Versorgungssteuerung – Bedarfsplanung – Bedarfsmanagement

Dr. Bernhard Gibis, Leitung Dezernat Versorgungsmanagement, Bereich Sicherstellung und Versorgungsstruktur, Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)

 

Hintergrund

Im Krankenhaus-Report 2018 zum Thema „Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit“ bringt der Magdeburger Versorgungsforscher und Public Health Experte Prof. Bernt Peter Robra Erwartungen an Planungssysteme auf den Punkt: „Wenn ein medizinisch zu versorgender Bedarf nicht ´exogen` vorgegeben ist, sondern im Gesundheitswesen selbst gestaltet wird, zudem auf den dargestellten Ebenen mit unterschiedlichen Zielen und Mitteln, erscheint es vergeblich, ´Versorgungsbedarf` punktgenau messen zu wollen, um daraus den benötigten Leistungsmix und sekundär die für eine wirtschaftliche Leistungserbringung nötigen Kapazitäten herzuleiten. ‚Bedarfsplanung‘, treffender wohl ´Bedarfsmanagement`, wird vielmehr ein iterativer, offener Lern- und Entwicklungs- und Systemgestaltungsprozess. Das heißt nicht, auf evidenzbasierte, gesellschaftlichen Erwartungen standhaltenden und nachhaltig finanzierte, d.h. normative Versorgungsziele zu verzichten“ (Robra und Spura 2018).

Im internationalen Vergleich profitiert Deutschland immer noch von einem vergleichsweisen dichten und gleichmäßig verteilten ärztlichen Versorgungsangebot. Dennoch machen Umbrüche auch vor der vertragsärztlichen Versorgung nicht halt: Urbanisierung, immer weitere Spezialisierung der Medizin sowie ein anderes Inanspruchnahmeverhalten von Patienten und andere Arbeitszeitvorstellungen von Ärzten führen unter anderem zum Ausdünnen der Versorgung in denjenigen gesellschaftlichen Räumen, die nicht nur in der Gesundheitsversorgung Probleme bereiten, wie zum Beispiel ländliche oder sozial schwache Gebiete. Es häuften sich deshalb Hinweise über das Problem, insbesondere bei der hausärztlichen Versorgung in ländlichen Gebieten, was medial hohe Aufmerksamkeit findet und die Politik zu entsprechenden Maßnahmen herausfordert.

Nach Jahren der Auslobung des Wettbewerbs als Panazee für allfällige Probleme der Gesundheitsversorgung wird zwischenzeitlich nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt, dass planerische Aspekte bei der Frage der Finanzierbarkeit und der Verteilung von Ärzten hohe Relevanz haben. Während noch in den ausgehenden 2010er Jahren auf dem Wege der Deregulierung, eine verbesserte Versorgung zu erreichen versucht wurde, steht nun wieder der planerische Ansatz (kleinräumige, umfassendere Planung) im Vordergrund[1]. Der vorliegende Artikel betrachtet deshalb das Instrument der Planung im Allgemeinen sowie seine Bedeutung für die Gesundheitsversorgung im Besonderen, geht auf gegenwärtige Problemlagen der vertragsärztlichen Bedarfsplanung ein und formuliert Handlungsoptionen.

 

Vom Planen

Nach Jahren der Vorstellung, dass die unsichtbare Hand des Marktes gerecht und effektiv Ressourcen verteilt, scheint mittlerweile das Pendel zurück in Richtung Planung und Regulierung zu schwingen. Dabei sind sowohl Wettbewerb ohne Regeln, als auch Planung ohne Freiheitsgrade (einschließlich wettbewerblicher Momente) für sich genommen aus sich heraus nicht funktionsfähig. Zu beiden Ansätzen liegen exzellente Analysen und Ausarbeitungen vor. Die kleinteilige Zuweisung von exakten Rollen und Aufgaben, überwacht durch anonyme, für den „Beplanten“ nicht wirklich erreichbare Instanzen führt zu einer Erosion des an sich sinnvollen und allgemein akzeptieren Gegenstandes und Ziels der Planung. Beispiele aus der Bildung oder der Verkehrswegeplanung zeigen, dass Irrtümer meist aufgrund unvollständiger oder fehlerhafter Vorhersagen ein inhärentes Problem dieser Prozesse darstellen. Der Fehler tritt umso öfter ein, je genauer, detaillierter und punktgenauer geplant werden soll[2].  Zweifelsohne eröffnen technische Fortschritte ganz neue Planungshorizonte. Die Auswertung großer Datenmengen („big data“), die Georeferenzierung von Informationen oder aber auch Instrumente der Netzwerkanalyse erlauben heute andere Herangehensweisen als bisher. Dennoch ändert dies nichts an den grundlegenden Limitationen der Planung als Instrument einer „gerechten Verteilung“ knapper Ressourcen. Ähnliches gilt für den Wettbewerb; die „unsichtbare Hand des Marktes“ führt ohne regulierende Eingriffe zu Verwerfungen („Marktversagen“), die die Grundsätze eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems konterkarieren.

