23.11.2019
Biosimilars – ein noch zu hebender Schatz?
Ein internationaler Rundumblick
Prof. Dr. Eva Susanne Dietrich, Institut für evidenzbasierte Positionierung im Gesundheitswesen, Bonn
Die Preisstruktur biologischer Arzneimittel stellt Gesundheitssysteme weltweit vor erhebliche Herausforderungen. Ähnlich wie seinerzeit bei den Small Molecules und deren Generika erhofft man sich von Biosimilars eine massive Downregulierung der Preise. Die Erwartungen an die Einsparungen wurden jedoch vielerorts noch nicht erfüllt. Die folgende Tour d’horizon durch die internationale Regulierungslandschaft zeigt, dass die verschiedenen Länder unterschiedlich robust vorgehen, wenn es darum geht, die Biosimilarquoten zu erhöhen und Effizienzreserven zu realisieren. Aufgrund der Polypragmasie sind dabei die Effekte der einzelnen Maßnahmen schwer zu beurteilen. Zumindest kurzfristig können Länder mit starker staatlicher Intervention die größten Erfolge erzielen. Dass ein relativ freier Wettbewerb langfristig zu größeren Einsparungen führt, wird vielfach beschworen. Entsprechende Erkenntnisse liegen jedoch (noch) nicht vor und werden angesichts der aktuell massiven Interventionen auch mittelfristig nur in begrenztem Umfang verfügbar sein. Viele Staaten haben sich vielmehr hohe Biosimilarquoten und Einsparungen auf die nationalen Agenden geschrieben und begleiten diese mit vielfältigen Maßnahmen.
2018 wurden in Deutschland 37 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen auf den Markt gebracht. Über die Hälfte der Neuzulassungen waren biologische Arzneimittel mit medianen Jahrestherapiekosten von über 300.000 Euro pro Patient. (1) Diese Preisstruktur stellt nationale Gesundheitssysteme weltweit vor erhebliche Herausforderungen.
Ähnlich wie seinerzeit bei den Small Molecules und deren Generika erhofft man sich jedoch von Biosimilars einen massiven Einspareffekt. (2–5) Darüber hinaus soll mit ihnen der dauerhafte Zugang der Patienten zu Biologika gewährleistet werden. Es finden sich bisher allerdings sehr unterschiedliche Verordnungsanteile von Biosimilars – sowohl im internationalen Vergleich (4, 6) als auch innerhalb eines Landes. (7, 8) Weiterhin unterscheiden sich die Verordnungsraten sowie Preissenkungen zwischen den unterschiedlichen Wirkstoffgruppen erheblich. (7–9) In der Folge sind die Erwartungen an die Einsparungen noch nicht erfüllt.
Die folgende Tour d’horizon durch die internationale Regulierungslandschaft will den Fragen nachgehen: Wie implementiert man weltweit den Biosimilareinsatz, und gibt es Maßnahmen, die besonders erfolgreich sind?
Zulassung
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) war die erste Regulierungsbehörde, die 2005 Leitlinien für die Zulassung von Biosimilars festlegte. Japan folgte 2009 nach. In den USA legte das Biologics Price Competition and Innovation Act (BPCIA), das 2010 als Teil des Affordable Care Act (ACA) in Kraft trat, die Grundlagen für einen verkürzten Zulassungsweg für Biosimilars. In der Folge entwickelte die FDA entsprechende Richtlinien für die Zulassung. 2015 wurde das erste Biosimilar zugelassen. (10)
Eine Besonderheit in der Zulassung ist die Extrapolation: „Falls ein Biosimilar einem Referenzarzneimittel sehr ähnlich ist und vergleichbare Sicherheit und Wirksamkeit in einer therapeutischen Indikation aufweist, können die Daten hinsichtlich der Sicherheit und Wirksamkeit auf andere bereits für das Referenzarzneimittel zugelassene Indikationen extrapoliert werden.“ (11) Diese hat jedoch keinen Einfluss auf die therapeutische Gleichwertigkeit des Biosimilars zu Referenzarzneimitteln in den zugelassenen Indikationen. (12)
Verfügbarkeit und Erstattungsfähigkeit
Bis Ende Oktober 2019 waren auf dem deutschen Markt 39 Biosimilars zu 13 Wirkstoffen eingeführt. 17 Biosimilars sind zwar bereits in der EU zugelassen, wurden aber in Deutschland noch nicht eingeführt. (1, 13) In allen europäischen Ländern werden Biologika zumindest in Teilen erstattet. Sie stehen in der Regel im Krankenhausbereich und in der Mehrzahl der Länder auch in der ambulanten Versorgung zur Verfügung. Bei der Anzahl verfügbarer Biosimilars finden sich jedoch deutliche Unterschiede, die nicht die Folge von Erstattungsentscheidungen sind, sondern vielmehr auf wirtschaftlichen Erwägungen der Zulassungsinhaber basieren. (14) Da Europa Vorreiter in der Zulassung war, ist es auch noch Vorreiter im Einsatz von Biosimilars. 2016 lag es mit 87 % der weltweiten Biosimilar-Umsätze ganz vorn. (15) Mitte 2019 lagen die Anteile jedoch nur noch bei 57 %. (16) Die USA hatten mit 36 % schon stark aufgeholt, was angesichts der massiven Interventionen (s.u.) nicht weiter verwunderlich ist.
