26.04.2023
Hauptsache irgendein Gesetz…
Zur Perspektive der Krankenhausreform
Maximilian Gerade
Man könnte meinen, es gäbe einen klaren und geeinten Fahrplan zur Krankenhausreform. Glaubt man die Agenda des BMG, wie sie Abteilungsleiter Michael Weller zuletzt auf dem Rechtssymposium des G-BA am 17. April vorgetragen hat, so soll Ende April, Anfang Mai die Präsentation eines „Basisvorschlags“ durch das Ministerium für das weitere Procedere erfolgen. Auf dieser Grundlage wird eine Modellierung beziehungsweise Folgenabschätzung bis auf die konkrete Krankenhausebene erarbeitet.
Im Juli münden die Konsultationen mit den Ländern in konsentierten Eckpunkten. Der Sommer wird zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfes genutzt, der Grundlage für die Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens im September sein wird. Und – „wenn alles gut läuft“ – tritt die große revolutionäre Krankenhausreform mit Jahresbeginn 2024 in Kraft. Allein, es mehren sich die Anzeichen und Konflikte, die einen konfliktfreien Durchmarsch in Frage stellen.
Ein Bundesminister wird daran gemessen, ob er Gesetzgebungsverfahren erfolgreich durchsetzen konnte. Die bisherige Bilanz von Gesundheitsminister Lauterbach sieht mau aus. Während sein Vorgänger 16 Gesetzgebungsverfahren in den ersten 16 Monaten abgeschlossen hatte, bringt Lauterbach es mit Mühe auf die Hälfte. Zugegeben, am Beginn der Legislaturperiode beschäftigte er sich noch mit den Ausläufern und Nachwehen von Corona, dennoch kann man bilanzieren, dass er gesetzliche Lösungen gegen den großen Reformstau im Gesundheitswesen noch nicht nachhaltig liefern konnte. Ein diesbezügliches Glanzstück fehlt. Vieles, was bisher gesetzlich auf den Weg gebracht wurde, ist eher vorläufiges Stückwerk (wie das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz oder das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG)), das baldige Nachbesserungen impliziert. Daneben bleiben nur immer wieder neue inhaltliche und terminliche Ankündigungen des Bundesministers im Gedächtnis, deren Einlösung auf sich warten lassen. Zu viele verkündete Fristen wurden gerissen (z.B. Versorgungsgesetz 1 und 2, Digitalisierungsgesetz 1 und 2, Bundesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst).
Der Bundesminister hatte bisher mit seinen Gesetzgebungsverfahren wenig politische Fortune: keine zusätzlichen Mittel aus dem Haushalt, Arbeitsaufträge durch den Haushaltsausschuss eingefahren, wenig Rückendeckung aus dem Kanzleramt für den nur zähneknirschend eingesetzten Minister. Er braucht dringend einen richtigen Erfolg. Glaubt man seinen revolutionieren Ankündigungen, soll dies das Krankenhausreformgesetz werden.
Im Würgegriff der Länder
Hier rächte es sich aber, dass der Professor diesen Prozess durch eine handverlesene und keineswegs ausgewogene externe wissenschaftliche Kommission initiiert hat, anstatt sich mit denen zusammen zu setzen, die bei diesem Prozess entscheidend mitsprechen werden: die Länder. Der Zeitpunkt für einen solchen Schulterschluss wäre günstig gewesen, da auch dort Handlungsdruck besteht und einige Länder sich bereits auf den Reformweg begeben haben. Den Ländern wird bis zur Ministerpräsident:innenebene angst und bange, wenn sie sich die wirtschaftliche Lage „ihrer“ Krankenhäuser vor Augen führen und die Folgen von Insolvenzwellen extrapolieren. Ein „Weiter so!“ oder Nichtstun, das ist inzwischen Allgemeingut, nimmt kein gutes Ende. Auf dieser Grundlage wäre ein vertrauensvolles Zusammengehen der beiden Gesetzgebungsinstitutionen von Bund und Ländern naheliegend gewesen. Sich dagegen mit einem wohlklingenden, aber juristisch nicht haltbaren Vorschlag als starker Mann zu präsentieren, ohne dass man die entsprechende Rückendeckung hinter sich hat, war ein schlimmer politischer Stockfehler und spielt den Ländern in die Hände.
Peu à peu muss der Bundesminister von seinem hohen Ross herunter und Kompromiss um Kompromiss den Ländern zugestehen. Mit jedem Bund- Länder-Treffen entfernt er sich von seinem ursprünglichen Vorschlag:
- Am 5. Januar gestand der Bundesminister zu, dass das Gesetz zustimmungspflichtig durch die Länder ist.