 

Planung in der Gesundheitsversorgung

Die faire Verteilung von Gütern der Gesundheitsversorgung für erkrankte Versicherte und dies unabhängig von Einkommen, Wohnort oder sozialem Stand erfordert eine Versorgungssteuerung, die in modernen Gesundheitssystemen grundsätzlich mit Hilfe einer Reihe von Regulierungsinstrumenten bewerkstelligt wird. Leistungsberechtigende Voraussetzung ist alleinig die Erkrankung, nicht der soziale Status, die Kaufkraft, die gewählte Krankenversicherung oder die Region des Patienten. Versorgungssteuerung in der Gesundheitsversorgung erfolgt durch verschiedene Instrumente, von denen keines einen dezidiert prospektiv-planerischen Ansatz in sich trägt. Genannt seien die Planungssysteme der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanung ärztlicher Zulassungen des Gemeinsamen Bundesausschusses) oder der Krankenhäuser (Krankenhausplanung der Länder) oder aber auch die Vergütungssysteme beider Versorgungsbereiche (Einheitlicher Bewertungsmaßstab und DRG-System der Krankenhäuser), die ebenfalls einen z.T. unmittelbaren versorgungssteuernden Effekt entfalten. Eine versorgungssteuernde Wirkung kommt ebenfalls den Qualitätsvorgaben von Gemeinsamem Bundesausschuss (GBA) und gemeinsamer Selbstverwaltung (Partner der Bundesmantelverträge) zu, die bis auf Einzelleistungsebene dezidierte Vorgaben zur Erbringung der Leistung machen. Völlig entkoppelt von diesen Steuerungsinstrumenten ist das System von ärztlicher Aus- und Weiterbildung– ein Umstand, der sich mit einem dezidierten Nachwuchsmangel gerade bei der Versorgung mit Leistungen grundversorgender Fachgebiete gravierend bemerkbar macht. Die Anzahl der Studienplätze wird durch einen Staatsvertrag der Länder geregelt und ist nicht, zumindest nicht nachvollziehbar, am Bedarf und an der Nachfrage ärztlicher Leistungen ausgerichtet. Das Angebot der Weiterbildungsstellen wiederum orientiert sich in erster Linie an der Profitabilität einzelner DRG-Positionen und schon gar nicht am Bedarf der ambulanten Versorgung[3].

Alle vier Bereiche – Planung, Vergütung, Qualitätssicherung und Aus- und Weiterbildungskapazitäten – sind in ihrer Wirkung mit unterschiedlichen Zeithorizonten ausgestattet, werden durch unterschiedliche Gremien auf verschiedenen Ebenen (Bund, Land, Ortsebene) administriert und sind nur mäßig aufeinander abgestimmt. Bislang ist nicht erkennbar, dass dies wirklich geändert werden soll. Selbst in jüngster Zeit wurde bei dem Beschluss des GBA zur Notfallversorgung an Kliniken einer rein sektorenbezogenen Lösung der Vorzug gegeben[4]. Damit wurde zumindest für die Integration von Planungsvorhaben innerhalb des Sozialrechts die Chance verspielt, die untrennbar mit einander verbundenen Sektoren ambulante und stationäre Notfallversorgung zusammen zu denken und zu planen.