Kenntnisse und Einstellung
Als zentrale Gründe für die noch unzureichende Verordnung von Biosimilars werden oft mangelhafte Kenntnisse und Vorbehalte der Ärzte angeführt. Etliche Erhebungen aus den ersten Jahren nach Einführung der Biosimilars konnten dies bestätigen. (17) Aus den Jahren ab 2017 finden sich aber nur noch wenige Surveys, da mittlerweile zwei Drittel bis drei Viertel aller Ärzte bereits Biosimilars verordnet haben. (18–20) Nach einer neueren DocCheck-Befragung, die im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimilars stattfand, waren zwar fast alle Ärzte der Auffassung, dass Originalpräparate grundsätzlich durch Biosimilars ersetzt werden können. 80 Prozent meinten jedoch, dass diese Entscheidung beim Arzt verbleiben sollte. In einer Umfrage der KV Nordrhein vertraten fast alle Ärzte diese Meinung. (7, 19)
Eine recht aktuelle und differenzierte Erhebung aus UK macht deutlich, dass Ärzte geringfügig häufiger Risiken bei der Sicherheit als bei der Wirksamkeit sehen, was bei Apothekern eher umgekehrt ist. Außerdem wird ein Switching etwa doppelt so häufig kritisch gesehen wie eine initiale Einstellung. (21) Interessant ist, dass die Patientenakzeptanz das kleinste Hindernis zu sein scheint. (20, 21)
Preisbildung
Ein zentrales Element der Ausgabenkontrolle ist die Preisbildung bei Biosimilars. Sie ist in praktisch in allen europäischen Ländern im ambulanten Bereich ganz oder teilweise auf nationaler Ebene geregelt. Im Krankenhaus finden sich in allen Ländern Ausschreibungen. (14) Als Höchstpreise werden oft externe Referenzpreise herangezogen, wie in Bulgarien, der Tschechischen Republik, Island, Malta, Lettland, Serbien und Slowenien. Die Länderkörbe differieren dabei jedoch erheblich. (14)
Andere nationale Kostenträger haben für das erste und Folgebiosimilars im Markt fixe Rabatte festgelegt, wie z.B. Österreich oder zahlreiche Ostblockländer. Die Rabatte für das Erstbiosimilar liegen zwischen 40 und 15%. Mit der Einführung von Biosimilars muss in Ländern wie Österreich und Island auch der Preis des Originalpräparats gesenkt werden, oder der Erstattungsanteil wird – wie in Tschechien – gesenkt.
In einigen Ländern wie Belgien, Frankreich oder Irland wird der Preis verhandelt. In Frankreich gibt es für Biosimilars dabei einen obligatorischen Preisnachlass von 10% bis 20% auf das Referenzarzneimittel. (2) In den meisten restlichen europäischen Ländern gibt es Ausschreibungen. In vielen Ländern werden mehrere Preismechanismen miteinander kombiniert. (14) Für den stationären Bereich gibt es sowohl nationale als auch subnationale Ausschreibungen. Nationale Ausschreibungen finden sich z.B. in Malta, Serbien, Norwegen und Dänemark. (9, 14) Besonders hohe Preisnachlässe konnte der Norwegian Hospital Procurement Trust, Division Pharmaceuticals (legemiddelinnkjøpssamarbeid, LIS) erzielen mit Rabatten von 69% des Biosimilar Infliximab auf das Originalpräparat im Jahr 2015 und 60% Rabatt im Jahr 2016.
