Mehr IT = Mehr Qualität für alle?

Aktuelle Studienergebnisse: Ländliche und kleine Krankenhäuser profitieren mehr von Digitalisierungsförderungen



2021 kommt die elektronische Patientenakte – so hat es der Gesetzgeber im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) verordnet. Die Krankenhäuser müssen sich bis März 2021 an der Telematikinfrastruktur beteiligen, verankert im Regierungsentwurf des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG). Doch ist es mit der Einführung von elektronischen Patientenakten schon getan und wie können Krankenhäuser davon profitieren? Eine Studie [1] aus den USA untersucht erstmalig den Effekt von der aktiven Anwendung elektronischer Patientenakten auf die Prozessqualität und zeigt Lösungswege auf, wie die Nutzung von Informationssystemen in Krankenhäusern gefördert werden kann.

Um die Digitalisierung im Gesundheitswesen der USA voranzutreiben, wurde 2009 das HITECH-Gesetz [Health Information Technology for Economic and Clinical Health] verabschiedet. Damit sollen elektronische Dokumentationsprozesse in der Versorgung gefördert werden. Mit dem Gesetz ist die Implementierungsrate von elektronischen Patientenaktensystemen von 9,0 % (2008) auf 80,5 % (2015) unter den Krankenhäusern angestiegen [2]. Doch bedeutet die Einführung von elektronischen Patientenakten gleichzeitig auch eine nachhaltige Qualitätsverbesserung für die Krankenhäuser? In wissenschaftlichen Übersichtsarbeiten wurde der Qualitätseffekt von elektronischen Patientenakten untersucht, indem unterschiedliche Studienergebnisse gegenübergestellt wurden. Ein zentrales Ergebnis war, dass die gewünschten Qualitätseffekte resultierend aus der Nutzung von elektronischen Patientenakten stark von den tatsächlichen Qualitätseffekten abwichen [3].

 

Problemstruktur

Es stellt sich somit die Frage: Welche Faktoren sind noch entscheidend, um die gewünschte Qualitätsverbesserung durch elektronische Patientenakten zu erzielen? In einer Studie von Lin et al. [1] werden erstmalig IT-Qualitätseffekte von Faktoren untersucht, welche die Nutzung von elektronischen Patientenakten beeinflussen. Mit den Studienergebnissen kann eine relevante Forschungslücke geschlossen werden, da ein Großteil der bisherigen Untersuchungen bei der Bewertung von elektronischen Patientenakten lediglich die Einführungs- und Investitionseffekte beleuchtet hat (z.B. [4], [5]). Hierbei wurde unter anderem angenommen, dass elektronische Patientenakten nach der Einführung effektiv genutzt werden. Damit ergänzen Lin et al. [1] auch die Studienergebnisse von Hydari et al. [5], welche bereits im Rahmen eines Observer-Wissenschaftsbeitrag vom 29.08.2018 diskutiert wurden. Hydari et al. untersuchen im Rahmen der Studie nämlich den Zusammenhang zwischen Patientensicherheit und elektronischen Patientenakten und berücksichtigen dabei im Gegensatz zu Lin et al. [1] ausschließlich den Einführungseffekte von elektronischen Patientenakten. Lin et al. [1] gehen davon aus, dass systembedingte Faktoren (z.B. ärztliche Akzeptanz von IT-Anwendungen) die Nutzung von elektronischen Patientenakten behindern können und deswegen unterschiedliche Effekte in der Versorgungsqualität entstehen.

 

Studiendesign

Für die Studie wurden unterschiedliche Datensätze aus dem Zeitraum 2011 bis 2014 zusammengeführt. Der finale Datensatz beinhaltete Informationen zur Prozessqualität und zur elektronischen Patientenaktennutzung von 2.507 Krankenhäusern aus den USA und Kolumbien. Um den Zusammenhang zwischen Prozessqualität und der Nutzung von elektronischen Patientenakten zu messen, wurde zunächst ein theoretisches Modell entwickelt, was im Anschluss statistisch getestet wurde.

Damit ein Krankenhaus in den USA Medicare-Patienten behandeln darf, muss die Prozessqualität zunächst von der „Joint Comission“ geprüft und bestätigt werden. Dabei wird auf eine Kenngröße der „Joint Commission“ zurückgegriffen. Die Prozessqualität gibt demnach das prozentuale Ausmaß an, inwieweit ein Krankenhaus die Patienten nach der bestmöglichen klinischen Praxis behandelt.

