Systemische Therapie muss Kassenleistung werden

Sebastian Baumann, Vorstandsbeauftragter Psychotherapie der Systemischen Gesellschaft

Seit fast einem Jahr liegt der Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur Systemischen Psychotherapie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vor. In sieben Diagnosebereichen wurde der Nutzen festgestellt. Drei Bereiche braucht es für die Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Trotzdem ist Systemische Therapie immer noch nicht als Kassenleistung aufgenommen, die Beratungen dazu gehen bereits ins sechste Jahr.

Im Sozialgesetzbuch vorgeschrieben ist eine Entscheidung nach drei Jahren. Für die im Koalitionsvertrag geplante Straffung der Abläufe im G-BA liefert der Umgang mit Systemischer Therapie eine hervorragende Begründung. Wie lange müssen Patienten das einzige Psychotherapieverfahren, das auf Basis der evidenzbasierten Medizin von einem unabhängigen Institut (IQWiG) geprüft und für nützlich befunden wurde, noch aus der eigenen Tasche bezahlen?

Es kann einen der „heilige Zorn“ packen, wenn man sieht, wie mit immer neuen Mitteln versucht wird, ein innovatives Verfahren von der Regelversorgung auszuschließen. Nicht etwa aus fachlichen Gründen – Systemische Therapie wird wegen seiner vergleichsweise geringen Sitzungszahl und der Behandlung im Mehr-Personen-Setting von vielen Krankenversicherungen geschätzt. Es sind die Fragen nach Kassensitzen und Sonderbedarfszulassungen, die hier – juristisch unzulässig – ins Kalkül gezogen werden.

Ähnlich wie die Pflege mag die psychotherapeutische Versorgung nicht das attraktivste gesundheitspolitische Thema sein. Bedenkt man aber die persönliche, familiäre, arbeitsweltbezogene und gesellschaftliche Dimension psychischer Störungen, kann man sich nur wundern, dass dieser Teil der menschlichen Gesundheit derzeit immer noch eher ein Randthema ist. Seit mehr als 30 Jahren ist kein neues Verfahren mehr ins System gekommen, während sich der Bereich fachlich enorm weiterentwickelt hat. Die aufgenommenen sinnvollen Methoden wie EMDR, eine traumatherapeutische Technik, und die Neuropsychologie, aber auch das gruppentherapeutische Setting, kommen in der Versorgung kaum an, weil neue Abrechnungsziffern keine entsprechend geschulten Therapeuten hervorbringen.

Dabei würde sich eine Reihe von bereits zugelassenen Leistungen die Evidenzlage Systemischer (Familien-) Therapie wünschen. Analysen der Krankenkassendaten aus den USA und Kanada (z. B. Crane & Christenson, 2012; Law, Crane & Berge, 2003) zeigen zudem: Systemische Familientherapie ist ein extrem kostengünstiges Verfahren, besonders, was die weitere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nach einer Therapie angeht. Hier sind es im Besonderen diejenigen Versicherten, die zuvor sehr viele Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen haben, die das nach einer Systemischen Therapie nicht mehr benötigen.

Ein Blick auf unsere europäischen Nachbarn zeigt: Die extreme Reduzierung der Richtlinie auf lediglich zwei psychotherapeutische Ansätze (die beiden psychoanalytisch begründeten Verfahren und die Verhaltenstherapie) ist ein deutscher Sonderweg, der schnellst möglich aufgehoben werden muss. Dafür braucht es sicher nicht 22 Verfahren wie in Österreich, aber Patienten die Wahl zwischen zumindest drei Verfahren zu lassen, ist eine spürbare Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung.

Systemische Therapie wirkt deswegen so schnell, weil nicht mit jedem Patienten seine Problemgeschichte aufgearbeitet wird, sondern ziel- und ressourcenorientiert unter Einbezug des sozialen Umfeldes wie z.B. Familienangehörigen, an Lösungen gearbeitet wird. Dabei sind sowohl die häufigsten Störungen wie Depressionen und Ängste, als auch besonders schwere Leiden, wie Schizophrenie und Essstörungen, unter den psychotherapeutischen Anwendungsgebieten, für die vom IQWiG die Evidenz festgestellt wurde.

Warum ist das wichtig? Krankenversicherungen beklagen, dass sie keine Möglichkeit haben, Patienten, die unter einem bestimmten Störungsbild leiden, das eine oder das andere Verfahren zu empfehlen. Für viele Patienten wird der erstmögliche erreichbare Therapieplatz der Beste sein, zumindest so lange die Nachfrage das Angebot so deutlich übersteigt wie derzeit. Die evidenzbasierte Sicherheit zu haben, mit der Systemischen Therapie ein so großes Spektrum an psychischen Störungen behandeln zu können, ist ein großes Pfund für eine sichere Versorgung.

Die Dachverbände der systemischen Therapeuten, die Systemische Gesellschaft (SG) und die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), fordern die Bänke des G-BA auf, Systemische Therapie nun endlich in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen. Gleiches forderte im Übrigen 2014 die Gesundheitsministerkonferenz, als sie sich einstimmig für die Aufnahme weiterer Verfahren ausgesprochen hat. Die Wirksamkeit ist belegt, medizinische Notwendigkeit und ein optimales Kosten-Nutzen Verhältnis sind gegeben, jetzt muss entschieden werden.

 

Literatur:

Crane DR, Christenson JD. A summary report of the cost-effectiveness of the profession and practice of marriage and family therapy. Contemp Fam Ther 2012; 34(2): 204-216.

Law DD, Crane DR, Berge JM. The influence of individual, marital, and family therapy on high utilizers of health care. J Marital Fam Ther 2003; 29(3): 353-363.

 


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