Bei der Erstellung von Ausschreibungen gibt es nach Moorkens et al. einen klaren Trend zur Verwendung von internationalen Freinamen (INN; International Non-proprietory Name). In den USA finden sich primär Preisverhandlungen und Rabattzahlungen der Hersteller.
Verordnung von Biosimilars durch Ärzte bei therapienaiven und -erfahrenen Patienten
Wie ist nun aber der Einsatz von Biosimilars leistungsrechtlich geregelt? Biosimilars können einerseits vom Arzt bei der Neueinstellung eines Patienten verordnet werden. Andererseits kann der Arzt den Patienten von einem Präparat auf ein anderes umstellen. Oder der Apotheker kann eine automatische Substitution des verordneten Arzneimittels bei einem therapienaiven oder therapieerfahrenen Patienten vornehmen. Entsprechend sind hier das sogenannte Switching und die Substitution zu unterscheiden. (11)
Die Bewertungen der EMA enthalten keine Angaben darüber, ob das Biosimilar mit dem Referenzarzneimittel austauschbar ist und somit auch nicht darüber, ob das Referenzarzneimittel mit dem Biosimilar ausgewechselt oder substituiert werden kann. Diese Entscheidung hat die EMA auf die nationale Ebene delegiert. (11)
In den letzten Jahren wurden jedoch zahlreiche Studien zum Switch durchgeführt. In keiner wurde ein (signifikanter) Unterschied hinsichtlich der Wirksamkeit oder Verträglichkeit zwischen Biosimilar und Referenzarzneimittel festgestellt. (12) An dieser Stelle wird auch gern die Publikation von Vezer et al. angeführt. Sie zeigt die Vielzahl von Änderungen im Herstellungsprozess der Original-Biologika auf, mit denen die EMA in der Vergangenheit bereits konfrontiert war. Sie legt damit implizit die Schlussfolgerung nahe, dass die Frage der Austauschbarkeit ein wenig entspannter angegangen werden kann, solange es sich nicht um unterschiedliche Devices handelt. Denn auch innerhalb der Originalpräparate finden sich maßgebliche Unterschiede im Herstellungsprozess, die jedoch nicht dazu führen, dass eine Patientenrelevanz unterstellt wird oder ein Risiko für den Patienten vorliegt. (22)
In etwa der Hälfte der europäischen Länder finden sich in der Folge Incentives für Ärzte, Biosimilars zu verschreiben. (14) So wurden in Frankreich im Rahmen eines nationalen Programms zur Steigerung der Qualität und Effizienz (ROSP; rémunération sur objectifs de santé publique) Zielwerte für Biosimilars bei Diabetes festgelegt. Ärzte, welche diese und andere Zielwerte erreichen, erhalten eine zusätzliche Vergütung. (23)
Der belgische Zukunftspakt für Patienten mit der Pharmaindustrie („Toekomstpact voor de patiënt met de farmaceutische industrie“) aus 2015 bildete die Grundlage für eine Vereinbarung zwischen der Regierung, der Pharmaindustrie und dem medizinischen Sektor, den Einsatz von Biosimilars zu fördern. In diesem Zusammenhang werden die Ärzte angehalten, mindestens 20% Biosimilars für behandlungsnaive Patienten zu verschreiben. (24)
Das Medicine Evaluation Board der Niederlande erlaubt es, neue Patienten sofort mit Biosimilars zu behandeln, sowie zwischen Referenzbiologika und Biosimilars oder zwischen Biosimilars (basierend auf demselben Referenzprodukt) zu wechseln, jedoch wie auch andere Länder nur unter der Maßgabe einer angemessenen klinischen Überwachung, einer Patienteninformation und einer detaillierten Produkt- und Chargeninformationen des Medikaments in der Patientenakte. Die Entscheidung über den Wechsel wird vom Arzt unter Einbeziehung des Apothekers und des Patienten getroffen. (2) Einige Versicherungen schränken auch die Verordnung von Originalen ein, sobald Biosimilars verfügbar sind. (14)
Im Rahmen der Einführung der Umstellung auf Biosimilar-Etanercept erhielten die Patienten ein Schreiben, in dem die Gründe für die Umstellung erläutert wurden, sowie eine einmonatige Lieferung des Originalpräparats. Eine Krankenschwester kontaktierte jeden Patienten im Laufe des Monats, um den Bedarf an zusätzlichen Informationen zu ermitteln. Wenn keine Bedenken geäußert wurden, wurde dem Patienten ein neues Rezept für das Biosimilar ausgehändigt. Dabei konnten 80% der Patienten innerhalb von zwei Monaten auf das Biosimilar-Etanercept umgestellt werden. Weniger als 1% verweigerte die Umstellung.
