MVZ-Weiterentwicklung forcieren, nicht bekämpfen

Onkologen gehen mit der Firma Omnicare neue Wege

Prof. Dr. Stephan Schmitz, Sprecher des Deutschen Onkologie Netzwerkes

Seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004 haben sich die Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems für Krankenhäuser und Vertragsärztinnen und -ärzte massiv verändert. Damals wurden sogenannte Versorgungszentren (Gesundheitszentren, später Medizinische Versorgungszentren, kurz MVZ) per Gesetz zulässig, und es wurde eine neue Möglichkeit zur ambulanten Versorgung durch Krankenhäuser eröffnet (§ 116 b SGB V). Dies führte zu einer insgesamt durchaus innovativen, aber auch disruptiven Veränderung der ambulanten Versorgungslandschaft. Es wurden nämlich neue Versorger in die ambulante Versorgung eingeführt: Krankenhäuser und Gesundheitszentren/MVZ.

Damit verschoben und verschieben sich immer noch die Gewichte: weg vom freiberuflichen selbstständigen Facharzt, hin zu ambulant tätigen, angestellten Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus oder in MVZ. Neben der damit verbundenen Öffnung des ambulanten Marktes für andere Wettbewerber wurde die rechtliche Stellung des Arztes in der ambulanten Versorgung revolutioniert, ohne dass sich dies sofort bemerkbar gemacht hätte. Doch eine bisher wie in Stein gemeißelte und unter Strafandrohung durchgesetzte Vorschrift, wonach ein ambulanter Vertragsarzt immer freiberuflich und selbständig sein müsse, wurde über Bord geworfen. In MVZ konnten nun angestellte Ärzte ambulant tätig sein.

 

Manche haben den Wandel noch nicht verstanden

Konsequenterweise wurde diese Regelung mit Wirkung zum 1. Januar 2007 im Vertragsarztrechtänderungsgesetz auf Vertragspraxen ausgedehnt. Damit befinden sich die Vertragsärzte in einem von manchen allerdings immer noch nicht realisierten Umstrukturierungsprozess von Freiberuflichkeit: Freiberuflichkeit lässt sich nun auch in größerem Stil und in überregionalen Strukturen organisieren. Der gesetzliche Rahmen dafür ist vorhanden.

In den letzten Jahren sind viele neue MVZ entstanden, zum Teil unter der Führung von Investoren (via Krankenhaus oder Dialyseeinrichtungen), zum Teil durch Vertragsärzte entwickelt. So hat sich ein buntes Bild der MVZ-Landschaft entwickelt.   Klassische Vertragsärzte in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen stehen im Wettbewerb mit anderen MVZ-Strukturen. Nicht wenige sehen diese Entwicklung äußerst kritisch, Stichworte: Fremdkapital, Heuschrecken.

 

Einzelpraxen sind ohne Überbau längst überfordert

Es gibt aber gute sachliche Gründe, die MVZ-Entwicklung weiter zu forcieren und nicht zu bekämpfen. Erstens: Es lässt sich ein signifikanter Fortschritt in der Versorgungsqualität durch die Entwicklung und Nutzung ausgearbeiteter, patientenorientierter Prozesse erreichen. Hier sind Einzelpraxen für sich in vielen Fachgebieten überfordert. Die Entwicklung solcher Prozesse – sei es zur besseren Patienteneinbindung, zur Gestaltung einer effektiveren Verzahnung mit Partnern in der Patientenbehandlung oder in der Analyse und Verbesserung der Behandlungs- und Betreuungsqualität – bedarf der Konzeption und der Tests in Piloten. Sie braucht systematische Einführung, professionelle Schulung, laufende Nachsteuerung. Hierfür ist aber ein Überbau nötig.

Zweitens: Viele Fachrichtungen benötigen sehr spezifische digitale Lösungen zur Unterstützung ihrer diagnostischen, therapeutischen oder administrativen Arbeit. Dieser Markt ist aber zu klein, um für Softwaredienstleister interessant zu sein. „State-of-the-art“-Lösungen sind in vielen Fällen daher nicht existent. Eine Einzelpraxis kann sich Eigenentwicklungen gar nicht leisten – ein größerer, mittelständischer Verbund schon.

Drittens, und dies gilt besonders in der Onkologie: Die Innovationsrate in Diagnostik und Therapie nimmt zu. Wir kämpfen mit Innovationskomplexität. Die schnelle, aber gleichzeitig systematische Einführung von Innovationen in den Praxisalltag kann man viel einfacher in einem Netzwerk realisieren, das unternehmerisch geführt wird.

