KI gemeinsam mit Leben füllen

Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)

Die Künstliche Intelligenz (KI) bietet für die Gesundheitsversorgung vielfach beschriebene Möglichkeiten. Es wird Zeit, den Begriff mit Leben zu füllen. Dafür braucht es eine konstruktive Diskussion der ethischen Dimension und die richtigen regulatorischen Entscheidungen.

„Künstliche Intelligenz schlägt Hautärzte bei der Diagnose von schwarzem Hautkrebs“ – die in den letzten Monaten vielzitierte Erkenntnis aus Heidelberg zeigt exemplarisch, wie weit digitale Gesundheitslösungen bereits zum heutigen Zeitpunkt gekommen sind. Sie können die Versorgung der Bevölkerung und die Arbeit der Leistungserbringer spürbar verbessern. In Forschung und Entwicklung entstehen derweil laufend neue Produkte, die ihrem Einsatz in der Praxis jeden Tag ein Stück näher rücken.

Daher die gute Nachricht direkt zu Beginn: Wir sind auf dem richtigen Weg. Mit dem Gesetzentwurf für ein Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) setzt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ein Ausrufezeichen für den Einsatz und die Vergütung von digitalen Gesundheitslösungen. Gleichzeitig verfügen die Unternehmen aus der industriellen Gesundheitswirtschaft in Deutschland über die entsprechend innovativen Produktlösungen.

Auf Veranstaltungen und in Artikeln werden die Chancen der KI für die Gesundheitsversorgung betont und Risiken diskutiert. An dieser Stelle stoppt – zumindest der öffentliche – Diskurs häufig. Da aber nicht länger von einem abstrakten Zukunftsszenario die Rede ist, sondern KI-basierte Technologien schon eingesetzt werden bzw. auf einen Einsatz warten, ist es an der Zeit, die nächsten Schritte sowie offene Fragen konkret anzugehen. Die Debatte und die Begriffe müssen mit Leben gefüllt werden.

 

Ethische Fragen in der Gesundheitsversorgung besonders sensibel

Übergeordnet und zunächst abstrakt erscheint die Frage der ethischen Dimension. Diese ist nicht allein auf den Gesundheitssektor beschränkt, sondern betrifft alle Bereiche, in denen KI heute und in Zukunft zum Einsatz kommt. Im Bereich Gesundheit sind ethische Fragen besonders sensibel. So stehen den berechtigten Sorgen in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz nicht weniger als die individuelle Gesundheit und verbesserte Heilungschancen gegenüber.

Mit der ethischen Dimension bei der Nutzung von Daten, gerade für den Einsatz von KI-basierten Technologien unter anderem im Gesundheitssektor, beschäftigt sich derzeit die Datenethikkommission (DEK) der Bundesregierung. Die für den Herbst erwarteten Ergebnisse werden sicherlich nicht das Ende der Diskussion sein, können aber wichtige Leitlinien für die nächsten Schritte bilden.

Im ethischen Diskurs zu einem digitalen Gesundheitssystem stehen oft Argumente zu Verantwortung und menschlicher Kontrolle von KI im Mittelpunkt. Eine Gesellschaft muss sich umgekehrt aber auch die Frage stellen, ob es nicht gerade ethisch geboten ist, die vorhandenen Möglichkeiten so schnell wie möglich für alle Patienten zugänglich zu machen. Und wenn man diese mit Ja beantwortet: Welche Schritte müssen umgesetzt werden, um die Risiken zu minimieren oder ganz auszuräumen?

 

Gesundheitsdaten für Forschung und Entwicklung

Die Arbeit der DEK kann ein Kompass bei der Ausrichtung und Anpassung der regulatorischen Rahmenbedingungen sein. Bei KI-basierten Gesundheitsanwendungen betrifft das insbesondere Daten. Um ihr gesamtes Potenzial ausschöpfen zu können, sind die digitalen Produkte auf große Mengen qualitativ hochwertiger, strukturiert aufbereiteter und aktueller Gesundheitsdaten angewiesen. Das gilt für Forschung und Entwicklung, aber auch für den täglichen Einsatz. Trotz großer Chancen durch internationale Kooperationen erfordert die Anwendung im Gesundheitsbereich zudem regionalspezifische Daten. Ein Zugang beispielsweise zu großen Datenpools in den USA oder China kann in Europa oft nur begrenzte Erkenntnisse ermöglichen oder sogar kontraproduktiv sein.

Ausgangspunkt muss immer der Patient sein, der über die Verwendung seiner Daten entscheidet. Dazu zählt das Recht, beispielsweise in einer elektronischen Patientenakte bestimmte Informationen bewusst nicht zu teilen. Auf der anderen Seite muss es für die Patienten einen unbürokratischen Weg geben, Daten in pseudo- oder bestenfalls anonymisierter Form für Forschung und Weiterentwicklung in Wissenschaft und Gesundheitswirtschaft zur Verfügung zu stellen. Hier ist der Gesetzgeber am Zug, Rechtssicherheit für das Forschungsprivileg und die Weiterverarbeitung über den eigentlichen Zweck hinaus herzustellen. Darüber hinaus bedarf es dringend einer bundeseinheitlichen Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

Institutionell hat der BDI unter anderem die Idee eines Trust-Centers für Gesundheitsdaten in die Debatte eingebracht. Dieses könnte als unabhängiger Treuhänder personenbezogene Gesundheitsdaten verknüpfen und verwalten sowie über einen Prozess der Verschlüsselung, Entschlüsselung und einer Datenzugriffsregelung in einer hohen Qualität verfügbar machen.

Das in Ergänzung zum DVG zeitnah angekündigte Datenschutzgesetz bietet eine gute Gelegenheit, diese regulatorischen Punkte anzugehen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um die beschworenen Chancen der KI im Gesundheitswesen auch tatsächlich mit Leben zu füllen.

 

Fazit

Eine konstruktive Diskussion der ethischen Fragen beim Einsatz von KI in der Gesundheitsversorgung ist der Schlüssel zur Herstellung von Vertrauen in technologische Lösungen. Die Ergebnisse der DEK können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. In der Abwägung von Chancen und Risiken überwiegen die Chancen deutlich. Die Festlegung der notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik, Selbstverwaltung und Wirtschaft – im Interesse der Patienten und Leistungserbringer. Der weitere Weg zur Digitalisierung des Gesundheitswesens kann nur gemeinsam beschritten werden.


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