Im Rahmen des HITECH-Gesetzes ist ein Regelwerk zur Beurteilung der sinnvollen Anwendung von elektronischen Patientenakten in Krankenhäusern erstellt worden. Hierbei wird gezielt zwischen der Einführung und dem Ausmaß in der sinnvollen Nutzung von elektronischen Patientenakten unterschieden. Das Ausmaß zur sinnvollen Nutzung von elektronischen Patientenakten ist in Stufen unterteilt, sogenannten E-Anwendungsstufen. Um die erste E-Anwendungsstufe zu erreichen bzw. von der ersten auf die zweite E-Anwendungsstufe zu gelangen, müssen Krankenhäuser klar definierte Ziele erreichen und nachweisen. Für die Erreichung der ersten E-Anwendungsstufe muss das Krankenhaus beispielsweise belegen, dass 30 % aller Patienten mit einer medikamentösen Behandlung in einem elektronischen Arzneimittelverordnungssystem erfasst sind. Sobald ein Krankenhaus eine höhere E-Anwendungsstufe erreicht hat, bedeutet dies, dass es elektronische Patientenakten intensiver für die Patientenversorgung nutzt und fortgeschrittene IT-Anwendungen (z.B. elektronische Arzneimittelverordnung) mit dem elektronischen Patientenaktensystem verknüpft. Krankenhäuser haben einen großen Anreiz, schnellstmöglich die E-Anwendungsstufen zu erreichen und aufrechtzuerhalten, da sie dadurch zusätzliche Zahlungen erhalten und im Falle einer nicht-nachgewiesen sinnvollen IT-Nutzung mit finanziellen Sanktionen rechnen müssen. Für die Bewertung zur Nutzung von elektronischen Patientenakten wurde im Rahmen der Studie auf die einzelnen nachgewiesenen E-Anwendungsstufen der Krankenhäuser zurückgegriffen.

Der Anstieg in der aktiven Nutzung von elektronischen Patientenakten ist in Abbildung 1 dargestellt. Der Großteil der eingeschlossenen Krankenhäuser erreichte 2013 die E-Anwendungsstufe 1. Nahezu die Hälfte aller Krankenhäuser konnte im Jahr 2014 die E-Anwendungsstufe 2 nachweisen.

 

Abbildung 1: Krankenhausspezifische Entwicklung in der aktiven Nutzung von elektronischen Patientenakten im Zuge des HITECH-Gesetzes

 

Quelle: Lin et al. 2019, Tabelle 5.

 

IT-Qualitätseffekte in Krankenhäusern

Abbildung 2 stellt die grundlegenden Annahmen des theoretischen Modells von Lin et al. [1] dar. Sofern Krankenhäuser elektronische Patientenakten effektiv in klinische Arbeitsprozesse für das Patientenmanagement einbauen, verbessert sich die Performance der Arbeitsprozesse und damit auch die Prozessqualität im Rahmen der Patientenversorgung. Dieser Qualitätsverbesserungsprozess wird durch krankenhaus-interne und externe Faktoren beeinflusst. Als krankenhaus-interner Faktor wird die ärztliche Abneigung gegen IT-Anwendungen benannt, welche den Qualitätseffekt von elektronischen Patientenakten mindern kann. Ferner zählen Charakteristika zum Krankenhausumfeld (z.B. Größe und ländliche Position) zu beeinflussenden internen Faktoren. Ein externer Faktor stellt die Einführung des HITECH-Gesetzes dar, wodurch Krankenhäuser angeregt werden, die Digitalisierung in der Patientenversorgung zu fördern.

Die Studienergebnisse zeigen, dass die Einführung von elektronischen Patientenakten zu keiner Verbesserung der Prozessqualität führt. Sobald Krankenhäuser jedoch eine E-Anwendungsstufe nach dem HITECH-Regelwerk nachweisen und damit eine effektive Nutzung von elektronischen Patientenakten praktizieren, verbessert sich die Prozessqualität in der Patientenversorgung.

 

Abbildung 2: Zusammenhang zwischen IT-Anwendungen und der Prozessqualität im Krankenhaus

 

Quelle: Lin et al. 2019.

 

Heterogene Auswirkungen von IT-Qualitätseffekten

Krankenhäuser weisen hinsichtlich ihres Settings keine einheitlichen Charakteristika auf und sind somit unter anderem im Bezug zu ihrer Größe und ländlichen Position heterogen. Die Charakteristika zum Krankenhausumfeld sind im Rahmen des theoretischen Modells (siehe Abbildung 2) als krankenhaus-interner Faktor definiert worden, der einen Einfluss auf den Qualitätsverbesserungsprozess durch elektronische Patientenakten haben kann.

Im Rahmen der Studie konnte gezeigt werden, dass ländlich-gelegene und kleine Krankenhäuser einen größeren Prozessqualitätsanstieg mit der aktiven Nutzung von elektronischen Patientenakten erzielen konnten im Vergleich zu großen und in Städten platzierten Krankenhäusern. Begründen lässt sich dies unter anderem damit, dass kleine und ländlichere Krankenhäuser ein kleineres Leistungsspektrum haben als große und städtische Krankenhäuser. Dadurch sind die klinischen Arbeitsprozesse weniger kompliziert und begünstigen damit eine einfachere Implementierung sowie Anwendung von elektronischen Patientenakten. Ferner werden mit der gesundheitspolitischen Förderung durch das HITECH-Gesetz auch kleinere Krankenhäuser gezielt gefördert und haben somit finanzielle Ressourcen für eine elektronisch-basierte Umstrukturierung der Arbeitsprozesse.

