Krankenhausreform in Deutschland: Veränderung der Patientenströme wirkt sich auf Kosten aus

Studie aus England: Notfallversorgung besonders betroffen



Die dritte und bislang umfassendste Empfehlung der Regierungskommission zur Krankenhausreform liegt seit Dezember 2022 auf dem Tisch (1). Derzeit arbeiten Bund und Länder an einem Eckpunktepapier, das noch vor der Sommerpause fertiggestellt werden soll. Das Ziel – Anfang 2024 ein Gesetz. Eine sehr ambitionierte Zielsetzung. Doch was bedeutet eine Veränderung des Patientenvolumens in medizinischen Fachrichtungen für die Kostenentwicklung im Krankenhaus? Die Studie von Freeman et al. (2) untersucht fachrichtungsübergreifend, wie sich die Kosten für geplante und ungeplante Patienten entwickeln, sobald sich das Patientenvolumen in medizinischen Fachrichtungen ändert.  Ein Datensatz von 145 Millionen stationären Patientenüberweisungen aus England ist dafür analysiert worden.

Ein Kernelement der Krankenhausreform in Deutschland ist die Einführung von definierten Leistungsgruppen (z.B. „Kardiologie“). Dadurch sollen die bislang etablierten Fachabteilungen (z. B. „Innere Medizin“) abgelöst werden. Es geht aber noch weiter. Nicht jedes Krankenhaus soll jede Leistungsgruppe erbringen dürfen. Entscheidend sind die Qualitätskriterien. Eine Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft mit Veränderung der Patientenströme wird auf Deutschland zukommen.

 

Was passiert mit den Kosten, wenn sich das Patientenvolumen innerhalb einer Fachrichtung in einem Krankenhaus verändert?

Vergangene Studien haben gezeigt, dass eine Erhöhung des Patientenvolumens innerhalb einer medizinischen Fachrichtung für das Krankenhaus die Kosten reduzieren kann (3, 4). Bislang war jedoch unklar, inwieweit Patientenvolumenveränderungen in einer medizinischen Fachrichtung die Kosten von anderen medizinischen Fachrichtungen im gleichen Krankenhaus beeinflussen – sogenannte Übertragungseffekte. Dieser Herausforderung widmet sich eine Studie aus England von Freeman et al. (2). Durch die Betrachtung des Patientenvolumens differenziert nach geplanten und ungeplanten Patienten sind detaillierte Schlussfolgerungen zur Kostenentwicklung bei Veränderungen der Patientenströme in medizinischen Fachrichtungen abgeleitet worden.

 

Studiendesign

Der Datensatz umfasst einen Zeitraum von zehn Jahren (2006/2007 bis 2015/2016) und beinhaltet die Kosten- sowie Patientendaten aller akuten Krankenhäuser Englands. Insgesamt sind knapp 145 Millionen stationäre Patienteneinweisungen in der Analyse berücksichtigt worden. Die Autoren haben in diesem Zeitraum untersucht, wie sich Volumenveränderungen eines Krankenhauses auf Kosten und Verweildauer auswirkten.

Bei den Patienteneinweisungen wurde unterschieden, ob es sich um einen geplanten (elektiven) Patienten oder um einen ungeplanten (Notfall-) Patienten handelt (d.h. Einweisungsart). Des Weiteren wurden die Patienten jeweils einer von 15 medizinischen Fachrichtungen zugeordnet. Bei den Definitionen der medizinischen Fachrichtungen orientierten sich die Autoren an Körpersystemen und medizinischen Spezialisierungen (z.B. Nervensystem, Atmungssystem).

Mit den vorliegenden Informationen war es möglich, die Kostenentwicklung pro Patient differenziert nach Patienteneinweisungen und medizinischen Fachrichtungen zu untersuchen.

Eine vereinfachte Darstellung der Analyse und Studienergebnisse von Freeman et al. (2) ist in Tabelle 1 dargestellt.

Im Rahmen der Analyse wurden die Kostenentwicklungen für geplante und ungeplante Patienten untersucht. Als Einflussfaktor für die Kostenentwicklungen wurden Veränderungen im Patientenvolumen schwerpunktmäßig betrachtet. Bei der Veränderung des Patientenvolumens wurde der Ursprung genauer unterschieden. Geplante und ungeplante Patienten gehörten entweder zu einer in der Analyse fokussierten Fachrichtung (z.B. Nervensystem) oder zu der Kategorie „Andere Fachrichtungen“ (z.B. Atmungssystem und Muskel-Skelett-System). Damit ergaben sich für Patienten die folgenden vier Kategorisierungsoptionen, bei denen Veränderungen im Volumen stattfinden konnten:

  1. Fokussierte Patienten: Patienten mit der gleichen Einweisungsart und gleichen Fachrichtung (Beispiel: ungeplante Einweisung in der Fachrichtung Nervensystem)
  2. Andere Patienten: Patienten aus der gleichen Fachrichtung (Beispiel: Nervensystem), aber mit anderer Einweisungsart (Beispiel: geplant)
  3. Andere Patienten: Patienten mit der gleichen Einweisungsart (Beispiel: ungeplant), aber aus anderen Fachrichtungen (Beispiel: Atmungssystem und Muskel-Skelett-System)
  4. Andere Patienten: Patienten mit anderer Einweisungsart und aus anderen Fachrichtungen (Beispiel: ungeplante Einweisung in den Fachrichtungen Atmungssystem und Muskel-Skelett-System)

Die letzten drei genannten Kategorien wurden im Rahmen der Analyse näher betrachtet, um Übertragungseffekte in der Kostenentwicklung zu identifizieren. Übertragungseffekte entstehen durch Volumenveränderungen von „Anderen Patienten“, die nicht zu den „Fokussierten Patienten“ gehören. „Andere Patienten“ haben nicht die gleiche Einweisungsart und/oder Fachrichtung wie die fokussierten Patienten (siehe Beschreibung oben). Freeman et al. (2) gehen davon aus, dass Volumenveränderungen von „Anderen Patienten“ zu positiven und negativen Übertragungseffekten angesichts der Kosten pro Patient führen können.

Um die statistische Analyse nicht zu verzerren, wurden weitere Faktoren berücksichtigt (z.B. regionale Unterschiede der betrachteten Krankenhäuser).

 

Tabelle 1: Übertragungseffekte bei einer Erhöhung des Patientenvolumens im Krankenhaus

 

Quelle: vereinfachte Darstellung in Anlehnung an Freeman et al. (2).

 

Ergebnis 1: Bestätigung der Erkenntnisse aus vergangenen Studien

Die Studienergebnisse von Freeman et al. (2) belegen die Erkenntnisse aus vergangenen Studien (3, 4); siehe gelbe Markierung in Tabelle 1. Je mehr geplante Patienten ein Krankenhaus in einer medizinischen Fachrichtung behandelt werden, umso geringer sind die Kosten für geplante Patienten. Ein zehnprozentiger Anstieg der geplanten Patientenanzahl innerhalb einer Fachrichtung führt zu einer Kostenreduktion von 0,5 % pro Patient. Eine ähnliche Erkenntnis konnte auch für ungeplante Patienten festgestellt werden. Ein zehnprozentiger Anstieg der ungeplanten Patienten innerhalb einer Fachrichtung reduziert die Kosten der Notfallpatienten um 1,4 %.

 

Ergebnis 2: Negativer Übertragungseffekt – Erhöhung des geplanten Patientenvolumens sorgt für höhere Kosten bei Notfallpatienten

Der Fokus der Studie war es, Übertragungseffekte zu analysieren. Dabei ist unter anderem ein negativer Übertragungseffekt für die Notfallversorgung sichtbar geworden; siehe rote Markierung in Tabelle 1.

Eine Zunahme an geplanten Patienten, entweder in derselben Fachrichtung oder in anderen medizinischen Fachrichtungen eines Krankenhauses, wirkt sich negativ auf die Kosten für Notfallpatienten aus. Ein zehnprozentiger Anstieg des geplanten Patientenvolumens innerhalb derselben Fachrichtung erhöht die Notfallkosten um 0,3 %. Wenn sich das geplante Patientenvolumen um zehn Prozent in anderen Fachrichtungen erhöht, steigen die Notfallkosten um 1,4 %.

 

Ergebnis 3: Positiver Übertragungseffekt – Erhöhung des ungeplanten Patientenvolums in anderen Fachrichtungen sorgt für geringere Kosten bei Notfallpatienten

Des Weiteren konnte auch ein positiver Übertragungseffekt für die Notfallversorgung festgestellt werden; siehe grüne Markierung in Tabelle 1.

Wenn sich das ungeplante Patientenvolumen in anderen Fachrichtungen erhöht, wirkt sich dies positiv auf die Kostenentwicklung der Notfallpatienten aus. Ein zehnprozentiger Anstieg des ungeplanten Patientenvolumens in anderen Fachrichtungen reduziert die Notfallpatientenkosten um 1,1 %.

Dass der positive Übertragungseffekt nur für Notfallpatienten und nicht für geplante Patienten festgestellt wurde, begründen Freeman et al (2) damit, dass bei Notfallpatienten stärker Ressourcen unter den medizinischen Fachrichtungen ausgetauscht werden als bei geplanten Patienten.

 

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis?

Die Studienergebnisse von Freeman et al. (2) sind auf unterschiedlichen Ebenen relevant für die Praxis.

Auf der Krankenhausebene wird angesichts des identifizierten negativen Übertragungseffektes deutlich, dass eine Steigerung des geplanten Patientenvolumens nicht zwangsläufig zu der gewünschten Kostenreduktion führt. Steigt das geplante Patientenvolumen, erhöhen sich die Kosten für die Notfallpatienten; siehe rote Markierung in Tabelle 1.

