„Revolution“ im Postkutschentempo

Ein Zwischenstand zur Krankenhausreform

Dr. Robert Paquet

Man erinnert sich noch gut an die Präsentation der Vorschläge der Regierungskommission, die sich Minister Lauterbach am Nikolaustag 2022 ohne Einschränkungen zu eigen gemacht hat. Die „Revolution“ wurde ausgerufen, und die krankenhauspolitischen Reformansätze in Nordrhein-Westfalen (NRW) und Niedersachsen wurden als viel „zu wenig radikal“ zur Seite gewischt. Nun wird gerade mit den Ländervertretern an einem „Vor-Arbeitsentwurf“[1] gewerkelt, der genau dem Vorbild der NRW-Reform folgt und bei den „sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ (bzw. den ursprünglichen Level Ii-Krankenhäusern) das niedersächsische Konzept der regionalen Gesundheitszentren (RGZ) aufgreift.

 Schon einen Monat später, am Drei-Königstag 2023 wurde nämlich die Revolution wieder abgesagt: Die Bundesländer mussten mit ins Boot geholt werden; als Ziel wurde ein gemeinsamer, d.h. im Bundesrat zustimmungspflichtiger Gesetzentwurf vereinbart. Ob hinter diesem Fallrückzieher eine schlaue Strategie steckt, kann man diskutieren. Solche Überlegungen führen aber nicht weiter. Jedenfalls scheint die Einführung qualitätsorientierter Leistungsgruppen und von Vorhaltepauschalen gesichert, wenn auch mit (erst einmal) großzügigen Modifikationsmöglichkeiten und Übergangsfristen. Damit wird die Krankenhausplanung der Länder auf eine einheitliche Grundlage gestellt, ein Qualitätshebel für Strukturveränderungen in der Klinik-Landschaft geschaffen und der tiefste Eingriff in das Finanzierungssystem seit Einführung der DRGs vorgenommen. Diesen Erfolg hätte vor zwei Jahren fast niemand der Bundesregierung zugetraut.

 

Vorgeschichte

Bekanntermaßen wurde bis zum Beginn des aktuellen Reformprozesses immer wieder über die Insuffizienz der Krankenhausplanung geklagt. Die „nachvollziehende Planung“ der Länder (Wulf-Dietrich Leber, GKV-Spitzenverband) konnte weder die qualitätsorientierte Strukturbereinigung anstoßen noch die Konzentration und Spezialisierung von Leistungsangeboten koordinieren. Dabei war es keineswegs so, dass alle Länder den Status quo konservieren wollten. Nur Bayern war in dieser Hinsicht am extremsten; die regierenden Parteien (CSU und Freie Wähler) haben in ihren Wahlprogrammen regelmäßig versprochen, alle Klinikstandorte zu erhalten[2]. Andere Länder wollten aber schon verstärkten Einfluss nehmen, sind aber regelmäßig an den Verwaltungsgerichten gescheitert. Die verfassungsrechtliche Berufsfreiheit garantierte einem Krankenhaus die Existenz und den Betrieb bestimmter Abteilungen, jedenfalls solange die (einmal genehmigten) Betten belegt waren und damit eine Nachfrage nachgewiesen werden konnte. Die Qualitätsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach den §§ 136b und c SGB V haben an dieser Lage nichts Wesentliches geändert. Auch über Investitionsmaßnahmen fand – angesichts der immer weiter zurückbleibenden Landesmittel – keine wirksame Steuerung statt.

Die Qualitätsprobleme wurden immer deutlicher. Zugleich gingen von den DRGs teilweise problematische Anreize aus. Das Überangebot an Krankenhausbetten in einer wenig strukturierten Krankenhauslandschaft verschärft den Fachkräftemangel beim Personal. Eine Krankenhausreform wurde immer dringlicher.

