Entwurf GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gleicht Vertrauensbruch

Tessa Wolf, Senior Director Governmental Affairs, Patient Affairs and Payer Affairs, AstraZeneca

Die Welt befindet sich im Krisenmodus. Die Pandemie und die aktuellen Entwicklungen haben vieles, worauf wir über Jahrzehnte vertraut haben, neu in Frage gestellt. Die Folge sind Verunsicherung und der Wunsch nach Stabilität und Orientierung. Mehr denn je kommt es heute auf Verlässlichkeit und starke Bündnisse und Partnerschaften an.

AstraZeneca hat den Anspruch, Verlässlichkeit zu garantieren. Und vielleicht waren wir als forschendes Pharmaunternehmen noch nie so im Fokus wie in den zurückliegenden 24 Monaten. In der Pandemie wurden extrem schnell sichere Impfstoffe entwickelt und zur Verfügung gestellt. Unser COVID-19-Impfstoff konnte dazu beitragen, weltweit über 6 Millionen Leben zu retten und wir haben ihn zum Selbstkostenpreis, sprich, ohne Gewinn abgegeben. Auch in den überwundenen und aktuellen Krisenzeiten stellen wir die Arzneimittelversorgung sicher und haben uns partnerschaftlich gezeigt.

 

Anspruch sind Stabilität und Verlässlichkeit

Diese Verlässlichkeit können wir und die gesamte Pharmabranche nur deshalb garantieren, weil wir unseren Partner:innen auf politischer Seite vertrauen. Verlässlichkeit kann aber nicht nur einseitig sein, beide Seiten müssen diesen Anspruch leben.

Um Patient:innen bestmöglich zu helfen, gehen wir ein großes Risiko ein. Wir müssen hohe Kosten für Forschung und Vermarktung aufbringen. Nur ein kleiner Teil der Produkte übersteht die verschiedenen Erprobungsphasen und erhält eine Zulassung. Um trotz dieser Hürden, verlässlich agieren zu können, brauchen wir stabile Rahmenbedingungen.

In den nächsten Tagen und Wochen wird das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz im Parlament beraten. Und der aktuelle Entwurf gleicht einem Vertrauensbruch. Denn der Pharmabranche gegenüber stellt sich die Regierung durch solche Gesetzentwürfe als unzuverlässig dar. Die mit dem Gesetz einhergehenden Maßnahmen widersprechen dem im Koalitionsvertrag festgehaltenen Bekenntnis, Deutschland als Pharma-Standort zu fördern, und es ergänzt die dort vorgesehenen Maßnahmen um ein Vielfaches.

 

„Leitplanken“ für Preisverhandlungen nehmen Innovationsanreiz

Wir verstehen, dass wir Wege finden müssen, die Kosten unseres Gesundheitssystems und die Beitragssätze der Krankenkassen auf einem akzeptablen Niveau zu halten und stimmen im Ziel mit der Politik überein. Nur sind wir der Meinung, dass es geeignetere und durchdachtere Maßnahmen gibt als Regelungen, die jeglichen Anreiz für Innovation nehmen. Das gilt in besonderem Maße für die im Regierungsentwurf vorgesehenen „Leitplanken“ für die Preisverhandlungen für Arzneimittel. Medikamente, die im komplexen Verfahren der frühen Nutzenbewertung nach AMNOG einen geringen bzw. nicht quantifizierbaren Zusatznutzen zum bisherigen Therapiestandard gezeigt haben, sollen nach der Vorstellung der Bundesregierung preislich mit der Substanz gleichgestellt werden, gegen die eine Verbesserung gezeigt wurde. Eine geringe Verbesserung kann aber bedeuten, dass Patient:innen eine Therapie erhalten, durch die sie weniger Nebenwirkungen erfahren oder Symptome stärker verringert werden als im Vergleich zum Standard. Ein nicht quantifizierbarer Zusatznutzen kann alles widerspiegeln. Einen geringen bis beträchtlichen Zusatznutzen.

Die therapeutische Verbesserung und die dahinterstehende Innovation würden mit den genannten Leitplanken wertlos. Zudem gibt es bereits ein dichtes Geflecht von Arzneimittelregulierungen. Diese vermeintlich kleine Anpassung wirkt sich auch auf andere Regelungen aus, potenziert ihre Wirkung und bremst Innovation. Ein fatales Zeichen für den Pharma-Standort Deutschland. Denn Rabatte kann man schnell wieder rückgängig machen. Dieser Eingriff in die Preisbildung führt dazu, dass Forschungsvorhaben langfristig angepasst werden und ändert damit die Versorgung.

 

Bessere Alternativen vorhanden

Dabei gibt es wirkungsvollere und auch effizientere Wege, die Kosten des Gesundheitssystems mittel- und langfristig stabil zu halten. Viele davon werden zurzeit von Expert:innen und Partner:innen der Selbstverwaltung diskutiert. Dazu gehört auch die Digitalisierung. Eine McKinsey-Studie in Kooperation mit dem Bundesverband Managed Care e.V. (BMC) zeigt, dass in der Digitalisierung des Gesundheitswesens ein Einsparpotenzial von 42 Milliarden Euro liegt. Möglich wird dies durch ein Zusammenspiel von Effizienzsteigerung etwa durch papierloses Datenhandling und eine Reduktion der Nachfrage, beispielsweise wenn Doppeluntersuchungen vermieden werden. Wenn wir Daten besser nutzen, können zudem kostenintensive Studien abgekürzt und gezieltere Therapien gefunden werden. Der kürzlich veröffentlichte Entwurf einer neuen Digitalstrategie der Bundesregierung zeigt erste Ansätze, sollte aber noch viel umfassender und konkreter werden.

Auch für die Preisgestaltung bei Arzneimitteln liegen viele Ideen und Konzepte auf dem Tisch – zum Beispiel innovative Vergütungsmodelle wie „Pay for Performance“, die Preise an den Therapieerfolg knüpfen. Wir übernehmen die Verantwortung dafür, dass ein Medikament das vorgesehene Ergebnis zeigt. Die Krankenkassen sind damit vor finanziellen Risiken geschützt und das Geld fließt dorthin, wo es einen nachweisbaren positiven Effekt für Patient:innen hat. Das ist ein einzigartiger Ansatz, den es in keiner anderen Branche gibt.

Es gibt viele solcher Beispiele, die einen viel wirkungsvolleren Hebel bieten, als pauschal alle Preise zu regulieren und Innovation unwirtschaftlich zu machen. AstraZeneca möchte weiterhin ein verlässlicher Partner und Motor für Innovationen sein. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bremst uns und viele weitere Akteur:innen aus. Wir sind bereit für die Diskussion, wie wir unser Gesundheitssystem zukunftsfähig und resilient aufstellen können. Differenziert, nachhaltig und wirkungsvoll – statt über kurzfristige pauschale Rabattvorgaben und Abgaben, deren Höhe willkürlich festgesetzt wird. Lassen Sie uns dazu diskutieren!


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