 

Vertragsärztliche Bedarfsplanung

Die Geschichte der gesetzlichen Sozialversicherung war bislang, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von einem Überangebot an Ärzten gekennzeichnet: Regelhaft suchten mehr Ärzte um die Möglichkeit der Aufnahme einer Tätigkeit für die Krankenkassen nach, als Gelder hierfür seitens der Kostenträger bereit gestellt wurden. Diese Entwicklung kulminierte Anfang der neunziger Jahre, als durch einen Zulassungsstopp neue Niederlassungen nur noch dort möglich wurden, wo Planungsgebiete noch freie Kapazitäten auswiesen oder aber durch Kauf einer Praxis von einem abgebenden Zulassungsinhaber dessen Zulassung übernommen wurde. Wenn auch die Zulassung selbst bis heute nicht als handelbares Gut angesehen wird, wurde mit dem Kauf regelhaft auch die Übernahme der Kassenzulassung geregelt. Das System ist im Grunde einfach und damit nachvollziehbar angelegt. Für einen festgelegten Stichtag wird je Fachgebiet eine bundeseinheitlich per Durchschnitt ermittelte Verhältniszahl Einwohner/Arzt gebildet und je nach Spezialisierungsgrad der Fachgruppe größeren oder kleineren Raumabgrenzungen (z.B. Landkreis) zugeordnet. Bei zehnprozentiger Überschreitung der Verhältniszahl wird der Planungsbezirk gesperrt. Zwischenzeitlich werden die jährlich aktualisierten Einwohnerzahlen altersgewichtet, um der demographischen Entwicklung Rechnung zu tragen[5].

Nachdem die rein zahlenmäßige Begrenzung der Arztzahlen im Hinblick auf ihre Kostenwirksamkeit jedoch nicht ausreichte, musste aus damaliger Sicht die Bedarfsplanung um prospektive Leistungsbudgets auf Individual-, Landes- und Bundesebene ergänzt werden. Damit entfaltet die Bedarfsplanung ihre bis heute zu verzeichnende, selbstregulierende Wirkung, die aus der Übertragung des Arztzahlrisikos auf die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) herrührt. Aufgrund des begrenzten Budgets, das auf die im System befindlichen Vertragsärzte zu verteilen ist, liegt es im Interesse der Vertragsärzte selbst, die Anzahl der Ärzte und damit das Arztzahlwachstum zu begrenzen.

Dieses System bundesweiter Vorgaben durch KBV und GKV sowohl zur Planung, als auch zur Vergütung ist insofern erfolgreich, als dass die Finanzierbarkeit des Systems gesichert und eine (bis auf Ausnahmen) flächendeckende Versorgung organisiert werden konnte. Zentrale Schaltstelle ist der GBA: Berechtigte Interessen der Patientenvertreter nach einem Ausbau des Leistungsangebots begegnen dort den Vorstellungen der Krankenkassen zur Kostenkontrolle und schließlich den Interessen der Berufsgruppe der Ärzte und Psychotherapeuten nach Planungssicherheit. Im Sinne einer Verhandlungslösung wird dieser Interessenkonflikt im GBA aufgelöst. In wie weit dieser Rahmen den zu lösenden Fragestellungen und Problemen angemessen ist, wird derzeit in einer Reihe von Gutachten geklärt.

 

Problemhaushalt

Die in erster Linie aus Gründen der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems eingeführte vertragsärztliche Bedarfsplanung sieht sich nach nunmehr über zwei Jahrzehnten mit einer Fülle von Weiterentwicklungsfragen konfrontiert.

Ungelöst ist nach wie vor die Frage des „objektivierten“ Bedarfs und dessen Abgrenzung von subjektiven Bedürfnissen. Erstmals nach Jahren hoher Arztdichte besteht in über der Hälfte aller hausärztlicher Bezirke Niederlassungsfreiheit. Insbesondere in ländlichen, aber auch in städtischen Gebieten finden Hausärzte keine Nachfolger für ihre Praxis. Gleichzeitig wird die Medizin immer ambulanter, Kliniken müssen, um ihre Stellung im System zu wahren, verstärkt einen Zugang zur ambulanten Versorgung anstreben, um Bettenkapazitäten auslasten zu können. Der Gesetzgeber hat darauf mit einer weitgehenden Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung reagiert, worunter die direkte Teilnahmemöglichkeit an der vertragsärztlichen Versorgung (durch MVZ-Gründung) genauso dazu gehört, wie die direkte Eröffnung der Leistungserbringung, beispielsweise beim ambulanten Operieren oder durch psychiatrische Institutsambulanzen. Die junge Arztgeneration zeigt dabei ein ähnliches Verhalten, wie die Gesellschaft insgesamt auch: De Arbeit als Selbstständiger in eigener Praxis verliert an Attraktivität, Anstellungsverhältnisse werden bevorzugt. Ein höherer Frauenanteil, aber auch veränderte Lebensvorstellungen von jungen, männlichen Ärzten tragen mit dazu bei, dass das Angebot von Wochenarbeitsstunden zurückgeht.

