Die Eckpunkte der Krankenhausreform sind geschafft

Was geschieht nun?

Maximilian Gerade

Trotz allen Theaterdonners – die Einigung auf Eckpunkte war voraussehbar.[1] Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist die Krankenhausreform sein wesentliches „großes“ Prestigeprojekt in dieser Legislatur. Die Länder hoffen auf eine Entlastung bei der nicht mehr umkehrbaren Misere der Krankenhäuser in Deutschland. Beide Seiten waren letztendlich zum Erfolg verdammt: Bei einem Scheitern und dem sich zwangläufig anschließenden „Schwarzer-Peter-Spiel“ wären Bund und Länder beschädigt herausgekommen.

Weder für den Bundesminister und erst recht nicht für die Länder wäre eine andere Lösung in Sicht gewesen. Mit leeren Händen dastehen konnten sich beide nicht leisten – bekanntlich ist die Krankenhausversorgung insbesondere in den Ländern ein hoch emotionales Thema.

Dass ein chronischer Neinsager aus dem Süden Deutschlands nicht mitgezogen hat, ist eher eine Erleichterung, da man auf ihn im weiteren Prozess keine Rücksicht nehmen muss. Wie aber die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin – immerhin die nächste GMK-Vorsitzende – ihre Enthaltung erklären will, bleibt ein Rätsel. Was will sie uns und ihrem Wahlvolk mit einem solchen Votum zu so einer wichtigen gesundheitspolitischen Frage signalisieren? Dass sie nur ein bisschen dafür und ein bisschen dagegen ist? Oder dass sie keine Meinung hat?

Und Lauterbach? Durch seinen schweren taktischen Fehler, sich nicht von vornherein mit Nordrhein-Westfalen zu verbünden, sondern erst über irrlichterne Umwege auf diesen politisch naheliegenden Pfad einzuschwenken, hat der Minister viel Zeit, Kredit und Nerven verloren. Aber das ficht ihn äußerlich nicht an. Obwohl er gravierende Rückschritte und Zugeständnisse machen musste, bleibt Lauterbach bei seiner Revolutionstheorie, die er bei der Vorstellung der finalen Eckpunkte als eine „Art von Revolution“ nur gering abmilderte. Warum der Bundesgesundheitsminister auf solchen starken Ausdrücken beharrt, ist allein aus seiner Persönlichkeit heraus zu verstehen.

In Wirklichkeit ist es eben nur eine Reform, wenn auch eine bedeutende. Immerhin hat es 20 Jahre gedauert, bis auch Karl Lauterbach die von ihm damals ebenso wortstark vorgetragene Einführung des Voll-DRG-Abrechnungssystems als Fehler erkannt hat.[2]

 

Die Erarbeitung des Referentenentwurfs

Bekanntlich soll über die Sommerzeit der Gesetzentwurf unter Beteiligung von Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern erarbeitet werden. Wie kann man sich das vorstellen? Von den Ländern werden Fachbeamte benannt, entweder auf Referenten- oder auf Abteilungsleitungsebene. Die Abteilung 2 des BMG wird in eine gemeinsame Gruppe mit den Ländervertretungen die vorbereiteten Entwurfstexte peu à peu in die Beratung einspeisen. Zu früheren Zeiten funktionierte die dazu notwendige Abstimmung im Hintergrund des BMG reibungslos. Ob der jetzige Minister seinen Fachbeamten diesen Spielraum auf der Grundlage der Eckpunkte eröffnet oder ob er, wie in anderen Themen, mit seinen speziellen Ideen in die Beratungen hineingrätscht, bleibt abzuwarten.

Die vier Länder werden nicht mit einer Stimme sprechen. Die Interessen der Ostländer (vertreten von Mecklenburg-Vorpommern) sind eher strukturbewahrend, da dort das Krankenhausnetz bereits kräftig ausgedünnt ist. Die sektorenübergreifenden Krankenhäuser (ehemals Level Ii) sind für sie eine Bereicherung, wenn damit die notwendige Flexibilität und finanzielle Absicherung verbunden wird. Nordrhein-Westfalen wird darauf drängen, dass der Gesetzentwurf möglichst eins zu eins mit dem dortigen Landeskrankenhausgesetz kompatibel ist.

Baden-Württembergs Interesse liegt besonders in der Verknüpfung der im Land geförderten Primärversorgungszentren mit den sektorenübergreifenden Krankenhäusern (Level Ii) und in der Unterstützung des Kreuzzuges des dortigen Ministers gegen den G-BA. Hamburg hat die geringsten systemischen Sorgen in seiner Krankenhaus-Welt.

