DiGA: Listung, Verordnung – Pleite?

Pia Maier, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Internetmedizin

Nach der Insolvenz von zwei nach Verordnungszahlen extrem erfolgreichen DiGA-Herstellern ist die Frage gerechtfertigt: Trägt das Modell der DiGA? Die beiden Fälle unterscheiden sich deutlich, zeigen aber beide das Problem: Ungewissheit über den Preis und das damit verbundene hohe unternehmerische Risiko. Beide Fälle – „M-sense“ und „Zanadio“ – sollen hier analysiert und Schlüsse für die künftige Versorgung mit DiGA gezogen werden.

 

Fall 1: Scheitern beim Nachweis des medizinischen Nutzens

„M-sense Migräne“ wurde am 4. April 2022 auf Antrag des Herstellers aus dem Verzeichnis gestrichen.[1] Die Herstellerwebseite informierte im März 2022 darüber: „Leider konnten wir nicht alle Vorgaben für die dauerhafte Listung erfüllen. Zusätzlich haben wir seit unserer Zulassung als DiGA immer wieder gehört, dass ein Arztbesuch oder eine Videosprechstunde alle drei Monate für viele Migräniker:innen mit enormem Aufwand verbunden ist. Diese Tatsachen haben uns dazu bewogen, das Projekt ‚App auf Rezept‘ für uns zu beenden.“[2]

Mit dem Rückzug aus dem Verzeichnis kam der Hersteller wohl der negativen Bewertung der Studie zuvor. Der Vergütungsbetrag für eine DiGA in der Erprobung wird erst nach dem Vorliegen der Studie verhandelt, hier wurde die Schiedsstelle tätig. Heute steht M-Sense Migräne mit einem Vergütungsbetrag von zehn Euro im Verzeichnis. Die Schiedsstelle habe in ihrem Spruch berücksichtigt, dass keine Anreize auf Verlängerung der Erprobungsphase gesetzt werden sollen.[3] Diese Summe ist sicherlich kein Anreiz, zumal dieser Betrag für alle Verordnungen ab dem 13. Monat gilt, egal wie lange die DiGA noch im Verzeichnis gelistet war. M-sense Migräne kostete vor dem Schiedsspruch 219,98 Euro. Gelistet seit dem 16. Dezember 2020 wurde die DiGA insgesamt rund 12.000 Mal verordnet und steht damit nach Gesamtverordnungszahlen auf Platz 5 laut aktuellem DiGA-Bericht des GKV-SV.[4]

Bei einer Preisdifferenz von 209,98 Euro für jede DiGA, die ab dem 16. Dezember 2021 bis im Frühjahr 2022 verordnet wurde, kommt sicherlich eine enorme Summe an Rückzahlungen an den GKV-SV zusammen.

 

Fall 2: Niedrigerer Preis trotz guter Evaluation

Die DiGA „Zanadio“ konnte in der Erprobung bestehen und ist dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen worden, nachdem die Erprobungsphase auf insgesamt 22 Monate verlängert worden war. „Zanadio“ startete mit dem Herstellerpreis von 499,80 Euro und wurde nach der Verhandlung durch die Schiedsstelle auf 218 Euro festgesetzt. Für die Zeit der verlängerten Erprobung gilt zudem ein weiterer prozentualer Abschlag.[5]

„Zanadio“ ist die nach Gesamtverorndnungszahlen erfolgreichste DiGA: 28.000 Diga wurden seit 2020 verordnet.[6] Auch hier ist die Summe der Rückzahlungen für alle Verordnungen seit Oktober 2021 mit 314,50 bzw. 281,80 Euro pro Verordnung erheblich. Daraufhin hat der Hersteller aidhere ein vorläufiges Insolvenzverfahren angemeldet, setzt seinen Betrieb aber fort und bleibt verordnungsfähig.

Keine positiven Versorgungseffekte konnten die DiGA „CANKADO, ESYSTA, Rehappy und Selfapys Online-Kurs bei Panikstörungen“ nachweisen, wobei „ESYSTA“ die Studie mangels Teilnehmenden nicht vollendet hat. „Mika“ ist auf Antrag des Herstellers zurückgezogen, nach Herstellerangaben versucht Fosanis einen neuen Anlauf mit der Auswertung der Studie, die aber nicht im Zeitraum der Erprobung fertiggestellt werden konnte.[7] Für keine dieser DiGA sind bisher Vergütungsbeträge für die Zeit ab dem 13. Monat bekannt geworden.