Der Vorschlag der Regierungskommission, die Qualitätsvorgaben vorab anhand einer Level-Einstufung der Krankenhäuser zu fixieren, ist gescheitert. Jetzt müssen sie sehr viel detaillierter an die einzelnen Leistungsgruppen gebunden werden. Immerhin sollen die Level mit dem Krankhaustransparenzgesetz wieder erscheinen und jetzt in einem anderen Kontext eine gewisse Steuerungswirkung entfalten. Das wird die Nachfrage nach Klinik-Leistungen beeinflussen, auch wenn die einzelnen Länder die auf Bundesebene vorgenommenen Einstufungen nicht nachvollziehen bzw. unterstützen. Der Eindruck wird entstehen, dass die Qualität mit der Größe der Häuser steigt. Ob jedoch die banale Blinddarm-OP in der Universitätsklinik am besten durchgeführt wird, ist eine ernstzunehmende Frage. Das Verzeichnis mit der Level-Zuordnung kann auch desorientierend wirken. Obwohl das Gesetz de facto nicht ohne Einfluss auf die Krankenhausplanung der Länder bleiben wird[3], werden sie sich kaum dagegen wehren können. Bei dem nicht-zustimmungspflichtigen Gesetz wäre im Bundesrat ein „Einspruch“ erforderlich. Eine Mehrheit dafür ist nicht erkennbar[4].

 

Arbeitsentwurf

Der vorliegende Arbeitsentwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) (hier: Stand 27.09.2023) setzt die im Juli mit den Ländern verabschiedeten Eckpunkte um. Dabei lichtet sich der Nebel über einigen der damaligen Formulierungen (z. B. wie man sich die Vorhaltepauschalen und ihre Zahlungsweise vorstellen soll). Zunächst ist jedoch festzustellen, dass viele wichtige Regelungen in Rechtsverordnungen des BMG (mit Zustimmung des Bundesrates) verlagert werden. Das gilt vor allem für die Bestimmung der Leistungsgruppen und ihrer Qualitätskriterien sowie für die Abweichungen, über die die Länder bestimmen können (§ 135e SGB V). Auch die Weiterentwicklung der Leistungsgruppen und ihre wahrscheinliche Ausdifferenzierung) findet in einem Ausschuss unter Leitung des BMG statt (und nicht etwa als Aufgabe des G-BA). Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) werden mit Unterstützungsleistungen beauftragt. Der Ausschuss soll ähnlich wie der G-BA zusammengesetzt sein, jedoch unter Beteiligung der Bundesärztekammer statt der KBV.

Das InEk soll für das BMG das Konzept zur Einführung der Vorhaltepauschalen entwickeln (§§ 17b und 37 HG). Die Landesbehörden weisen den Krankenhäusern die Leistungsgruppen zu und bestimmen z.B. die Häuser, die für Koordinierungsaufgaben Zuschläge erhalten. Sie definieren auch, welche Häuser zu „sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ werden sollen etc. (§§ 6a und 6b KGH). Insgesamt ergibt sich daraus eine stärkere direkt staatliche Steuerung des Gesundheitssystems und eine weitere Entmachtung der Selbstverwaltung. Im Krankenhaustransparenzgesetz wird das IQTiG explizit dem BMG untergeordnet (wegen des Vorrangs seiner Aufträge gegenüber der Selbstverwaltung). Beim InEK findet de facto dasselbe statt, nur, dass die vormaligen Institute der Selbstverwaltung weiterhin von dieser finanziert werden müssen. Der Bund wird die Kosten für seine Aufträge nicht erstatten.

Jenseits solcher Aspekte im Verfahren werfen auch die Kernelemente der Reform kritische Fragen auf. So sind die Leistungsgruppen (LG) sehr heterogen. Zum Beispiel die LG „Cochleaimplantate“ oder „Bariatrische Chirurgie“ haben nur sehr wenige Fälle an wenigen Häusern, während die großen Gruppen „Allgemeine Innere Medizin“ oder „Allgemeine Chirurgie“ in fast allen Krankenhäuser angeboten werden. Das hat aber Konsequenzen für das Verhältnis von Vorhaltepauschalen und Rest-DRGs. In manchen dieser LG dürfte der vorgesehene Finanzierungsmix für Krankenhäuser attraktiv sein, in anderen LG weniger. Die Frage „Was wird wo behandelt?“ bezieht sich auch auf die Fallschwere; der Case-Mix soll zwar abgebildet werden, ob das aber ausreicht, ist noch offen. Man muss z. B. Anreize setzen, dass in einem Krankenhaus in einer Leistungsgruppe nicht nur die leichten Fälle (und keine schweren) behandelt werden. Mit Blick auf die Fallschwere muss kontinuierlich nachgesteuert werden. Die Anreizwirkungen bleiben somit abzuwarten. Vor diesem Hintergrund hatte die Regierungskommission – durchaus nach dem Vorbild des Gutachtens, das der NRW-Krankenhausreform zugrunde lag – eine deutlich höhere Zahl von Leistungsgruppen vorgeschlagen (128). Dieser Problematik wird perspektivisch mit der vorgesehenen Weiterentwicklung der LG Rechnung getragen (§ 135e Abs. 3 SGB V).