 

Pragmatische Lösungen sind gefordert

Viertens: Viele (onkologische) Praxen haben große Probleme mit der Nachfolgeregelung. Zahlreiche Praxisinhaber steuern dem Ruhestand entgegen. Der Nachwuchs zieht immer häufiger eine Angestelltenrolle vor und scheut erst einmal die freiberufliche Situation ohne Netz und doppelten Boden. Hilfe beim Unternehmertum in einem Netzwerk reduziert die Barrieren zur Selbstständigkeit. Für alle vier Punkte sind übergreifende Projekte, gebündeltes Know-How, zentrale Ressourcen, aber auch Investitionen, also Kapital, notwendig. Größere Strukturen und Fremdkapital per se zu verteufeln, wäre falsch. All dies gilt ganz besonders für die Onkologie.

Wir werden einen Systemzustand wie vor 2004 nicht mehr erreichen können. Eine Rückkehr wäre aber auch nicht wünschenswert. Eine simplifizierende Schwarz-Weiß- Diskussion (böse „Heuschrecken“-Investoren auf der einen Seite, gute Vertragsärzte auf der anderen) ist nicht zielführend, sondern ideologisch. Sie behindert  eine sinnvolle Diskussion um gute Versorgungsstrukturen. Wir müssen die Vorteile, die die Möglichkeit von MVZ-Bildungen für die Versorgungsqualität und den Arztberuf bieten, pragmatisch und aktiv nutzen, um inzwischen erkannte Fehlentwicklungen zu vermeiden. Wir brauchen dafür Hybridmodelle: Ansätze also, die die Vorteile von lokalem ärztlichem Unternehmertum und mittelständischen Strukturen verbinden.

 

Hybridmodell mit strategischem Partner „Omnicare“

Ein solches Hybridmodell möchten Onkologen mit einem strategischen Partner, der Firma Omnicare, für die Vertragsärzte aufbauen. Omnicare ist ein Kooperations-unternehmen von deutschen, Zytostatika herstellenden Apotheken, dessen Ziel es ist, die flächendeckende, regionale onkologische Versorgung in bestmöglicher Qualität sicherzustellen. Omnicare hat mit führenden niedergelassenen Onkologinnen und Onkologen das Deutsche Onkologie Netzwerk gegründet. Ziel des Netzwerks ist es, die Leistungsfähigkeit von MVZ zu stärken und eine exzellente onkologische Versorgung auch in Zukunft zu garantieren. Die ambulante und dezentrale Versorgung von Krebspatienten durch wirtschaftlich verantwortliche, freiberufliche Ärztinnen und Ärzte bleibt im Netzwerk das zentrale Ziel. Omnicare beteiligt sich an teilnehmenden Praxen lediglich mit einer Minderheit, so dass die lokale Freiheit und Unabhängigkeit der Ärztinnen und Ärzte weiterhin garantiert wird.

Bundesweit wird das Netzwerk aufgebaut, in dem die darin engagierten Ärzte entscheiden, welche Initiativen sie verfolgen möchten – Initiativen, die die Leistungsfähigkeit der einzelnen Praxis bei weitem überschreiten. Darüber hinaus lassen sich mit Hilfe des wirtschaftlichen Know-Hows von Omnicare mittelständische Strukturen aufbauen, die ein Teil der Ärzteschaft sich schon lange wünscht. Dazu sind auch größere (onkologische) Praxen aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten nicht wirklich in der Lage.

 

Werte sichern, Strukturen ändern

Nicht jedem gefallen solche Modelle. Doch Fakt ist: Wenn man alles so lässt, wie es heute ist, wird man selbstständige freiberufliche Praxisstrukturen auf keinen Fall in die Zukunft retten können. Die massiven Veränderungen haben im Bereich der Onkologie dazu geführt, dass schon heute 25 Prozent der größeren Praxen nicht mehr in eigener Hand sind. Der zunehmende administrative Aufwand kostet Zeit, die bei der Patientenversorgung fehlt. Der Wettbewerb wird immer größer. Nur flexible Strukturen werden es ermöglichen, mit diesen Herausforderungen umzugehen und eine bestmögliche ambulante, onkologische Versorgung weiter wohnortnah zu gewährleisten. Das Credo muss sein: Werte sichern, Strukturen ändern.


Observer Gesundheit Copyright
Alle Kommentare ansehen