Die Dekade gegen den Krebs wird eine Dekade der Digitalisierung

Tino Sorge MdB, Mitglied des Gesundheitsausschusses und Berichterstatter für Digitalisierung und Gesundheitswirtschaft der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Jeder Krebspatient verdient eine Behandlung, die Gesundheitsdaten optimal nutzt. Die „Nationale Dekade gegen den Krebs“ muss in sechs konkreten Punkten zu greifbaren Verbesserungen führen. Ein Plädoyer.

Vor einem Monat riefen das Bundesgesundheits- und das Bundesforschungsministerium die „Nationale Dekade gegen den Krebs“ aus. Zu Recht, denn Krebserkrankungen zählen zu jenen tückischen Leiden, die wir oft noch nicht gut genug verstehen. Nicht alle lassen sich mit den Mitteln der heutigen Medizin bekämpfen, nur wenige gänzlich heilen.

Ein erklärter Schwerpunkt der Dekade wird in der Digitalisierung liegen. So sollen personalisierte Therapieansätze verbessert, der Einsatz digitaler Technologien und Prozesse vertieft und der Datentransfer zwischen Behandlungspraxis und Wissenschaft ausgebaut werden. Die Potenziale für die Betroffenen sind enorm. Um nur drei Beispiele zu nennen: Bei der Hautkrebs-Früherkennung können Computerprogramme Bilder verlässlicher auswerten als der Arzt mit bloßem Auge. Bei Genanalysen und pathologischen Tests fallen Daten an, die Schwachstellen an Tumorzellen sichtbar machen können. Und künftig könnten sogar ganze Behandlungsansätze in digitalen Modellen simuliert werden – ohne Risiko für den Patienten.

Damit die Dekade derart greifbare Verbesserungen mit sich bringt, insbesondere in Form einer besser digitalisierten Krebsmedizin, müssen wir in den folgenden sechs Bereichen an Tempo gewinnen:

 

 I. Behandelnde Ärzte zur Datennutzung befähigen

Es muss zur Selbstverständlichkeit werden, dass behandelnde Ärzte im Interesse der Krebspatienten Daten nutzen und zusammenführen dürfen. Wo Daten Leben retten können, wäre falsch verstandener Datenschutz völlig fehl am Platz. Jeder Krebspatient hat das Recht auf eine Behandlung, die alle verfügbaren medizinischen Daten optimal nutzt. Ich wünsche mir, dass das datengestützte Tumorboard in Deutschland zum Behandlungsstandard wird.

 

II. Kliniken digital aufrüsten: Länder endlich in die Pflicht nehmen

Solche Fortschritte in der Digitalisierung werden für spezialisierte Kliniken nicht ohne zusätzliche Investitionen in IT-Ausstattung zu bewältigen sein. Darum erwarte ich, dass die Bundesländer ihren Verpflichtungen zur Übernahme von Investitionskosten endlich voll nachkommen. Sollte sich die Verweigerungshaltung einzelner Länder fortsetzen, wird der Bund stärker eingreifen müssen.

 

III. Elektronische Gesundheitsakte für Krebspatienten nutzbar machen

Auch die eGA und die dazugehörigen Strukturen werden wir auf die Erfordernisse von Krebspatienten zuschneiden müssen. Existierende Lösungen wie Databox oder die vernetzte und forschungskompatible Patientenakte der Deutschen Hochschulmedizin zeigen: Dazu müssen wir das Rad nicht neu erfinden.

Bei der Bedienbarkeit der eGA müssen die Ansprüche schwerstkranker Chroniker ausschlaggebend sein. Sie müssen parallel mit mehreren Leistungserbringern kommunizieren können, ohne den Überblick zu verlieren. Die Akte wird Erinnerungen und Terminvereinbarungen für Behandlung und Nachsorge bieten müssen. Anbieter müssen in der Lage sein, große Datenmengen sicher zu verarbeiten. Und: Eine elektronische Gesundheitsakte sollte anschlussfähig sein für die medizinische Forschung, beispielsweise mit einer transparenten Zustimmungsoption, bei Studien mitzuwirken.

 

IV. Vorsorge: Einladung digital statt per Massenbrief

Vorsorgeangebote, zum Beispiel bei Brust- oder Darmkrebs, fördern die Früherkennung und tragen seit Jahren dazu bei, dass die Krebssterberaten in Deutschland sinken. Ich erwarte, dass alle in Frage kommenden Personen freundlich, aber bestimmt auf diese freiwillige Möglichkeit der Vorsorgeuntersuchung hingewiesen werden. Nicht per Massenbrief, sondern mit einer individuellen Benachrichtigung, zum Beispiel per App oder Mail der Krankenkasse – und direktem Link zur Terminvereinbarung beim Arzt in der Nähe. Das ist zielgerichteter, personalisierter und günstiger.

 

V. Leitlinien: Patientengerechte „Übersetzung“ und Digitalisierung

Leitlinien sind für Krebsmediziner Pflichtlektüre. Doch heutzutage leiten sie nicht nur den behandelnden Arzt, sondern immer öfter auch den Patienten und seine Angehörigen durch die Behandlung.

Gerade diejenigen Betroffenen, die sich als Laien gezwungenermaßen mit onkologischen Fachthemen beschäftigen müssen, verdienen eine alltagstaugliche „Übersetzung“ von Leitlinien – und unkomplizierten Zugang zu entsprechenden Informationsangeboten, eingebettet in die elektronische Gesundheitsakte. So wäre der Patient besser vorbereitet für Gespräche mit Ärzten, Apothekern, Pflegepersonal oder auch der Krankenkasse.

 

VI. Krebsforschung: nicht an Landesgrenzen scheitern lassen

Forschungsinitiativen, Krebsregister und Biodatenbanken sind heute noch viel zu oft auf Landesebene organisiert. Die Folge sind unnötige Parallelstrukturen und der Umstand, dass länderübergreifende Krebsforschung regelmäßig durch uneinheitliches Landesdatenschutzrecht ausgebremst wird. Das kann sich unsere Spitzenmedizin nicht erlauben. Das wäre ein falsches Verständnis von Föderalismus.

 

Und nun: Das Momentum des Aufbruchs weitertragen

Das Interesse der Fachwelt wie auch der Öffentlichkeit an der Dekade ist und bleibt groß. Die Beteiligten haben ihre Arbeit aufgenommen. Drei Arbeitsgruppen werden in diesem Jahr jeweils dreimal, ein Strategiekreis weitere zwei Male tagen. Doch auch außerhalb der Gremien gilt es, die Dekade und ihr Momentum des Aufbruchs weiterzutragen. Im Herbst 2019 werden die ersten Konzeptpapiere des Strategiekreises zur öffentlichen Konsultation bereitliegen. Die Erwartungen an das kommende Jahrzehnt sind hoch. Ob sie erfüllt worden sind, werden spätestens im Jahr 2029 neue und alte Gesundheitspolitiker beurteilen.

 


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