DAK-Finanzstudie zeigt: Kassensturz und Reformen in der GKV notwendig

Kassen droht Rekorddefizit von 27,3 Milliarden Euro bis 2025

Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit

Die steigende Finanzlücke bis 2025 bedroht die Handlungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Unsere jüngst gemeinsam mit dem Berliner IGES Institut vorgelegte mittelfristige Finanzschätzung geht davon aus, dass die gesetzliche Krankenversicherung bereits im kommenden Jahr einen zusätzlichen Finanzbedarf von 15,6 Milliarden Euro haben wird. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, droht den Versicherten schon 2023 der historisch größte Beitragssprung. Die aktuelle IGES-Analyse untermauert die Notwendigkeit eines Kassensturzes nach der Bundestagswahl und dringender Strukturreformen. Wenn wir ein modernes, leistungsfähiges und innovatives Gesundheitswesen haben möchten, erfordert dies zusätzliche Finanzmittel. Die DAK-Gesundheit schlägt deshalb vor, versicherungsfremde Leistungen, die bislang nur anteilig steuerfinanziert sind, vom Gesetzgeber als solche festschreiben und dauerhaft stärker als bisher aus Bundesmitteln finanzieren zu lassen.

Bereits im kommenden Jahr muss der zusätzliche Bundeszuschuss an die GKV um insgesamt 15,6 Milliarden Euro erhöht werden. Das bedeutet, der zusätzliche Finanzbedarf ist mehr als doppelt so hoch, wie die sieben Milliarden Euro, die die Bundesregierung bisher der GKV zusätzlich bereitstellt. Diese Finanzierungslücke steigt in der nächsten Wahlperiode sukzessive weiter an auf ein Minus von 27,3 Milliarden Euro. Dies würde einem Zusatzbeitragssatz von fast 2,9 Prozent entsprechen. Da wir im Moment einen Zusatzbeitragssatz von 1,3 haben, wäre das ein Anstieg um 1,6 Beitragssatzpunkte. Wenn wir vermeiden wollen, dass es zu Beitragssatzerhöhungen kommt und die Sozialgarantie von maximal 40 Prozent aufgegeben wird, brauchen wir eine höhere Steuerfinanzierung.

Der Gesetzgeber hat im Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) zwar für das Jahr 2022 den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz bei der GKV auf 1,3 Prozent festgeschrieben. Für 2023 oder 2024 und darüber hinaus ist jedoch in der Hinsicht nichts geregelt. Das heißt: Die GKV läuft auf einen „Beitragssatz-Tsunami“ oder auf ein enormes Finanzdefizit zu.

 

Handlungsbedarf für eine grundlegende GKV-Reform

Das vorliegende IGES-Gutachten für die DAK-Gesundheit untermauert die Notwendigkeit eines Kassensturzes in der GKV unmittelbar nach der Bundestagswahl. Dabei bedarf es umfassender Strukturreformen im Gesundheitswesen, um Effizienzpotentiale zu heben und gleichzeitig Versorgungsverbesserungen für die Versicherten zu ermöglichen. Unabdingbar ist darüber hinaus eine grundlegende Reform der GKV-Finanzen, um eine auskömmliche Finanzierung sicherzustellen. Herzstück muss dabei eine – ordnungspolitisch ohnehin gebotene – schrittweise Anhebung der Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen sein. Diese bestehen zu einem Großteil aus familienpolitischen Leistungen wie zum Beispiel der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen, auch das Erziehungs- und Mutterschaftsgeld gehören dazu. Darüber hinaus sind vor allem Maßnahmen der Primärprävention sowie die finanzielle Unterstützung einkommensschwacher Personen (Stichwort: Arbeitslosengeld II) zu nennen. Diese Bereiche sind unstrittig gesellschaftlich gewollt, werden aber nur zu einem kleineren Teil durch einen Bundeszuschuss finanziert. Nach unseren Berechnungen beläuft sich allein dieser Kernkatalog versicherungsfremder Leistungen auf ein jährliches Finanzvolumen von etwa 41,3 Milliarden Euro. Diesem Betrag steht ein regulärer Bundeszuschuss von nur 14,5 Milliarden Euro gegenüber. Damit ist lediglich ein gutes Drittel dieser versicherungsfremden Leistungen steuerfinanziert. Ordnungspolitisch geboten wäre es aber, diese Leistungen – wenn schon nicht vollständig – zu einem weit überwiegenden Anteil aus Steuermitteln zu finanzieren.

Auch der Bundesrechnungshof hat jüngst empfohlen, angesichts des absehbar steigenden Finanzierungsbedarfs der GKV, versicherungsfremde Leistungen so konkret wie möglich zu definieren, das Finanzvolumen zu ermitteln und ggf. zu dynamisieren.

 

2023 drohen massive Beitragssatzerhöhungen in der Sozialversicherung

Ohne eine grundlegende Reform steht schon im Jahr 2023 ein massiver Beitragssatzanstieg bevor. Der Zusatzbeitragssatz für die Krankenkassen müsste dann um 1,2 Prozentpunkte steigen. Auch in den anderen Sozialversicherungszweigen sieht es 2023 nicht besser aus. Nach dem Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung steigt der Beitrag für die gesetzliche Rentenversicherung um 0,7 Punkte an. Der Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung steigt nach der geltenden Rechtslage um 0,2 Punkte.

Zählt man diese drohenden Beitragserhöhungen in der Renten-, der Kranken- und der Arbeitslosenversicherung zusammen, kommt man schon auf mehr als zwei Beitragssatzpunkte. Und bei dieser Berechnung ist die Pflegeversicherung noch gar nicht berücksichtigt. Hier klafft eine weitere gravierende Finanzlücke von etwa zwei Milliarden Euro. Denn auch die jüngst von der Bundesregierung beschlossene Pflegereform ist nicht ausfinanziert. Darüber hinaus sind weitere Reformschritte wie die dringend notwendige Erhöhung des Pfleggeldes in der nächsten Wahlperiode geboten.

 

Fazit

Eine grundlegende Reform der gesetzlichen Krankenversicherung gehört ganz oben auf die Agenda der künftigen Bundesregierung. Ausgangspunkt muss ein umfassender Kassensturz sein. Die ordnungspolitisch dringend gebotene stärkere Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen ist dabei ein unverzichtbares Element, um Beitragssatzerhöhungen in der nächsten Legislaturperiode zu vermeiden. Dies ist insbesondere deshalb erforderlich, weil umfassende Strukturreformen im Gesundheitswesen eine längere Vorlaufzeit brauchen.

Da sich auch in allen anderen Zweigen der Sozialversicherung im Jahr 2023 Beitragserhöhungen abzeichnen, ist hier ein umfassender Handlungsbedarf bereits im ersten Jahr nach der Bundestagswahl geboten.


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