Nutzung von Informationsnetzwerken in Notfallaufnahmen verbessert Qualität und Effizienz

USA-Studienergebnisse zeigen: geringeres Wiedereinweisungsrisiko und kürzere Aufenthalte



Die elektronische Patientenakte (ePA) nimmt in Deutschland langsam Fahrt auf. Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheker sind bereits an die Telematikinfrastruktur angeschlossen; weitere Leistungserbringer folgen. Soll ich die elektronische Patientenakte nutzen? Und wenn ja, welchen Leistungserbringern soll ich Zugriff auf meine elektronische Patientenakte gewähren? Mit diesen Fragen müssen sich Patienten vermehrt auseinandersetzen. Welchen Vorteil eine ePA für die Versorgungsqualität in Notfallaufnahmen haben kann (z.B. geringeres Wiedereinweisungsrisiko), zeigt eine amerikanische Studie von Janakiraman et al. [1].

Die ePA wird in Deutschland schrittweise eingeführt. Entscheidet sich ein Patient für die Nutzung einer ePA, können dort alle zentralen Informationen und Dokumente zur Gesundheitsversorgung (z.B. Medikationsplan und Arztbriefe) von Leistungserbringern und dem Patienten selbst hinterlegt und eingesehen werden. Welche Leistungserbringer Zugriffsrechte auf die ePA erhalten, entscheidet der Patient. Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken sind bereits an die Telematikinfrastruktur angeschlossen. Andere Leistungserbringerbereiche (z.B. Kranken- und Altenpflege) folgen mit der Zeit.

Auch in den USA gibt es ePA. Damit sie sinnvoll genutzt wird, wurde im Jahr 2009 ein Gesetz verabschiedet (d.h. Health Information Technology for Economic and Clinical Health (HITECH) Act). Ein zentraler Anreiz des Gesetzes war es, dass Krankenhäuser sich Gesundheitsinformationsnetzwerken anschließen, um den sektorenübergreifenden Austausch von patientenindividuellen Gesundheitsinformationen zu fördern (d.h. Health Information Exchange). Dadurch sind die Informationen aus der elektronischen Patientenakte nicht nur für das entsprechende Krankenhaus einsehbar, sondern auch für andere Leistungserbringer (z.B. Labore, Röntgenzentren). Gleichzeitig können Leistungserbringer, die Teil des Gesundheitsinformationsnetzwerkes sind, weitere Informationen (z.B. Laborbefunde und Röntgenbilder) in die Patientenakte einstellen. Über die Zugriffsrechte auf die ePA innerhalb eines Gesundheitsinformationsnetzwerkes entscheidet der Patient.

Es lässt sich festhalten, dass die Idee hinter einem Gesundheitsinformationsnetzwerk aus den USA vergleichbar ist mit der deutschen ePA. Auch in Deutschland ist es das Ziel, dass möglichst viele Leistungserbringer Zugriff auf die ePA erhalten, umso patientenindividuelle Gesundheitsinformationen austauschen zu können.

Der Austausch von elektronischen Gesundheitsinformationen in einem sektorenübergreifenden Informationsnetzwerk kann vor allem für Ärzte in einer Notfallaufnahme sinnvoll sein, um adäquate Behandlungsentscheidungen für den Patienten zu treffen. In einer Studie von Janakiraman et al. [1] wird für Notfallaufnahmen untersucht, welche Effekte durch die Nutzung eines Gesundheitsinformationsnetzwerkes entstehen.

 

Studiendesign

Der Datensatz umfasst einen Zeitraum von 19 Monaten (Juli 2012 bis Januar 2014). Insgesamt wurden 85.946 Besuche in Notfallaufnahmen aus vier New Yorker Krankenhäusern von erwachsenen Patienten (d.h. zwischen 18 und 88 Jahre) in die Analyse eingeschlossen. Betreut wurden die Notfallpatienten von 326 Ärzten. Außerdem wurden Daten zu dem ortsansässigen Gesundheitsinformationsnetzwerk bereitgestellt. In dem Gesundheitsinformationsnetzwerk können unterschiedliche Leistungserbringer (mit der Einwilligung des Patienten) Daten einstellen und einsehen. Es entstehen somit patientenindividuelle Gesundheitsinformationsakten an denen mehrere Leistungserbringer beteiligt sind (z.B. Krankenhäuser, Labore und Röntgenzentren).

Für jeden Besuch in der Notfallaufnahme wurde erhoben, ob der behandelnde Arzt zu dem Patienten entsprechende Gesundheitsinformationen aus dem Netzwerk abgerufen hat. Mit dieser Erkenntnis war es den Wissenschaftlern möglich, festzustellen, ob sich durch die Nutzung von Gesundheitsinformationsnetzwerken das Wiedereinweisungsrisiko reduziert und der Notfallaufnahmeaufenthalt verkürzt.