 

Überblick über weitere verhandelte oder geschiedste Preise

Mit den Schiedssprüchen zu „velibra, elevida, deprexis“ und „vorvida“ hat die Schiedsstelle ein Modell entwickelt, das offenbar auch für Rückenschmerzen („vivira“) und weitere DiGA zu psychischen Indikationen stilbildend war.[8] Laut öffentlichen Aussagen wurden Vergleichspreise der Psychotherapie herangezogen. Die relativen Preisunterschiede fallen sehr hoch aus, das Preisniveau der DiGA bewegt sich nun um 200 Euro/Quartal (von 189 Euro für „Kalmeda“ bis 243 Euro für „elevida“).[9] Die feinen Unterschiede im Preisniveau spiegeln vermutlich einerseits die Studienqualität und die Deutlichkeit des Nachweises wider, im Fall von elevida kann auch die besondere Indikation Multiple Sklerose ein Grund für den vergleichsweise höheren Preis sein.

Darüber, ob das Niveau gerechtfertigt ist, lässt sich trefflich streiten. Die Herleitung für die Preise bei psychischen Indikationen war nachvollziehbar.[10] Auch Kosten von Physiotherapeuten lassen sich gut vergleichen. Ob eine dauerhafte Lebensstiländerung und nachweisliche Gewichtssenkung genauso in dieses Schema passen, muss hier offen bleiben. Bei Adipositas gibt es keine wirklich vergleichbare ebenso erfolgreiche Therapieform. Die Behandlung ist hier langfristig angelegt und wirkt in Vermeidung von Folgekosten, deren Nachweis allerdings immer schwerfällt. Hier könnten ähnliche Probleme zugrunde liegen, wie bei der frühen Nutzenbewertung für Wirkstoffe bei chronischen Erkrankungen.

Damit pegelt sich nun ein Preisniveau ein, auf das sich neue Hersteller einstellen können. Dann kann frühzeitiger entschieden werden, ob ein Geschäftsmodell dauerhaft tragfähig ist. DiGA haben vom Gesetzgeber und ausformuliert im Leitfaden für die Listung einige Anforderungen mitbekommen. Abgesehen von der Zertifizierung als Medizinprodukt sind auch weitere Anforderungen an die Sicherheit, den Datenschutz und die Interoperabilität des Produktes zu erfüllen. Außerdem muss Support für verordnende Ärzt:innen und für Patient:innen gewährleistet sein. Das alles erfordert ständige Arbeit an der DiGA, denn das Qualitäts- und Sicherheitsmanagement verlangen ständige Überprüfungen und Verbesserungen, um neue potenzielle Schwachstellen zu schließen.

 

Perspektiven

Diese dauerhaften Kosten brauchen einen gewissen Grundumsatz, der mit Preisen um 200 Euro wiederum nur bei einer gewissen Menge monatlicher Verordnungen erreichbar ist. Das Preisniveau verhindert möglicherweise einige medizinisch erfolgversprechende Ansätze, die sich aber an zu kleine Gruppen wenden, um die nötige Verordnungsmenge zu generieren. Außerdem werden auch aufwändige Apps, die viel Personalbedarf haben, eher nicht erfolgreich werden.

Erfolgreiches Unternehmertum als DiGA-Hersteller braucht ein gutes Marketing, um die DiGA bei den Verordnenden bekannt zu machen – was allerdings die Kosten in die Höhe treibt. Kooperationen mit Unternehmen, die in den Praxen über das Produkt sprechen können, lohnen sich also weiterhin. Außerdem bieten andere Vergütungswege die Chance, das Risiko der DiGA-Listung und Preisfindung zu minimieren. Selektivverträge können beim aktiven Marketing helfen und schaffen einen Ausgleich mit mehr Sicherheit.

 

[1] https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00315

[2] DAZ.online

[3] Zitiert nach https://www.ecker-ecker.de/application/files/5316/8059/3608/DiGA_Newsticker_DE_2023_04_04.pdf

[4] GKV-SV, DiGA-Bericht 2020-2022, Seite 34,
https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/telematik/digitales/2022_DiGA_Bericht_BMG.pdf

[5] https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00294/fachkreise

[6] GKV-SV, DiGA-Bericht, Seite 34,
https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/telematik/digitales/2022_DiGA_Bericht_BMG.pdf

[7] https://www.journalonko.de/news/lesen/permanente_erstattungsfaehigkeit_mika_app_angestrebt

[8] https://www.ecker-ecker.de/application/files/5316/8059/3608/DiGA_Newsticker_DE_2023_04_04.pdf

[9] Recherchierbar im DiGA-Verzeichnis diga.bfarm.de
oder mit Stand Februar 2023 auf einen Blick: https://hellobetter.de/aerzte-psychotherapeuten/diga-kosten/

[10] zum Beispiel Prof. Jürgen Wasem beim Hauptstadtkongress 2022: Kosten für Gruppentherapie vs. DiGA im psychischen Spektrum


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