01.10.2021
Was erwartet Deutschland bei einer Ampel-Koalition?
Gesundheitspolitische Erfahrungen aus Europa
Johanna Hornung
Prof. Dr. Nils C. Bandelow
Robin Rüsenberg
Dr. Florian Eckert
Deutschland hat gewählt; die künftige Regierung ist aber noch unklar. Die Wahlergebnisse lassen unterschiedliche Regierungsoptionen zu, FDP und Bündnis 90/Die Grünen könnten mit der Union ein Jamaika-Bündnis bilden oder gemeinsam mit der SPD eine Ampelkoalition. Beide Koalitionen wären ein Novum auf Bundesebene. Ersten Umfragen nach bevorzugen die Deutschen eine Ampel (RND 2021).
Was lässt ein solches Bündnis in Bezug auf Inhalte und Stabilität erwarten? Eine Analyse der Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zeigt auf, welche (gesundheitspolitischen) Schwerpunkte in Ampel-Koalitionen gesetzt werden und wie stabil die jeweiligen Koalitionen regieren.
Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl 2021
Die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021 bieten Potenzial für unterschiedliche Koalitionsregierungen. Als sogenannte „minimal winning coalition“ (Koalitionsregierung mit so wenigen Parteien wie möglich und so vielen Parteien wie nötig, um eine Mehrheit im Parlament zu generieren) kommen – unter Maßgabe einer Nicht-Regierungsbeteiligung von AfD und Die Linke – nur drei Optionen in Frage: eine Ampel-Koalition unter Beteiligung von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen; ein Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen; eine Große Koalition aus SPD und CDU/CSU. Eine Ampel-Koalition hätte machtpolitisch eine gewissen Plausibilität, da die Grünen hier eine klare Präferenz haben, die FDP diese nicht ausgeschlossen hat, und auch in der Bevölkerung eine Ampel-Koalition vor einer Jamaika-Koalition präferiert wird (Dorn and Thomaser 2021).
In einem ersten Schritt gehen aktuell zunächst Bündnis 90/Die Grünen und die FDP auf einander und auf die potenziellen Kanzlerparteien zu, um Schnittmengen untereinander zu identifizieren, bevor sie sich auf die beiden potenziellen Kanzlerparteien zubewegen wollen. Bereits am Dienstagabend nach der Wahl am Sonntag trafen sich die jeweiligen Parteispitzen. Dass die inhaltlichen Übereinstimmungen der beiden Parteien in Kernpunkten wie Sozialpolitik und Klimapolitik auf den ersten Blick stark divergieren heißt nicht zwingend, dass sich nicht auch Kompromisse finden (Kreutzfeld et al. 2021). Zumindest legen dies gemeinsame Selfies öffentlichkeitswirksam nahe.
Während die Aufmerksamkeit momentan auf den Vorsondierungen und dem sich – potenziell – anbahnenden Weg zu einer Ampel-Koalition liegt, stellt sich die Frage, was ein solches Regierungsbündnis politisch und inhaltlich für Deutschland bedeuten würde. Ampel-Koalitionen sind weder in Deutschland noch außerhalb Deutschlands häufig, wenn auch nicht ganz neu. Deutsche Erfahrungen mit Ampel-Koalitionen existieren auf Landesebene, mit missglückten Versuchen Anfang der 1990er Jahre in Bremen und Brandenburg und seit 2016 erfolgreich unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz (Bogner 2021). Ein Blick nach Finnland und Luxemburg sowie auf die „Super-Koalition“ in Belgien ermöglichen dagegen eine inhaltliche und politische Analyse sozialliberaler Koalitionen auf nationaler Ebene. Wie sind die Koalitionsverhandlungen jeweils gelaufen? Was sind die Themen des Koalitionsvertrags, mit besonderem Blick auf die Gesundheitspolitik? Wie stabil läuft es bisher?
Die folgende Analyse untersucht diese Fragen und gibt einen Ausblick, was Deutschland im Fall einer Ampel-Koalition erwarten könnte.
