Ein Blick über den Tellerrand bei eigenen IT-Investitionen lohnt sich!

Aktuelle Studienergebnisse: Wenn ein Krankenhaus in elektronische Patientenakten investiert, profitieren davon die umliegenden Wettbewerber



Mit dem Terminservice-Gesetz (TSVG) hat der Gesetzgeber die Bereitstellung der elektronischen Patientenakte (ePA) seitens der Krankenkassen zum 1. Januar 2021 beschlossen. Gegenwärtig arbeiten die ambulanten Leistungserbringer sowie Kassen und gematik mit Hochdruck an der Umsetzung. Krankenhäuser sollen bis März 2021 verpflichtet werden, sich an der Telematikinfrastruktur zu beteiligen, so steht es im Entwurf des Digitale Versorgung-Gesetzes (DVG). Dafür sollen sie einen Zuschlag erhalten. Abgesehen davon, dass der Patient davon langfristig profitieren soll, ist nicht klar, wie hoch die Ausgaben für die Krankenhäuser sein werden. Die Diskussion über die Effekte der ePA bzw. von elektronischen Patientenakten generell steht in Deutschland noch am Anfang. In einer Studie [1] aus den USA ist der Einfluss von IT-Investitionen auf die regionale Entwicklung von stationären Gesundheitskosten untersucht worden.  

Wenn sich ein Krankenhaus für die Implementierung von elektronischen Patientenakten entscheidet, so kann sich dies in zwei unterschiedlichen Formen auf die betrieblichen Kosten auswirken. Die Einführung des Systems ist kostenintensiv und kann somit im Investitionsjahr und auch in den Folgejahren (z.B. durch Erhaltungskosten) einen Kostenanstieg verursachen. Gleichzeitig können mit der Implementierung auch Kosten eingespart werden. Durch die gezielte Zusammenführung von Patienteninformationen kann die ärztliche Entscheidungsfindung unterstützt und die Versorgungskoordination optimiert werden. Die daraus resultierende Verbesserung in der Versorgungsqualität schlägt sich in einer Kostenreduktion für das entsprechende Krankenhaus nieder (z.B. durch weniger vermeidbare Wiedereinweisungen oder durch die Prävention von überflüssigen diagnostischen Tests). In der aktuellen Literatur gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Einführung von elektronischen Patientenakten langfristig zu einer Kostensteigerung [2] oder Kostensenkung [3] auf Krankenhausebene führt. Aktuelle Forschungsergebnisse [4] haben gezeigt, dass die Krankenhauskosten bei der Einführung von elektronischen Patientenakten durchschnittlich ansteigen und dass nur Krankenhäuser eine Kostenreduktion verzeichnen konnten, bei denen IT-Anwendungen im Umfeld bereits stark implementiert waren.

Atasoy et al. [1] gehen in Anlehnung an die aktuellen Forschungsergebnisse von IT-Übertragungseffekten in Krankenhausnetzwerken aus, die sich im Hinblick auf die Kostenentwicklungspotentiale für einzelne Krankenhäuser unterschiedlich äußern können. Ein Krankenhausnetzwerk ist im Rahmen der Studie als eine Gruppierung von Krankenhäusern zu verstehen, die in derselben Region platziert und somit oftmals für die Versorgung des gleichen Patientenstamms verantwortlich sind. Diese Umstände verlangen einen kooperativen Austausch unter den Krankenhäusern. In Abhängigkeit zu den jeweiligen medizinischen Spezialisierungen der Krankenhäuser kann bspw. eine krankenhausübergreifende Patientenverlegung erforderlich sein. Durch den Patientenaustausch und die damit verbundene Übermittlung von Patienteninformationen beeinflussen sich die Krankenhäuser im Rahmen des Netzwerkes gegenseitig. Hieraus ergibt sich die Grundlage für mögliche IT-Übertragungseffekte, die unterschiedliche Auswirkungen auf die Kosten der beteiligten Krankenhäuser haben können. Sofern z.B. ein Krankenhaus elektronische Patientenakten eingeführt hat, spiegelt dies optimale Voraussetzung für die Weiterbehandlung eines Patienten in einem anderen Krankenhaus wider. Das weiterbehandelnde Krankenhaus erhält zeitnah eine gut dokumentierte Patientenakte und kann somit eine gute Übernahme sowie optimierte Versorgungsqualität gewährleisten. Gleichzeitig reduzieren sich für das weiterbehandelnde Krankenhaus betriebliche Kosten, die bspw. durch Behandlungsfehler bedingt durch eine mangelnde Informationsweitergabe entstanden wären. Ziel der Studie von Atasoy et al. [1] ist es, das Ausmaß von solchen IT-Übertragungseffekten näher zu bestimmen, die mit der Einführung von elektronischen Patientenakten eines Krankenhauses in Verbindung stehen und sich auf die Kosten von umliegenden Krankenhäusern eines Netzwerks auswirken.

