Was ist eigentlich eine Regierungskommission?

Einzelne Mitglieder arbeiten auch für die „Gegenseite“ und stellen eigene Empfehlungen infrage

Dr. Robert Paquet

Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen wurde im Mai 2022 die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ eingerichtet. Sie soll Empfehlungen vorlegen und Ziele für eine auf Leistungsgruppen und auf Versorgungsstufen basierende Krankenhausplanung formulieren. So heißt es auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG)[1]. Nach mehreren Veröffentlichungen der Kommission weiß man inzwischen nicht mehr so recht, was das für ein Gremium ist.

Hat es etwas zu beschließen? Wem ist es eigentlich verpflichtet? Gibt es eine Verbindlichkeit für die Mitglieder? Oder ist sie ein Expertenpool, den der Minister da und dort für eine Beratung in Anspruch nehmen kann? Auch andere Akteure können offenbar Experten buchen.

Für die Bundesregierung arbeiten viele Gremien; viele Ministerien haben Sachverständigenräte und Beiräte. Für bestimmte Aufgaben gibt es auch Expertenpools, die (wie beim Innovationsfonds) punktuell herangezogen werden können (§ 92b Abs. 6 SGB V). Beim Innovationsfonds gibt es zum Beispiel auch den Innovationsausschuss, der sich eine Geschäfts- und Verfahrensordnung gibt, in der er seine Arbeitsweise und die Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle regelt und unter anderem auch die Beauftragung der Experten aus dem Pool (Abs. 3). Der gesamtwirtschaftliche Sachverständigenrat liefert Jahresgutachten, die von allen Mitgliedern getragen werden. In einigen wenigen Fällen gibt es Sondervoten einzelner Mitglieder. Im Grunde sind aber alle bestrebt, sich gemeinsam zu äußern und sich – ggf. mit Kompromissen – zusammenzuraufen. Das gilt auch für den „Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege“ (§ 142 SGB V). Keinem Mitglied würde einfallen, sich nach der Vorlage eines Gutachtens leichthin davon zu distanzieren und eine andere Position zu vertreten.

 

Beiräte arbeiten unabhängig

Anders ist das bei Beiräten: So hat das Bundesministerium für Wirtschaft (und Klimaschutz) einen „Wissenschaftlichen Beirat“ mit 41 Mitgliedern. Er tagt in der Regel fünf Mal im Jahr und berät den Bundesminister „unabhängig in allen Fragen der Wirtschaftspolitik“. Die überwiegend wirtschaftsliberal orientierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wählen sich ihre Themen selbst und veröffentlichen ihre Ergebnisse anschließend in Form von Gutachten[2].

So kommt es, dass ihre Empfehlungen oft in völligem Gegensatz zu den politischen Orientierungen der zuständigen Minister stehen. Robert Habeck, Brigitte Zypries und Sigmar Gabriel würden sich z.B. die Empfehlungen des Gutachtens „Nachhaltige Finanzierung von Pflegeleistungen“ niemals zu eigen gemacht haben. Kritisiert wird nämlich dort das Sozialversicherungsmodell und empfohlen wird eine kapitalgedeckte und private Zusatz-Pflichtversicherung[3]. SPD und GRÜNE haben dazu völlig andere politische Vorstellungen. Aber das ist nicht weiter schlimm, ein Minister muss so manches aushalten, z.B. seinen Beirat. Der Beirat ist eben unabhängig.

 

Eigentümliche Auswahl der Mitglieder der Regierungskommission

Was ist nun aber eine Regierungskommission? Eigentümlich genug, dass Minister Lauterbach den Vorsitzenden, Prof. Dr. med. Tom Bschor, nach persönlicher Präferenz bestellt hat. Auch die anderen Mitglieder sind in ihrer Mehrheit Krankenhaus-affin und Maximalversorger-lastig. Sicher darf sich ein Minister seine Berater selbst aussuchen. Aber gilt das auch für eine „Regierungskommission“? Irritierend war dann auch, dass sich Lauterbach in der denkwürdigen Pressekonferenz Anfang Dezember 2022 die dritte Stellungnahme (zur Krankenhausstrukturreform) ohne jede Modifikation zu eigen gemacht hat. (Man erinnere sich: „Revolution“ und die Ansätze in NRW und Niedersachsen seien längst „nicht radikal“ genug etc.). Inzwischen hört man, dass die Kommission arbeitsteilig arbeitet. Zu diesem oder jenem Thema gebe es Arbeitsgruppen. Offen ist, ob (und wie) es ein Beschlussverfahren im Plenum gibt, bei dem sich alle (?) Mitglieder zu den Zwischenergebnissen erklären müssen. Wie wird abgestimmt? Erklärt wird bei den bisher vier Stellungnahmen nur, dass sie alle „einstimmig“ verabschiedet worden seien.

Unklar wird der Charakter bzw. Status der Regierungskommission aber auch, wenn etwa im Entwurf für das „Eckpunktepapier“ (BMG vom 31. Mai 2023) beschrieben wird, wie die „erstmalige Definition der Leistungsgruppen“ erfolgen soll. Auf der Grundlage der in NRW eingeführten Leistungsgruppen sollen nämlich das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) (warum das denn eigentlich?) „unter Einbeziehung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und Mitgliedern der Regierungskommission“[4] an einer Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung arbeiten. Wird die Regierungskommission damit zu einer Dauereinrichtung?

