15.01.2021
Mutige Weichenstellungen zum Erhalt des Sozialstaats gefragt
Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates der CDU e.V.
Gerade angesichts des kurzfristigen Corona-Krisenmanagements braucht Deutschland schnell einen überzeugenden ordnungspolitischen Kompass für den Sozialstaat. Schon vor der Krise kratzten die Sozialabgaben für Kinderlose an der 40-Prozent-Hürde. Großzügige Rentengeschenke beider Großen Koalitionen, die dauerhaft mit jährlichen Milliarden zu Buche schlagen, sind da nur ein Stichwort. Für 2019 weist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erstmals mehr als eine Billion Euro an Sozialausgaben aus. Und die meisten wissenschaftlichen Prognosen gehen davon aus, dass die Corona-Folgen und der Rentenbeginn der Babyboomer die Sozialabgaben von heute rund 40 auf 50 und mehr Prozent steigen lassen, wenn wir nicht gegensteuern. Die Politik ist hier aufgerufen, dringend grundlegend umzudenken.
Wer das Wohl der Menschen und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes im Auge hat, muss alles dafür tun, den Sozialstaat nicht zu überfrachten. Nur so können wir ihn auf Dauer erhalten. Notwendige Reformen dürfen im Interesse der Hilfebedürftigen nicht aufgeschoben werden. Gerade sie brauchen einen funktionierenden Sozialstaat. Die Corona-Krise verschärft das Problem: Höhere Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit im großen Stil und steigende Kosten für das Gesundheitssystem belasten unsere Sozialsysteme zusätzlich. Dass die Große Koalition die Gießkanne so großzügig schwenkt, müssen die fleißigen Arbeitnehmer und Unternehmer in unserem Land über steigende Steuern und Sozialabgaben ausbaden. Letztere verteuern den Faktor Arbeit und schwächen die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts. Schon deshalb muss es gelingen, die 40-Prozent-Grenze für die Lohnnebenkosten unbedingt zu halten.
Gute Lösung: Verlängerung der Lebensarbeitszeit
Umso wichtiger sind mutige Weichenstellungen. Eine gute Lösung für das Problem steigender Rentenbeiträge stellt etwa die Verlängerung der Lebensarbeitszeit dar. Sie hält das Verhältnis von Beitragszahlern zu Transferempfängern halbwegs im Lot. Statt wie jedoch noch 1970 durchschnittlich zehn Jahre, beziehen Ruheständler heute rund 20 Jahre Rente. Der hierzulande gesetzlich verankerte Anstieg des Renteneintrittsalters auf 67 bis 2029 kann nicht das Ende sein. Zehn EU-Staaten sind schon weiter. Die Dänen gehen ab 2050 erst mit 72 Jahren in Rente, die Niederländer mit frühestens 69 Jahren. Ideal scheint es, wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln: Mit jedem Lebensjahr würde das Renteneintrittsalter um acht Monate steigen.
Zugleich müssen in Deutschland die Anreize für eine Frühverrentung zulasten der Gemeinschaft der Beitragszahler abgeschafft und mit international üblichen Rentenabschlägen von fünf bis sieben Prozent versehen werden. Angesichts der absehbaren Überlastung der gesetzlichen Rentenversicherung durch den demografischen Wandel, wird zugleich die eigenverantwortliche Altersvorsorge immer wichtiger. Anstatt die Riester-Rente konsequent schlecht zu reden, sollte die Politik sie weiter verbessern. Die OECD jedenfalls bezeichnet sie als internationales Vorbild für eine staatlich geförderte, private Altersvorsorge.
Stärkerer Wettbewerb zwischen GKV und PKV
Die Sicherstellung einer hochwertigen und gleichzeitig bezahlbaren medizinischen Versorgung für alle Bürger gehört zu den zentralen Herausforderungen in Deutschland. Unser Gesundheitssystem belasten die steigende Lebenserwartung und der damit verbundene Anstieg chronischer Erkrankungen massiv. Zwar schafft der medizinische Fortschritt neue Behandlungsmöglichkeiten, doch das führt ebenfalls zu steigenden Kosten. Allein zwischen 2010 bis 2018 sind die Gesundheitsausgaben von 165 auf 226 Milliarden Euro gestiegen. Hier besteht dringender Reformbedarf: Ein stärkerer Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung darf ebenso kein Tabu sein wie ein zukunftsfähiges Finanzierungssystem für den Krankenhausbereich.
Sozialabgaben unter 40-Prozent-Marke drücken
Ein weiterer wichtiger Baustein, die Sozialabgaben wieder unter die 40-Prozent-Marke zu drücken, sind die Kosten für die Arbeitslosigkeitsversicherung. Mit dem kräftigen Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Konzentration der Bundesagentur auf ihre Kernaufgaben sank der Beitrag von 6,5 im Jahr 2006 auf heute 2,4 Prozent. Dieser erfolgreiche Weg sollte weiter beschritten werden. Mit diesem Ziel sollten etwa die Hinzuverdienstregelungen für Hartz IV für Vollzeit-Arbeitende attraktiver gestaltet werden. Zusätzlich gilt es, die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes für Geringqualifizierte und Migranten zu verbessern und den Weg in Richtung Arbeit 4.0 einzuschlagen wie auch das Arbeitslosengeld I generell auf ein Jahr zu begrenzen. Dies sind die Schlüssel dafür, dass Erwerbseinkommen gegenüber Transfereinkommen attraktiver werden.
Wenn wir die Handlungs-und Zukunftsfähigkeit Deutschlands und seinen Sozialstaat erhalten wollen, sind diese Reformen notwendig. Nur so lassen sich die Sozialabgaben trotz der Bevölkerungsalterung bis 2040 bei 40 Prozent stabilisieren und damit die Mittelschicht vor einer erdrückenden Steuern- und Abgabenlast schützen.
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