Honorarverhandlungen für Ärzte: der Spar-Wahn des GKV-Spitzenverbandes

Martin Degenhardt, Geschäftsführer Freie Allianz der Länder KVen (FALK)

Die Honorarverhandlungen zwischen GKV-Spitzenverband (GKV-SV) und KBV stehen in diesem Jahr unter besonderer Beobachtung der Ärzteschaft. Durch den Kostendruck in den Praxen und den fehlenden Fokus von Politik und Krankenkassen auf die ambulante Versorgung ist die Stimmungslage in den Praxen extrem angespannt. Ehrlich gesagt habe ich die Stimmung noch nie so schlecht erlebt.

Einer der Haupttreiber der Frustration ist dabei der „Spar-Wahn“ des GKV-SV. Mittlerweile kann sich niemand im System mehr daran erinnern, wann der GKV-SV – der immerhin auch die Interessen der GKV-Versicherten vertritt – zuletzt einen Vorschlag zur Verbesserung der Versorgung gemacht hat. Im Gedächtnis geblieben sind nur die permanenten Forderungen nach einer Nullrunde beim Honorar – und das trotz des offenkundigen Handlungsbedarfs im ambulanten Bereich. Vor dem Hintergrund der Inflation und des Kostendrucks in den Praxen durch Tarifsteigerungen und Energiekosten ist das vorliegende Angebot von 2,1 % an Zynismus kaum zu überbieten.

 

Unfreundlicher Akt seitens des BMG

Gutwillige Leser könnten nun einwenden „immerhin keine Nullrunde“, aber diese hätte wohl selbst die GKV kaum verkaufen können. Immerhin steigen ihren eigenen Ausgaben für die Verwaltung in den letzten Jahren deutlich. Auch deswegen hat man für die ambulante Versorgung nichts übrig. Die eigenen Bürokraten sind den Krankenkassen offensichtlich wichtiger, als ihre Versicherten zu versorgen.

Die jüngste Einlassung des BMG hat mich sprachlos gemacht: Die Ärzteschaft war es bereits gewohnt, dass Politik – allen voran „Bundes-Krankenhausminister“ Lauterbach – in ihrem einseitigen Fokus auf die stationäre Versorgung die Leistungen des ambulanten Bereichs weitgehend ignoriert. Aber, dass das Ministerium direkt nach Beginn der Honorarverhandlung so eindeutig Partei ergreift und ein „Faktenpapier“ mit Pseudo-Argumenten füllt, ist unerhört und muss von der Ärzteschaft als unfreundlicher Akt aufgefasst werden. Litaneien über die Vergütung der ärztlichen Leistungen in der Pandemie – deren Grundlage die immensen Leistungen der Ärzteschaft waren – und die ach so gelungene Digitalisierung – man sieht, wie weit das Ministerium vom Praxisalltag entfernt ist – tun dabei in der jetzigen Situation gar nichts zur Sache. Der Kostendruck lastet jetzt auf den Praxen, und die dringend nötigen Investitionen in die Zukunft der ambulanten Versorgung müssen jetzt gestemmt werden. Wie das gelingen kann, darüber sollte sich das BMG Gedanken machen.

 

Immense Herausforderungen vor ambulantem System

Einige Akteure in Politik und Krankenkassen scheinen vergessen zu haben, vor welchen Herausforderungen das ambulante System derzeit steht. Eigentlich sollte das allen Beteiligten klar sein. Trotzdem hier nochmal zur Erinnerung: Wir stehen vor einem massiven Strukturwandel in der ambulanten Versorgung. Die größte Herausforderung ist die Aufrechterhaltung der Sicherstellung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung. Das ist unser Auftrag, den wir ernst nehmen.

In den kommenden Jahren geht ein großer Teil der niedergelassenen Ärzte in den Ruhestand. Gleichzeitig kommen nicht genügend junge Ärztinnen und Ärzte nach, um diese Lücken zu schließen. Dieses Versagen der politischen Eliten können wir nicht auffangen. Auch deswegen müssen wir Lösungen anbieten, die die älteren Ärzte möglichst lange in der Versorgung halten. Wir sind auf ihre Versorgungsleistung angewiesen.

Gleichzeitig müssen wir die Strukturen aufbauen, in denen die junge Ärztegeneration arbeiten möchte; Stichworte sind hier Kooperation und Work-Life-Balance. Nur mit einem angemessenen Honorar und verfügbaren Mitteln für die anstehenden Investitionen kann der ambulante Bereich im Wettbewerb mit Krankenhäusern, freier Wirtschaft und den Verlockungen des Auslands bestehen und genügend junge Menschen für eine Tätigkeit in der ambulanten Versorgung gewinnen.

 

Warten auf bürokratische Entlastungen

Nicht nur von der Politik, auch seitens des GKV-SV ist von (finanzieller) Wertschätzung und Unterstützung allerdings kaum etwas zu erkennen. Im Gegenteil: Seit Jahren wachsen bürokratische Belastungen weiter an, statt zu sinken. Auch eine massive Entlastung der wertvollen Ressource „Arztzeit“ durch eine gelungene Digitalisierung lässt weiter auf sich warten. Vor allem führen aber die Honorarabschlüsse in der Ärzteschaft zu massivem Frust. Obwohl man seit Jahren in die Bresche springt und die medizinische Versorgung trotz Ärztemangel mit großem Einsatz gewährleistet, werden am Ende Abschlüsse mit Orientierungswertsteigerung vorgelegt, die man sich in Verhandlungen des öffentlichen Tarifs nicht einmal trauen würde auszusprechen. In Zeiten steigender Energiepreise und einer seit über einem Jahr anhaltenden hohen Inflation brauchen wir nun eine deutliche Steigerung. Alles andere ist nicht vermittelbar und wird dem Bedarf der Praxen nicht gerecht.

In ein dramatisch unterfinanziertes System wollen keine jungen Medizinerinnen und Mediziner einsteigen. Dann wird die flächendeckende wohnortnahe Versorgung weiter ausgedünnt. Diesen Wegfall können teure Krankenhausstrukturen niemals kompensieren. Aber vielleicht ist das der Plan unseres Bundes-Krankenhausministers? Im Interesse der Kassen kann dieser Plan allerdings nicht sein. Alleine deswegen sollten wir im Bewertungsausschuss zusammen finden.

Die Akteure in der ambulanten Versorgung haben es verdient, dass sich Politik und Krankenkassen für sie interessieren und einsetzen. Konkret brauchen wir dringend einen Honorarabschluss, der den Herausforderungen in den Praxen gerecht wird und nicht Krankenkassenvorständen ruhige Nächte beschert. Und wir brauchen einen Minister, der seinem Haus klar macht, wie elementar die ambulante Versorgung für die Menschen in Deutschland ist.


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