Neu denken in der MVZ-Debatte

Wer Ärzte als MVZ-Gründer will, sollte Ärzte auch in den Fokus stellen

Susanne Müller, Geschäftsführerin Bundesverband Medizinische Versorgungszentren (BMVZ)

Die Diskussion zu Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) bewegt sich in einer Dauerschleife. Dreh- und Angelpunkt ist die Annahme, dass medizinferne MVZ-Betreiber aufgrund der unterstellten kurzfristigen Gewinnmaximierung zu Lasten der Flächenversorgung und der Behand­lungs­qualität agieren. Deshalb gibt es einen Überbietungswett­bewerb, welche regulativen Bremsen gegen Investoren als MVZ-Träger eingezogen werden sollten. Was dagegen gar nicht vorkommt, sind stattdessen Konzepte, Ärzte als Trägergruppe zu unterstützen.

Dabei ist die Stärkung der Vertrags(zahn-)Ärzte als MVZ-Betreiber das wirksamste Mittel, die weitere Ausbreitung von MVZ mit Investorenbindung zu verhindern. Allerdings ist die größte Hürde hier im SGB V hausgemacht.

 

Falsche Debatte wird geführt

Heute nicht weniger als am Jahresanfang muss festgestellt werden, dass die so wichtige Debatte über MVZ als Kooperationsstruktur, bei der sich auch branchenferne Investoren engagieren, irgendwann falsch abgebogen ist. Wie kann es sein, dass wir mit viel Aufwand rein destruktiv darüber streiten, wie einzelne Leistungserbringer – sprich investorenbetriebene MVZ – aus der ambulanten Versorgung rausgehalten werden können, anstatt darüber, wie konstruktiv dazu beigetragen werden kann, Vertragsärzt:innen ihr Parallelleben als Unternehmer und Praxischef:innen zu erleichtern? Um einfach dadurch effektiv dazu beitragen, dass die Rolle nicht-ärztlicher Träger auf das sinnvolle Maß beschränkt bleibt?

Denn, wie man es dreht und wendet: Wahr ist und bleibt, Treiber der Entwicklung zu immer mehr nichtärztlichen MVZ-Trägerschaften ist die Ärzteschaft selbst. Ohne Ärzte, Zahnärzte und Psychologen, die ihre Sitze in MVZ einbringen und als Angestellte dort tätig werden, gäbe es einfach keinen Markt, der für Investoren attraktiv wäre. Es bedarf keiner gesetzlichen Regelung, um die Entwicklung zu bremsen. Es würde reichen, wenn Ärzte aufhörten, Teil des Trends zu sein, der allenthalben so wortreich beklagt wird. Das soll nicht zynisch klingen – aber die Frage, wieso eigentlich der Verkauf der Praxis an einen Investor oder ein Krankenhaus aus Abgebersicht so interessant ist, muss gestellt werden. In vielen Fällen, so ehrlich sollten wir die Debatte führen, dürfte es ganz schnöde ums Geld gehen. Andere Fälle, die z.B. den Verkauf eines ganzen MVZ betreffen, haben dagegen häufig strukturell vom Gesetzgeber angelegte Ursachen.

 

Sollbruchstelle: eigene vertragsärztliche Tätigkeit

Jedes MVZ in ärztlichem Eigentum, von denen es unter Ärzten und Zahnärzten rund 3.000 gibt, hat eine im Gesetz vorgesehene Sollbruchstelle: Trägerarzt darf nur sein, wer im K(Z)V-System aktiv tätig ist. Als Folge gehört der Inhaberarzt ab dem Moment, wo die unmittelbare Patiententätigkeit eingestellt wird, nicht mehr zum zulässigen Gesellschafterkreis. Als ob die Fähigkeit, ein Skalpell ohne Zittern zu halten oder regelmäßig Sprechstunden durchzuführen, im Zusammenhang damit stünde, ein MVZ-Unternehmen gut führen zu können. Das SGB V leistet es sich also, Ärzte aus der Trägerschaft herauszudrängen, allein weil sie – egal ob mit 55 oder mit 80 Jahren – entscheiden, nicht mehr vertragsärztlich tätig zu sein. Glücklich können sich da Inhaber schätzen, die entweder Kinder haben, die rechtzeitig das Medizinstudium abschließen, sowie diejenigen, die im Kreis ihrer angestellten Kollegen einen Nachfolger finden, der bereit ist, sich als neuer Eigentümer einzukaufen. Aber die Realität ist: Beide Konstellationen sind Ausnahmefälle. Viel häufiger stehen die MVZ-Inhaber vor dem Problem, dass einfach keiner da ist, um das MVZ weiterzuführen.