Krankenhäuser, die eine Steigerung des geplanten Patientenvolumens intendieren, um Kosten einzusparen, sollten die Erkenntnisse aus der Studie mitberücksichtigen. Krankenhausmanager sollten hinsichtlich des identifizierten positiven Übertragungseffektes (siehe grüne Markierung in Tabelle 1) bei ihrer Strategieausrichtung die Erhöhung des ungeplanten Patientenvolumens mitbedenken, wodurch sich nachweislich Kosten reduzieren lassen und keine negativen Übertragungseffekte bei den Kosten für geplanten Patienten zu erwarten sind.

Auch für die regionalpolitische Ebene können Empfehlungen aus den Studienergebnissen abgleitet werden. Mit einer Zusatzanalyse zeigen Freeman et al. (2), dass es für Krankenhäuser vorteilhaft ist, wenn diese sich in einer Region zusammentun und die elektiven Fachrichtungen so umverteilen, dass nur beispielweise eins von zwei Krankenhäusern eine entsprechende elektive Fachrichtung anbietet. Am Beispiel von zwei Krankenhäusern im Großraum Londons konnte gezeigt werden, dass sich so die Kosten für geplante Behandlungen um 3,6 % reduzieren würden, ohne dass sich dabei das Gesamtvolumen der Krankenhäuser ändert.

Die negative Kostensynergie zwischen Notfallversorgung und geplanter Versorgung verstärken auch das Fachklinik-Argument. Patientenverschiebungen von Notfallversorgern zu Fachkliniken ohne Notfallaufnahme können durchaus positive Kosteneffekte für beide Häuser haben. Basierend auf den Studienergebnissen und einer Zusatzanalyse regen Freeman et al. (2) an, elektive Behandlungen in spezielle Behandlungszentren zu verlegen und damit vom Notfallkrankenhaus zu separieren. Dies könne ebenfalls die Kosten für geplante Patienten und für Notfallpatienten reduzieren. Vergangene Studien haben bereits Qualitätsvorteile eines solchen Vorhabens aufgezeigt (5).

Eine große Krankenhausreform und damit eine Neuausrichtung der Patientenströme in der Krankenhauslandschaft wird in naher Zukunft auf Deutschland zukommen. Bei diesem Vorhaben ist es jedoch entscheidend, die daraus resultierenden Veränderungen des Patientenvolumens zu berücksichtigen. Negative und positive Übertragungseffekte können erhebliche Einflüsse auf die Kostenentwicklungen haben. Eine vorausschauende Planung mit einem trennscharfen Blick auf Notfallpatienten und elektive Patienten ist gefragt.

Das geplante Patientenvolumen in einem Krankenhaus zu erhöhen, ist nicht zwangsläufig die optimale Strategie, um Kosten einzusparen. Bei einer Erhöhung des geplanten Patientenvolumens steigen die Kosten in der Notfallversorgung (negativer Übertragungseffekt). Für eine Neuausrichtung der Patientenströme ist ein trennscharfer Blick auf geplante und ungeplante Patienten differenziert nach den entsprechenden Fachrichtungen gefragt. Dabei sollte auch das Einsparpotential bei Notfallpatienten durch eine Erhöhung des ungeplanten Patientenvolumens nicht außer Acht gelassen werden (positiver Übertragungseffekt).

 

Literatur

  1. Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Dritte Stellungnahme und Empfehlung: Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung 2022 [Available from: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/3te_Stellungnahme_Regierungskommission_Grundlegende_Reform_KH-Verguetung_6_Dez_2022_mit_Tab-anhang.pdf.
  2. Freeman M, Savva N, Scholtes S. Economies of Scale and Scope in Hospitals:
    An Empirical Study of Volume Spillovers. Management Science. 2021;67(2):673-97.
    [Available from:
    https://www.researchgate.net/profile/Michael-Freeman-19/publication/333774878_Economies_of_Scale_and_Scope_in_Hospitals_An_Empirical_Study_of_Volume_Spillovers/links/5e5c77784585152ce8ff2a97/Economies-of-Scale-and-Scope-in-Hospitals-An-Empirical-Study-of-Volume-Spillovers.pdf]
  3. Carey K, Burgess Jr. JF, Young GJ. ECONOMIES OF SCALE AND SCOPE: THE CASE OF SPECIALTY HOSPITALS. Contemporary Economic Policy. 2015;33(1):104-17.
  4. Gaynor MS, Kleiner SA, Vogt WB. Analysis of Hospital Production: An Output Index Approach. Journal of Applied Econometrics. 2015;30(3):398-421.
  5. Kuntz L, Scholtes S, Sülz S. Separate and Concentrate: Accounting for Patient Complexity in General Hospitals. Management Science. 2019;65(6):2482-501.

 

Dr. Ines Niehaus


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