- Am 23. Februar verwässerte er die ursprüngliche Stringenz des Vorschlages der Regierungskommission durch das Zugeständnis von Ausnahmeregelungen und Öffnungsklauseln für die Länder.
- Ein Monat später räumte er die Verbindungen zwischen Leveln und Leistungsgruppen ab und orientierte sein Vorgehen nicht mehr an der Regierungskommission, sondern an dem Krankenhausgesetz von NRW.
- Und jedes Mal legten die Länder mit einer weiteren Distanzierung nach. Letztendlich gipfelte das Muskelspiel der Länder in der Vorstellung des Rechtsgutachtens zur Verfassungskonformität der Reform der Krankenhausplanung vom 20. April mit der Bemerkung, dass der Bund übergriffig gegenüber den Ländern geworden sei. Man brauche den Bund für eine Strukturreform eigentlich gar nicht (beides Zitate von NRW-Gesundheitsminister Laumannaus der PK zur Vorstellung des Gutachtens).
Damit sind die Fronten klar. Der Bund wollte eine Strukturreform mit einer Finanzierungsreform verknüpfen. Die Länder dagegen wollen über die Strukturen ihrer Krankenhäuser selber entscheiden, benötigen aber eine Vergütungsreform. Ohne eine weitgehende Ablösung des fallbezogenen DRG- Systems durch leistungsunabhängige Vorhaltekosten können die Krankenhäuser zu einem relevanten Teil nicht in schwarze Zahlen zurückkehren. Grund sind die reduzierten Fallzahlen durch eine nachlassende Nachfrage nach Krankenhausleistungen sowie Personalmangel.
Hauptsache irgendetwas gelingt…
Aufgrund dieser unterschiedlichen Interessenlage und der politischen Fehler des Bundesministers zeichnet sich ab, dass die Krankenhausreform nicht mehr der angekündigte große Wurf wird. Das schmerzt zwar Lauterbach, aber anderseits muss er liefern. Er braucht für sein politisches und mediales Image dringend den Erfolg eines Krankenhausreformgesetzes, um nicht als „lame duck“ durchzugehen. Dabei ist es eigentliche egal, was drinsteht, Hauptsache man kann es als „Reform“ verkaufen. Also wird ihm nichts anderes übrigbleiben, den Ländern ihre Wünsche schon bei den für Juli angekündigten Eckpunkten zu erfüllen.
Jeder, der schon einmal solche politischen Positionspapiere verfasst hat, weiß, dass es genügend Formulierungsmöglichkeiten gibt, um die unverändert bestehenden Konflikte wortreich zu überdecken. Von daher stehen die Wetten gut, dass es im Juli ein Eckpunktepapier geben wird. Auch die Länder wollen ihrerseits kein Scheitern des Prozesses verantworten und sich dann rechtfertigen müssen, warum sie nicht genug für die Krankenhäuser getan haben. Als bei der Vorstellung des Rechtsgutachtens zur Verfassungskonformität die noch unerfahrene schleswig-holsteinische Gesundheits- und Justizministerin von der Decken Zweifel an einem erfolgreichen Abschluss des Eckpunkteprozesses äußerte, widersprach der Gesundheits-„Leitwolf“ der CDU, der nordrhein-westfälische Minister Laumann, gekonnt mit den Worten, dass es doch wohl ein großes Interesse gebe, dass die Reform schnell komme. Wenn das kein Fingerzeig ist!
Fragt sich nur, wie die Länder und der Bund mit dem Ergebnis der Folgenabschätzung umgehen wollen, aus der sich möglicherweise konkrete Schließungen einzelner Häuser ableiten lassen. Veröffentlicht werden soll diese Folgeabschätzung vor der Konsentierung der Eckpunkte. Damit würden die Länder faktisch die Schließung einzelner Häuser in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet billigend zur Kenntnis nehmen. Kaum vorstellbar! Vielleicht verzögert sich ja die Modellierung…
Dann ist Sommer, die Aufmerksamkeit wird sich wichtigeren Dingen zuwenden, aber spätestens zum Ende der Sommerferien wird ein massives Streitthema zur Krankenhausreform auf den Tisch kommen: Geld! Schon im Februar sprachen die Länder die Beteiligung des Bundes bei den (investiven) Transformationskosten als Bedingung an. Wir reden über Summen zwischen 15 bis 100 Mrd. €, so die Bandbreite der jetzigen Schätzungen. Die Länder werden diese Transformationskosten nicht alleine schultern wollen und können. Sie erwarten eine mindestens 50 %-Beteiligung durch den Bund. Das weiß natürlich der Bundesminister und beschweigt dieses Thema deshalb beredt.