Das offizielle Ziel des britischen NHS (National Health System) ist, dass mindestens 90% der neu eingestellten Patienten innerhalb von drei Monaten nach Einführung eines Biosimilars das preiswerteste biologische Medikament erhalten und mindestens 80% der bestehenden Patienten innerhalb von 12 Monaten, wenn möglich früher. Damit erwartet man sich Einsparungen in Höhe von etwa 2% der gesamten Arzneimittelausgaben. (25)
Ein wichtiges Mittel zur Zielerreichung ist der 2017 vom NHS aufgestellte Commissioning Framework für Biologika. Er richtet sich an die 200 Clinical Commissioning Groups (CCG), die seit 2013 als Nachfolger der Primary Care Trusts die Primärversorgung regional organisieren. Sie sind für das Beschaffungswesen zuständig, sollen die Belange der Allgemeinmediziner vertreten und rekrutieren sich auch in Teilen aus lokalen Allgemeinmedizinern. (25, 26) Das Papier beschreibt Maßnahmen auf nationaler und lokaler Ebene, die eine nachhaltige Versorgung der Patienten gewährleisten sollen, und gibt Hilfen für deren Umsetzung. Hierzu gehören die Einrichtung von vier Regional Medicines Optimisation Committees (RMOCs) in England, die als Ansprechpartner für die Zuständigen auf regionaler Ebene zur Verfügung stehen, klinische Empfehlungen herausgeben, gemeinsam mit dem NHS Informationspakete erstellen, die über Patentabläufe und Kosten informieren, Statistiken über die Zielerreichung herausgeben und temporäre Unterstützungsteams für einzelne Clinical Commissioning Groups zur Verfügung stellen, in denen die Implementierung der Rahmenvorgaben nicht zufriedenstellend ist. Weiterhin gibt es Beispiele zur erfolgreichen Einführung von Biosimilars aus der Praxis und Infomaterialien für Gesundheitsdienstleister, die in einer Kooperation mit Sandoz erstellt wurden. (NHS Cancer Vanguard)
Da erkannt wurde, dass die Leistungserbringer bisher keine finanziellen Anreize für eine Implementierung haben, sind zudem Zusatzleistungen vorgesehen wie Personal, das beim Switch unterstützt. Außerdem wird die Einrichtung von Arbeitsgruppen der Commissioner mit Experten aus dem Beschaffungswesen und Apothekern vorgesehen sowie ein Austausch mit den Krankenhäusern zu den dort verhandelten Preisen.
In Norwegen unterliegen alle von den Krankenhäusern bezahlten Produkte (sowie auch einige für den ambulanten Gebrauch) einer Ausschreibung. Anschließend wird vom LIS ein Ranking nach Preis erstellt und eine Empfehlung ausgesprochen. Die Ärzte müssen dem Ranking folgen und das billigste Produkt verwenden, das oft ein Biosimilar ist, außer es gibt einen klinischen Grund, nicht das billigste Produkt zu verwenden. Mit diesem System hat das Biosimilar Infliximab einen Marktanteil von über 95% erreicht, und auch der Marktanteil des Biosimilars Etanercept ist auf über 86% gestiegen. (2, 14) Die Effekte der Intervention heben sich deutlich vom ambulanten Bereich ab, wo keine Einflussnahme stattfindet. (9) Begleitet werden die Maßnahmen durch Seminare des LIS für Krankenhäuser, in denen den Ärzten die Ergebnisse der Ausschreibungen vorgestellt werden.