Vorbild: Ampel-Koalition in Luxemburg
Ein Paradebeispiel für eine Ampel-Koalition zeigt sich in Luxemburg. Die dort als Gambia-Koalition betitelte Regierungskoalition aus der sozialistischen Lëtzebuerger Sozialistesch Aarbechterpartei (LSAP) (rot), der liberalen Demokratesch Partei (DP) (blau) und Déi Gréng (Die Grünen) (grün) besteht bereits seit 2013. Damals endete die Amtszeit des seit 18 Jahren regierenden Premierministers Jean-Claude Juncker, obwohl seine christsoziale Partei die relative Mehrheit der Stimmen erhielt. Grund dafür war der explizite Wunsch nach einer sozialliberalen Koalition seitens der Liberalen; vorangegangen war das Scheitern der Koalition zwischen den Christsozialen und den Sozialisten infolge einer Geheimdienstaffäre. Die drei Parteien einigten sich trotz inhaltlicher Differenzen auf die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen (Belz 2013).
Die Prozesse der Regierungsbildung in Luxemburg sind vergleichbar mit denen in Deutschland, abgesehen davon, dass der Großherzog explizit jemanden mit der Regierungsbildung beauftragt, nachdem ein „Informateur“ unter den Parteien die Präferenzen sondiert hat (Tageblatt 2018). Die Regierungsbildung erfolgt in der Regel jedoch schnell: 2018 nahmen die Parteien bereits 3 Tage nach der Wahl vom 14. Oktober 2018 die Koalitionsverhandlungen auf und einigten sich auf die Einrichtung von 11 thematischen Arbeitsgruppen. Im Verlauf des Oktobers fanden Anhörungen statt, im November wurde der Koalitionsvertrag formuliert, um dann zunächst am 29. November die Ressortverteilung nach Parteien bekanntzugeben und am 3. Dezember den Koalitionsvertrag zu unterschreiben (Die Luxemburger Regierung 2020). Auch 2013, als die Koalition erstmals zusammenfand und sich nicht auf bereits fünf Jahre gemeinsame Regierungserfahrung stützen konnte, verliefen die Prozesse geordnet und schnell (Die Luxemburger Regierung 2018).
Inhaltlich prominent waren im Koalitionsvertrag der Regierung vor allem die Anhebung des Mindestlohns, die Legalisierung von Cannabis und die kostenfreie Nutzung des ÖPNV. In der Gesundheitspolitik hebt der Koalitionsvertrag die Universalität des Zugangs zu Gesundheitsversorgung hervor, aber auch Aspekte der Prävention. Dabei soll unter anderem durch die Einrichtung eines nationalen Observatoriums für die Analyse von Gesundheitsdaten und damit verbundener Erkenntnisse über die Prävention gestärkt werden. Auch die Digitalisierung und damit verbunden die schnellere Verbindung von Patientenakte mit Versichertenkarte, die auch als Zahlungsmittel eingesetzt werden kann, sowie der Ausbau der telemedizinischen Versorgung stehen im Koalitionsvertrag. In Bezug auf den Krankenhaussektor werden Kooperationen zwischen Krankenhäusern und multidisziplinäre Zentren zur Überwindung von Sektorengrenzen gewünscht; hier zeigt sich – ähnlich wie in Deutschland diskutiert – auch eine Idee der Zentralisierung und Spezialisierung von Versorgung. Eine zentrale Säule der Luxemburgischen Krankenhausversorgung ist die Selbstverwaltung der nationalen Spezialkliniken, die eine rechtliche Sonderstellung haben. Grundsätzlich wird auch eine als „ambulante Wende“ beschriebene Verlagerung stationärer Leistungen in den ambulanten Sektor gefördert, etwa durch finanzielle Anreize (DP, LSAP, and déi gréng 2018).
Herausforderung: Ampel-Koalition in Finnland
Ein Jahr später als in Luxemburg kam in Finnland eine Mitte-Links-Koalition an die Macht. Nach der Wahl am 14. April 2019 formierten sich die Sozialdemokraten, die Linken, die Grünen, die Zentrumspartei und die liberale Schwedische Volkspartei im Juni zu einer Koalition unter Antti Rinne, die im Juni die Arbeit aufnahm. Im Dezember 2019 übernahm jedoch Sanna Marin das Amt der Ministerpräsidentin, da die Zentrumspartei Rinne im Zuge seiner angeblichen Interessenkonflikte als früherer Gewerkschafter bei einem Poststreik das Vertrauen entzog (Tanner 2019).
Die relativ schnelle Regierungsbildung kann auch im Fall von Finnland als vorbildlich gewertet werden. Obwohl die migrationskritische rechte Partei „Die Finnen“ zweitstärkste Kraft im Parlament wurde, schloss der Wahlgewinner der Sozialdemokraten Antti Rinne sie von vornherein von Koalitionsgesprächen aus, auch weil die Schwedische Volkspartei und die Grünen sich im Vorfeld der Wahl gegenüber einer Zusammenarbeit skeptisch geäußert hatten (Poyet and Raunio 2021).
