Am Ende des Jahres – wo steht die Pflegepolitik?

Dr. Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe

Für die Pflegeberufe ist in den letzten Wochen dieses Jahres die Regelung zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus eine der wichtigsten Maßnahmen der Politik zur Verbesserung ihrer Situation. Das Gesetz mit dem sperrigen Namen „Krankenhauspflegeentlastungsgesetz“ setzt u.a. eine im Koalitionsvertrag 2021-2025 formulierte Absicht um: „Kurzfristig führen wir zur verbindlichen Personalbemessung im Krankenhaus die Pflegepersonalregelung (PPR 2.0) als Übergangsinstrument mit dem Ziel eines bedarfsgerechten Qualifikationsmixes ein.“

Freilich kann nach rund einem Jahr von einer kurzfristigen Umsetzung nicht mehr die Rede sein. Auch waren aus Sicht der Pflegeverbände etliche Nachbesserungen erforderlich. So hieß es im Zwischenstand noch, dass eine Umsetzung „in Anlehnung an die PPR 2.0“ beabsichtigt sei. Intensivstationen waren zunächst nicht berücksichtigt und Häuser mit einem Entlastungstarifvertrag nicht einbezogen. Dass diese Aspekte jetzt im Interesse der Pflegeberufe nachgebessert wurden, ist positiv hervorzuheben. Denn somit kann auch eine solide Grundlage für eine gute pflegerische Versorgung im Krankenhaus gesichert werden. Es bleibt nun abzuwarten, ob die notwendige Zustimmung des Finanzministeriums die Umsetzung an anderer Stelle nicht wieder ausbremsen wird.

 

Baustelle ist Weiterentwicklung der Bildung in den Pflegeberufen

Obschon mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz ein wichtiger Punkt als Maßnahme gegen die Pflegekrise adressiert wird, stehen andere wichtige Initiativen jedoch noch aus. Als besonders herausfordernde Baustelle stellt sich die Weiterentwicklung der Bildung in den Pflegeberufen dar. Es liegt auf der Hand, dass das Tätigkeitsfeld in der professionellen Pflege in einem Gesundheitssystem wie dem unsrigen mit seiner wachsenden Komplexität, Qualifizierungen der Pflegenden auf verschiedenen Ebenen erfordert. Diese sollten jedoch – von der Pflegeassistenzausbildung über die dreijährige Fachausbildung bis zu den hochschulischen Bachelor- und Masterabschlüssen – kohärent aufeinander aufbauen und ineinandergreifen.

So hätten Menschen, die an einer Pflegetätigkeit interessiert sind, die Chance, niedrigschwellig einzutreten und sich sukzessive weiterzuentwickeln und über die Grenzen der Bundesländer hinweg mit ihren Ausbildungen anschlussfähig zu sein. Denn aufgrund der föderalen Zuständigkeiten herrscht unter den Pflegeassistenzausbildungen Wildwuchs in Laufzeit und Inhalten. Ihre bundesweite Vereinheitlichung ist angemahnt und im Koalitionsvertrag als Aufgabe genannt. Ihre Anschlussfähigkeit an die dreijährige Fachausbildung ist aus pflegefachlicher Sicht zwingend, aber auch im Sinne vorausschauender Personalbindung geboten.

Für die qualitative Weiterentwicklung der Pflegeberufe ist die Stärkung der primärqualifizierenden Bachelor-Studiengänge von herausragender Bedeutung. Bereits vor zehn Jahren hatte der Wissenschaftsrat eine Akademisierungsquote von mindestens zehn Prozent für die Pflegeberufe empfohlen. Eine neuerliche Studie des Wissenschaftsrats zeigt eine Umsetzung von derzeit unter zwei Prozent. Um diese Quote substanziell zu steigern, müssen die Studiengänge finanziell besser aufgestellt werden, denn durch die hohen Praxisanteile ist es den Studierenden kaum möglich, genug Geld für ihr Studium aufzubringen.

 

Herausforderung: Pflege in der Fläche sicherstellen

Der Mangel setzt sich fort auf der nächsten Ebene. Ein schlüssiges Bildungskonzept setzt Spezialisierungen wie Advanced Practice Nursing und Community Health Nursing auf dem Master-Niveau an. Der Erfolg solcher Studiengänge hängt von einer ausreichenden Zahl an interessierten Personen mit Bachelor-Abschluss voraus. Die Einführung des neuen Berufsbildes der „Community Health Nurse“ ist somit auf eine solide Bildungsgrundlage in der Pflege angewiesen – ein Anspruch, der angesichts der Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung einer alternden Gesellschaft auch nicht preisgegeben werden sollte.

Denn die Herausforderungen bestehen vor allem darin, in der Fläche für die große Zahl der chronisch kranken und alten Menschen mit Unterstützungsbedarf die Gesundheitsversorgung zu sichern. Im städtischen Bereich geht es vor allem um den spezifischen Bedarf in den sogenannten sozialen Brennpunkten. Ein wichtiger Baustein zur Lösung dieser drängenden Probleme ist die Einführung der Community Health Nurse mit erweiterten Befugnissen zur Ausübung heilkundlicher Aufgaben. Die Community Health Nurse steht für eine gemeindebasierte Gesundheitsversorgung, für bevölkerungsorientierte Gesundheitsförderung und Prävention sowie für eine bedarfsgerechte, sichere und integrierte Gesundheitsversorgung. Ihr idealer Arbeitsort sind Primärversorgungszentren; sie arbeitet als Teil eines multiprofessionellen Teams flexibel und bedarfsgerecht Hand in Hand mit Medizinern, anderen Gesundheitsberufen und Sozialarbeit zusammen. Ihre Einführung kann nur gelingen, wenn gleichzeitig die Weichen gestellt werden für diese neuen Versorgungsmodelle im Sinne einer Primärversorgung.

 

Gesundheitskioske auf integrierende Funktion abstellen

Multiprofessionelle Gesundheitszentren, auch Gesundheitskioske, sind im Koalitionsvertrag angekündigt. Viel deutet darauf hin, dass die Einführung der Gesundheitskioske ein bestimmendes Thema in den gesundheitspolitischen Debatten des kommenden Jahres sein wird. Es wird darauf ankommen, sie nicht als zusätzliches Angebot zwischen die bereits bestehenden zu setzen, sondern klar auf eine integrierende Funktion abzustellen, die für die Nutzer Brücken über die Brüche der Versorgung baut. In ländlichen Räumen dürften Primärversorgungszentren eher integrativ wirken. Digital vernetzt in der Versorgungskette bieten sie medizinische Leistungen an und zudem die Chance, Kurzzeitliegerbetten anzuschließen für ambulante Interventionen oder für die Rekonvaleszenz nach größeren Eingriffen in entfernteren Krankenhäusern.

Patienten und Patientinnen sollten vorausschauend betreut werden und im Bedarfsfall in Kooperation mit den ambulanten Diensten und betreuenden Einrichtungen die richtige Unterstützung bekommen. Den Pflegeberufen kommen dabei wichtige Aufgaben zu, insbesondere die Community Health Nurse sollte die dafür erforderlichen Netzwerke aufbauen, (weiter-)entwickeln und pflegen.

Für die Sicherung unserer Versorgung wird es darauf ankommen, wie viel Tempo für die im Koalitionsvertrag bereits angelegten Themen jetzt vorgelegt wird, um die Pflegeberufe für diese Versorgungsherausforderungen vorzubereiten und zu stärken.


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