13.12.2022
Stationär und ambulant, aber zu Hause
Virtual Health Services statt Krankenhausreform
Eckhardt Weber, Managing Partner Heal Capital
Vielen Krankenhäusern droht gerade jetzt im Winter eine Überlastung. Um das zu verhindern, kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kurzfristige Reformen an. Neben anderen Entlastungsmaßnahmen steht die Reduktion von stationären Behandlungen im Fokus. Noch vollstationär erbrachte Leistungen werden – insofern medizinisch vertretbar – im nächsten Jahr vermehrt als Tagesbehandlung durchgeführt. So würden Nachtdienste wegfallen und Pflegekräfte entlastet werden. In der Theorie ganz einfach, in der Praxis aber dennoch eine Herausforderung. Denn die Rechnung wurde ohne die Patient:innen gemacht.
Große ambulante Operationszentren zeigen uns zwar, dass es möglich ist. Diese verfügen aber alle über eigene Fahrdienste und können so den Transport gewährleisten. Wer sich in einem herkömmlichen Krankenhaus dann einer Tagesbehandlung unterzieht, hat die Kosten – abgesehen von speziellen Ausnahmen – selbst zu tragen. Hinsichtlich der Ambulantisierung wurde aber die wichtigste Frage noch von niemandem gestellt: Sind die Patient:innen in Deutschland schon bereit dafür? Zweifellos fühlen sich viele besser aufgehoben, wenn Mediziner:innen und Pflegefachkräfte in Rufnähe sind. Wer nach einer Operation direkt nach Hause geht, ist mehr oder weniger auf sich alleine gestellt. Das könnte mithilfe der Digitalisierung und neuen Technologien schon ganz anders aussehen – wenn man es zulassen würde.
Ausschöpfen der digitalen Möglichkeiten
Wer sich ein Bild davon machen möchte, kann einen Blick nach Amerika wagen. Denn medizinische Versorgung funktioniert da auch schon bei den Patient:innen zu Hause. Das traditionelle Gesundheitssystem hat aber auch dort begrenzte Kapazitäten, ist überlastet oder arbeitet teilweise ineffizient. Traditionelle und veraltete Strukturen treffen in der heutigen Zeit auf eine veränderte Nachfrage – unter anderem von modernen Patient:innen. Unternehmen wie zum Beispiel Dispatch Health haben erkannt, dass ein begrenztes Angebot einer zu hohen Nachfrage gegenübersteht. Deshalb nutzen sie das Know-How der Krankenhausversorgung und der Notaufnahmen und bringen es zu den Patient:innen direkt nach Hause. Angeboten wird nicht bloß eine einfache häusliche Pflege, sondern eine ärztliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung mittels Fernüberwachung. Dazu gehören tägliche Besuche von medizinischen Teams und auch ein Notrufknopf. Diese Strategie entlastete bislang vor allem die Notaufnahmen erheblich und sparte in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Dollar an medizinischen Kosten ein. Solche Virtual Health Services (VHS) schöpfen die digitalen Möglichkeiten voll aus und gestalten den medizinischen Alltag von Patient:innen neu. Regulatorische Anpassungen ermöglichen einen vereinfachten Zugang und eine bessere Kostenerstattung. Gerade jene mit langfristigem Pflegebedarf setzen auf solche Anbieter. Denn der Vorteil zeigt sich deutlich: Der Ansatz setzt Patient:innen in den Mittelpunkt. Diese erwarten zunehmend Behandlungen, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind – zurecht, denn die heutige Technologie macht’s möglich.
Kurzfristige Reformen hemmen langfristig
Eine Verlagerung der Versorgung in den häuslichen Bereich ist eine ganz neue Stufe der Innovation im Gesundheitswesen – und hierzulande in diesem Ausmaß noch Zukunftsmusik. Nicht die Technologien sind die Herausforderung, sondern die Bürokratie und der rechtliche Rahmen. Mit der angekündigten Reform denkt die Regierung in die richtige Richtung und macht wichtige erste Schritte. Werden Patient:innen vermehrt nur noch ambulant behandelt, verkürzt das tatsächlich ihre Aufenthaltsdauer und entlastet so die Krankenhäuser. Das Ganze geschieht aber auf Kosten jener, die ohnehin gerade eine schwere Zeit durchmachen. Wenn die Umsetzung stimmt, schafft die Reform kurzfristig sicherlich Abhilfe. Die große Herausforderung ist dabei aber die Kommunikation gegenüber den Patient:innen: Die Implementierung der Maßnahmen ist besonders für sie mit großen Veränderungen verbunden. Es ist wichtig, dass eben gerade auch sie die Entwicklungen nachvollziehen können im Sinne einer positiven Patienten-Erfahrung und bestmöglicher Versorgung. Ist das nicht der Fall, besteht die Gefahr von Unmut und schwindendem Vertrauen in das Gesundheitssystem.
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