Auch die Vorhaltepauschalen treffen auf Bedenken. Von einigen wird grundsätzlich kritisiert, dass damit eine Rückkehr zum (wirtschaftlich verfehlten) Selbstkostendeckungsprinzip verbunden sei; jedenfalls sei die Quote von 60% viel zu hoch gegriffen. Detaillierter wird kritisiert, dass sich die einheitliche Quote bei den Leistungsgruppen recht unterschiedlich auswirken dürfte. Denn der tatsächliche Vorhaltebedarf ist in den verschiedenen Leistungsbereichen höchst unterschiedlich. Außerdem ist er mehr oder weniger vom jeweiligen Haus aus steuerbar (Beispiel: Stroke Unit versus (elektive) Endoprothetik in Fachkliniken). Darüber hinaus bieten die Vorhaltepauschalen Anreize, die Fallzahlen zu reduzieren. Zum Teil entspricht das den Intentionen der gesamten Krankenhausreform. Es könnte jedoch auch in einigen Bereichen zu Wartelisten führen[5]. Es wird darauf ankommen, wie viele der „unnötigen“ stationären Behandlungen, von denen der Minister immer wieder spricht, künftig unterbleiben oder vom ambulanten Bereich übernommen werden. Es wird aber – angesichts der angestoßenen Konzentration und Spezialisierung – in bestimmten Krankenhäusern auch zu einem Wachstum der Fallzahlen kommen. Nach dem bisherigen Strand – und jedenfalls in der Übergangszeit bis zu einer Bottom-up Kalkulation durch das InEK – wirken die Vorhaltepauschalen (VP) wie ein Mehrleistungsabschlag, bzw. wie eine Bremse für die Spezialisierung. Auch für die Zeit nach der Echt-Kalkulation ist der Anpassungsmechanismus noch nicht wirklich nachvollziehbar.

Auch die „sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ bleiben eine Wundertüte. Bei Wundertüten kann es bekanntlich zu Enttäuschungen kommen. Die Landesministerien sollen nämlich bestimmen, welche Häuser diesen Status erhalten. Kriterien dafür werden im Gesetz nicht genannt. Wenn es dabei vor allem darum geht, insolvenz-bedrohte Häuser zu „retten“, wird das kein Sterne-Prädikat. Wie funktioniert bei ihnen die Finanzierung der Vorhaltekosten? Wie sind bei ihnen der stationäre und der ambulante Leistungsbereich kalkulatorisch zu trennen? Die finanziellen Anreize sind noch unklar: Könnte es z. B. dazu kommen, dass die dort vorgesehenen Tagespauschalen ökonomisch attraktiver sind als die Abrechnung nach DRGs? – Das wird entscheidend davon abhängen, wie (und mit welchen Ergebnissen) diese Pauschalen (für alle diese einzelnen Einrichtungen) verhandelt werden. Dieser Prozess wird für beide Seiten (Kassen und Krankenhäuser) kein Vergnügen. Die Tagespauschalen der 1980er und 1990er Jahre waren jeweils das Ergebnis eines Kampfes um das kleinste Karo. Das bezog sich insbesondere auf den Nachweis der Selbstkosten der Krankenhäuser. Wie sich das Verfahren in der Zukunft einspielt, bleibt somit ebenfalls abzuwarten. Ob es die ersehnte Entbürokratisierung bringt, erscheint eher unwahrscheinlich.

Gedacht waren die „sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ im Konzept der Regierungskommission als Instrument zur Bereinigung der Krankenhauslandschaft; sie wurden als Ausweg für Hunderte von kleinen Kliniken angepriesen, die angesichts der forcierten qualitätsorientierten Konzentration und Spezialisierung keine Chance mehr als „richtige“ Krankenhäuser hätten. So weit man das im Gesetzentwurf vorgesehene Verfahren aber antizipieren kann, werden die Länder diese Auswahl mit äußerst spitzen Fingern anfassen. Die Erfahrungen in Niedersachsen mit der Umwandlung von zwei kleinen Krankenhäusern in RGZ („Prototyp für Level Ii“) stimmen hier nicht optimistisch[6]. Der Widerstand der Beschäftigten und der lokalen Mandatsträger ist nach wie vor hoch. Solche Beispiele sprechen nicht grundsätzlich gegen das Konstrukt. Sie zeigen jedoch, dass man sich damit weit entfernt von einer Massenbewegung finden wird.

