Digital-Gesetze: Reicht dies zur digitalen Transformation?

Anhörungen zum DiGiG und GDNG bringen Fehlerhaftes zum Vorschein

Pia Maier, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Internetmedizin

Die Euphorie ist weg. Wo vor wenigen Jahren noch Aufbruchstimmung mit Blick auf die Digitalisierung herrschte, wirkt jetzt alles eher träge, so behäbig wie all die anderen Bereiche des Gesundheitswesens, in denen die Akteure wissen: Hier ändert sich nichts schnell und schon gar nicht grundlegend. Auch, wenn ein Gesetz Beschleunigung im Namen trägt, heißt das noch lange nicht, dass die Dinge nun schnell gehen würden.

Die vergangenen Jahre haben gezeigt: Schnell ist nicht immer gut, und kurze Fristen, die nicht einhaltbar sind, nützen auch nichts. Die agile Gesetzgebung weicht einer handwerklich besseren Machart, die angegangenen Themen sind realistisch und durchdacht – aber eben auch wenig fancy. Entsprechend gab es weder in den Anhörungen noch in den Stellungnahmen massive Kritik am Herangehen, an den Konzepten und den grundlegenden Entscheidungen, die in den Entwürfen stecken. Trotzdem gibt es noch ein paar Felder der Auseinandersetzung, die vielleicht auch in Änderungsanträgen münden werden. Und es bleibt die Frage, ob diese beiden Digitalgesetze wirklich zur digitalen Transformation ausreichen.

 

Gemeinwohlorientierung der Forschungszwecke, Daten aus der ePA

Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) stellt die Forschung mit Routinedaten der Krankenkassen, der Krebsregisterdaten und von Daten aus der elektronischen Patientenakte (ePA) auf eine völlig neue Grundlage – die überhaupt nicht bestritten oder kritisiert wurde. In Frage steht lediglich die Organisation der Widerspruchsmöglichkeiten für Daten aus den elektronischen Patientenakten. Hier dominierte bei den Fragen und Antworten aber auch der Ansatz, dass man das gut organisieren müsse, nicht etwa die grundsätzliche Kritik. Von klarstellenden Justierungen, wie nutzerfreundlich und transparent die ePA den Widerspruch künftig organisieren wird, ist auszugehen. Dabei wird es eher darum gehen, noch mehr Optionen aufzumachen, während man es gleichzeitig möglichst einfach und nachvollziehbar gestalten solle. Wie diese logische Knobelei aufgelöst werden soll, blieb offen.

In der Debatte ist auch der Begriff der Gemeinwohlorientierung, der einigen Fragenden und Antwortenden zu unklar war. Der Vorschlag des Ethikrates wäre hier vielleicht tatsächlich eine Brücke: Der Ethikrat spricht lieber von Patientenwohl und Versorgungsverbesserungen, wenn es um die Datennutzung geht. Letztlich geht es bei allen Begriffen am Ende darum, wie sie in den konkreten Entscheidungen definiert und gelebt werden. Jeder Begriff kann hier eng oder weit ausgelegt werden. Patientenwohl und Versorgungsverbesserung wären aber konkreter im Gesundheitswesen verankert als das Gemeinwohl.

Das Gesetz schafft formal eine wichtige Grundlage für weitere Digitalisierung, denn die Arbeit mit Daten wäre eine wesentliche Grundlage für ein datengetriebenes digitalisiertes Gesundheitswesen. Offen bleibt, wie der Zugang zu Daten dann umgesetzt wird; die Debatte zeigte eher, dass es Vorbehalte gegen die breite Nutzung von anonymisierten Daten gibt. Und damit fehlt ein wichtiger Baustein im Verständnis der digitalen Transformation.