Dies schlägt sich in den Statistiken der KBV nieder, wonach zwar so viele Ärzte wie noch nie gegenwärtig in der vertragsärztlichen Versorgung tätig sind, betrachtet nach sog. Bedarfsplanungsgewichten ist jedoch nahezu ein Stillstand im Hinblick auf das Arbeitszeitangebot eingetreten. Dies macht sich auf verschiedenen Weisen bemerkbar. Die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen trifft auf einen Rückgang an Sprechstundenangeboten und führt somit zu längeren Wartezeiten. Die unmittelbare Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen wird zudem rund um die Uhr erwartet, was nicht zuletzt zu einer erhöhten Nutzung von Notfallambulanzen führt. Die Sorge um die fehlende ärztliche Versorgung gerade auf dem Lande hat dazu geführt, dass sich der Gesetzgeber genötigt sah, nach der Reform der Bedarfsplanung 2012 einen neuen Reformauftrag zu erteilen.

 

Reformauftrag

Als Antwort auf einen Teil dieser Fragen wurde durch den Gesetzgeber die Prüfung einer kleinräumigeren Planung, insbesondere bei der Arztgruppe der Psychotherapeuten[6] sowie die Ergänzung der Verhältniszahlermittlung um Sozial- und Morbiditätsfaktoren in Auftrag gegeben. Damit greift der Gesetzgeber Aspekte der Reform 2012 auf, die eine kleinräumigere Planung für die Hausärzte sowie die regionale Abweichungsbefugnis gerade im Hinblick auf Raumabgrenzungen oder die Ermittlung der Verhältniszahl vorgesehen hatte. Der GBA hat daraufhin ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben, das sich derzeit in einer Reviewphase befindet und Grundlage für einer Weiterentwicklung der Bedarfsplanungsrichtlinie sein wird. Unbenommen des laufenden Reformvorhabens haben die Koalitionäre die Einsetzung einer Bund-Länderarbeitsgruppe verfügt, die die Planungssysteme des ambulanten und stationären Sektors zusammenführen sollen. Der Sachverständigenrat stellt zudem in einem Gutachten Mitte des Jahres seine Vorstellungen einer reformierten Bedarfsplanung vor.

 

Lösungsoptionen

Sofern am Grundprinzip der Beitragssatzstabilität festgehalten wird, werden auf absehbare Zeit aufgrund der regionalen Attraktivität insbesondere großer Städte Begrenzungsmaßnahmen zu ergreifen sein, die das Arztzahlwachstum in diesen Regionen einschränken. Dies betrifft insbesondere die spezialisierte Versorgung, für die aufgrund der Anreizwirkung des DRG-Systems auf absehbare Zeit mehr Ärzte weitergebildet werden, als Geld in der vertragsärztlichen Versorgung für deren Vergütung zur Verfügung gestellt wird bzw. gestellt werden kann.

Von grundlegender Bedeutung ist dabei, dass Versorgungssteuerung ein Kanon unterschiedlicher Maßnahmen der Kapazitätsplanung (wie z.B. der Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Psychotherapeuten sowie der Bedarfsplanung), der finanziellen Anreize und der Qualitätssicherung darstellt. Nicht alle Wartezeitenprobleme oder Phänomene der Inanspruchnahme (z.B. sog. „Sofortismus“) oder fehlende regionale Attraktivität lassen sich über die Bedarfsplanung lösen bzw. ausgleichen. Hier bedarf es eines ausgewogenen, aufeinander abgestimmten Maßnahmenplans, der idealerweise auf der Grundlage einer bundesweiten Rahmenvorgabe regional detailliert und weiterentwickelt wird. Insofern ist es Aufgabe für die gegenwärtige Reform, den bundesweiten Rahmen auf das nötige Maß zu beschränken und Landesgremien (z.B. Landesausschuss oder in Fragen der sektorenübergreifenden Planung der erweiterte Landesauschuss) sowie auch lokalen Gremien (wie dem Zulassungsausschuss) den erforderlichen Freiraum zu gewähren.

