Problematische Versorgungsstruktur

In urbanen Gebieten ist in der Vergangenheit ein ausdifferenziertes und breit aufgestelltes Leistungsangebot entstanden, dass auch durch eine hohe Bettendichte geprägt ist. Ursächlich sind der spürbare Zuzug aus ländlichen Regionen und eine gewisse Erwartungshaltung an die Leistung der Krankenhäuser durch die Bevölkerung. Da die Krankenhausplanung der Bundesländer heute im Wesentlichen noch auf die Bettenanzahl abstellt, werden durch mehrere Krankenhäuser in urbanen Regionen oftmals die gleichen Leistungen erbracht. Es besteht also ein Überangebot und ein nicht aufeinander abgestimmtes Versorgungsangebot in Metropolregionen. Eine am Bedarf und Qualität ausgerichtete Planung, die ggf. zu einer Leistungskonzentration bei ausgewählten Krankenhäusern führen könnte, findet heute kaum bis gar nicht statt.

Im ländlichen Raum gibt es demgegenüber eine vergleichsweise hohe Anzahl an Krankenhäusern der Grundversorgung. Ca. 830 der 1.715 Krankenhäuser in Deutschland sind dieser Kategorie zuzurechnen. Ländliche Räume sind jedoch aufgrund des über lange Jahre vorherrschenden Trends zugunsten urbaner Räume von einer kontinuierlich geringer werdenden Dichte der Bevölkerung betroffen. Die in diesen Regionen tätigen Häuser der Grundversorgung schaffen oft vor diesem Hintergrund nicht mehr die Auslastung, die eigentlich für einen wirtschaftlichen Betrieb des Hauses notwendig wäre. Gleichzeitig sinkt ihre Attraktivität als Arbeitgeber.

Im Ergebnis ist die Frage zu stellen, ob in Deutschland heute alle Häuser der Grundversorgung in ländlichen Regionen noch für die medizinische Versorgung notwendig sind oder ob sie nicht durch alternative Versorgungsformen ersetzt werden könnten. Die Bevölkerung vor Ort nimmt ein Krankenhaus in näherer Umgebung positiv wahr, weil es in der Regel ein Gefühl der sicheren Versorgung schafft. Die Politik vor Ort tut sich deshalb meist schwer mit einer Entscheidung gegen einen Krankenhausstandort. Folglich kommt es nur in einem überschaubaren Maße zur Schließung oder Umwandlung von Krankenhäusern in andere Versorgungsformen. Allerdings führt dies dazu, dass die verbleibenden Krankenhäuser zur Sicherung ihrer Liquidität und der Aufrechterhaltung ihres Betriebes Leistungen erbringen, die durch andere Krankenhäuser qualitativ besser erbracht werden können. Die wirtschaftliche Notwendigkeit zur Sicherung der Vorhaltekosten hat in den vergangenen Jahren immer mehr Raum bei der Entscheidung für oder gegen eine stationäre Behandlung bei Grundversorgern im ländlichen Raum eingenommen, obwohl allein die notwendige und qualitativ hochwertige Behandlung für den Patienten Priorität haben sollte.

 

Fehlanreize im DRG-System

Das DRG-System hat sich seit seiner Einführung in Deutschland grundsätzlich bewährt. Die beabsichtigte Transparenz über Leistungen und Kosten wurde erreicht. Die damit einhergehende Verknüpfung der Vergütung mit dem Behandlungsfall setzt jedoch auch den Anreiz, dass die Kliniken eine möglichst hohe Bettenauslastung anstreben müssen. Dies trägt dazu bei, dass die Krankenhäuser neben der medizinischen Notwendigkeit der finanziellen Bedeutung der Behandlung für das Krankenhaus mehr Raum einräumen. Diese Betrachtungsweise wird durch die seit Jahren abnehmende Bereitschaft zu Investitionskostenfinanzierung der Bundesländer noch verstärkt. Die Häuser müssen fehlende Investitionsmittel über die DRGs erwirtschaften und steigern dafür die Menge ihrer Behandlungen. Parallel dazu werden Aufwendungen für Vorhaltungen in einem fall- und leistungsbezogenen Vergütungssystem, wie den DRG, nur teilweise berücksichtigt. Gerade Grundversorger in ländlichen Regionen, die als erste stationäre Anlaufstelle in der näheren Umgebung bedarfsnotwendig sind, kommen demzufolge immer mehr in Bedrängnis.