 

Umsetzung der Opt-Out-ePA in Details noch unklar

Angesichts des massiven Eingriffs in die Gestaltung der ePA, die mit dem Digitalisierungsgesetz (DigiG) vorgenommen wird, waren die Fragen wie auch die Antworten wenig aufregend. Es bestreitet niemand, dass eine Opt-Out-ePA mit strukturierten Daten eine sinnvolle Sache ist, allein um einige Details wird gerungen. Das ist angesichts der langen Vorgeschichte und der Finanzen, die bereits in die Entwicklung der vorhandenen ePA geflossen sind, durchaus erstaunlich.

Zahlreiche Fragen drehten sich um die Möglichkeit, wie die Versicherten ihren Widerspruch gegen die ePA einreichen können – hier scheinen die Wahlmöglichkeiten, insbesondere auch die analogen Optionen, noch nicht ausreichend berücksichtigt zu sein.

Zum Thema Verschatten versus Löschen von Daten bekamen die ärztlichen Stimmen in der Anhörung viel Raum, sicherlich auch um manche innerparteiliche Debatte mit Argumenten zu füttern. Ärzt:innen wünschen sich – im Interesse ihrer Patient:innen – eine Verschattung, die ihnen die Möglichkeit gibt, gezielter nachzufragen und mögliche Gefahren zu benennen. Die Seite der Patient:innen war hier in der Anhörung eher unterrepräsentiert, dort wurden die Souveränität und Schutz vor Diskriminierung hochgehalten, die sich gegen den paternalistischen Ansatz der Ärzteschaft wendet. Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, sagte fairerweise: Auch im Gespräch können Dinge verschwiegen werden. Wie der Änderungsantrag dazu aussehen wird, ist schwer vorauszusagen, die Gemengelage aus Selbstbestimmung und Diskriminierungsschutz einerseits und ärztlicher Fürsorge andererseits bräuchte mehr ethische Debatten, als in der Anhörung Raum war.

Die Opt-Out-ePA wird ohne Frage ein großer und wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Selbstbeschränkung auf den Ausbau des Bereichs Medikation zeigt aber auch, wie weit der Weg noch ist, wenn er im Detail durch den Gesetzgeber vorgegeben werden muss. Wettbewerblichere Strukturen, die Öffnung für andere Anbieter, hätten schon ganz andere Lösungen parat.

 

Patientenindividuelle Analysen der Kassendaten durch die Krankenkassen

Einer der größten Streitpunkte im GDNG ist der Paragraf 25b SGB V, der den Kassen künftig das Recht zu patientenindividuellen Analysen der Kassendaten zuspricht. Eingeschränkt auf bestimmte Fragestellungen, die wiederum jedoch sehr weit gefasst sind, wenn es zum Beispiel um das Erkennen von Gesundheitsgefahren geht. Die Regierungsfraktionen gaben hier den Vertreter:innen der Krankenkassen auffallend viel Raum darzustellen, welche Möglichkeiten sich daraus zum Schutz ihrer Versicherten ergeben. Die Gegenseite der Ärzteschaft befragte dazu nahezu ausschließlich die Opposition. Hier würde ich ein Gefecht im Plenum, nicht aber grundlegende Änderungsanträge aus den Regierungsfraktionen erwarten.

Hierbei handelt es sich um einen der größten Schritte hin zu einem datengetriebenen Gesundheitswesen, den dieses Gesetz zu gehen bereit ist. Allerdings sehr parteiisch zugunsten der Krankenkassen. Keine andere Stelle hat schneller umfassendere Daten über die Vorgänge im Gesundheitswesen als die Kassen. An keiner anderen Stelle wird aber auch so deutlich, dass wir mit all diesen Daten nicht die Realität abbilden, sondern die Bedingungen der Abrechnung. Diese Änderung hat das Potenzial, Versicherte massiv gegen die Nutzung ihrer Daten aufzubringen – denn hier geht es um personalisierte Analysen (was über den Weg des Forschungsdatenzentrums nie möglich wäre). Wenn hier offenbar wird, wie wenig aussagekräftig über den echten Gesundheitszustand diese Daten sind, wie manipulierbar das Abrechnungssystem, könnte viel Bereitschaft zum Daten teilen kaputt gemacht werden.

