02.01.2022
Infrastruktur von Krankenhäusern entscheidet während Pandemie über Sterbewahrscheinlichkeit
Mexikanische Studie: Während einer Pandemie sind 30 Prozent der Sterbefälle in kleinen Krankenhäusern durch Umverteilung vermeidbar
Die Situation in deutschen Krankenhäusern aufgrund von Corona ist derzeit kaum händelbar. Die steigende Anzahl an Hospitalisierungen durch COVID-19 Patienten sorgt für eine erhöhte Bettenauslastung und damit auch für eine zunehmende Überlastung des medizinischen Personals. Es stellt sich die Frage, wie Krankenhäuser während einer Pandemie für die Gewährleistung einer guten Patientenversorgung am besten reagieren sollten. Eine mexikanische Studie [1] untersucht Krankenhausstrukturdaten aus dem „Schweinegrippe“-Pandemiejahr 2009 und gibt Handlungsempfehlungen zur Verhinderung von hohen Sterblichkeitsraten in Krankenhäusern während einer Pandemie.
Für die Gewährleistung einer guten Versorgungsqualität ist es entscheidend, dass genug medizinisches Personal verfügbar ist. Eine steigende Auslastung von Krankenhausbetten bedeutet für Pflegekräfte in der Regel, dass sie mehr Patienten versorgen müssen. Eine erhöhte Bettenauslastung führt ab einem gewissen Punkt nachweislich zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate in Krankenhäusern [2]. Dies lässt sich beispielsweise damit begründen, dass überlastetes Personal in Stresssituationen anfälliger ist, Fehler zu machen.
Eine Pandemie stellt für ein Krankenhaus bekanntlich eine herausfordernde Situation dar. Werden generell keine Pandemie-einschränkenden Maßnahmen eingeleitet, erhöhen sich die Pandemie-bedingten Krankenhauseinweisungen. Eine mexikanische Studie untersucht erstmalig, welchen Einfluss eine Pandemie auf die Sterbewahrscheinlichkeit in Krankenhäusern hat. Dafür wurden Krankenhausstrukturdaten aus dem „Schweinegrippe“-Pandemiejahr 2009 betrachtet. Die Studienergebnisse lassen sich zwar nicht direkt mit der COVID-19 Pandemie vergleichen. Dennoch liefern die herausgearbeiteten Handlungsempfehlungen Krankenhausmanagementstrategien, die für den Umgang mit der COVID-19 Pandemie hilfreich sein können.
Studiendesign
Mexiko gehört zu den Ländern mit einem mittleren Einkommen der Bevölkerung [3]. Vergleicht man das mexikanische Gesundheitssystem mit anderen, so werden schnell Schwachstellen in der Krankenhausversorgung sichtbar. Beispielsweise kommen in Mexiko 1.38 Krankenhausbetten und 2.4 Pflegekräfte auf 1.000 Einwohner. In Deutschland sind acht Krankenhausbetten und 13.24 Pflegekräfte pro 1.000 Einwohner verfügbar.[4, 5] Die vergleichbar niedrige Anzahl an verfügbaren Krankenhausbetten und medizinischem Personal in Mexiko erschweren den Umgang mit einer Pandemie, wo viele zusätzliche Patienten eingewiesen werden. Somit ist es nicht verwunderlich, dass vor allem Mexiko von dem „Schweinegrippevirus“ im Jahr 2009 mit Tausenden von Todesfällen stark betroffen war [6].
