Das strukturelle Defizit der GKV ist besorgniserregend

Anja Hajduk MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Der Blick auf die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist aktuell stark geprägt durch die Herausforderung der Corona-Pandemie. Aber unabhängig davon steht die GKV vor einem großen, strukturellen Finanzierungsproblem. In diesem Jahr werden ihr laut Bundesministerium für Gesundheit (BMG) voraussichtlich 19,9 Milliarden Euro fehlen. Für dieses Defizit ist nicht allein die Pandemie verantwortlich. Laut Untersuchungen des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherung (WIP) machen die Corona-Kosten lediglich vier Milliarden des Defizits aus. Bereits vor Ausbruch der Pandemie im vergangenen Jahr ist der GKV-Spitzenverband von einem milliardenschweren Defizit ausgegangen.

Auch wenn wir die Pandemie hoffentlich gut bewältigen, werden die Gesundheitsausgaben in den nächsten Jahren weiter stark ansteigen: Zum einen erzeugt der demografische Wandel und der medizinisch-technische Fortschritt mehr Nachfrage nach medizinischen Leistungen und damit auch mehr Kosten. Zum anderen verursachen aber auch neue, von Bundesgesundheitsminister Spahn vor der Pandemie veranlasste Gesetze zusätzliche Kosten für die GKV in Höhe von schätzungsweise 8,2 Mrd. Euro pro Jahr. Wir haben es also mit einem wachsenden strukturellen Defizit zu tun, das dringend angegangen werden muss.

Die Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode jedoch eindeutig zu wenig unternommen, um die finanzielle Solidität der GKV sicherzustellen: Während kostspielige neue Gesetze wie das Terminservice- und Versorgungsgesetz eingeführt wurden, wurden Strukturreformen insbesondere im Krankenhausbereich unterlassen. Nicht einmal die Vorhaben des Koalitionsvertrags, wie die schrittweise Einführung von kostendeckenden Beiträgen zur GKV für die Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln, hat die Regierung umgesetzt. Allein hierdurch entsteht laut Schätzungen eine Unterdeckung von mehr als sechs Milliarden Euro für die GKV (IGES Gutachten für das BMG, 2017).

 

„Eckwertebeschluss“ legt offen: Keine Vorsorge für die Zeit ab 2022 

Auch der Haushalt für 2021 zeigt, dass die Regierung weiterhin versucht, die Probleme zu vertagen: Sie zieht elf Milliarden Euro von den Beitragszahlern und den Reserven der Krankenkassen ein, um das diesjährige Defizit in der GKV zu stopfen. Diese Form der Finanzierung ist weder nachhaltig noch ausgewogen. Auch der Entwurf für den Haushalt 2022 und den Finanzplan für die kommenden drei Jahre (der sogenannte „Eckwertebeschluss“), den das Bundesfinanzministerium am 24. März veröffentlicht hat, trifft keine Vorkehrungen für das strukturelle Defizit der GKV. So soll der Haushalt für das BMG wieder auf das Vor-Corona-Niveau zurückgefahren werden. Dabei hatte Bundesgesundheitsminister Spahn zusätzlich 15,5 Milliarden Euro als Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds gefordert, um ein erneutes Defizit im kommenden Jahr auszugleichen.

Im Eckwertebeschluss wird nun zugegeben, dass eine „bedarfsgerechte Vorsorge“ noch aussteht. Es bleibt mehr als fraglich, inwiefern die Bundesregierung diese vage Ankündigung konkretisieren und ihre Haushaltsplanung in Bezug auf die GKV anpassen wird.

 

Der grüne Lösungsansatz: Bundeszuschuss, hohe Einkommen und Effizienzreserven

Eine nachhaltige und ausgewogene Finanzierung der GKV wird angesichts des hohen strukturellen Defizits daher für die kommende Bundesregierung eine riesige Herausforderung darstellen. Aus Sicht der Grünen-Bundestagsfraktion ist eine solidarischere Finanzierung unseres Gesundheitswesens notwendig. Im Rahmen der vergangenen Haushaltsverhandlungen haben wir einen zusätzlichen Bundeszuschuss von drei Milliarden Euro gefordert, damit Beitragszahler weniger belastet werden. Darüber hinaus setzen wir uns für eine Bürgerversicherung ein, damit auch besonders hohe Einkommen stärker an der Finanzierung unseres Gesundheitssystems beteiligt werden.

Zugleich ist es aber auch sehr wichtig, Effizienzreserven in unserem Gesundheitswesen zu erschließen. Gerade mit Blick auf Digitalisierung und künstliche Intelligenz bieten zum Beispiel neue Technologien Chancen, Kosten zu reduzieren. Dieses Potenzial muss in den kommenden Jahren entschieden und zügig identifiziert und weiter erschlossen werden. Denn die GKV muss wieder auf eine solide finanzielle Grundlage geführt werden. Nur so kann sie weiterhin als das Rückgrat unseres verlässlichen Gesundheitswesens fungieren.


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