 

DiGA: erfolgsabhängige Vergütung und Risikoklasse IIb

Sowohl die Herstellerverbände wie auch der GKV-SV kritisieren die Idee der teilweisen erfolgsabhängigen Vergütung der DiGA. Da hier allein die FDP eine Frage stellte, scheint das Thema in den Verhandlungen eher keine Chance zu haben. Auffällig war hier eine Frage der Abgeordneten Martina Stamm-Fibich, SPD, die dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Gelegenheit gab, seine ablehnende Haltung zur Ausweitung des Fast-Track-Verfahrens auf digitale Produkte der Risikoklasse IIb zu geben.

Das deutet auf Paketlösungen hin: Wenn Ihr IIb-DiGA wollt, dann müsst Ihr auch erfolgsabhängige Vergütung und all die anderen kleinen Widrigkeiten gegen DiGA akzeptieren, die der Entwurf vorsieht. Leider scheinen DiGA eher den Reflex von mehr Regulierung auszulösen, als dass hier Raum zur Weiterentwicklung gegeben würde. So könnte die Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie des BMG aufgehen und der vorliegende Gesetzentwurf Bestand haben. Das inzwischen in vielen Staaten Europas nachgeahmte Projekt DiGA wird von den Abgeordneten nicht gefördert, sondern eher im Keim erstickt. Zum Glück setzen sich einige DiGA dennoch am Markt durch: Nur die Harten kommen in den Garten.

 

Sammelsurium und Fazit

Diskutiert wird offenbar auch die komplette Streichung der Begrenzung der Videosprechstunde – hier holte sich die Regierungskoalition einige Statements zur Bestätigung des Kurses. Es deutet sich eher eine Ausweitung an, dass auch mehr am Telefon beraten und abgerechnet werden kann, konkret im ärztlichen Notdienst, der derzeit nur die Videokonsultation als vollwertig ansieht.

Die Widersinnigkeit des Systems konnte der Hausärztinnen- und Hausärzteverband gut darstellen: Gefragt nach dem Wiederholungsrezept wurde klar – das läuft nicht, wenn aus finanziellen Erwägungen die Arztpraxen Chroniker:innen zweimal im Quartal einbestellen müssen, um den notwendigen Umsatz zu generieren. Klar, dass dann niemand ein Wiederholungsrezept ausstellt. Die Frage war klug, die Antwort offen, allein daran wird sich auch in diesen beiden Gesetzen nichts ändern.

Insgesamt zeigt die Anhörung, dass die Grundlinien der Gesetzentwürfe nicht umstritten sind und nur an Details nachjustiert wird; dazu könnten auch noch weitere Fristen gehören, die von verschiedenen Stellen gerade gerissen werden. Entsprechend werden die fachlichen Änderungsanträge wenig Aufregendes bieten. Auch die Tendenz zur Rechtsverordnung wird von den Abgeordneten akzeptiert, schließlich sind die Paragrafen auch so schon detailliert genug. Alle sind froh über die Schritte in die richtige Richtung und nehmen lieber den sprichwörtlichen Spatz in der Hand, als tiefgreifende weitere Forderungen zu stellen. Ernüchterung macht sich breit. Fachfremde Änderungsanträge könnten allerdings aus allen Richtungen kommen, nicht zuletzt, um die Haushaltsprobleme aufzulösen.

 

 

Lesen Sie auch diese Beiträge der Autorin:

Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz – sinnvolle Analysen oder willkürliche Datennutzung?“, Observer Gesundheit, 7. August 2023,

„Der DigiG-Entwurf nach der Anhörung im BMG“, Observer Gesundheit, 4. August 2023,

„DiGA: Listung, Verordnung – Pleite?“, Observer Gesundheit, 29. Mai 2023,

„Datenflüsse durch Europa – Chance oder Risiko?“, Observer Gesundheit, 15. März 2023.


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