 

Corona unterstreicht Reformbedürftigkeit

Der stationäre Bereich in Deutschland hat trotz der Pandemie 2020 nie seine Kapazitätsgrenzen erreicht oder gar überschritten. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass der ambulante Sektor schon frühzeitig in der ersten Infektionswelle in der Lage war, einen Großteil der Corona-Patienten zu versorgen. Dieser für die Krankenhäuser entlastende Effekt beruht auf einer entsprechenden Teststrategie, der Vorhaltung von Testkapazitäten und Abrechnungsmöglichkeiten für Labore und niedergelassene Ärzte (Schreyögg u. Milstein 2020). Entlastend hat außerdem der spürbare Rückgang von elektiven stationären Behandlungen im Zeitraum ab März gewirkt. Von Mitte März bis Ende Mai nahmen sie um 30 % und von Juni bis September um 10 %, jeweils ggü. 2019, ab. Im Zusammenhang mit elektiven Eingriffen war der Rückgang zwar durchaus gewollt, allerdings nahmen auch die Fallzahlen im Zusammenhang mit anderen Krankheitsbildern in einem unerwarteten Umfang ab. Bezogen auf Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Krebserkrankungen kam es in der Folge dann auch zu Diskussionen in der Öffentlichkeit und der Politik (Augurzky et al. 2021), die die Richtigkeit dieser Maßnahme des 2. Bevölkerungsschutzgesetzes infrage stellten.

Außerdem konnte festgestellt werden, dass die Versorgung von COVID-19-Patienten in der ersten Welle nicht in allen Krankenhäusern stattfand. Ein Viertel der Häuser hat den Großteil der Patienten behandelt, während die Hälfte eine mittlere bis niedrigere Anzahl an Corona-Patienten versorgt hat. Ein Viertel der Krankenhäuser war gar nicht an der Versorgung beteiligt (Hentschker et al. 2020). Zu den behandelnden Krankenhäusern gehörten aber auch Kliniken, die weder technisch noch personell entsprechend ausgestattet waren oder nicht über die entsprechende Erfahrung mit Beatmungsfällen verfügten. Aufgrund der nicht sachgerechten Ausstattung bzw. nicht ausreichenden Erfahrung dieser Krankenhäuser für die Behandlung von COVID-19-Fällen kam es zu Verlegungen in besser geeignete Krankenhäuser. Dies hätte vermieden werden können, wenn Behandlungen von Anfang an nur dort stattgefunden hätten, wo die notwendigen Voraussetzungen für eine optimale Versorgung bestehen. Die Corona-Pandemie bestätigt an dieser Stelle, dass für gute Behandlungsergebnisse nicht die Nähe eines Krankenhauses entscheidend ist, sondern die Ausstattung (Augurzky et al. 2020).

Somit zeigt sich auch in der Corona-Pandemie, dass nicht jedes Krankenhaus jede Leistung erbringen sollte. Krankenhäuser sollten nur die Leistungen erbringen dürfen, für die sie ausgerüstet sind. Dazu bedarf es konkreterer Versorgungsaufträge aus der Krankenhausplanung heraus. Außerdem haben die Entwicklungen im Zusammenhang mit den Freihalte-Pauschalen den beschriebenen Reformbedarf der Finanzierung noch einmal verdeutlicht. Die im März 2020 zunächst festgelegte Pauschale in Höhe von 560 € erwies sich nicht für alle Krankenhäuser als geeignet. Krankenhäuser in Metropolregionen, die normalerweise anspruchsvolle Fälle behandeln, konnten ihre Vorhaltekosten nicht decken. Krankenhäuser der Grundversorgung im ländlichen Raum wurden überfinanziert. Dies spiegelt letztlich den auch in der DRG-Systematik verankerten Fehler der nicht auskömmlichen Finanzierung von Vorhaltekosten bei Fachabteilungen mit einem hohen Anteil nicht planbarer Fälle wider, der Anreize zur wirtschaftlich motivierten Mengenentwicklung setzt. Die Erfahrung aus der Pandemie zeigt, dass wir uns im Hinblick auf die Finanzierung der stationären Versorgung mit der Frage beschäftigen müssen, ob die fast vollständige Abdeckung der Vergütung  allein aus DRGs noch den aktuellen Anforderungen einer modernen differenzierten Vergütung von Leistungen entspricht.

 

HCHE-Gutachten betrachtet internationale Lösungsoptionen im Auftrag der TK

Prof. Dr. Jonas Schreyögg vom Hamburg Center of Health Economics der Universität Hamburg hat im Auftrag der TK Reformvorschläge für eine bedarfsgerechte Krankenhausvergütung unter Berücksichtigung von Ansätzen anderer Staaten erarbeitet. Das Gutachten stellt u. a. heraus, dass sich andere Industrienationen auch mit einer Reform der jeweiligen Vergütungssystematik beschäftigen. Die Ideen reichen von einer Reduzierung des Fallpauschalenanteils in einer Mischfinanzierung mit Budgets in Norwegen bis hin zu einer vollständigen Abkehr vom Fallpauschalensystem in Dänemark und dem US-Bundesstaat Maryland (Schreyögg u. Milstein 2020). Letzteres ist aufgrund der bestehenden Vorteile der DRG-Vergütung keine Option, jedoch könnte die in Norwegen gewählte Vorgehensweise bestehende Probleme der heutigen Finanzierung in Deutschland beheben.

Norwegen kombiniert Fallpauschalen und Budgets aktuell in einem Verhältnis von 50:50. Dieser Weg könnte auch in Deutschland eingeschlagen werden. Schon heute gibt es Kombinationen in der Vergütung von DRG und zusätzlichen Entgelten  z.B. bei Sicherstellungszuschlägen und Zuschlägen für die Bereithaltung von Notfallstrukturen und Zentren (Schreyögg u. Milstein 2020).