 

Studiendesign

Für die Quantifizierung von IT-Übertragungseffekten wurden zwei Datensätze für den Zeitraum 1998 bis 2012 zusammengeführt. Der HIMSS-Datensatz (HIMSS = Healthcare Information and Management Systems Society) liefert umfangreiche Informationen zu eingeführter Hardware und Software von Gesundheitsdienstleistern. Im Rahmen der Studie wurden fünf Systeme zur Anwendung von elektronischen Patientenakten erfasst, die in unterschiedlicher Anzahl von den einzelnen Krankenhäusern angewendet wurden. Der zweite Datensatz gibt Aufschluss über die Betriebskosten der Zielkrankenhäuser. Krankenhäuser, die in demselben Versorgungsbereich eingeteilt waren, wurden entsprechend als Krankenhausnetzwerke definiert. Die netzwerkbezogene Krankenhauszuordnung erfolgte anhand von Postleitzahlen, die jedem Versorgungsbereich/Netzwerk zugeteilt wurden. Versorgungsbereiche, die lediglich ein Krankenhaus beinhalteten, wurden von der Studie ausgeschlossen. Der finale Datensatz umfasst 1.614 Krankenhäuser aus 483 Netzwerken mit durchschnittlich 3,3 Krankenhäusern pro Netzwerk. Die Auswirkungen von IT-Übertragungseffekten auf die betrieblichen Krankenhauskosten wurden durch ein analytisches Modell untersucht. Ferner wurde die Aussagekraft der Ergebnisse umfassend statistisch überprüft. Um herauszufinden inwieweit Informations- und Patientenaustauschmechanismen IT-Übertragungseffekte begünstigen, wurden weitere Untersuchungen durchgeführt.

 

Regionale Übertragungseffekte durch IT-Einführung & Krankenhauskosten

Im Rahmen der Studie betrugen die operativen Durchschnittskosten eines Krankenhauses 1,24 Millionen Dollar. Jedes Krankenhaus hatte durchschnittlich zwei von fünf möglichen Systemen zur Anwendung von elektronischen Patientenakten implementiert.

Betrachtet man nun die Ergebnisse zu den Untersuchungen, so lässt sich hinsichtlich der regionalen Übertragungseffekte Folgendes feststellen:  Sofern sich ein Krankenhaus für die Einführung eines (weiteren) Systems zur Anwendung von elektronischen Patientenakten entscheidet, können sich die Kosten um 1,8 % im Investitionsjahr und um 2,3 % innerhalb von vier Jahren erhöhen. Wenn ein umliegendes Krankenhaus aus dem gleichen Netzwerk in die Einführung von elektronischen Patientenakten investiert, können sich die Kosten von benachbarten Krankenhäusern um 1% im Investitionsjahr und um 1,5% innerhalb von vier Jahren reduzieren.

Diese nachgewiesenen regionalen IT-Übertragungseffekte zeigen, dass Krankenhauskosten durch andere Krankenhäuser aus dem gleichen Netzwerk mit einer Systemeinführung zur Anwendung elektronischer Patientenakten beeinflusst werden können.

 

Informationsaustauschmechanismus & IT-Übertragungseffekte

Atasoy et al. [1] nehmen an, dass Informationsaustauschmechanismen, bei denen Patienteninformationen krankenhausübergreifend ausgetauscht werden, IT-Übertragungseffekte unterstützen. Durch eine umfangreiche Informationsweitergabe kann die Versorgungsqualität des weiterbehandelnden Krankenhauses verbessert werden. Bei dem Informationsaustausch können elektronische Patientenakten den Prozess erleichtern. Gleichzeitig kann der Informationsaustausch durch Informationsnetzwerke vereinfacht und beschleunigt werden.

Die Studienergebnisse haben gezeigt, dass sich die IT-Übertragungseffekte in solchen Regionen verstärken, in denen die Krankenhäuser vermehrt auf Informationsnetzwerke zum Patienteninformationsaustausch zurückgreifen. Ferner stellte sich heraus, dass Kostenreduktionen durch IT-Übertragungseffekte vor allem bei den leistungsbezogenen Krankenhauskosten (d.h. z.B. für ambulante oder stationäre Krankenhausleistungen) entstehen.