Ohne gesetzgeberische Änderung liegt daher eine Zwangsläufigkeit im Trend zu immer mehr Klinik-MVZ. Denn der Inhaber muss sich rechtzeitig im weiteren Kreis der zulässigen Träger umschauen, wer auf Dauer die Arbeitsplätze, die Patientenversorgung und die bisher gelebte Qualität – sprich sein Lebenswerk – sichern kann. Das SGB V gibt an der Stelle nicht viel her: Neben den Ärzten kommen im Wesentlichen Dialyseträger, Kommunen und Kliniken infrage … Unterstellt man, dass Kommunen in aller Regel die Mittel fehlen, ein solches MVZ zu übernehmen, und eingedenk der Tatsache, dass Dialyseträger sich nur in einigen bestimmten Fachrichtungen engagieren dürfen, bleibt von Amts wegen nur das Cluster Krankenhaus. D.h. es gibt von Gesetz wegen Druck in Richtung Klinik-MVZ, denn irgendwann müssen all die MVZ-Inhaber, die häufig zwischen 45 und 55 Jahren ein MVZ gegründet haben, dieses abgeben. Und dieses Irgendwann ist – wie beschrieben – eher früher als später, weil Gründer- und Betreibereigenschaft nicht getrennt ist. Da die Potenz, große Praxisstrukturen im Ganzen zu übernehmen, logischerweise vor allem bei noch größeren Strukturen liegt, kommen hier zwangsläufig auch die Fonds mit ihren Investoren und dem Geld, das nach stabiler Anlage sucht, aktiv ins Spiel.

Sollten wir daher nicht PRO ÄRZTE diskutieren, wie sich diese Spirale unterbrechen lässt? Schließlich haben diese MVZ-Gründer nicht selten ein intrinsisches Interesse, ihr Haus in gute Hände zu geben. Es geht nur oft einfach nicht, denn die bisherige Nachfolgeregel in § 95 Absatz 6 SGB V, die seit 2015 die Weitergabe von Gesellschaftsanteilen an angestellte Ärzte des MVZ regeln soll, ist insuffizient, da nicht zu Ende gedacht. Es braucht vielmehr einen Ansatz, der den langfristigen Erhalt von MVZ-Strukturen in ärztlicher Hand sicherstellt. Und mit dem die Weitergabe an angestellte Kollegen grundsätzlich gesichert werden kann.

 

Konstruktive Lösungen

Als BMVZ sehen wir hier zwei wichtige Bausteine, die die MVZ-Debatte, wie sie für den Winter wieder neu bevorsteht, konstruktiv bereichern sollten.

Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb bisherigen Vertragsärzten und Vertragsärztinnen das Recht abgesprochen wird, ihr MVZ weiterzuführen. Hier sollte unseres Erachtens normativ die Gründer- von der Betreibereigenschaft getrennt und klargestellt werden, dass jeder Arzt, der irgend­wann einmal in seinem Leben zulässigerweise ein MVZ gegründet hat, dieses auch ohne zeitliche Begrenzung weiterführen (= betreiben) darf. Ziel ist, die nicht sachgerechte Zwangsverknüpfung von ärztlicher Tätigkeit und MVZ-Inhaberschaft zu lösen. Das ist Sozialrecht. Hinzu kommt – und das ist Gesellschaftsrecht –, dass die von der Regierung Scholz geplante Gesellschaft mit gebundenen Vermögen (GmgV) zeitnah umgesetzt wird.