 

Effekte

So weit es überhaupt zu einer „Bereinigung“ bzw. einem Konzentrationseffekt kommen wird, beruht er vor allem auf der Zuweisung der Leistungsgruppen und der Prüfung ihrer Voraussetzungen durch den Medizinischen Dienst (nur „Strukturqualität“!). Ob es damit zur erhofften Entbürokratisierung kommt, bleibt abzuwarten. Die Umbenennung in „Prüfung“ klingt zwar etwas netter als die noch geltende „Kontrolle“. Aber jenseits der sprachlichen Erleichterung beziehen sich die Prüfungen ja jetzt auf alle über 60 Leistungsgruppen, statt bisher nur auf wenige Leistungsbereiche nach § 275d SGB V. Auf den Medizinischen Dienst kommt jedenfalls viel Arbeit zu.

Insgesamt ist sogar festzustellen, dass die Reform widersprüchlich angelegt ist. Die Orientierung auf Leistungsgruppen folgt dem Narrativ der Qualitätssicherung und soll zur Konzentration und Spezialisierung führen; Kooperationen von Kliniken sollen befördert werden etc. Die Vorhaltepauschalen dagegen wirken konservativ und machen den Kliniken Hoffnung, dass sie sich im Status Quo halten können. Diese Zweispurigkeit ist zwar für die Politiker komfortabel, weil sie den einen die Modernisierungsbewegung verkaufen können, die anderen aber mit (innerhalb eines bestimmten Fallzahl-Korridors) leistungslosen Erlösen trösten dürfen. In der Sache selbst wird das aber den angestoßenen Prozess enorm verlangsamen. Die Länder haben das geahnt und sicher auch deshalb bei den Eckpunkten mitgemacht. Dem Vernehmen nach stehen inzwischen im dritten (?) „Vor-Arbeitsentwurf“ keine Termine mehr für die Übergangsfristen und das „Scharfschalten“ der Vorhaltepauschalen. Der Zeitplan ist damit gänzlich noch offen und Verhandlungsgegenstand.

Das wird kurzfristig einen Effekt verstärken: Das Bezugsjahr für die maßgeblichen Fallzahlen liegt noch nicht fest. Die Vorhaltepauschalen müssen sich aber zunächst einmal an den aktuellen Fallzahlen orientieren und müssen mit den Krankenkassen zwangsläufig auch über die einzelnen Fälle abgerechnet werden. Daher haben alle Krankenhäuser ein gemeinsames Interesse: Auf kurze Sicht so viele Fälle wie möglich zu „machen“, um bei der Erst-Berechnung der Vorhaltepauschalen ein möglichst großes Fallzahl-„Polster“ zu erreichen. Nach der Bottom-up-Berechnung geht es in die umgekehrte Richtung. Das kann den Initiatoren der Reform nicht gefallen. Der Trend zum Rückgang der Fallzahlen setzte schon einige Jahre vor 2019, also vor der Corona-Pandemie (mit ihrem drastischen Einbruch) ein. Inzwischen erholen sich die Fallzahlen der Krankenhäuser jedoch wieder etwas. Es ist offen, wie die Entwicklung weitergeht.

 

Wirkung auf die Krankenkassen

Hier geht es um einen bisher weitgehend unbeachteten Aspekt: Schon jetzt zahlen die Krankenkassen für die gleichen DRGs (leicht) unterschiedliche Beträge. Diese Unterschiede resultieren aus den unterschiedlichen Landesbasisfallwerten (über deren Sinnhaftigkeit man auch diskutieren könnte[7]). Unterschiedliche Belastungen ergeben sich auch daraus, dass die Kassen bei den gleichen Morbiditätsgruppen verschiedene Anteile der stationären und ambulanten Leistungskosten aufweisen. Höhere stationäre Anteile machen die jeweiligen Fälle tendenziell teurer. Die Zuweisungen nach dem Risikostrukturausgleich (RSA) gehen jedoch grundsätzlich von im Bundesdurchschnitt gleichen Kosten für die Behandlung einer Morbi-Gruppe aus. Durch die Berechnung der Vorhaltekosten dürften sich die Unterschiede in den fallbezogenen Krankenhausrechnungen für die Krankenkassen aber weiter vergrößern.