Die durch die Koalitionäre angedachte Bund-Länderarbeitsgruppe könnte den Versuch einer entsprechenden Rahmenbildung für eine umfassende Sichtung und Formulierung von Versorgungszielen und Maßnahmen darstellen. Die Einbindung entsprechenden Sachverstandes wird dabei Voraussetzung für eine gelingende Reform sein, die nicht zum Gegenstand von Bund-Länder Kompetenzstreitigkeiten werden darf.

Im Hinblick auf die gegenwärtige Systematik ist von vordringlicher Relevanz die Anpassung der Maßzahlen zur Einwohner-/Arztrelation. Das bisherige System zielte auf die Sperrung von Gebieten mit hoher Arztdichte ab, ohne jedoch die Erforderlichkeit der hohen Arztdichte zu bewerten. Mit der Einführung einer Aufkaufregelung wird das Instrument zweckentfremdet, indem unterstellt wird, dass die Verhältniszahlen explizit auch Auskunft über die Entbehrlichkeit von Zulassungen (ab einem normativ festzulegenden Versorgungsgrad) geben können.

Seit der Einführung der Arzt-Einwohnerrelation in den neunziger Jahren hat sich die Medizin an zahlreichen Stellen nicht zuletzt durch den medizinischen Fortschritt dramatisch verändert, ohne dass diese Maßzahlen angepasst worden wären. Gutes Beispiel dafür ist die Fachgruppe der Internisten, die derzeit deutschlandweit einen Versorgungsgrad von über 140 Prozent aufweisen. Es gibt deshalb gute Gründe dafür, im Jahre 2018 einen Soll-/Istabgleich der Versorgungsrelationen vorzunehmen. Wenn das Ist über Jahre hinweg zu weit vom Soll entfernt liegt, muss nicht nur die Option geprüft werden, das Soll um jeden Preis durchzusetzen, sondern es ist auch darüber nachzudenken, ob es überhaupt noch den Realitäten entspricht. Daneben liegt eine Reihe von Reformoptionen auf dem Tisch, wie z.B. fachgruppenspezifische Themen (Nachvollzug von Reformen der Musterweiterbildungsordnung), differenziertere Steuerungsmodelle oder aber auch die Einführung von Gewährleistungskriterien.

Unbenommen der Entwicklung eines aufeinander besser abgestimmten Maßnahmen- und Gremientableaus wird schon bei der Umsetzung des bisherigen Auftrages der Bedarfsplanung durch den GBA deutlich, dass der Rechtsrahmen zur Ausformung wirksamer Steuerungselemente dringend angepasst bzw. konkretisiert werden muss. Ziele der Bedarfsplanung können vor dem Hintergrund der in den nächsten Jahren ausscheidenden Zulassungsinhaber auch auf dem Wege der Nachbesetzung verfolgt werden, ohne dass neue Bedarfsplanungsgruppen mit potenziellen Stellenausweitungen eingerichtet werden. Dies gelingt beispielsweise über die Einrichtung von Quoten innerhalb der Planungsgruppen (z.B. für die Schwerpunkte der Inneren Medizin) oder über Hinweise zur Nachbesetzung (z.B. bei der Arztgruppe der Chirurgen bzw. der Nervenärzte). Beschlussfassungen des GBA, die beide Steuerungselemente beinhalten, werden derzeit durch das Bundesministerium für Gesundheit, beanstandet, so wie jüngst im Januar 2018, da keine Legitimierung durch einen gesetzlichen Auftrag vorgelegen hat.