Damit kann zweitens eine Nachfolgergruppe erschlossen werden, die die Fähigkeit und durchaus auch das Interesse hat, das MVZ weiterzuführen, der es aber an Geld mangelt, die Gesellschaft zu übernehmen, oder nachvollziehbar am Willen, sich dafür horrend zu verschulden. Dies stellt sich in anderen Branchen nicht anders dar als für MVZ: Nach den eigenen Erben ist die naheliegendste Gruppe an Nachfolgern der (angestellte) Leitungsnachwuchs – also Menschen, die den Betrieb und die Branchenspezifika kennen und bereit sind, Zukunftsverantwortung für ihren Arbeitsplatz zu übernehmen. Gemeint sind im MVZ-Fall angestellte ärztliche Kollegen des Inhabers.

Für diese Fälle sieht der Koalitionsvertrag der amtierenden Regierung auf den Seiten 24/25 vor, dass mit der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen eine neue Rechtsform eingeführt wird, die die Vorteile der Stiftung mit denen einer GmbH vereint. Damit bestünde eine auch für MVZ sehr sinnvolle Rechtsform, mit der eine unternehmerische Führung gewährleistet wird, bei gleichzeitigem Schutz vor den Risiken von Spekulation und der Fixierung auf kurzfristige Gewinne. Die aber vor allem, und das macht sie auch für ‚normale‘ angestellte Ärzte attraktiv, nicht eine Verschuldung bis über beide Ohren verlangt, um sich einzukaufen. Denn Kauf und Verkauf von Geschäftsanteilen ist ausschließlich zum Nennwert möglich. Dafür gibt es bereits umfassende Konzepte und Gesetzesentwürfe.

 

Im Koalitionsvertrag geplante neue Rechtsform umsetzen

Klingt zu gut, um wahr zu sein? Seit mehreren Jahren setzt sich die Stiftung Verantwortungseigentum bereits für dieses Rechtsformmodell ein, bei dem gewährleistet ist, dass die Steuerung in den Händen von Menschen bleibt, die dem Unternehmen verbunden sind, während das Prinzip der Vermögensbindung die Privatentnahme von Gewinnen wirksam verhindert. Ihr größter Erfolg bisher: die Aussage im Koalitionsvertrag, dass „für Unternehmen mit gebundenem Vermögen … eine neue geeignete Rechtsgrundlage geschaffen werden soll“. Aber noch ziert sich die Regierungsampel, das auch umzusetzen. Um hier auch aus dem Gesundheitswesen heraus mehr Druck zu erzeugen, tritt der Bundesverband MVZ seit August 2023 als einer von 25 Unterzeichner-Institutionen des gemeinsamen „Verbändepapiers zur Einführung einer neuen Rechtsform“ auf. Verbunden mit dem Umdenken im Sozialrecht, dass die ärztliche Trägereigenschaft sinnvollerweise vom Vertragsarztstatus entkoppelt werden sollte, wie auch 2020 vom Autorentrio um Prof. Ladurner (BMG-Gutachten zu MVZ) schon vorgeschlagen, würde sich der Druck auf Inhaberärzte, ihr MVZ an den nächstbesten Investor veräußern zu müssen, deutlich verringern.

Es ist nach 20 Jahren MVZ-Realität an der Zeit, dass § 95 SGB V endlich vom Fokus auf die MVZ-Gründung gelöst und normativ die MVZ-Weitergabe zu einem regulativen Mittelpunkt gemacht wird. Denn werden die Ärzte und Ärztinnen, die heute bereit sind, unternehmerische Verantwortung zu tragen, in diesem Punkt weiter allein gelassen, braucht sich in KV, Landesregierung oder BMG niemand wundern, warum fachfremde Investoren so leichtes Spiel haben.

 

Lesen Sie von der Autorin auch:

„Über eine sprachlich entgleiste Debatte“, Observer Gesundheit, 9. Januar 2023.


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