Hinzu kommen die Unterschiede, die sich innerhalb eines Jahres bei der Abrechnung der einzelnen Fälle ergeben: Wenn die Fallzahl mit der berechneten landesdurchschnittlichen Vorhaltepauschale im ersten Quartal das „Vorhaltebudget“ des Krankenhauses nicht ausreichend füllt, soll auf die Abrechnung der weiteren Fälle dieses Hauses ein prozentualer Aufschlag erfolgen, mit dem das Vorhaltebudget im Laufe des Gesamtjahres mutmaßlich „erfüllt“ werden kann. Identische DRG-Fälle können somit im Laufe eines Jahres für die Kassen um z. B. zehn Prozent teurer werden (§ 6b, Abs. 3 KHEntgG). Darüber hinaus werden die verschiedenen Zuschläge für Koordinierungsaufgaben (§ 6a Abs. 5 KHG) bei den begünstigten Krankenhäusern abrechnungsrelevant. Es gilt der analoge Ausgleichmechanismus über das Jahr wie für das Vorhaltebudget (§ 5 Abs. 3j KHEntgG i.V. mit § 38 KHG). Schließlich wirken sich auch die Zuschläge für die Universitätskliniken unterschiedlich aus. Die „Förderbeträge für die Bereiche Pädiatrie, Geburtshilfe, Stroke Unit, Spezielle Traumatologie und Intensivmedizin“ (§ 39 KHG) sollen dagegen – soweit das aus dem Text des Arbeitsentwurfs zu entnehmen ist – wohl über die landesdurchschnittlichen Werte des Vorhaltebudgets erhoben werden und sich demnach nicht in krankenhausbezogenen Unterschieden bei den Kosten der entsprechenden DRG-Fälle auswirken.

Im Ergebnis kommt es zu unterschiedlichen Kosten der Krankenkassen für „gleiche“ Krankenhausfälle, was im RSA-Finanzierungssystem schlichtweg sinnwidrig ist. Dass die Krankenkassen die gesamte Reform finanzieren müssen (die erwähnten Zuschläge und Förderbeträge etc.), ist sowieso beschlossene Sache. Der Wegfall des Fixkostendegressionsabschlags (§ 4 Abs. 2a KHEntgG) bringt nur eine geringe Entlastung. Aber die Sicherstellungszuschläge (§ 136c Abs. 3 SGB V) bleiben; entgegen den Versprechungen, sie gingen in den Vorhaltepauschalen auf (jedenfalls bis auf weiteres).

Die Krankenhäuser fordern – nachvollziehbar, erst recht angesichts der (notwendig) längeren Übergangszeiten – eine finanzielle Unterstützung („Vorschaltgesetz“). Da der Bund nicht in der Lage ist, dafür Gelder freizumachen, sind die Länder gefordert. Die sind aber auch nicht willens, für eine – in ihren Augen vom Bund oktroyierte –Reform zu bezahlen. Die wahrscheinlichste Lösung dürfte daher sein, dass der Bundesgesundheitsminister die Zustimmung der Länder auch damit einkauft, dass die Krankenkassen verpflichtet werden, die Übergangskosten zu finanzieren. Das entsprechende Verfahren steht noch völlig in den Sternen, aber die Stimmung in der Politik ist dafür gut: Hat man doch gerade mit der Entscheidung des Schätzerkreises (mal wieder) die Erfahrung gemacht, dass die Warnungen der Kassen vor finanziellen Risiken nicht allzu ernst zu nehmen sind.

 

Bundesrat und Länder

Es ist keine Frage mehr, ob die Krankenhausreform kommt. Sie kommt in jedem Fall. Die Länder haben sich mit der Zustimmung zu dem Eckpunktepapier im Juli den Rückzug verbaut. Der Bundesgesundheitsminister ist ihnen schon in den Eckpunkten und erst recht im vorliegenden Gesetzentwurf so weit entgegengekommen, dass für eine Fundamentalopposition kein Grund mehr besteht. Hinzu kommt, dass der bisherige bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek für seinen eifrigen Wahlkampf mit dem CSU-Fraktionsvorsitz im Landtag belohnt worden ist und damit als Anführer der Reformkritiker ausfällt.