Neben der Exegese der Eckpunkte wird jedes Land versuchen, seine speziellen Interessen unterzubringen. Der gesetzgeberische Sachverstand und das juristische Kräfteverhältnis sprechen bei der Ausformulierung aber eher für den Bund als für einen wesentlichen Ländereinfluss. Es sollte fachlich gelingen, einen Gesetzentwurf nach der Sommerpause vorzulegen. Üblicherweise versteht sich die Beamtenebene deutlich besser als die politischen Akteure.

 

Mitnichten ist alles ganz einfach

Dafür sorgen schon viele sybillinische Formulierungen in den Eckpunkten, die in vielen Punkten erst konkretisiert werden müssen und in der Umsetzung noch völlig unklare Veränderungen auslösen können. Einige Beispiele:

  • Wie kann die in den 90er Jahren umgesetzte Strukturbereinigung in den neuen Ländern im Gesetzgebungsprozess abgebildet werden? (S. 4[3])
  • Was bedeutet das Wort „grundsätzlich“ bei der Einhaltung der Erlösneutralität? (S. 4)
  • Wie kann man vergütungsneutrale Ausnahmetatbestände bei den Leistungsgruppen gestalten, die den Ländern eingeräumt werden? (S. 7)
  • Wie kann das komplexe vierstufige Verfahren der Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung der Leistungsgruppen praktikabel gestaltet werden? (S. 8)
  • Wie können fallbezogene Tagessätze für die sektorenübergreifenden Krankenhäuser leistungsunabhängig formuliert werden? (S. 14)

 

Der Umgang mit dem Referentenentwurf

Noch nicht bekannt ist, ob der gesetzgeberische Vorschlag vorab politisch mit den Ländern beraten wird oder direkt ins formale Gesetzgebungsverfahren gegeben wird, in dem die Länder über den Bundesrat regelhaft einbezogen sind. Letzteres wäre ein Affront gegenüber den Ländern. Zumal vom Bund noch einige gesetzgeberisch nicht abzubildende Hausaufgaben vorzulegen sein. Es kommt sehr darauf an, wie der Bund seine vollmundigen Zusagen aus den Eckpunkten rechtzeitig und umfassend vorlegen kann. Darunter:

  • einen Beleg für die dauerhafte Sicherstellung und Entökonomisierung der Krankenhauslandschaft in den neuen Ländern zu präsentieren (S. 4),
  • eine Abschätzung der Folgen der Finanzreform mit konkreten nachvollziehbaren Zahlen und einem Ländervergleich vorzulegen (S. 4),
  • zu erklären, wie die sektorenübergreifenden Krankenhäuser mithilfe von Tagessätzen wirtschaftlich auskömmlich agieren können (S. 14)
  • und – vor allem – zu „prüfen, ob (wohlbemerkt: „ob“ nicht „wie“!) weitere Maßnahmen zur Liquiditätssicherung der Krankenhäuser …außerhalb des Bundeshaushaltes notwendig (nicht etwa: „möglich“!) sind“ (S. 2).

Wenn es wirklich, wie vereinbart, gelingt, bis zum Herbst eine Folgenabschätzung auf Krankenhausebene vorzulegen, dann könnte dies noch ungeahnte Auswirkungen nach sich ziehen. Eine solche Prognose kann sich als Brandbeschleuniger für eine Veränderung der jeweiligen länderbezogenen Krankenhauslandschaft erweisen. Dadurch würde erkennbar und vielleicht sogar öffentlich, welche Häuser in schweres Fahrwasser mit der Reform geraten werden. Die betroffenen Häuser hätten ab sofort keine Perspektive mehr. Finanzmittel, den Prozess aufzuhalten, sind bisher nicht in Sicht. Das jeweilige Land müsste sich des Vorwurfes aussetzen, mit ihrer Zustimmung zum Gesetz wissentlich schon Jahre vor der Umsetzung der Reform den Daumen über die betroffenen Häuser gesenkt zu haben. Eine solche Debatte wäre im jeweiligen Land nur sehr schwierig auszuhalten, zumal es pro Land mehrere Häuser betreffen wird.

Mit ihrem Konsens zu den Eckpunkten sind die Länder Teil der Reform geworden, aus der sie sich nur sehr schwer wieder zurückziehen können. Die Zustimmung zum Gesetzentwurf wird von daher die letzte Möglichkeit zur Optimierung der Bedingungen eröffnen.

