Gute Qualität gibt es nicht für umsonst

Vorsorge- und Reha-Einrichtungen für Mütter/Väter und Kinder im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Unterfinanzierung

Thomas Bublitz

Konstanze Zapff

Mit ihren ganzheitlichen Angeboten bieten Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen Familien professionelle Hilfen und wirken spezifischen Gesundheitsrisiken und bestehenden Erkrankungen von Müttern und Vätern effektiv entgegen. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des sich verschärfenden Fachkräftemangels wird es immer wichtiger, die belasteten Mütter und Väter professionell zu unterstützen, Familien zu stabilisieren und Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Aktuell gibt es 126 Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen für Mütter und Väter in Deutschland, die annähernd hälftig in karitativer und privater Trägerschaft die Versorgung übernehmen.

Nachdem im Jahr 1989 mit der Gesundheitsreform Mutter-Kind-Maßnahmen zu Regelleistungen der gesetzlichen Krankenkassen erklärt wurden, kam man einem wichtigen Ziel – der Verbesserung des Zugangs zu Vorsorge und Reha-Maßnahmen für belastete Mütter – etwas näher. Mit dem Zusatz, dass die Krankenkassen per Satzung selbst bestimmen können, ob sie die Maßnahmen voll finanzieren oder bezuschussen wollen, wurde die gewünschte Zugangs-Verbesserung jedoch fast ausgehebelt. Während einige Krankenkassen die Maßnahmen im Rahmen von Satzungsleistungen voll finanzierten, bezuschussten andere diese nur zu einem geringen Teil, sodass in der Praxis immer noch zu wenig Mütter, die Unterstützung benötigten, eine entsprechende Maßnahme erhielten. Im Jahr 2002 wurden Krankenkassen dann mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Vorsorge und Rehabilitation für Mütter und Väter“ folgerichtig dazu verpflichtet, stationäre Mütter- und Mutter-Kind-Maßnahmen voll zu finanzieren. Statt der erwarteten Zunahme sanken die Bewilligungen bis 2006 jedoch auf bis rund 40 Prozent. Mit dem im April 2007 in Kraft getretenen „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ wurden stationäre Mutter-Kind-Vorsorge-/ bzw. Rehabilitationsmaßnahmen dann endlich zu Pflichtleistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung. Doch auch das konnte noch nicht alle Hürden einer bedarfsgerechten Versorgung von Müttern und Vätern beseitigen, denn das zum Teil intransparente Antrags- und Bewilligungsverfahren in diesem Leistungsbereich blieb weiter bestehen. Und nicht nur der Zugang zu Vorsorge und Reha-Maßnahmen muss weiter optimiert werden. Ein großes Problem liegt in der chronischen Unterfinanzierung dieses Leistungsbereichs durch die Krankenkassen.

 

Leistungsgerechte Vergütung dringend benötigt  

Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken e.V. (BDPK) hat die „aktiva – Beratung im Gesundheitswesen GmbH“ im Jahr 2018 mit einer Studie zur Frage „Was kostet die Vorsorge-/Rehabilitationsleistung in Mutter-/Vater-Kind Einrichtungen?“ beauftragt. Im Gutachten wurde anhand eines transparenten Kalkulationsmodells ein sachgerechter Vergütungssatz für Vorsorge-/Rehabilitationsleistungen in Mutter-/Vater-Kind-Einrichtungen ermittelt. Hierbei wurden die Personalkosten, die Sachkosten, die Kapitalkosten und ein Unternehmerlohn in Form eines Gewinn- bzw. Risikoaufschlags für eine Modellklinik mit 250 Betten in 100 Appartements zugrunde gelegt. Die Kalkulation der einzelnen Kostenarten basiert auf etablierten Qualitätsstandards und strukturellen Vorgaben der Krankenkassen für den Bereich der Eltern-Kind-Maßnahmen sowie auf marktüblichen Kostenstrukturen. Aktiva hat für die Vergütung in Mutter/Vater-Kind-Einrichtungen einen leistungsgerechten Tagessatz in Höhe von 105,69 Euro pro Belegungstag berechnet. Die heute üblichen Tagessatzhöhen liegen jedoch nur bei ca. 70 Euro. Das Gutachten zeigt damit eindrücklich, welch große Finanzierungslücke im Bereich der Vorsorge und Rehabilitation von Müttern und Vätern klafft.

 

Abbildung 1: Leistungsgerechter Vergütungssatz für eine Vorsorge-/Reha-Einrichtung für Mütter/Väter und Kinder laut aktiva-Gutachten vom März 2019

 

Ermittlung der Personalkosten

Die Personalkosten stellen den größten Teil der in den Vorsorge- und Reha-Einrichtungen entstehenden Kosten dar und sind aufgrund des eklatanten Fachkräftemangels auch der neuralgische Punkt im System. Hier sind aufgrund des Wettbewerbs zwischen den Einrichtungen im Gesundheitswesen um Personal, den damit steigenden Gehältern in allen für die Vorsorge und Reha relevanten Berufsgruppen und den bestehenden Anforderungen der Krankenkassen an die Personalstruktur keine Einsparpotentiale mehr zu heben. Im aktiva-Gutachten wurden allein für das Personal in Höhe von rund 53 Euro wie folgt berechnet.