Weitere Analysen und die zentralen Studienergebnisse von Janakiraman et al. [1] sind in Abbildung 1 dargestellt und werden im Folgenden beschrieben.

 

Abbildung 1: Auswirkung von Gesundheitsinformationsnetzwerken auf die Versorgungsqualität in Notfallaufnahmen

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Janakiraman et al. [1].

 

Ergebnis 1: Wenn ein Arzt in der Notfallaufnahme Gesundheitsinformationsnetzwerke nutzt, reduziert sich die Aufenthaltsdauer und das Wiedereinweisungsrisiko.

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von Patienten in der Notfallaufnahme betrug 22,38 Stunden. Anhand der Ergebnisse konnte gezeigt werden, dass durch die ärztliche Nutzung von Gesundheitsinformationsnetzwerken die Aufenthaltsdauer um 5,80 % reduziert werden kann. Dadurch verbringt ein Patient im Durchschnitt 1,30 Stunden weniger in der Notfallaufnahme. Diese Zeitersparnis ist nicht nur wertvoll für den Patienten. Auch zentrale Krankenhausressourcen (z.B. Ärzte, Pflegekräfte und Betten) können so anderweitig und effizienter genutzt werden. Die Kritik, dass die Nutzung von Gesundheitsinformationsnetzwerken die Prozessabläufe verlängert, konnte demzufolge mit den vorliegenden Ergebnissen entkräftet werden.

Wenn ein Arzt in der Notfallaufnahme Informationen zu dem Patienten aus dem Gesundheitsinformationsnetzwerk abruft, hat dies auch einen positiven Effekt auf das Wiedereinweisungsrisiko. Durch die Nutzung von Gesundheitsinformationsnetzwerken wird die Wahrscheinlichkeit verringert, dass der Patient innerhalb der nächsten 30 Tage erneut in einer Notfallaufnahme vorstellig wird. Das Wiedereinweisungsrisiko kann laut der Studie um 2,15% reduziert werden. Ein fiktives Beispiel hierfür wäre, dass ein Patient ohne ein Gesundheitsinformationsnetzwerk ein Wiedereinweisungsrisiko von 30% hat, mit der ärztlichen Nutzung eines Gesundheitsinformationsnetzwerkes reduziert sich die Wahrscheinlichkeit für eine Wiedereinweisung auf ca. 28%. Angesichts der mit einem erneuten Besuch verbundenen Kosten in der Notfallaufnahme, lassen sich so durch Gesundheitsinformationsnetzwerke $33 pro Patienten einsparen.

 

Ergebnis 2: Der positive Effekt von Gesundheitsinformationsnetzwerken wird durch ärztliche IT-Erfahrung und Informationsqualität verstärkt.

Die oben beschriebenen positiven Effekte von Gesundheitsinformationsnetzwerken (d.h. verkürzter Aufenthalt und geringeres Wiedereinweisungsrisiko) können durch zwei Effekte verstärkt werden.

Nutzt ein Arzt in der Notfallaufnahme Gesundheitsinformationsnetzwerke öfter, sammelt er Erfahrungen mit der Informationsverarbeitung. Die regelmäßige Anwendung der Gesundheitsinformationen fördert die oben beschriebenen positiven Effekte. Daher ist es nach Janakiraman et al. [1] entscheidend, dass Krankenhausmanager für Ärzte Anreize schaffen, Gesundheitsinformationsnetzwerke regelmäßig zu nutzen.

Je mehr Informationen zu dem Patienten in dem Gesundheitsinformationsnetzwerk hinterlegt sind (z.B. Röntgenbilder und Laborergebnisse), desto größer ist der Nutzen bzw. das Ausmaß der positiven Effekte. Somit ist es von Bedeutung, dass möglichst viele Leistungserbringer Informationen zum Patienten im Netzwerk positionieren, sofern diese verfügbar sind.

 

Ergebnis 3: Durch die Nutzung von Gesundheitsinformationsnetzwerken werden weniger Ärzte in den Behandlungsprozess integriert. Kosten können eingespart werden. 

Wenn der behandelnde Arzt in der Notfallaufnahme Gesundheitsinformationen zu einem Patienten aus dem Netzwerk abruft, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass mehr als ein Arzt in den Behandlungsprozess integriert wird. Janakiraman et al. [1] leiten aus diesen Studienergebnissen weitere Kosteneinsparpotentiale ab.

 

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis?