Und überhaupt: Wenn man sich die politische Konstellation im Bundesrat anschaut, muss als erstes festgestellt werden, dass sich mit den Landtagswahlen in Bayern und Hessen die Machtverhältnisse nicht verändert haben. Bayern war und bleibt das einzige Land, in dem keine der Ampel-Parteien in der Landesregierung vertreten ist. Daher konnte Holetschek im Juli auch als einziger die „Eckpunkte“ klar ablehnen. Die Enthaltung von Schleswig-Holstein (mit einer schwarz-grünen Koalition) war nur die konsequente Umsetzung der üblichen Klausel in Koalitionsverträgen: Bei Nicht-Übereinstimmung von Bund und Land – bei gleichzeitiger Beteiligung einer Partei der Bundeskoalition an der Landesregierung – wird Enthaltung vereinbart (was im Bundesrat bekanntlich als Nein-Stimme gewertet wird). Die anderen Länder haben den Eckpunkten offenbar wegen inhaltlicher Übereinstimmung zugestimmt, und der vorliegende Arbeitsentwurf entspricht im Großen und Ganzen auch der Vereinbarung vom Juli.

Natürlich haben die Länder ihre jeweils eigenen Interessen. So ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Landesregierungen in den „Bundesfarben“ den Gesetzentwürfen der Bundesregierung zustimmen. Trotzdem ergeben sich aus dem Farbenspiel der Parteien gewisse Wahrscheinlichkeiten ihres Stimmverhaltens. So hat die Ampel im Bundesrat nur 26 „eigene“ Stimmen (einschließlich der Koalitionen mit der LINKEN in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen). NRW (mit seinen sechs Stimmen) wird als Vorreiter in Sachen Leistungsgruppen die Reform ohnehin unterstützen. Andere Länder, wie Baden-Württemberg und Sachsen, die bisher eher zögerlich an Reformen ihrer Krankenhausgesetze gearbeitet haben, werden sich vom Bund einen Schub für ihre eigenen Initiativen erwarten. Und so weiter.

 

Bundesrat Zusammensetzung 04.23

 

Letztlich entscheidend sind die Ministerpräsidenten. Sie haben Sorgen um die Liquidität der Krankenhäuser und fordern daher, dass „die bundesrechtlichen Regelungen für die Vergütung der Krankenhäuser baldmöglichst dahingehend anzupassen (sind), dass Kostensteigerungen künftig vollständig und zeitnah berücksichtigt werden.“[8] Das betrifft vor allem die Betriebskostensteigerungen, insbesondere bei den Tarifkosten des Personals, die die Kassen (schneller) übernehmen müssten. (Das DRG-System reagiert tatsächlich stark verzögert auf Preissteigerungen.) Darüber hinaus treibt die Ministerpräsidenten die „öffentliche Debatte über eine drohende Pleitewelle der Krankenhäuser sowie die Sorgen der Bürger um „ihr“ Krankenhaus vor Ort“. Hier soll eine Verschiebung des Inkrafttretens des Krankenhaustransparenzgesetzes helfen, das sie mit seiner Einteilung der Kliniken in „Level“ als „Eingriff in die Planungshoheit der Länder“ kritisieren. „Erst wenn die Länder den Krankenhäusern Leistungsgruppen zugewiesen haben,“ dürfe „der Bund das geplante Transparenzverzeichnis auf der Basis von Leistungsgruppen veröffentlichen.“[9]

Das Drohpotenzial der Länder ist gleichwohl schwach. Gegen das zustimmungsfreie Transparenzgesetz dürfte im Bundesrat ein Einspruch (nach Art. 77 GG) kaum zu organisieren sein. Selbst eine weitere Verschiebung der Veröffentlichung des Transparenzverzeichnisses – bisher ist (zufolge dem Lauterbach-Brief vom 4. Oktober an die Landesgesundheitsminister) der 1. Mai 2024 vorgesehen – könnte der Minister gesichtswahrend überstehen. Im Wesentlichen geht es den Ländern aber darum, weiteres Spielmaterial für die Bund-Länder-Verhandlungen zum KHVVG zu schaffen und um die finanzielle Überbrückung des Übergangs zum neuen Finanzierungssystem. Ein größeres „Vorschaltgesetz“ mit Geld vom Bund – wie von den Ländern gefordert – wird es nicht geben.

Allerdings hat Minister Lauterbach bereits in seinem Schreiben zugesagt, dass im Krankenhaustransparenzgesetz noch entsprechende Änderungen vorgesehen werden sollen. Das betrifft die frühere Refinanzierung von Tarifsteigerungen beim Pflegepersonal, die Erhöhung des Pflegeentgeltwertes (von 230 auf 250 Euro) und einen früheren Mindererlösausgleich. „Weitere Vorschläge sind derzeit noch in Prüfung.“ De facto läuft das darauf hinaus, dass hier ein kleines „Vorschaltgesetz durch die Hintertür“[10] zustande kommt – vollständig zu Lasten der GKV.