In Italien mussten Ärzte anfangs einen Switch begründen, da die italienische Arzneimittelbehörde (AIFA) für Biosimilars keine Austauschbarkeit gegeben sah. (9) Im April 2018 veröffentlichte sie ein zweites Positionspapier, das Biosimilar-Leitlinien enthält und deren Verwendung bei behandlungsnaiven und eingestellten Patienten empfiehlt, wenn der Wechsel vom Original auf das Biosimilar aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt ist. (27) Zwischenzeitlich wurden regional Zielquoten eingeführt. (persönliche Kommunikation)
In den USA zielt das Affordable Care Act auf gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen Referenzprodukten und Biosimilars ab. So erstattet Medicare Teil B den Ärzten Biosimilars auf Basis des durchschnittlichen Verkaufspreises des Biosimilars plus 6% des Verkaufspreises des Referenzpräparates. Das heißt, die Ärzte erhalten den gleichen Zusatzbetrag, unabhängig davon, ob sie ein Original oder ein Biosimilar verschreiben. Innerhalb von Medicare gibt es zudem neue Vergütungskonzepte in der Onkologie (OCM; Oncology Care Model), die für Ärzte neben der monatlichen Zahlung pro Patient halbjährliche Leistungsprämien vorsehen, deren Höhe von Faktoren wie der Qualität der Versorgung, Kosteneinsparungen und der Nutzung der elektronischen Patientenakte abhängt. (28)
Indien steht exemplarisch für die Situation in Entwicklungs- und Schwellenländern. Es beherbergt diverse wichtige Hersteller von Biosimilars, wie Dr. Reddys, Biocon oder Reliance Life Sciences. Die heimische Bevölkerung ist jedoch dennoch nur unzureichend mit Biologika versorgt. Daran konnten auch Preissenkungen bei Biosimilars nichts ändern. Vielmehr führten sie zu einer Schrumpfung der Märkte, ohne dass sich dies auf die Ausweitung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung auswirkte, da die Kosten für mehr als 80 Prozent der Zielgruppe immer noch unbezahlbar sind. (29)
Substitution
In den meisten Ländern ist eine Substitution biologischer Arzneimittel in der Apotheke nicht zulässig. Es gibt jedoch Ausnahmen. In Estland müssen Arzneimittel für den ambulanten Gebrauch mit ihrem INN verschrieben werden. Der Apotheker informiert den Patienten über die günstigste Alternative. Patienten können die Substitution von Biosimilars ablehnen, müssen dann aber die Preisdifferenz zwischen dem Originalpräparat und dem Biosimilar aus eigener Tasche bezahlen. Der Arzt kann eine Substitution mit medizinischer Begründung ausschließen. (14)
Auch Lettland erlaubt die Substitution auf Apothekenebene. Hat ein Arzt das Originalarzneimittel verschrieben und auf dem Rezept nicht angegeben, dass das verschriebene Arzneimittel nicht ersetzt werden darf, ist es die Pflicht des Apothekers, den Patienten über die günstigste Alternative zu informieren. Lehnt der Patient ab, so muss er die Preisdifferenz übernehmen. Für neu diagnostizierte Patienten muss der INN verschrieben werden, und dann ist es die Pflicht des Apothekers, das billigste erstattungsfähige Arzneimittel abzugeben. Der Patient hat keine Wahlmöglichkeit. (14)
In Polen ist die Substitution gesetzlich in Referenzgruppen erlaubt, und der Apotheker sollte die Substitution mit dem Patienten besprechen. (14) In Russland kann ein Biosimilar analog zum amerikanischen Vorgehen als „austauschbar“ kategorisiert werden. Allerdings sind hierfür keine gesonderten Switch-Studien erforderlich, und es muss auch keine besondere Post-Marketing-Surveillance erfolgen. (30) Ärzte verschreiben den INN, können aber die Substitution verhindern, indem sie einen medizinischen Grund angeben. Die Patienten können ebenfalls eine Substitution ablehnen, müssen dem Arzt jedoch ihre Gründe darlegen, oder sie können das Originalpräparat selbst kaufen. (14)
Das australische Pharmaceutical Benefits Advisory Committee (PBAC) entscheidet von Fall zu Fall über die Austauschbarkeit von Biosimilars (und anderen Medikamenten) und vergibt ggf. eine „A-Flag„. Eine automatische Substitution ist nur für Biosimilars zulässig, die diese Bezeichnung erhalten haben. Eine Substitution ist jedoch nicht zulässig, wenn der Arzt das Kästchen „Markensubstitution nicht erlaubt“ ankreuzt, auch wenn ein Medikament als austauschbar durch PBAC bezeichnet wird. (2)
In Frankreich wurde 2017 ein neues Gesetz erlassen, das den Ersatz von Biosimilars unter bestimmten Bedingungen erlaubt. So ist eine Substitution zulässig, wenn der Patient zum ersten Mal mit einem Wirkstoff behandelt wird und der verschreibende Arzt die Substitution nicht ausdrücklich verboten hat. Zudem muss der Apotheker den verschreibenden Arzt informieren. Eine weitere Substitution durch ein anderes Biosimilar ist nicht zulässig. Da es keine Rechtsverordnung zur Umsetzung des Gesetzes gibt, findet eine Substitution in der Praxis jedoch noch nicht statt.
