Schon viel mehr, doch immer noch zu wenig

Zum öffentlichen Vorwurf: Inhaber von Physiotherapie-Praxen geben Erhöhung nicht an Mitarbeiter weiter

Ute Repschläger, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten (IFK e. V.)

Und jährlich grüßt das Murmeltier… Jedes Jahr im Spätsommer veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit ihren Entgeltaltas mit Informationen über die Gehälter aller sozialpflichtig Beschäftigten, sortiert und gegliedert nach Merkmalen wie Region, Beruf oder Geschlecht. Berechnet wird darin auch der Median der Bruttoarbeitsentgelte der einzelnen Berufe. Für ambulante Physiotherapeuten liegt dieser im aktuellen Betrachtungszeitraum bei 2.740 Euro. Was nicht sehr viel erscheint, ist auch nicht sehr viel. Denn die Physiotherapeuten werden in der offiziellen Klassifikation der statistischen Bundesämter als sogenannte „Spezialisten“ eingestuft.

Die Gehälter der unterschiedlichen Spezialisten variieren im Entgeltatlas zwischen 2.207 Euro (Berufsgruppe Körperpflege“) und 6.750 Euro (Berufsgruppen „Pharmazie“ und „Fahrzeugführer im Flugverkehr“). Der Median liegt hier bei 4.629 Euro. Die Berufsgruppe „Nicht ärztliche Therapie und Heilkunde“, zu der unter anderem die Physiotherapie gehört, rangiert mit 2.973 Euro sehr weit unten.

Gleichwohl darf nicht vergessen werden, dass die Gehälter in der Physiotherapie in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Die Gehälter der angestellten Physiotherapeuten stiegen – laut Entgeltatlas – in den Jahren 2021 und 2022 um rund 12,8 Prozent. Auch andere Erhebungen zeigen den gleichen Trend: Laut den offiziellen Zahlen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW), die nach gesetzlichen Vorgaben des SGB V zur Betrachtung der gezahlten Angestelltengehälter herangezogen werden sollten, lag die Steigerung der Angestelltengehälter in der Physiotherapie in den Jahren 2021 und 2022 bei rund 16,8 Prozent. Trotzdem ist in der Presse oft der Vorwurf zu lesen, Praxisinhaber würden die Vergütungssteigerungen der letzten Jahre nicht an ihre Mitarbeiter weitergeben. Doch stimmt das wirklich?

 

Praxisinhaber machen es richtig

Zur Beantwortung dieser Frage hilft wieder einmal ein Blick in die Zahlen. Im Jahr 2021 erhielten die selbstständigen Physiotherapeuten eine Vergütungserhöhung von 14,09 Prozent. Da Einnahmen durch gesetzlich versicherte Patienten nur knapp drei Viertel der Einnahmen einer Praxis ausmachen, stieg der Gesamtumsatz in Physiotherapiepraxen durch die Vergütungssteigerung um rund 10,3 Prozent. 2022 gab es von den gesetzlichen Krankenkassen keine Vergütungserhöhung. Die vom Entgeltatlas (+ 12,8 Prozent) bzw. der BGW (+ 16,8 Prozent) ausgewiesenen Steigerungen der Gehälter angestellter Physiotherapeuten in den Jahren 2021 und 2022 sind also sogar mehr als die Umsatzerhöhung, die die Praxisinhaber in diesem zweijährigen Betrachtungszeitraum durch höhere Preise in der GKV erhalten haben – und das vor dem Hintergrund, dass zusätzlich die Fixkosten gestiegen sind. In vielen Praxen war es erforderlich, den Investitionsstau der letzten Jahre aufzuarbeiten. Daneben mussten die Praxisinhaber ihre Rücklagen im Blick behalten. Vergrößert man den Betrachtungszeitraum und schaut sich beispielsweise die letzten fünf oder acht Jahre an, zeichnet sich ein ähnliches Bild.

Die Praxisinhaber machen es also richtig. Selbst, wenn für die Praxisinhaber die Sach- und Raumkosten stetig steigen, können und dürfen die Gehälter der angestellten Physiotherapeuten nicht auf dem bisherigen niedrigen Niveau bleiben. Wo es geht, müssen höhere Gehälter gezahlt werden, um die Arbeit in ambulanten Physiotherapiepraxen – im Vergleich zu anderen Berufen, aber auch im Vergleich zu einer Anstellung in Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen – attraktiv zu machen. Denn dies ist eine wichtige Stellschraube, dem eklatanten Fachkräftemangel zu begegnen.

 

Schlechte Ausgangslage wird verschleiert

Auch wenn die oben genannten Prozentzahlen gut aussehen, verschleiern sich doch nur die schlechte Ausgangslage. Die seit Jahren zu geringe Vergütung durch die Krankenkassen ist Grund für die deutlich zu niedrigen Ausgangslöhne. Denn da, wo kein Geld da ist, kann nicht mehr Geld gezahlt werden. Trotz der Erhöhungen im zweistelligen Prozentbereich sind die Preise, die die gesetzlichen Krankenkassen den Praxen zahlen, noch immer zu niedrig. Wenngleich sich in den vergangenen Jahren diesbezüglich einiges getan hat, sind wir noch immer nicht auf einem Vergütungsniveau, das wir als Berufsverband als angemessen bezeichnen können.

Das Problem des Fachkräftemangels ist vielschichtig. Die (schlechte) Vergütung trägt sicherlich einiges dazu bei, dass der Beruf des Physiotherapeuten von vielen als nicht attraktiv empfunden wird. Praxisinhaber versuchen, durch die Weitergabe der Vergütungserhöhung ihren Teil zur Lösung des Problems beizutragen, doch der eigentliche Hebel muss an ganz anderer Stelle bewegt werden.


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