 

Vergütung von Vorhaltekosten bei bedarfsnotwendigen Krankenhäusern

Die Kombination von Vergütungsbestandteilen könnte sich vor dem beschriebenen Hintergrund dann aus drei Teilen zusammensetzen.

 

 

Abb.: Mögliche Zusammensetzung der Krankenhausvergütung (Schreyögg u. Milstein 2020)

 

Zunächst würde einem Krankenhaus eine Grundfinanzierung für die Vorhaltungen in Abhängigkeit der ihm innerhalb der Krankenhausfinanzierung zugewiesenen Versorgungsstufe gewährt.  Voraussetzung ist, dass die Versorgungsstufen und die dementsprechenden einzelnen Versorgungsaufträge der Krankenhäuser die bedarfsnotwendigen Strukturen und Leistungen auf Grundlage der Bevölkerungsstruktur, dem Morbiditätsniveau und der historischen Inanspruchnahme definieren. Damit ist klar, dass ausschließlich bedarfsnotwendige Krankenhäuser einbezogen werden sollen.  Eine ausbleibende Finanzierung der Vorhaltekosten über diesen Grundbetrag bei nicht bedarfsnotwendigen Krankenhäusern sollte zu einer schrittweisen Bereinigung der stationären Versorgungslandschaft beitragen und die Schließung oder Umwandlung von Krankenhäusern in alternative Versorgungsformen fördern.

Der Grundbetrag wird dann durch die bisherige fallbezogene Vergütung des DRG-Systems ergänzt. Zudem würde der Faktor Qualität als dritter Finanzierungsbaustein einbezogen werden, um eine leitlinienkonforme, qualitativ hochwertige Leistungserbringung zu fördern. Qualitätszuschläge würden sich dann an erreichten Parametern bezogen auf Indikations-, Prozess- und Ergebnisqualität ausrichten. Alle drei Bestandteile finden sich schließlich innerhalb eines Gesamtbudgets wieder und werden leistungsbezogen finanziert.

 

Fazit

Die Reformbedürftigkeit der stationären Versorgung im Hinblick auf Planung und Vergütung ist bekannt und hat sich auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie noch einmal bestätigt. Neben einer Überarbeitung der Krankenhausplanung, die in Metropolregionen zu einem aufeinander abgestimmten Versorgungsangebot führt, besteht ein wirkungsvoller Hebel in einer Teilreform der DRG-Vergütung, um die unterschiedlichen Versorgungsstrukturen urbaner und ländlicher Regionen gerechter abbilden zu können. In der Vergütung gilt es die Anreize zu beheben, die eine rein wirtschaftlich motivierte Mengenentwicklung forcieren und letztlich dazu führen, dass die hohe Anzahl an Grundversorgern in ländlichen Regionen fortbesteht, obwohl nicht alle bedarfsnotwendig sind.

Dazu schlägt das Gutachten von Professor Schreyögg im Auftrag der TK u. a. vor, die Vergütung der Krankenhäuser zukünftig neben den DRG um Komponenten zur Finanzierung von Vorhaltekosten und für eine qualitätsgerechte Versorgung zu erweiterten. Voraussetzung zur Umsetzung der Reform ist eine Betrachtung der Bedarfsgerechtigkeit der heutigen Standorte. Dies kann dazu führen, dass nicht mehr alle Grundversorger im ländlichen Raum das heutige Leistungsangebot aufrechterhalten können. Das stationäre Versorgungsangebot wird dort auf das reduziert, was vor Ort bedarfsnotwendig ist. Damit kommen wir im Hinblick auf die Krankenhausversorgung dem Grundgedanken der GKV, einer bedarfsnotwendigen und wirtschaftlichen Versorgung der Patienten, ein Stück näher.

 

Literatur

  • Augurzky B, Busse R, Gerlach F, Meyer G (2020), BARMER Institut für Gesundheitsforschung, Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung GmbH (Hrsg.), Zwischenbilanz nach der ersten Welle der Corona-Krise 2020. Richtungspapier zu mittel- und langfristigen Lehren.
  • Augurzky B, Busse R, Haering A, Nimptsch U, Pilny A, Werbeck A (2021), RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftforschung (Hrsg.), Analysen zur Erlössituation und zum Leistungsgeschehen von Krankenhäusern in der Corona-Krise. Ergebnisse für den Zeitraum Januar bis September 2020 im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit,
  • Hentschker C, Mostert C, Klauber J, Malzahn J, Scheller-Kreinsen D., Schillinger, G., Karagiannidis, C. & Busse, R. (2020). Stationäre und intensivmedizinische Versorgungsstrukturen von Covid-19-Patienten bis Juli 2020 (noch unveröffentlicht). URL: https://europepmc.org/article/pmc/pmc7837335 (abgerufen am 09.Februar 2021)
  • Schreyögg J, Milstein R (2020) Bedarfsgerechte Gestaltung der Krankenhausvergütung – Reformvorschläge unter Berücksichtigung von Ansätzen anderer Staaten im Auftrag der Techniker Krankenkasse, Hamburg.

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