 

Patientenaustauschmechanismus & IT-Übertragungseffekte

Ein Informationsaustausch zwischen Krankenhäusern ist erforderlich, wenn ein Patient von mehreren stationären Einrichtungen behandelt werden muss. Daher ist der grundlegende Einflussfaktor für IT-Übertragungseffekte die krankenhausübergreifende Patientenbehandlung/-verlegung. Atasoy et al. konnten anhand von regionalen Charakteristika nachweisen, dass sich bei einem höheren Patientenaustausch unter den Krankenhäusern die IT-Übertragungseffekte verstärken. Eine Intensivierung von IT-Übertragungseffekten war vor allem in städtischen Gebieten mit einer hohen Populations- sowie Krankenhausdichte zu beobachten.

 

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis?

Entscheidungsträger im Bereich des Krankenhausmanagements können zukünftige IT-Investitionen auf die vorhandene Informationsinfrastruktur und Gesundheitsdatenkompatibilität abstimmen. Durch solche krankenhausübergreifenden Abstimmungsprozesse und die damit verbundene Sicherstellung eines umfassenden Informationsaustausches würden alle beteiligten Krankenhäuser sowie Patienten profitieren. [1] Unberücksichtigt davon bleiben gesetzliche Vorgaben, wie in Deutschland, wo es eine einheitliche ePA für den Patienten geben soll.

Da IT-Übertragungseffekte bei einem erhöhten Patientenaustausch unter den Krankenhäusern stärker werden, ist es für einen Krankenhausmanager entscheidend zu identifizieren, mit welchen umliegenden Krankenhäusern ein Austausch primär stattfindet. Im Falle einer Investition in elektronische Patientenakten wäre eine beidseitige Anschaffung von kompatiblen Informationssystemen angebracht. Damit kann eine koordinierte Versorgung unter den Krankenhäusern unterstützt werden. Wenn ein übergreifender Patientenaustausch unter zwei Krankenhäusern nur einseitig stattfindet, so ist es ratsam, wenn sich das weiterbehandelnde Krankenhaus an IT-Investitionen von dem Erstversorgerkrankenhaus durch Zuschüsse beteiligt. Mit solch einem Vorgehen ließe sich der Informationsaustausch und die Datenkompatibilität fördern. Außerdem kann sich durch die finanzielle Unterstützung des weiterbehandelnden Krankenhauses – unter der Annahme eines einseitigen Patientenaustausches – ein ausgeglichenes Verhältnis im Rahmen der Kostenentwicklungen von IT-Investitionen zwischen den Krankenhäusern einstellen. [1]

Ein krankenhausübergreifender Patientenaustausch ist ein nachweisbarer Einflussfaktor für IT-Übertragungseffekte, die sich auf das entsprechende Kostenentwicklungspotential von vernetzten Krankenhäusern auswirken. Krankenhäuser, die oft bei der Patientenbehandlung kooperieren, sollten sich langfristig über mögliche IT-Investitionen abstimmen, um unter anderem die Datenkompatibilität sicherzustellen und damit einen guten Informationsaustausch zu gewährleisten. Dadurch lässt sich die Versorgungsqualität nachweislich steigern.

Anmerkungen: Die Studie von Atasoy et al. [1] untersucht IT-Übertragungseffekte im Rahmen von Krankenhausnetzwerken. Die Trendentwicklung zu einer patientenorientierten und sektorübergreifenden Versorgung verlangt jedoch einen immer größer werdenden Austausch zwischen den unterschiedlichen Dienstleistern im Gesundheitswesen. Dies lässt die Überlegung zu, dass IT-Übertragungseffekte auch netzwerk-übergreifend durch den Informationsaustausch zwischen dem ambulanten und stationären Sektor auftreten können (z.B. Informationsaustausch zwischen Hausarzt und Krankenhaus). Die Annahme gilt es, im Rahmen der zukünftigen Forschung mit entsprechenden Zahlen zu belegen.

 

  1. Atasoy, H., Chen, P.Y., and Ganju, K., The Spillover Effects of Health IT Investments on Regional Healthcare Costs. Management Science, 2018. 64(6): p. 2515-2534.
  2. Agha, L., The effects of health information technology on the costs and quality of medical care. Journal of Health Economics, 2014. 34: p. 19-30.
  3. Borzekowski, R., Measuring the cost impact of hospital information systems: 1987-1994. Journal of Health Economics, 2009. 28(5): p. 938-949.
  4. Dranove, D., Forman, C., Goldfarb, A., and Greenstein, S., The Trillion Dollar Conundrum: Complementarities and Health Information Technology. American Economic Journal-Economic Policy, 2014. 6(4): p. 239-270.

 

Redaktion /  Ines Niehaus

 


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