Die Abwahl der Vorgängerregierung in Finnland lässt sich in Teilen mit deren intensiver Austeritätspolitik begründen, die das bei der Bevölkerung durchaus beliebte umfassende skandinavische Wohlfahrtsstaatsmodell mit hohen Steuern und hohen öffentlichen Leistungen eindämpfte. Die Ampel-Regierung verband Steuererhöhungen mit einer ökologischen Ausrichtung, etwa durch die verstärkte Besteuerung fossiler Brennstoffe, und forcierte Investitionen in Klimaneutralität und Nachhaltigkeit (Colijn 2019). Im Bereich der Gesundheitspolitik findet sich ebenfalls der Anspruch einer Universalität des Zugangs zu Gesundheitsversorgung. Besonders hervorzuheben sind auch die von der finnischen Regierung vorangetriebenen Reformen einer Regionalisierung der Gesundheitsversorgung. Insgesamt 18 neu geschaffene autonome und selbstverwaltete Regionen sollen zuständig sein für Gesundheits- und Sozialleistungen, für die Notfallversorgung, sowie für die Einnahmen und Verwaltung von Steuern, die sie für die Finanzierung der Versorgung nutzen. Entsprechend des skandinavischen Wohlfahrtsstaatsmodells ist der Grad an Privatisierung gering; auch die Ampel-Koalition stärkte die öffentliche Bereitstellung von Gesundheitsleistungen und ermöglichte auch ein Mitspracherecht der Regionen bei der Verwaltung der Gesundheitseinrichtungen (Finnish Government 2019).
Trotz des relativ übereinstimmend ausgearbeiteten Regierungsprogramms ist die Regierung in Finnland weniger stabil als in Luxemburg, vermutlich auch weil sie aus fünf statt drei Parteien besteht. Im April 2021 entging sie nur knapp einer Auflösung, weil sich die Parteien nicht auf einen Haushaltsplan einigen konnten. Ein weiterer Streitpunkt war die Nutzung von Torf in der Energieproduktion, für die die Zentrumspartei Steuererleichterungen forderte, was aufgrund der Umweltschädlichkeit jedoch keine Zustimmung von den Grünen finden konnte (Heikkilä 2021). Auch der personelle Wechsel des Regierungspostens spricht für geringere Stabilität.
„Vivaldi“ – Die schwierige Super-Koalition in Belgien
Einen besonderen Fall der Ampel-Koalition bildet die aktuelle Regierung in Belgien. Das politisch zwischen Flandern und Wallonien gespaltene Land inkludiert in der aktuellen Koalitionsregierung Sozialisten, Liberale und Grüne und zusätzlich flämische Christdemokraten – das wäre in Deutschland vergleichbar mit einer Ampelkoalition unter der zusätzlichen Beteiligung von CDU/CSU. Die Wahl in Belgien fand am 26. Mai 2019 zeitgleich zur Europawahl statt – die Regierungsbildung erfolgte jedoch erst im Oktober 2020.
Instabilität und lange Prozesse der Regierungsfindung sind in Belgien allerdings die Regel. Die verstärkte Kritik an der fehlenden Handlungsfähigkeit der Politik in Zeiten der Regierungsfindung führt aktuell zu Diskussionen um eine Verfassungsreform und etwa die Festlegung einer formalen Frist zur Regierungsbildung (Verbist 2021). Die langen Verhandlungen zwischen einer Vielzahl an Parteien (die Mitglieder der Abgeordnetenkammer stammen von 12 Parteien) waren seit März 2020 zusätzlich von der COVID-19-Pandemie begleitet worden. Zu diesem Zweck wurde die bis dahin aufgrund der fehlgeschlagenen Neubildung der Regierung geschäftsführend im Amt tätige Regierung unter der Premierministerin Sophie Wilmès in eine Minderheitsregierung überführt – Wilmès hatte geschäftsführend den Posten von dem früheren Amtsinhaber Charles Michel übernommen, der Präsident des Europäischen Rates wurde. Die Herausforderungen im Kontext der COVID-19-Pandemie trugen mit dazu bei, dass die Regierungsbildung weiter voranschritt, da der Minderheitsregierung spezielle Befugnisse eingeräumt wurden, die nicht länger als nötig Bestand haben sollten (Sägesser 2020).