Er selbst und alle Beteiligten ahnen, dass es ihm nicht gelingen wird, seinen Anteil zusätzlich beim Finanzministerium einzuwerben. Auch der Kanzler wird ihm aus den bekannten Gründen nicht beispringen. Der Gesundheitsfonds gibt solche Summen ebenfalls nicht her, zumal die GKV-Finanzierung insgesamt noch nicht zukunftsfest ist. Leere Taschen sind bekanntlich keine Grundlage für eine Zustimmung der Länder. Es ist gut möglich, dass an dieser Frage die Reform entschieden wird.
Unbekannte Folgen und Risiken
Und eine zweite, ebenso wichtige, bisher kaum diskutierte finanzielle Dimension bleibt ungeklärt. Alle Beteiligten und insbesondere der Bund sprechen von einem finanzneutralen Gesetz. Das bedeutet: Was die GKV heute für den Krankenhaussektor bezahlt, ist auch die Grundlage für die anstehende Vergütungsreform. Bis heute ist nicht klar, welches Bezugsjahr für die Finanzneutralität gewählt werden soll. Wenn man nicht bis 2019 zurückgehen will und die Jahre der Pandemie ausklammert, kann die Grundlage eigentlich nur die Jahre 2022 oder 2023 sein. In beiden Jahren wurde und wird – so die Erwartungen – das Niveau von 2019 nicht erreicht. Die Erstattungen der Kassen sind also nicht kostendeckend Nochmals: Mehr Geld wird es also nicht geben. Eine Umverteilung dieser Finanzsumme auf 60 %-Vorhaltekosten und einen reduzierten Fallkostenanteil löst das Finanzierungsproblem der Häuser nicht. Das Delta bleibt.
Zusätzlich werden heute noch nicht übersehbare Verwerfungen zwischen den Krankenhäusern zu erwarten sein. Wenn die Aussage des Bundesministers Bestand hat, dass kleine Krankenhäuser ebenso wie Hochleistungskrankenhäuser in besonderem Maße von den Vorhaltekosten profitieren und dadurch abgesichert werden, muss bei gleichbleibendem Budget anderen Krankenhäusern Geld entzogen werden. Eine solche Umverteilung innerhalb einer finanzneutralen Reform führt zu Gewinnern und Verlierern. Ob es später gelingt, mit einer kleinteiligeren Krankenhausplanung diesen Prozess bedarfsorientiert zu steuern, hängt von den noch unbekannten Regelungsdetails und den unterschiedlichen Planungskompetenzen in den zuständigen Länderministerien ab. Diese Unsicherheiten werden auch durch finanzneutrale Übergangsphasen nicht erleichtert, solange die Gesamtsumme des zu verteilenden Geldes gleichbleibt.
Was dies für die Länder und ihre Krankenhäuser bedeutet, wird erst deutlich, wenn die neuen Vergütungsregeln im Detail ausformuliert vorliegen. Es ist nicht unüblich, aber auch politisch geschickt, diese erst nach dem Gesetzgebungsverfahren in nachgehende Rechtsverordnungen zu definieren. Die Länder laufen also Gefahr, sich mit einer Vergütungsreform eine Blackbox für die Zukunft ihrer eigenen Krankenhäuser einzuhandeln.
Böses Erwachen?
Es steckt also noch genügend Sprengkraft in dem Gesetzgebungsprozess. Dabei wird die Zahl der Leistungsgruppen oder die Ausprägungen der Level noch das geringste Problem sein. Wenn es im Herbst offensichtlich wird, dass weder die investiven Transformationskosten noch die Betriebskosten-Unterdeckung der Krankenhäuser mangels finanzieller Spielräume vom BMG einer Lösung zugeführt werden können, wird der eh schon brüchige Burgfrieden zwischen Bund und Ländern schnell beendet sein. Man kann schon heute gespannt sein, wie der Minister der Herzen dies wortreich erklären wird.
Weitere Beiträge von Maximilian Gerade:
„Die Revolution im eigenen Kopf“, Observer Gesundheit, 17. Dezember 2022,
„Die verlorene Legislaturperiode“, Observer Gesundheit, 9. Juli 2022, d
„Die Länder – nah dran und mit neuer Macht dabei?“, Observer Gesundheit, 17. Juli 2018,
„Virale Attacken auf das Gesundheitswesen“, Observer Gesundheit, 11. April 2018,
„Umsetzung des Koalitionsvertrages zu Pflegepersonalkosten im Krankenhaus“, Observer Gesundheit, 27. März 2018.
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