In den USA wurde die Grundlage für eine Substitution durch das bereits erwähnte Biologics Price Competition and Innovation Act (BPCIA) in 2010 gelegt. Danach kann die Bezeichnung „austauschbar“ für Produkte vergeben werden, die ohne Intervention des Arztes, der ein Referenzprodukt verordnet hat, ausgetauscht werden können. Um einen entsprechenden Status zu beantragen, hat die FDA als Hilfestellung für die Industrie im Jahr 2017 einen Richtlinienentwurf (Guidance) zur Austauschbarkeit von Biosimilarprodukten veröffentlicht, der im Mai 2019 finalisiert wurde. Die FDA vergibt danach die Bezeichnung „austauschbar“, wenn das Biosimilar “can be expected to produce the same clinical result as the reference product in any given patient.” (31) Voraussetzung dafür sind in der Regel Switchingstudien. Darüber hinaus kann erst ein Jahr nach der ersten kommerziellen Vermarktung des ersten austauschbaren Biosimilars ein Austauschstatus für ein zweites Biosimilar gewährt werden. Der erste Anwärter für eine Interchangeability Designation ist derzeit Boehringer Ingelheim mit seinem Adalimumab-Biosimilar.
Nach Inkrafttreten des Gesetzes aber vor Finalisierung der Guidance haben die meisten Bundesstaaten in den USA in den letzten fünf Jahren Gesetze zur Substitution erlassen. In der Folge stellten viele Versicherungen standardmäßig Patienten mit beispielsweise Infliximab auf Biosimilars um. Über die Hälfte der Kostenträger forderte zudem mit Stand 2018 behandlungsnaive Patienten auf, ein Biosimilar-Produkt zu verwenden, bevor ggf. das Originalpräparat eingesetzt wird. (32)
Grundsätzlich können Patienten dies ablehnen, müssen dann allerdings üblicherweise die Kostendifferenz selbst übernehmen, die natürlich beträchtlich sein kann. Deutliche Linderung schaffen hier die sogenannten Couponprogramme („copay coupon program“) der Hersteller von Originalpräparaten. Jeder Hersteller von Referenzarzneimitteln, der sich dem Biosimilar-Wettbewerb stellt (mit Ausnahme der Hersteller von Referenz-Epoetin), hat in den USA ein Couponprogramm. (33) In einem Fünftel der Originalverordnungen kommen diese zum Einsatz, bei Autoimmunerkrankungen sogar in bis zu 80 bis 90 % der Fälle.
Ausblick
In der Zusammenschau findet sich international eine große Vielfalt von Maßnahmen. Die verschiedenen Länder gehen unterschiedlich robust vor, wenn es darum geht, die Biosimilarquoten zu erhöhen und Effizienzreserven zu realisieren.
Eine wichtige Rolle spielen Preissenkungen, die Verordnung von Biologika über ihren INN und teilweise erzwungene Umstellungen der Patienten. Dagegen können Ärzte und Patienten zwar durchaus ihr Veto einlegen. Aber in vielen Fällen bleiben die Patienten dann auf den Zusatzkosten sitzen. Eine Lösung haben die Hersteller von Originalen in den USA gefunden, wo Coupons ausgegeben werden. Damit rückt die – nennen wir es – „harte“ Substitution durch den Apotheker, wie wir sie von den Generika kennen, in den Hintergrund. Die Um- bzw. Einstellung auf Biosimilars bzw. das billigste Präparat erfolgt per ordre de mufti, und der Arzt ist hierfür der Erfüllungsgehilfe.