Denkbar ist im Rahmen einer Neudefinition der Bedarfsplanung auch, dass die Bundesebene sich auf die Rolle der Gewährleistung angemessener Versorgung dergestalt zurück zieht, dass Korridore der Erreichbarkeit von Ärzten der jeweiligen Fachgruppe sowie deren vorzuhaltenden Kapazitäten (Fälle pro Arzt) als GBA-Richtlinie veröffentlicht werden. Die konkrete Ausgestaltung der Planung obläge dann der Landesebene. In diesem Sinne ist auch zu prüfen, wie eine sektorenübergreifende Planung gelingen kann. Im GBA ist die Deutsche Krankenhausgesellschaft bei allen Fragen der vertragsärztlichen Bedarfsplanung voll stimmberechtigt. Für versorgungssteuernde Beschlüsse des GBA, z.B. zur Strukturierung der Notfallversorgung oder der Gewährung von Sicherstellungszuschlägen für Krankenhäuser, wird gleiches den Vertragsärzten nicht zugebilligt. Im Sinne einer sektorenübergreifenden Planung sollten ähnlich der Stimmberechtigung der Krankenhäuser bei Fragen der ambulanten Bedarfsplanung ähnliches den Vertragsärzten zugestanden werden. Das Thema Notfallversorgung wiederum ist geeignet, sektorenübergreifende Planung auf Landesebene in gemeinsamen Gremien wie dem erweiterten Landesausschuss nach § 116b Abs.3 SGB V exemplarisch zu erproben und als Grundprinzip zu etablieren. In der Folge erscheint denkbar, bei weiteren neuen, sektorenübergreifend auszurichtenden Versorgungsformen (z.B. Versorgung von Beatmungspatienten im häuslichen Umfeld, stationsäquivalente Versorgung nach § 115d SGB V) gemeinsame Planungen auf Landesebene zu ermöglichen.

Hinsichtlich der deutlich zu verzeichnenden Entwicklung eines stärkeren Mitspracherechts der Länder bei der vertragsärztlichen Bedarfsplanung ist anzumerken, dass ein dies ohne finanzielles Engagement oder anderweitig verantwortliche Einbindung die ohnehin komplexe Beratungssituation weiter verkomplizieren würde. Insofern erscheint die Konzentration auf die Rechtsaufsicht der Länder wohl als der zukunftsfestere Weg. Heute schon sind auf den Webseiten der KBV wie KVen umfangreiche Informationen zum Stand der Versorgung regelmäßig aktualisiert abrufbar. Maßgeblich sind dabei auch die Bedarfspläne von KV und Landeskrankenkassen sowie die Gesundheitsberichterstattung der KBV. Das Angebot wird im Sinne eines Monitorings kontinuierlich ausgebaut und wäre idealerweise auch durch vergleichbare Informationen zur Krankenhausversorgung eines Landes zu ergänzen.

Eine Fehlannahme ist hingegen, dass der Abbau von Arztkapazitäten in Ballungsgebieten automatisch zu einer Erhöhung in ländlichen Regionen führt. Hierfür sind vielmehr Anreize erforderlich, die über die rein finanzielle Seite hinausgehen müssen. Die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen für (häufig akademische) Partner, schulische Angebote oder aber die Erreichbarkeit durch einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr können dabei eine wichtige Rolle spielen. Eine Herauslösung dieser spezialisierten Versorgungsebene aus dem Sicherstellungsauftrag der KVn stellt ebenfalls keine Lösung dar, da eine Krankenhauskonzentration dieser Versorgungsebene mit noch weiteren Entfernungen und Engpässen für die Bevölkerung sowie höheren Fixkosten einhergehen würde.

Hinsichtlich der Ausweitung des Sprechstundenangebots wird die Bedarfsplanung bisheriger Couleur nur bedingt einen Beitrag leisten können. Die exaktere, detaillierte Ausweisung und Steuerung (= Kontrolle) von Planungskapazitäten, bis hin zu Einzelleistungen wird die Angebotssituation von Sprechstunden nicht grundlegend ändern. Im Sinne einer Steuerung über Anreize ist prüfen, ob durch die Ausbudgetierung von Leistungen, insbesondere der sprechenden Medizin bzw. der Grundleistungen das Sprechstundenangebot wirksam ausgebaut werden kann. Auszahlquoten (d.h. Anzahl der behandelten Fälle, die tatsächlich vergütet werden) von 80 Prozent animieren nicht zur erweiterten Ausübung der Sprechstunde.

 

Zusammenfassung

Zurückkommend auf das Resumé von Prof. Robra erscheint es an der Zeit, auf die Limitierung planerischer Ansätze hinzuweisen. Dies fängt schon bei den begrifflichen Überzeichnungen an: „Bedarfsplanung“ oder „Krankenhausplanung“[7] stellen begriffliche Überhöhungen dar, der Begriff Bedarfsmanagement bildet möglicherweise den „iterativen“ Prozess des Aushandelns von Leistungsangebot, dessen Finanzierbarkeit und die Ausstattung mit personellen Ressourcen im Rahmen einer Verhandlungslösung besser ab. Dieser Prozess muss durch die Wissenschaft informiert und entsprechend transparent durchgeführt werden. Die gemeinsame Selbstverwaltung hat über den GBA mit der Beauftragung eines wissenschaftlichen Gutachtens exakt diesen Prozess eingeleitet und wird ihre Beratungen an dem skizzierten Rahmen ausrichten.