Prozessual verliefen die Koalitionsverhandlungen über lange Zeit schleppend, da es deutlich mehr Alternativen zu Regierungskoalitionen gab, als dies aktuell in Deutschland der Fall ist. Inhaltlich finden sich im Koalitionsvertrag Formulierungen zu allgemeinen Themen der Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Klima- und Mobilitätspolitik. Darin enthalten sind unter anderem Investitionen in erneuerbare Energien und ein explizites Bekenntnis, dass sich Ökonomie und Ökologie nicht gegenseitig ausschließend, sondern dass sie sich gegenseitig bestärken, indem eine umweltorientierte Politik Arbeitsplätze und Wachstum schafft und ökonomischer Wohlstand auch zuträglich für umweltorientiertes Verhalten ist.
Im Bereich der Gesundheitspolitik wollen die Parteien eine erhöhte Transparenz der Leistungsqualität auch gegenüber der Bevölkerung erreichen und richten dafür eine Behörde zur zentralen Datensammlung ein. Darüber hinaus soll das nationale Krankenversicherungsinstitut gestärkt werden und Vorschläge zur Bekämpfung von Überversorgung und übermäßiger Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen entwickelt werden. Die Evidenzbasierung von Entscheidungen soll ebenfalls gestärkt werden. In der Notfallversorgung setzt Belgien die auch in Deutschland diskutierten Reformen um, die eine Spezialisierung von Krankenhäusern fördern und Notfälle in für die Behandlung am besten ausgestattete – und nicht in die am wenigsten entfernte – Kliniken transportiert. Die Krankenhauslandschaft wird dafür zentralisiert. Im Bereich der Finanzierung einigen sich die Parteien auf eine Überwindung der Unterschiede zwischen Angestellten, Selbstständigen und Verbeamteten in der Sozialversicherung, bleiben aber vage darin, wie dies gestaltet werden soll (belgium.be 2020).
Grundsätzlich fördert die Regierung in Belgien eine Stärkung von gesundheitspolitischen Behörden und den Regionen. Dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass Belgien eine historische Instabilität von Regierungen mit sehr langen Prozessen der Regierungsbildung aufweist. Es ist daher naheliegend, dass zur Bewahrung der Handlungsfähigkeit und der Funktionalität der gesellschaftlichen Strukturen wesentliche Kompetenzen auf Behörden oder Selbstverwaltung bzw. auf den Regionen lasten. Abgesehen davon ist das Gesundheitssystem in Belgien geprägt von einer hierarchisch-elitistischen Steuerung, die sich auch in der COVID-19-Pandemie gezeigt hat (Pattyn, Matthys, and Hecke 2020).
Übertragbarkeit der Erfahrungen auf Deutschland
Um Lehren aus den Erfahrungen in Belgien, Finnland und Luxemburg für Deutschland zu ziehen, ist eine Reflektion der institutionellen Hintergründe der jeweiligen politischen Systeme notwendig. Belgien ist noch stärker als Deutschland von regionalen Differenzen geprägt – die separatistischen Bewegungen aus Flandern und Wallonien, die damit verbundenen Parteien und die Trennung der Wahlsysteme bis hin zu den Mediensystemen (Sinardet 2008) unterscheiden sich stark von den institutionellen Strukturen und Parteien in Deutschland. Die aktuelle Koalition ist potenziell auch deshalb relativ stabil, weil sie die nationalistisch-separatistischen Parteien, die gleichzeitig auch die größten Parteien sind, nicht inkludiert (Ueberbach 2020).
Luxemburg stellt trotz einer grundsätzlichen Nähe zu Deutschland hinsichtlich der Schnelligkeit und dem Ablauf von Koalitionsverhandlungen nach der Wahl einen Sonderfall dar: Sowohl die Größe des Landes als auch die finanzielle Situation unterscheiden sich aktuell von Deutschland. Luxemburg steht nicht unter dem Druck von leeren Kassen – anders als potenziell Deutschland. Dies zeigt sich mitunter auch in den geplanten Reformen der Modernisierung und Investitionen bei Krankenhäusern.
