Zukunftsfragen der Menschheit grün, gerecht und solidarisch gestalten

Dr. Gerd Müller MdB, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Das Coronavirus hat sich in kürzester Zeit über alle Kontinente in nahezu allen Ländern verbreitet. Diese schwere Infektionskrankheit löste eine globale Gesundheitskrise aus mit mehr als 116 Millionen bestätigten Infektionen und über 2,5 Millionen Todesfällen. In Höchstgeschwindigkeit auch ist diese Gesundheitskrise zu einer Polypandemie herangewachsen – einer Mehrfachkrise, die weltweit Gesundheit, wirtschaftliche Entwicklung, Stabilität und Frieden gefährdet, bereits bestehende Herausforderungen und Ungleichheiten verstärkt und viele Entwicklungsfortschritte der vergangenen Jahre zunichtemacht. Daher ist es höchste Zeit, Konsequenzen aus der Krise zu ziehen, für den Weg aus der globalen Jahrhundertkrise zu lernen und künftigen Pandemien vorzubeugen.

Erstens: Diese Vielfachkrise hat alle Länder erfasst – reiche wie arme Staaten, stabile wie fragile Systeme. Am härtesten trifft sie die Armen: 130 Millionen Menschen fallen wegen Corona zusätzlich in Hunger und extreme Armut zurück. Daher brauchen wir umso mehr internationale Zusammenarbeit und Solidarität mit den Schwächsten der Welt. Sie müssen wir deutlich mehr unterstützen – aus humanitären Gründen und aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Wir müssen verstehen, dass wir COVID-19 und künftige Pandemien nur gemeinsam oder gar nicht besiegen können.

Deutschland hat deshalb mit einem Drei-Milliarden-Euro-Corona-Sofortprogramm und der Zusage von weiteren 1,5 Milliarden Euro zur Entwicklung und gerechten Verteilung von Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostika Zeichen der internationalen Solidarität gesetzt. Das Ziel ist, bis Ende 2021 mindestens 20 Prozent der Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern zu impfen. Aber die Finanzierung ist noch nicht gesichert.

 

Mehr Engagement in der Prävention

Zweitens: Um gegen künftige Pandemien gewappnet zu sein, müssen wir resiliente Strukturen schaffen und uns viel mehr und viel grundlegender in der Prävention engagieren. Das betrifft zum einen die Gesundheitssysteme: Sie brauchen qualifiziertes und ausreichend Personal für eine flächendeckende Versorgung, bezahlbare Medikamente, moderne Ausstattung und eine gesicherte Finanzierung. Es gilt ferner, die vorhandenen Kapazitäten in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu nutzen. Indien beispielsweise ist die Apotheke der Welt: Dort ist die grundlegende Infrastruktur vorhanden, und darum gibt es bereits Lizenzfertigungen von Produzenten mit indischen pharmazeutischen Unternehmen im ganz großen Stil. Ebenso ließen sich mit einer europäisch-afrikanischen Initiative Produktionskapazitäten direkt auf dem Nachbarkontinent aufbauen. Auch muss die Weltgesundheitsorganisation WHO zu einem Weltpandemie-Zentrum umgebaut werden – mit ausreichenden Mitteln, um zukünftige Krankheitsausbrüche weltweit erkennen, koordinieren und kontrollieren zu können. All das wären elementar wichtige Schritte, um die COVID-19-Pandemie und künftige Gesundheitskrisen zu bewältigen und ihnen vorzubeugen.

 

An den Ursachen ansetzen, statt Symptome bekämpfen

Drittens zeigt die Corona-Krise, wie alles miteinander verbunden ist. Denn so unangenehm es klingt: Corona ist auch eine Folge unserer Konsum- und Lebensgewohnheiten und unseres ausbeuterischen Umgangs mit der Natur. Wir rücken immer weiter in unberührte Natur vor, roden Wälder für billiges Soja oder Palmöl – das mittlerweile in jedem zweiten Supermarktprodukt enthalten ist wie Schokolade, Pizza oder Shampoo. Alle zwei Sekunden wird so die Fläche eines Fußballfeldes abgeholzt. Das ist selbstzerstörerisch. Denn, wo Wälder brennen und Wildtiere ausgerottet werden, verlieren Viren ihren bisherigen Wirt und springen leichter auf den Menschen über. Die für Tiere harmlosen Viren können beim Menschen dann schwere Infektionskrankheiten wie Covid-19 auslösen. Drei Viertel aller neu auftretenden Infektionskrankheiten stammen ursprünglich von Tieren. An diesen sogenannten Zoonosen sterben jedes Jahr 2,7 Millionen Menschen.

Wir müssen deshalb an den Ursachen ansetzen, anstatt nur die Symptome zu bekämpfen. Pandemieprävention erfordert so nicht nur ein Umdenken in den Gesundheitssystemen, sondern auch in unserem Konsumverhalten und Wirtschaftsstil. Denn es gibt keine menschliche Gesundheit auf einem kranken Planeten. Wir müssen das Verhältnis von Mensch und Natur, Werte des wirtschaftlichen Handelns und die Verantwortung zwischen Einzelnen und Gesellschaften neu denken.

 

One-Health-Ansatz zum Leitbild globaler Gesundheitsprävention machen

Neue Pandemien vermeiden wir nur, wenn wir auch die Ausbeutung von Mensch und Natur beenden und viel entschlossener in Forschung und Austausch auf politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene investieren. Denn Humanmedizin, Veterinärmedizin, Landwirtschaft und Ökologie müssen zusammengebracht werden. Die Zusammenarbeit dieser Forschungs- und Politikfelder bildet die Basis des One-Health-Ansatzes – dem Dreiklang aus der Gesundheit von Menschen, von Tieren und intakter Natur. Diesen Ansatz haben wir in der deutschen Entwicklungspolitik massiv ausgebaut – dazu gehören weltweit bessere Lebensmittelkontrollen und Veterinärdienste, eine nachhaltige Landwirtschaft und die Stärkung der Gesundheitssysteme. Zusammen mit Umweltschutzorganisationen haben wir auch eine weltweite Allianz gegründet, um die 50 gefährlichsten Wildtiermärkte zu schließen.

Jetzt müssen wir den nächsten Schritt gehen und gemeinsam diesen One-Health-Ansatz zum Leitbild bei globaler Gesundheitsprävention machen. Das ist dringend nötig. Virologen haben bereits Dutzende weitere zoonotische Viren mit Pandemiepotenzial identifiziert.

Corona ist ein Weckruf! Ein Zurück zur Normalität „vor Corona“ darf es nicht geben. Der wirtschaftliche Wiederaufbau in Deutschland und weltweit muss ein Paradigmenwechsel hin zu Nachhaltigkeit sein. Auch die 2021 kommenden Verhandlungen wie den Weltklimagipfel in Schottland und den Biodiversitätsgipfel in China sollten wir nutzen, ambitionierte Ziele für den Klima- und Artenschutz zu verabschieden.

Wir müssen umsteuern – die Natur schützen und Ressourcen schonen – und somit unsere eigene Gesundheit schützen. Wir haben noch neun Jahre, um die 17 Nachhaltigkeitsziele der VN bis 2030 zu erreichen. Wir stehen derzeit am Scheideweg: Wir können die erste Generation sein, die den Planeten an den Rand des Abgrunds führt. Oder die einen echten Wandel zu Nachhaltigkeit schafft. Ein „weiter so“ ist nicht möglich. Das ist die Lehre aus der der Corona-Pandemie. Wir müssen Verantwortung übernehmen und uns gemeinsam für eine gesunde und gerechte Globalisierung engagieren. Nicht irgendwann. Jetzt!


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