In Anbetracht der Problemvielfalt und dies vor dem Hintergrund einer sich schnell verändernden Versorgungs- und Gesundheitsberufelandschaft ist die Bedarfsplanung bzw. das Bedarfsmanagement nur eines der Instrumente, mit dem Versorgungssteuerung im Sinne einer hochwertigen, aber finanzierbaren ambulanten Gesundheitsversorgung organisiert und sichergestellt werden kann. Alle Reformansätze sollten deshalb nach einer Zieldefinition geeignete Steuerungsinstrumente (Planung, Vergütung, Qualitätssicherung, Ausbildungskapazitäten) identifizieren. Danach sind der angestrebte Zeithorizont (kurz-, mittel- oder langfristig), die Regulierungsebene Bund, Land, Ortsebene) sowie die dafür geeigneten Entscheidungsgremien (z.B. Landesausschuss bzw. erweiterter Landesausschuss versus Gremium nach § 90a SGB V zu klären oder aber der Zulassungsausschuss) zu klären. Ohne einen solchen Prozess wird auch die jetzige Bedarfsplanungsreform Stückwerk bleiben.

Unbenommen davon ist zu resümieren, dass die ambulante Versorgung im Gegensatz zu anderen Bereichen der Daseinsvorsorge keinen Vergleich, auch international, nicht zu scheuen braucht. Alle zu wählenden Eingriffe in die bestehende Versorgung sind vor diesem Hintergrund auf ihre Auswirkungen auf die bislang bislang gut funktionierende Versorgung zu prüfen.

 

[1] Der Gesetzgeber hat im VStG eine kleinräumigere und um Aspekte der Morbidität und Sozialfaktoren ergänzte Bedarfsplanung in Auftrag gegeben.

[2] Sofern vorhanden kann vorliegende Evidenz in Planungsmodellen für wenige Jahre prospektiv mit einiger Gewissheit extrapoliert werden, nicht jedoch für langfristige Zyklen wie z.B. die Ärzteaus- und Weiterbildung bzw. die Bedarfsplanung. Insofern tritt offensichtlich bei langfristig prospektiv angelegten Modellen an die Stelle der Evidenz das Dogma bzw. Überzeugung oder der häufig zitierte „gesunde Menschenverstand“. In besseren Zeiten werden Irrtümer solcher Planungssysteme erkannt und geräumt, in schlechteren Zeiten mit repressiven Mitteln die Umsetzung der Planung erzwungen.

[3] Eine Ausnahme stellt das Förderprogramm Weiterbildung nach § 75a SGB V dar, das gezielt die Weiterbildung von Allgemeinärzten und einer kleinen Zahl von grundversorgenden Fachärzten zum Gegenstand hat. Sinnvoll wäre der Ausbau des Programms oder aber alternativ die Entbudgetierung von Leistungen, die durch Weiterbildungsassistenten erbracht werden.

[4] Begründet wurde die Beanstandung vordergründig mit den nur das DRG-System betreffenden Auswirkungen der GBA-Beschlüsse zur Notfallversorgung und zu den Sicherstellungszuschlägen. Ein verbindliches Mitspracherecht der KBV wurde aufgrund der beabsichtigten rein sektoralen Vorgabe durch das BMG abgelehnt.

[5] Nota bene: Ein solches System dient in erster Linie der Wachstumsbegrenzung verbunden mit der Hoffnung, dass Bewerber auf offene Planungsbezirke ausweichen. Es taugt jedoch nicht zur Aussage darüber, ob Arztsitze in sogenannt überversorgten Gebieten überflüssig sind oder gar aufgekauft werden müssen.

[6] Im SGB V werden alle Fachgruppen, auch die Psychotherapeuten, als Arztgruppen bezeichnet.

[7] Kenner der Krankenhausplanung sprechen gar von einer „nachvollziehenden“ Planung.

 


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