Wenn sich ein Patient für die Nutzung einer elektronischen Patientenakte entscheidet und den Leistungserbringern die erforderlichen Zugriffsrechte gewährt, ist dies ein erster wichtiger Schritt, um das Potential von einem Gesundheitsinformationsaustausch zu nutzen.

Entscheidend ist aber auch, dass die hinterlegten Informationen (im Ernstfall) für die ärztliche Entscheidungsfindung genutzt werden. Ansonsten können Patienten und Leistungserbringer nicht von den Vorzügen des elektronischen Informationsaustausches profitieren. Entscheidungsträger sollten daher entsprechende Anreize schaffen, die die Anwendung von Gesundheitsinformationsnetzwerken fördern.

Gesundheitsinformationsnetzwerke können die Aufenthaltsdauer in Notfallaufnahmen reduzieren. Die effizientere Ausgestaltung von Prozessabläufen ermöglicht es, Krankenhausressourcen anderweitig einzusetzen. Auch das geringere Wiedereinweisungsrisiko durch die Nutzung von Gesundheitsinformationsnetzwerken zeigt Kostenreduktionsmöglichkeiten. Die genannten Punkte untermauern das Potential der Digitalisierung zur Stärkung der Wirtschaftlichkeit eines Krankenhauses.

Je umfassender die Informationen, desto stärker ist der positive Effekt, der durch Gesundheitsinformationsnetzwerke erzielt werden kann. Das unterstreicht die Relevanz für Deutschland andere Leistungserbringer (neben Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken) schnellstmöglich an die Telematikinfrastruktur anzuschließen. So können beispielweise auch Informationen zur Kranken- und Altenpflege wertvolle Informationen für ärztliche Behandlungsentscheidungen liefern.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit einem Gesundheitsinformationsnetzwerk alle beteiligten Akteure Gewinner sind. Für Krankenkassen entstehen geringere Kosten (z.B. weniger Wiedereinweisungen, Vermeidung von Doppeluntersuchungen). Leistungserbringer können ihre Prozessabläufe optimieren und Patienten verbringen so weniger Zeit im Krankenhaus.

Es ist entscheidend, dass Informationen aus einer elektronischen Patientenakte für die ärztliche Entscheidungsfindung genutzt werden, um positive Effekte zu erzielen. Entscheidungsträger im Gesundheitswesen sollten daher Anreize für die regelmäßige Nutzung von Gesundheitsinformationsnetzwerken schaffen. In der Notfallaufnahme kann durch ein Gesundheitsinformationsnetzwerk die Aufenthaltsdauer verkürzt und das Wiedereinweisungsrisiko verringert werden. Um die verbesserte Qualität und Effizienz durch Gesundheitsinformationsnetzwerke weiterauszubauen, sollten möglichst viele Leistungserbringer an die Telematikinfrastruktur angebunden werden.

 

 [1] Ramkumar Janakiraman, Eunho Park, Emre M. Demirezen, Subodha Kumar (2022) The Effects of Health Information Exchange Access on Healthcare Quality and Efficiency: An Empirical Investigation. Management Science

 

Redaktion / Ines Niehaus

 

Lesen Sie zu diesem Themenbereich im Observer Gesundheit auch:

„Mehr IT = Mehr Qualität für alle?“ , 8. August 2019:

  • Um eine Verbesserung in der Prozessqualität zu erzielen, ist eine aktive Nutzung von elektronischen Patientenakten im Rahmen der klinischen Arbeitsprozesse erforderlich.
  • Gesundheitspolitische Regelungen können die aktive IT-Nutzung von Krankenhäusern fördern.
  • Kleine und ländliche Krankenhäuser profitieren von den Digitalisierungsförderungen am meisten, was sich durch einen höheren Anstieg in der Prozessqualität zeigt.

 

„Ein Blick über den Tellerrand bei eigenen Investitionen lohnt sich“, 3. Juni 2019:

  • Wenn ein Krankenhaus in elektronische Patientenakten investiert, profitieren davon die umliegenden Wettbewerber.
  • Krankenhäuser, die oft bei der Patientenbehandlung kooperieren, sollten sich langfristig über mögliche IT-Investitionen abstimmen, um unter anderem die Datenkompatibilität sicherzustellen und damit einen guten Informationsaustausch zu gewährleisten.

 

 „Fortgeschrittene elektronische Patientenakten können Leben retten und sparen Kosten“, 29. August 2018:

  • Die Studie liefert empirische Beweise für die Annahme, dass sich fortgeschrittene elektronische Patientenakten positiv auf die Patientensicherheit auswirken.
  • Medikationsfehler und Komplikationen gehen durch elektronische Patienten zurück.
  • Krankenhäuser ohne fortgeschrittene elektronische Patientenakten gefährden die Sicherheit Ihrer Patienten.

 


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