 

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis?

Gesundheitspolitische Änderungen in der Gesetzgebung können die Implementierungsphase sowie die sinngemäße Nutzung von elektronischen Patientenakten beschleunigen. Das HITECH-Gesetz stellt ein potentielles Praxisbeispiel dar. Durch die hiermit assoziierte Digitalisierungsförderung und Regelung zum krankenhausspezifischen Nachweis bezüglich der aktiven Nutzung von elektronischen Patientenakten kann die Prozessqualität in der Patientenversorgung optimiert werden. Jedoch sollten langfristig noch weitere Komponenten, die mit der Digitalisierung verknüpft sind, integriert werden. Hierbei sollten vor allem datenschutzrechtliche Aspekte fokussiert werden.

Krankenhausmanager sollten Strategien entwickeln, um das medizinische Personal für die effektive IT-Nutzung zu motivieren und zu verpflichten. Dadurch kann eine optimale Performance der klinischen Arbeitsprozesse mit der Nutzung von elektronischen Patientenakten erzielt werden, was sich im Umkehrschluss positiv auf die Prozessqualität in der Patientenversorgung auswirkt.

Mit der Einführung von elektronischen Patientenakten allein ist es somit nicht getan. Um eine Verbesserung in der Prozessqualität zu erzielen, ist eine aktive Nutzung von elektronischen Patientenakten im Rahmen der klinischen Arbeitsprozesse erforderlich. Gesundheitspolitische Regelungen können die aktive IT-Nutzung von Krankenhäusern fördern. Kleine und ländliche Krankenhäuser profitieren von den Digitalisierungsförderungen am meisten, was sich durch einen höheren Anstieg in der Prozessqualität zeigt.

 

  1. Lin, Y.K., Lin, M.F., and Chen, H.C., Do Electronic Health Records Affect Quality of Care? Evidence from the HITECH Act. Information Systems Research, 2019. 30(1): p. 306-318.
  2. Adler-Milstein, J. and Jha, A.K., HITECH Act Drove Large Gains In Hospital Electronic Health Record Adoption. Health Affairs, 2017. 36(8): p. 1416-1422.
  3. Jones, S.S., Rudin, R.S., Perry, T., and Shekelle, P.G., Health Information Technology: An Updated Systematic Review With a Focus on Meaningful Use. Annals of Internal Medicine, 2014. 160(1): p. 48-+.
  4. Miller, A.R. and Tucker, C.E., Can Health Care Information Technology Save Babies? Journal of Political Economy, 2011. 119(2): p. 289-324.
  5. Observer-Beitrag „Fortgeschrittene elektronische Patientenakten können Leben retten und sparen Kosten.

 

Redaktion / Ines Niehaus

 

Lesen Sie auch:

 

„Ein Blick über den Tellerrand bei eigenen Investitionen lohnt sich.“:

  • Wenn ein Krankenhaus in elektronische Patientenakten investiert, profitieren davon die umliegenden Wettbewerber.
  • Krankenhäuser, die oft bei der Patientenbehandlung kooperieren, sollten sich langfristig über mögliche IT-Investitionen abstimmen, um unter anderem die Datenkompatibilität sicherzustellen und damit einen guten Informationsaustausch zu gewährleisten.

 

„Zunehmende IT-Nutzung beeinflusst Personalbesetzungsentscheidungen.”:

  • Auswirkungen durch IT-Einführungen in Pflegeheimen hängen von dem aktuellen Level der Personalbesetzung ab.
  • Die Einführung von IT-gestützten Automatisierungsprozessen sorgt bei High-End-Pflegeheimen für eine Reduzierung des Pflegepersonals, wobei für Low-End-Pflegeheime eine Steigerung des Pflegepersonalbestandes zu erwarten ist.
  • Aus strategischer Perspektive sollten Low-End-Pflegheime nach der IT-Einführung den Pflegepersonalbestand erhöhen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Für High-end Pflegeheime gilt es, nach der IT-Einführung zu überlegen, ob Kosten durch eine Senkung des Personalbestandes eingespart werden sollten.

 

„Fortgeschrittene elektronische Patientenakten können Leben retten und sparen Kosten.“:

  • Die Studie liefert empirische Beweise für die Annahme, dass sich fortgeschrittene elektronische Patientenakten positiv auf die Patientensicherheit auswirken.
  • Medikationsfehler und Komplikationen gehen durch elektronische Patientenakten zurück.
  • Krankenhäuser ohne fortgeschrittene elektronische Patientenakten gefährden die Sicherheit Ihrer Patienten.

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