 

Zeitplan

Nach allem, was bisher bekannt geworden ist, geht man im BMG von folgendem Zeitplan aus: Man benötigt nach der Verabschiedung des Gesetzes ca. zwei Jahre für den Planungsprozess. Bis Ende Oktober 2026 müssten die Leistungsgruppen zugewiesen sein. Das setzt jedoch voraus, dass die Länder gleich nach der Verabschiedung des KHVVG mit der entsprechenden Ausrichtung/Revision ihrer Landeskrankenhausgesetze beginnen. Schon das ist in den drei Ländern, in denen im September 2024 Landtagswahlen anstehenden (Brandenburg, Sachsen und Thüringen), ziemlich unwahrscheinlich und wird sich auf 2025 verschieben. Erst auf dieser Basis kann dann der Prozess der Zuweisung der Leistungsgruppen vorbereitet werden (mit allen länderinternen Abstimmungen unter den Betroffenen – das Verfahren in NRW hat zwei Jahre gedauert!). Dann soll es eine zweijährige „budgetneutrale“ Phase geben. Darauf soll eine Konvergenzphase von zwei Jahren folgen (66 % und 33 %). Das ist alles sehr ambitioniert und kann in den weiteren Verhandlungen durchaus noch deutlich gestreckt werden.

Wenn das KHVVG noch in diesem Jahr zu einem Referentenentwurf gerinnt (der mit den Ländern textlich abgestimmt ist), könnte es recht schnell zu einem Regierungsentwurf kommen. Zum Beispiel mit einer Paralleleinbringung durch die Ampelfraktionen im Bundestag könnten Bundesrat und Bundestag im ersten Quartal durchlaufen werden. Dann wäre ein Inkrafttreten zum 1. April 2024 durchaus denkbar. Früher wäre ziemlich unwahrscheinlich, und die angesprochenen Verfahrensschritte könnten durchaus auch noch länger dauern. Das Krankenhaustransparenzgesetz steht dagegen in der kommenden (42.) Woche mit der 2./3. Lesung auf der Tagesordnung des Bundestages.

 

Gesamteinschätzung

Wenn man die Vorschläge der Regierungskommission eins zu eins als Maßstab wählt, sind die bisherigen Ergebnisse nicht befriedigend und dürften noch weiter verwässert werden: Die Ausnahmeregelungen für die Länder bei der Zuweisung der Leistungsgruppen werden noch weicher, die Bestimmungen zu den Strukturvoraussetzungen für die LG (Qualitätsstandards und Abweichungsmöglichkeiten) werden gelockert, ihre Erfüllung durch (z.B. echte oder nur auf Papier geschriebene) „Kooperationen“ wird erleichtert, die Fristen für den Übergang werden verlängert; die Kassen dürften noch stärker mit den Transformationskosten belastet werden etc. Das hat man aber von Anfang an einpreisen müssen und ist deshalb nicht wirklich überraschend. Auch die Kritik, dass die in den Eckpunkten vereinbarten Wirkungsanalysen („Folgenabschätzung“ (Seite 2), Darlegung, „wie sektorenübergreifende Versorger … mithilfe von Tagessätzen auskömmlich agieren können“ (Seite 14) etc.) nur im engsten Verhandlungskreis kursieren oder überhaupt nicht erstellt wurden, ist beckmesserisch. Etwas halbwegs Präzises kann man doch erst sagen, wenn die Grundzüge der Reform stehen; und dann hängt ja vieles auch noch von den Entscheidungen der Länder ab.

Auch die angebliche Entbürokratisierung ist eine Schimäre. Nur politisch Naive glauben sowas. Bisher wurde noch jede Zusatzdokumentation, jeder bürokratische Mehraufwand bzw. alles, was die Bundestags-Routine im Vorblatt der Gesetzentwürfe den „Erfüllungsaufwand“ nennt, mit dieser Girlande verziert. Noch absurder ist die schon von der Regierungskommission in die Welt gesetzte (und von den Ampel-MdBs sowie den Ministeriums-Vertretern gerne wiederholte) Behauptung der „Kostenneutralität“ der Reform. Das war in Wirklichkeit nur das Vorab-Eingeständnis, dass der Bund kein zusätzliches Geld bereitstellen kann und will, bzw. das Signal an die Länder und die Krankenhäuser, dass sie sich auf karge Zeiten einstellen und für ihre Finanzierungsprobleme selber Lösungen finden müssen.