Legt man die Annahme zugrunde, dass durchaus patientenrelevante Unterschiede zwischen verschiedenen Fertigarzneimitteln existieren, dann wiegt man den Patienten damit in falscher Sicherheit, nutzt den Weißkitteleffekt aus und instrumentalisiert den Arzt. Vertraut man auf die EMA und die Ergebnisse der zunehmenden Zahl von Switchingstudien, dann stünde hingegen auch einem Vorgehen wie bei den Generika nichts im Weg.
Schaut man sich die Effekte der Maßnahmen an, so sind sie angesichts der Polypragmasie schwer zu beurteilen. Es treffen schlichtweg zu viele Faktoren zusammen, die einen Einfluss auf die letztendlichen Quoten, Preissenkungen und Einsparungen haben. Nicht abschließend seien genannt Stringenz der Preisverhandlungen und -senkungen sowie Vorgaben für die Verordner, die Art der Ausschreibungen, finanzielle Anreize, Informationsmaßnahmen oder Zuzahlungen der Versicherten.
Und nicht zu vergessen natürlich das Ausmaß des Wettbewerbs. Wie von Bauer et al. 2018 in einer Analyse herausgearbeitet, ist der Biosimilar-Markt allein aufgrund der Zahl der Herstellerfirmen und Anbieter nicht mit dem Generikamarkt vergleichbar. Während die im deutschen Markt verfügbaren Biosimilars aus dem Herstellungsprozess von knapp 20 Firmen hervorgehen, bräuchte es für einen funktionierenden Wettbewerb ca. 20, bei eingeschränktem Wettbewerb knapp 13 Anbieter je Wirkstoff im ersten Jahr.
Aktuell entscheiden somit wenige Firmen im Biosimilar-Markt über dessen mittelfristige Entwicklung. Es gilt daher, viele Anbieter auf den Markt zu locken. Wie ebenfalls aus der Analyse hervorgeht, sind dabei Open-House-Verträge ökonomisch attraktiver als Festbeträge oder gar Ausschreibungen. (34) Aber dennoch haben Anbieter von Biosimilars „bei den Open-House-Verträgen […] nichts zu gewinnen“, wie man einer Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimilars aus 2016 entnehmen kann. Diese seien „ein Vertragskonstrukt, das einen nachhaltigen Wettbewerb ausbremst“. (35)
Attraktiver seien daher Verordnungsquoten, was nicht schwer nachzuvollziehen ist. Bei Verordnungsquoten kann es allerdings eine Zeit dauern, bis sich die gewünschte Downregulation der Preise einstellt. Liegt der Fokus auf maximalen Preissenkungen, und findet gleichzeitig nur eine langsame Marktdurchdringung statt, sind Biosimilars für die Industrie nicht interessant. Auch das Festbetragssystem bremste bisher eine Preisentwicklung nach unten aus. Die Originatoren senkten ihre Preise auf Festbetragsniveau, sodass die Ärzte keinen Anlass hatten, auf Biosimilars umzusteigen, und ein Preiskampf für Biosimilar-Hersteller unter diesen Rahmenbedingungen keinen Sinn machte. Hier findet sich also ein Zielkonflikt, der ein sorgfältiges Abwägen oder auch neue Ansätze erfordert.
Aktuell sind die Voraussetzungen jedoch gut, denn fast 200 Firmen arbeiten derzeit an der Entwicklung von Biosimilars. Allein für Adalimumab befanden sich 2018 über 40 Biosimilars in der Pipeline. (36) Anfang 2019 waren bereits vier Produkte mit Preisen auf dem Markt, die um 40% unter denen des Originalpräparats lagen. (37)
Und die internationalen Signale an die Industrie sind eindeutig: Donald Trump hat sich die Senkung der Arzneimittelpreise auf die Fahne geschrieben. In seinem Papier American Patients First schreibt er in der ihm eigenen Art: „Prices will come down.“ (38) Ein Mittel dazu sind Biosimilars, zu denen die FDA einen entsprechenden Action Plan aufgelegt hat. (3) Auch die französische Regierung hat 2017 eine hohe Biosimilarquote zum nationalen Ziel erklärt. Bis 2022 soll eine Quote von 80% erreicht werden. (5) Und auch für die Europäische Kommission ist die Ausschöpfung der Einsparpotenziale bei Generika und Biosimilars erklärtes Ziel. (4) Dem gegenüber stehen die Spielräume der Biosimilar-Hersteller in der Preisgestaltung. (39)
Es ist somit in den nächsten Jahren noch mit viel Bewegung im Markt zu rechnen.
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