 

Rätselraten um Gesetz zur Qualitätstransparenz

In den Eckpunkten hat der Bund ein eigenes Gesetz zur Qualitätstransparenz angekündigt, mit dem die Grundlage für eine Veröffentlichung der vorhandenen Qualitätsinformationen und das Leistungsangebote gelegt werden soll. Man kann rätseln, warum der Bund, statt sich der Mühen der Gesetzgebung zu unterwerfen, nicht einfach auf die Weiße Liste verweist, die jüngst für wesentliche Leistungen ein Krankenhaus-Ranking der Qualität vorgelegt hat. Auch bleibt unklar, wie das BMG für rund 80 Prozent des stationären Leistungsgeschehens, für die es bis heute keine qualitätsgesicherten Informationen gibt, eine Bewertung vornehmen will.

Offen ist, ob der Bund den Gesetzentwurf parallel zu den Beratungen der Krankenhausreform präsentiert, um die Länder ggfls. unter Druck zu setzen oder erst nach der Einigung mit den Ländern veröffentlicht, um seine schlechte Datenbasis für das Unterfangen zu kaschieren.

 

Große Frage der Finanzierung

Und da ist ja noch die kleine Frage nach dem großen Geld. Lauterbach ist in einer komfortablen Position. Für die finanzielle Unterfütterung des Umstellungsprozesses kann er viele Versprechungen machen, solange er sie nicht in die mittelfristige Finanzplanung des Bundes einstellen muss: Fast alle kostenträchtigen Positionen in den Eckpunkten greifen erst in der nächsten Legislaturperiode.

Die Versuchung ist deshalb sehr groß, sich gesetzgeberisch darauf zu verständigen, Finanzmittel von den Krankenkassen ab 2026/27 abzugreifen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben nach einer Nacht der Freude über die geeinten Eckpunkte am nächsten Tag auch bemerkt, dass sie der Zahlmeister für die Reform werden.

Einige Konkretisierungen sind in den Eckpunkten bereits aufgenommen: Die Kassen, die der Bundesminister für milliardenschwere Transformationskosten, zahlreiche neue Zuschläge und evtl. angepasste Landesbasiswerte heranziehen will, haben aufgrund ihrer Finanzlage und ihrer peinlichen Fehleinschätzung eines vermeintlichen Defizites aus dem letzten Jahr keine gute Ausgangslage zum glaubhaften Jammern – zumal ja alles noch so weit weg ist.

Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass bei nachhaltigen Hindernissen und Widerständen durch die Länder (siehe oben) das BMG die Kassen kurzfristig mit einem vorzuziehenden Inflationsausgleich und einer schnelleren Auszahlung der Pflegebudgets belasten wird. Zu Lasten Dritter kann man sich gerne großzügig zeigen.

 

Fazit

Karl Lauterbach hat seine Eckpunkte und den Auftrag für ein Gesetz bekommen. Dass er dabei viele Kröten hat schlucken müssen, interessiert heute nur noch einige Experten. Die Länder haben zwar ihre Planungshoheit bewahrt, aber neben dieser Rückwärtsverteidigung keine Sicherheit oder Zugeständnisse für den Prozess gewonnen. Sie werden den Veränderungsdruck ausbaden müssen, ohne die Mittel in der Hand zu haben, ihn zu steuern. Das heißt im Umkehrschluss: Bis 2027 ist Wildwest. Erst danach bekommen die Länder das Heft des Handelns wieder in die Hand. Was immer in den nächsten vier Jahren passiert – die Krankenhauslandschaft wird schrumpfen. Für die Regierungsparteien in den Ländern sind dies keine guten Ausgangslagen für anstehende Wahlen.

 

[1] Vgl. Maximilian Gerade: Hauptsache irgendein Gesetz… Zur Perspektive der Krankenhausreform, Observer Gesundheit, 26.4.2023. https://observer-gesundheit.de/hauptsache-irgendein-gesetz/

[2] Siehe Maximilian Gerade: „Die Revolution im eigenen Kopf“, Observer Gesundheit, 17. Dezember 2022

[3] Seitenverweise beziehen sich auf die finale Fassung der Eckpunkte.

 

 

Lesen Sie zur Krankenhausreform von Maximilian Gerade auch:

„Hauptsache irgendein Gesetz…“, Observer Gesundheit, 26. April 2023,

„Die Revolution im eigenen Kopf“, Observer Gesundheit, 17. Dezember 2022.


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