Entscheidend bleibt, dass mit der Einführung der Leistungsgruppen und Vorhaltebudgets erste Bausteine einer Richtungsänderung gesetzt werden, die nach und nach ausbaufähig sind. Auch das DRG-System hatte eine längere Vorlaufzeit und wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter ausdifferenziert. Entscheidend ist, dass jetzt Bewegung in die Sache kommt. Eine harte Prüfung dafür wird die notwendige (und zeitgerechte!) Umsetzung in 16 Landeskrankenhausgesetze sein. Hier könnten sich noch zusätzliche Komplikationen ergeben, etwa im Zusammenhang der drei 2024 anstehenden Landtagswahlen. Zum Beispiel, wenn es der AfD gelänge, sich erfolgreich an die Spitze einer Kampagne zur Erhaltung (tatsächlich oder vermeintlich) bedrohter Krankenhäuser zu setzen.

Anyway: Ein mittelgroßer Erfolg der Reform ist programmiert. Beileibe keine wirkliche Revolution. Aber doch der Beginn einer tiefgreifenden Weichenstellung. Absehbar ist: Der Umbau der Krankenhauslandschaft wird langsam und weniger radikal erfolgen, wie von vielen erwünscht. Aber etwas schneller als ohne diese Reform (wenngleich Konzentration und Spezialisierung bereits seit Jahren mit mittlerem Tempo stattfinden und auch zunehmend Kooperationen eingegangen werden). Statt dem „kalten Strukturwandel“ zuzuschauen[11], können die Länder künftig mehr steuernden Einfluss darauf nehmen, dass die „richtigen“ Krankenhäuser überleben. Die Länder sind dann in der Verantwortung! Wunderdinge, wie sie etwa bei den „sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ versprochen werden, sollte man dagegen nicht erwarten.

 

[1] So bezeichnet von dem Vor-Arbeiter Michael Weller (Abteilungsleiter 2 „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung“ im BMG) bei einer Veranstaltung der TK zur Krankenhausreform am 11.10.2023).

[2] CSU: „Regierungsprogramm der Christlich-Sozialen Union 2023–2028“, Seite 20. Freie Wähler: „Wahlprogramm zur Landtagswahl 2023“, Seite 34.

[3] Gegenteilige Beteuerungen des Ministers und seiner Mitstreiter gehören in das Reich der kontrafaktischen politischen Schutzbehauptungen.

[4] Vgl. Art. 77 GG.

[5] Vgl. Karin Overlack: „Vorhaltefinanzierung alles andere als Qualitätsoffensive?“, in Health & Care Management, 29. August 2023 und Andreas Schmid et al.: „Analyse der Vorhaltevergütung zur Reform des Krankenhaussektors“, Policy Paper im Auftrag des PKV-Verbandes, Bayreuth und München, 31.08.2023.

[6] Luisa-Maria Hollmig: Wenn Schließen keine Lösung ist“, in kma August 2023, Seite 34ff.

[7] In Flächenländern dürften die tatsächlichen Kostenniveaus der Kliniken zwischen den Regionen weiter auseinanderliegen als zwischen den Bundesländern. Beispiel Niedersachsen: Hannover versus Ostfriesland.

[8] Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vom 11. bis 13.Oktober 2023 in Frankfurt am Main zu TOP 12.

[9] Ebenda.

[10] Rebecca Beerheide bei der erwähnten TK-Veranstaltung.

[11] So berichtete Spiegel-Online: „Seit November 2022 haben nach Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) 26 Träger mit insgesamt 34 Krankenhäusern Insolvenz angemeldet. Weitere Pleiten seien unter anderem dadurch abgewendet worden, dass die örtlichen Kommunen als Retter einsprangen.“  Dabei dürfte es sich allerdings zum größten Teil um Planinsolvenzen in Eigenregie handeln, die vor allem der Entschuldung dienen und nicht bedeuten, dass diese Kliniken vom Markt genommen werden.

 

 

Lesen Sie weitere Beiträge des Autors zur Krankenhauspolitik im Observer Gesundheit: 

„Was ist eigentlich eine Regierungskommission“, Observer Gesundheit, 15. Juni 2023,

„Eine ziemlich andere Sichtweise auf die Krankenhäuser“, Observer Gesundheit, 7. Juni 2022,

„IGES-Gutachten zum AOP-Katalog: Der gute Aufschlag zeigt Entwicklungsbedarf“, Observer Gesundheit, 8. April 2022.

 


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