Für die Studie [1] wurden mehrere Daten zusammengeführt. Der finale Datensatz umfasst 612 mexikanische Krankenhäuser und gibt Auskunft über deren Bettenanzahl und das Vorhandensein einer Intensivstation. Auch die Gründe für die Krankenhauseinweisungen und Krankenhaustodesfälle wurden für das Pandemiejahr 2009 hinzugenommen. Hierbei wurde unterschieden, ob eine Krankenhauseinweisung oder ein Krankenhaustodesfall mit einer Influenza zusammenhing oder nicht. Die Influenza ist ein übergeordneter Begriff, der neben der „Schweinegrippe“ auch andere grippale Erkrankungen umfasst. Die Forscher haben sich bewusst dafür entschieden, alle grippalen Erkrankungen (d.h. Influenza) zu betrachten und nicht nur die „Schweinegrippe“, da mögliche Fehldiagnosen nicht ausgeschlossen werden konnten. Fehldiagnose bedeutet in dem Kontext, dass ein Patient zwar mit dem „Schweinegrippevirus“ infiziert war, er jedoch fälschlicherweise die Diagnose für eine andere grippale Erkrankung erhalten hat. Außerdem war es mit dem Datensatz möglich, zu erkennen, wie viele Nachbarkrankenhäuser sich in der Umgebung befinden, und wie viele Influenza-Patienten von den Nachbarkrankenhäusern wöchentlich aufgenommen wurden.
Anhand dieser Informationen und einer anschließenden statistischen Analyse konnten die Forscher entscheidende Handlungsempfehlungen aufstellen, um eine erhöhte Anzahl an Sterbefällen in Krankenhäusern während Pandemiezeiten zu vermeiden. Bei der Analyse wurde berücksichtigt, ob die eingeschlossenen Krankenhäuser eine Intensivstation besitzen. Es wurde jedoch nicht abgebildet, bei welchen Influenza-Patienten eine Einweisung auf Normalstation oder Intensivstation erforderlich gewesen wäre.
Handlungsempfehlung 1: Verbesserung der Patientenverteilung unter den nahegelegenen Krankenhäusern
Wenn mehr Influenza-Patienten in Krankenhäusern eingewiesen werden, erhöht das die Anzahl an Krankenhaustodesfällen von Nicht-Influenza-Patienten. Die Forscher konnten zeigen, dass wenn 1 % mehr Influenza-Patienten als üblich aufgenommen wurden, dies zu 0.25 % mehr Krankenhaustodesfällen von Nicht-Influenza-Patienten geführt hat. Die Erkenntnis basiert auf der Voraussetzung, dass die Einweisungsanzahl von Nicht-Influenza Patienten im Pandemiejahr vergleichbar ist mit den vorherigen Jahren.
Aber nicht nur die Anzahl an zusätzlichen Influenza-Patienten kann die Anzahl an Krankenhaustodesfällen beeinflussen. Die Studienergebnisse machen deutlich, dass vor allem kleine Krankenhäuser (mit 18 oder weniger Betten) und Krankenhäuser ohne eine Intensivstation in dem Pandemiejahr 2009 mehr Krankenhaustodesfälle zu verzeichnen hatten als große Krankenhäuser.
Bis zu 30 % der registrierten Sterbefälle in kleinen Krankenhäusern und in Krankenhäusern ohne eine Intensivstation hätten mit einer Patientenumverteilung auf nahegelegene größere Krankenhäuser, die 5 km entfernt waren, verhindert werden können.
Um Patienten möglichst schnell in ein anderes Krankenhaus zu verlegen, ist es jedoch erforderlich, dass entsprechende Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen und die Entfernung zum Zielkrankenhaus keine große Herausforderung darstellt.
Eine Möglichkeit der Patientenumverteilung bietet beispielsweise das in Deutschland eingeführte „Kleeblatt-System“ im Zuge der Corona-Pandemie. Mit der Verlegung von Intensivpatienten sollen stark beanspruchte Krankenhäuser entlastet werden. An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass sich die Versorgungseffekte des Kleeblatt-Systems mit den mexikanischen Studienergebnissen [1] aus dem „Schweinegrippe“-Pandemiejahr nicht nachweisen lassen.
Handlungsempfehlung 2: Überdenken der Behandlungsentscheidungen
Eine steigende Aufnahme von Influenza-Patienten führt dazu, dass Nicht-Influenza-Patienten kürzere Krankenhausaufenthalte haben und früher entlassen werden. Diese Erkenntnisse aus der Studie [1] weisen darauf hin, dass Ärzte in dem Pandemiejahr 2009 ihre Behandlungsentscheidungen verändert haben.