Finnland ist – wie auch Belgien und Luxemburg – im Vergleich zu Deutschland deutlich geringer besiedelt, mit einer Bevölkerungszahl von unter 6 Millionen Menschen. Finnland ähnelt auch im Hinblick auf das Wohlfahrtsstaatsmodell weniger dem deutschen Modell, als das belgische und das luxemburgische, und hat eine Tradition von höheren Steuern und höheren öffentlichen Leistungen, was auch einen Einfluss auf die Akzeptanz von liberalen Parteien in dieser Hinsicht hat.
Grundsätzlich erweisen sich alle Ampel-Koalitionen in den anderen Ländern als unterschiedlich stabil. Wenig überraschend nimmt die Stabilität ab, je mehr Parteien an der Regierung beteiligt sind. Unter dem Vorbehalt, dass ein Koalitionsvertrag unter drei Parteien vereinbart wird, sind folglich neben üblichen Umformierungen (etwa Ministerwechseln aufgrund von Rücktritten oder Wechseln in andere Posten) keine tiefgreifenden Herausforderungen vorhersehbar zu erwarten. Was sich in allen Fällen als relevant erweist, ist außerdem ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen den jeweiligen Spitzen der Koalitionsparteien – nicht selten steht die Koalition vor einer Krise, die dadurch gelöst werden kann, dass Personen auf bestimmten Positionen ausgetauscht werden.
Koalitionen in föderalen Staaten, die sich auf Bundesebene auf eine pluralistische Parteikonstellation stützen, neigen strukturell dazu, Kompetenzen und Entscheidungen auf die subnationalen Strukturen zu verlagern. In Deutschland wäre demzufolge sowohl unter einer Ampel- als auch unter einer Jamaika-Koalition zu erwarten, dass die Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung und die strukturellen Reformen stärker auf die Bundesländer verlagert werden, gegebenenfalls auch auf die Selbstverwaltung – was allerdings teilweise konträr zu jüngsten Governance-Entwicklungen in Deutschland liefe (Grunenberg & Rüsenberg 2021).
Fazit: Was würde Deutschland erwarten?
Die Erfahrungen aus den Vergleichsländern zeigen insgesamt, dass eine Ampel-Koalition funktionieren kann, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Prozessual sollten die Koalitionsverhandlungen schnell und strukturiert organisiert sein und persönliche Vertrauensverhältnisse bestehen. Im deutschen Fall stellt sich vor allem die Frage, wie belastbar die persönlichen Beziehungen zwischen den Parteispitzen der Ampel- und Jamaika-Parteien sind. Seit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen 2017 wurde aber offenbar versucht, Gesprächskanäle offen zu halten. Dergestalt könnte die Einigung auf bestimmte Personen als Regierungsmitglieder eher zu einer Regierungsbildung beitragen als die Überwindung inhaltlicher Differenzen.
Inhaltlich bestehen zwischen den Ampel-Parteien zwar nicht wenige Differenzen; die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen aber auch, dass diese überwunden werden können. Schnittmengen sind hier eindeutig die Digitalisierung, eine Förderung von klimafreundlicher Industrie verbunden mit Steuererleichterungen oder Investitionen und – im Bereich der Gesundheitspolitik – eine Regionalisierung der Versorgungsstrukturen und eine Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft. Auch eine Verlagerung von Kompetenzen auf die Ebene der Bundesländer und der Selbstverwaltung wäre vor dem Hintergrund der europäischen Erfahrungen grundsätzlich denkbar. Für ein deutsches Spezifikum lassen sich in den untersuchten Ländern jedoch keine Lehrbeispiele finden: den Konflikt um die Bürgerversicherung, also die Frage der Struktur des Krankenversicherungsmarktes. In dieser auch für den Parteienwettbewerb nicht unwichtigen Frage wird es sowohl bei Jamaika- als auch für Ampel-Verhandlungen spannend werden.
Literatur
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Johanna Hornung
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Chair of Comparative Politics and Public Policy, Institute of Comparative Politics and Public Policy, TU Braunschweig
Prof. Dr. Nils C. Bandelow
Professor für Politikwissenschaft und Leiter des Chair of Comparative Politics and Public Policy, Institute of Comparative Politics and Public Policy, TU Braunschweig
Dipl.-Pol. Robin Rüsenberg
Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Braunschweig. Geschäftsführer der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) e.V., Berlin.
Dr. Florian Eckert
Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Braunschweig. Lead Government Affairs, Market Access & Government Affairs Astellas Pharma GmbH.
Die Autoren Robin Rüsenberg und Dr. Florian Eckert vertreten ihre private Meinung.
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