Ungeregelte Triage-Situationen außerhalb einer Infektionskrankheit

Anhörung zum Gesetzentwurf im Kreuzfeuer der Kritik / Zweite und dritte Lesung im Bundestag bereits am 10. November

Hubert Hüppe MdB, CDU/CSU-Fraktion, Mitglied des Gesundheitsausschusses

Am 28. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht seine Triage-Entscheidung veröffentlicht. Geklagt hatten Menschen mit Behinderungen, deren Befürchtung war, aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt zu werden, wenn es zu Triage kommt – also bei der Zuteilung nicht ausreichend verfügbarer Behandlungskapazitäten. Das Bundesverfassungsgericht gab den Klagenden recht, der Gesetzgeber habe gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, „weil er es unterlassen hat, Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen benachteiligt wird.“

Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung soll geeignete Vorkehrungen treffen. Doch es gibt eine Reihe von Problemen dieses Gesetzentwurfs aus dem Hause von Minister Lauterbach, wie die Anhörung am 19. Oktober gezeigt hat. Der Gesetzentwurf regelt Triage im Infektionsschutzgesetz – und zwar nur dann, wenn es „aufgrund einer übertragbaren Krankheit“ nicht ausreichend „überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten“ gibt. Damit bleiben alle Triage-Situationen außerhalb einer Infektionskrankheit ungeregelt, z.B. Naturkatastrophe, Reaktorunfall, Flugzeugabsturz, Krieg oder Terroranschlag. und nicht nur das: auch alle Triage-Situationen zur Zuteilung von Behandlungskapazitäten außerhalb der Intensivmedizin, z.B. Arzneimittel, Blutkonserven, Plätze im Rettungswagen.

 

Sanktionen fehlen bei Verstößen

Die zentrale Frage, wann Ärzte rechtmäßig triagieren, wird nur im Begründungsteil beantwortet – und auch das nur zur Hälfte: Eine Triage „scheidet aus, wenn betroffene Patientinnen oder Patienten regional oder überregional verlegt und intensivmedizinisch behandelt werden können.” Doch welche Behörde verbindlich die Feststellung trifft, dass diese (über)regionalen Verlegungen nicht mehr möglich sind und von da ab Triage rechtmäßig möglich ist, lässt der Gesetzentwurf offen.

Sämtliche Vorgaben für Triage im Gesetzentwurf – wie das Zuteilungskriterium „Überlebenswahrscheinlichkeit“, Mehraugenprinzip, Facharzterfordernis und Dokumentationspflicht – sind nicht mit Sanktionen bewehrt, Verstöße sind weder mit Strafe noch mit Bußgeld bedroht. Es soll keine Meldepflicht für eine durchgeführte Triage geben. Das heißt, keine Behörde erfährt davon, ob und mit wie vielen Patienten es Triagen gegeben hat, und es kann praktisch keine Kontrolle stattfinden.

 

Mindestanforderungen und Kontrolle nicht erwähnt

Zuständigkeiten und Entscheidungsabläufe der Triage soll jedes Krankenhaus für sich selbst festlegen. Mindestanforderungen für die krankenhausspezifischen Regeln soll es genauso wenig geben wie deren Kontrolle durch bzw. Vorlage bei einer Behörde. Dabei muss man wissen: Es gibt rund 1.100 betroffene Krankenhäuser mit intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten.

Das Bundesverfassungsgericht fordert Vorgaben für die Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals zur Triage. Der Gesetzentwurf verweist dazu – im Begründungsteil – auf die Zukunft: Die Approbationsordnung für Ärzte soll um „Inhalte zu behinderungsspezifischen Besonderheiten“ ergänzt werden, und mit der Bundesärztekammer soll erörtert werden, wie die Triage-Vorgaben in Fort- und Weiterbildung zeitnah vermittelt werden können.

Beim Zustandekommen des Gesetzentwurfs ohne echte Beteiligung der Betroffenen steht Minister Lauterbach von Anfang an im Kreuzfeuer der Kritik Betroffener, dies zeigte sich auch bei der Anhörung.

Umstritten war auch bei der Anhörung das Zuteilungskriterium der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit”. Es wird nicht nur von Behinderten kritisiert, dass Behinderungen zu einer geringeren „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ führen können – und dadurch eben doch eine mittelbare Benachteiligung aufgrund der Behinderung stattfinden könnte. Ein großer Teil der Behinderten-Selbsthilfe favorisiert dagegen ein „Randomisierungsverfahren“ – also ein Zufallsverfahren zur Zuteilung überlebenswichtiger Behandlungsressourcen.

Zwischen medizinischen Fachverbänden und insbesondere der Behinderten-Selbsthilfe umstritten ist die Ex-post-Triage, die bei einem mit einer knappen Behandlungsoption versorgten Patienten zum Abbruch dieser Therapie zugunsten eines anderen Patienten führen kann. Der Gesetzentwurf enthält ein Verbot, der Bundesrat hat eine Öffnung für Ex-Post-Triage befürwortet, die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung eine solche Öffnung abgelehnt. Die Koalitionspartei FDP erweckt den Eindruck, Ex-Post-Triage zulassen zu wollen.

Obwohl alle diese Fragen noch offen sind, drängt offenbar die Koalition auf Eile: Zweite und Dritte Lesung sollen schon am 10. November stattfinden.

 


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