 

Mitglieder üben bei Fremdgutachten Kritik an eigenen Empfehlungen

Irritierend – vor diesem Hintergrund – sind aktuell auch zwei Ereignisse, die einzelne Mitglieder der Kommission betreffen. So hat Prof. Boris Augurzky zusammen mit seiner Forschungsfirma hcb schon im Februar für die Deutsche Krankhausgesellschaft (DKG) eine Studie zu den lokalen Auswirkungen der Pläne der Regierungskommission erstellt („Wo steht Ihr Haus aus Sicht der 3. Stellungnahme der Regierungskommission?“)[5]. Das Ergebnis war natürlich verheerend. Die DKG kommt auf der Grundlage dieser Studie zu dem Schluss, „dass von den heute rund 1700 Standorten ca. 630 entweder dem neuen Level 1i zugehörig wären oder keine Zuordnung zu einem Level bekämen. Darunter fallen viele potentielle Fachkliniken. Etwa 830 Kliniken wären Level 1n. Würde man dies noch mit der 30-Minuten-Regel kombinieren, würden von diesen ca. 560 weitere Kliniken zu 1i-Einrichtungen. In den beiden oberen Leveln wären es nach dieser Ausführung noch insgesamt rund 230 Krankenhäuser.“[6]

Ein analoger Vorgang betrifft das Kommissionsmitglied Prof. Dr. Stefan Huster. Er hat für die DKG ein Gutachten verfasst, nach dem – nur etwas vereinfacht gesagt – die Umsetzung der Vorschläge der Regierungskommission verfassungswidrig wären, wenn nicht erhebliche, zusätzliche flankierende Maßnahmen ergriffen würden. „Der Staat müsse zwingend reagieren, um Krankenhausinsolvenzen und daraus möglicherweise resultierende Versorgungslücken zu verhindern.“[7] „Ein Abwarten auf eine kalte Strukturbereinigung verletzt die Berufsfreiheit beziehungsweise Unternehmerfreiheit von freigemeinnützigen, kirchlichen und privaten Krankenhausträgern.“[8] Ein Mitglied der Regierungskommission, als Sozialrechts-Professor berufen, erklärt somit, die Vorschläge der Kommission seien verfassungsrechtlich bedenklich, mindestens ergänzungsbedürftig etc. Hätte ihm das nicht schon bei der Beschlussfassung zur dritten Stellungnahme einfallen sollen?

 

Aus anwaltlicher Sicht wäre es Mandantenverrat

Jenseits der Politik, d.h. im normalen Geschäftsverkehr von Zivilpersonen, hätte man die Vorstellung, dass die Mitglieder der Kommission zu ihren „einstimmig“ beschlossenen Empfehlungen auch stehen. Wenn nun Mitglieder der Kommission für diejenigen, die sich als Opfer bzw. zentral Beeinträchtigte der Reformpläne sehen, unterstützende Gutachten erstellen (und damit sicher auch Geld verdienen), macht das zumindest stutzig. Wäre die Regierungskommission ein Gericht, würden die Mitglieder, die sich so äußern, spätestens bei der nächsten Sitzung wegen Befangenheit vom Verfahren ausgeschlossen. Aus einer anwaltlichen Sicht wäre es Mandantenverrat, wenn man gleichzeitig für Kläger und Beklagte tätig würde. Die Frage ist daher noch mal zu wiederholen: Was ist eigentlich eine Regierungskommission? Und welche Regeln gelten für ihre Mitglieder?

Man muss dabei den Rechtsstaat noch nicht einmal auf der abschüssigen Bahn der Korruption sehen. Aber dass man an Problemen, die man – via Regierungskommission – selbst mitgeschaffen hat – auch noch durch Gutachten und Lösungsvorschläge Geld verdienen kann, wirft doch einige Fragen auf. Der Maßstab, den diese Regierung dazu z.B. in der Novelle des Lobbyregistergesetzes aufruft, ist sehr streng: „Mit dem Gesetz soll die Aussagekraft der Registereinträge im Lobbyregister gestärkt werden. Dies erfolgt unter anderem, indem Interessenvertretungen künftig den Gegenstand oder die Gegenstände der Einflussnahme benennen müssen. Zudem müssen bei Interessenvertretung im Auftrag eines anderen künftig differenziertere Angaben, insbesondere über die für die Interessenvertretung eingesetzten Finanzmittel, erfolgen. … Zudem wird der Anwendungsbereich um die Einbeziehung von Kontakten zu Ministerien ab Referentenebene erweitert.“[9] Gemessen an diesem „Level“ der Moral haben die Vorgänge um die Regierungskommission jedenfalls schon ein Geschmäckle.

 

[1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/gesundheitswesen/krankenhausreform.html

[2] https://www.bmwk.de/Navigation/DE/Ministerium/Beiraete/beiraete.html

[3] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/nachhaltige-finanzierungen-von-pflegeleistungen.pdf?__blob=publicationFile&v=1

[4] Hervorhebung vom Autor.

[5] https://www.vebeto.de/regierungskommission/

[6] DKG Pressemitteilung vom 13. Februar 2023 „DKG zur Auswirkungsanalyse der Vorschläge der Reformkommission – DKG plädiert für Augenmaß und bringt eigenen Vorschlag in die Reformdiskussion ein“

[7] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/143466/Gutachten-Staat-muss-Krankenhausinsolvenzen-verhindern

[8] https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/staatliches-handeln-verfassungsrechtlich-dringend-geboten/ – Dort gibt es auch einen Link zu dem Gutachten von Prof. Huster.

[9] https://www.observer-mis.de/data/exchange/MONITOR_CHRO/230526_BMI_KabV_Aenderung%20Lobbyregistergesetz.pdf


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