Es wird deutlich, dass während Pandemiezeiten grundlegende Behandlungsentscheidungen kritisch überdacht werden sollten. Die Forscher warnen jedoch davor, aus diesen Erkenntnissen den Rückschluss zu ziehen, dass eine drastische Veränderung in der Patientenaufnahmeentscheidung der richtige Weg ist (z.B. indem manche Patienten nicht aufgenommen werden, um eine Überlastung zu vermeiden). Eine Aussage hierzu kann nur mit der Durchführung weiterer Forschungsprojekte getroffen werden.
Handlungsempfehlung 3: Temporäre Erhöhung von Krankenhauskapazitäten für kleine Krankenhäuser mit einer großen Entfernung zum nächstgelegenen größeren Krankenhaus
Die Forscher empfehlen Krankenhäusern in Pandemiezeiten, die Krankenhauskapazitäten temporär an die Umstände anzupassen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn dem Krankenhaus ein entsprechendes Budget und ausreichend zusätzliches Personal zur Verfügung steht. Eine temporäre Erweiterung der Krankenhauskapazitäten wäre vor allem für kleinere Krankenhäuser hilfreich, die eine sehr große Entfernung zu einem nächstgelegenen größeren Krankenhaus haben. Damit kann auch in ländlichen Gebieten eine bessere Versorgung in pandemischen Situationen gewährleistet werden.
In Mexiko sind 42 % der kleinen Krankenhäuser und 18 % der Krankenhäuser ohne Intensivstation mehr als 50 km von dem nächsten großen Krankenhaus entfernt. Dies zeigt, dass eine Patientenumverteilung (siehe Handlungsempfehlung 1) in ausgewählten Situationen nicht immer leicht umsetzbar ist und damit eine temporäre Erhöhung von Kapazitäten für solche Krankenhäuser einen weiteren alternativen Lösungsansatz darstellt.
Vor allem kleine Krankenhäuser und Krankenhäuser ohne Intensivstationen stehen vor der Herausforderung, ein hohes Patientenaufkommen während einer Pandemie zu bewältigen. Es ist daher entscheidend, die Möglichkeiten für eine Patientenumverteilung unter nahegelegenen Krankenhäusern zu verbessern und temporär die Kapazitäten für ländlich gelegene Krankenhäuser zu erhöhen. Dadurch ließen sich Sterbefälle in überlasteten Krankenhäusern verhindern.
- Gutierrez, E. and Rubli, A., Shocks to Hospital Occupancy and Mortality: Evidence from the 2009 H1N1 Pandemic. Management Science, 2021. 67(9): p. 5943-5952.
- Kuntz, L., Mennicken, R., and Scholtes, S., Stress on the Ward: Evidence of Safety Tipping Points in Hospitals. Management Science, 2015. 61(4): p. 754-771.
- OECD, Reviews of Health Systems: Mexico. 2005, Paris: OECD Publishing.
- Our World in Data. Nurses and midwives per 1,000 people. o.J. 25.11.2021]; Available from: https://ourworldindata.org/grapher/nurses-and-midwives-per-1000-people.
- Our World in Data. Hospital beds per 1,000 people, 2018. o.J. 25.11.2021]; Available from: https://ourworldindata.org/grapher/hospital-beds-per-1000-people.
- Chowell, G., Echevarria-Zuno, S., Viboud, C., Simonsen, L., Tamerius, J., Miller, M.A., and Borja-Aburto, V.H., Characterizing the Epidemiology of the 2009 Influenza A/H1N1 Pandemic in Mexico. Plos Medicine, 2011. 8(5).
Redaktion / Ines Niehaus
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„Die Warnsignale einer Systemüberlastung im Krankenhaus frühzeitig erkennen“, 22. Mai 2020:
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„Neue Evidenz für Intermediate Care Stationen: Chancen nutzen – Risiken vermeiden!“, 7. April 2021
- Krankenhäuser sind dazu übergegangen, neben Intensivstationen und Normalstationen einen dritten Stationstyp einzuführen – eine sogenannte „Intermediate Care Station“.
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