Zur Sicherung eines bundesweit einheitlichen Leistungsgeschehens bei der Erbringung von Eltern-Kind-Maßnahmen hatten die Spitzenverbände der Krankenkassen unter Beteiligung ihres Medizinischen Dienstes (MDS), des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken e.V. (BDPK) und des Müttergenesungswerks (MGW) 2003 erstmalig konkrete Anforderungsprofile für Einrichtungen, die stationäre medizinische Vorsorgeleistungen und stationäre medizinische Rehabilitationsleistungen für Mütter und Väter erbringen, erstellt. Auf Basis dieser Anforderungsprofile wurde durch die   Einrichtungen des BDPK ein Expertenstandard erstellt, welcher den in den Anforderungsprofilen geforderten Einzelleistungen eine Dauer (in Minuten) und eine ausführende Dienstart zuordnet. So wurden beispielsweise für die ärztlichen Aufnahme- Zwischen- und Abschlussuntersuchungen der Mütter/Väter und deren Kinder 70 Minuten pro Maßnahme, für psychosoziale Gesprächskreise 30 Stunden pro Maßnahme und für pädagogische Interaktionen 36 Stunden pro Familie und Maßnahme veranschlagt. Durch Anwendung dieses Expertenstandards auf die Prämissen der im Gutachten als Berechnungsgrundlage genutzten Modellklinik (250 Betten in 100 Appartements) wurde dann der dienstartenspezifische Personalbedarf im Bereich der medizinischen Dienste ermittelt (vgl. Abbildung 2).

 

 

Abbildung 2: Personalbedarf medizinische Dienste nach Expertenstandard des BDPK

 

Zur Kalkulation der Kosten für das medizinische und pädagogische Personal wurde im Gutachten eine Personalvergütung auf Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) zugrunde gelegt. Hierzu wurden die einzelnen Dienstarten in entsprechende Entgeltgruppen eingeordnet. Für jede Entgeltgruppe erfolgte die Ermittlung eines mittleren Gehaltsniveaus, um die Heterogenität des Personals hinsichtlich Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit berücksichtigen zu können. Abweichend hiervon wurde für den ärztlichen Dienst, welcher im Tarifwerk nicht oder lediglich unzureichend Berücksichtigung findet, ein außertarifliches Gehaltsniveau unterstellt, das sich an einem marktgerechten Benchmark orientiert. Die Abbildung 3 fasst die Einordnung der Dienstarten in Tarifstrukturen sowie die resultierenden Personalkosten je Dienstart zusammen. Die dargestellten Kosten je Vollkraft umfassen dabei die im TVöD definierten Bruttogehälter des Arbeitnehmers sowie die unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenzen ermittelten Lohnnebenkosten für den Arbeitgeber.

 

Abbildung 3: Personalvergütung medizinische Dienste

 

Die anhand der hergeleiteten Personalmenge und Personalvergütung ermittelten Kosten für das medizinische Personal betragen 37,96 Euro. Hinzu kommt ein Kostenanteil von 14,99 Euro für das nicht-medizinische Personal der Einrichtung in den Bereichen Verwaltung/Management, Küche, Reinigung und Technischer Dienst. Dieser entspricht marktüblichen Kosten und wurde anhand der Kostendaten eines Pools von Referenzkliniken für das Jahr 2017 hergeleitet. Die ermittelten Durchschnittswerte wurden anschließend um den durchschnittlichen Effekt der Tarifabschlüsse im Jahr 2018 in Höhe von 2,38 % gesteigert. Somit ergibt sich insgesamt für die zugrunde gelegte Modellklinik ein Personalkostenanteil in Höhe von 52,95 Euro (vgl. Abbildung 4).

 

 

Abbildung 4: Personalkosten je Belegungstag

 

Ermittlung der Sach- und Kapitalkosten

Für die Sachkostenkalkulation mit den Positionen Lebensmittel, medizinischer Bedarf, Verwaltungs- und Wirtschaftsbedarf, Wasser- und Energiekosten, Steuern, Abgaben und Versicherungen sowie laufende Instandhaltungskosten (ausgenommen Sonderinstandhaltung oder Investitionen) wurden die Kosten äquivalent zur Kalkulation der Kosten für das nicht-medizinische Personal anhand der Kostendaten des Referenzklinikpools berechnet. Der auf diese Weise ermittelte Sachkostenanteil für die zugrunde gelegte Modellklinik liegt bei 26,01 Euro je Belegungstag.

Die Kalkulation der Kapitalkosten erfolgte im Gutachten unter der Annahme eines Neubaus der zugrunde gelegten Modellklinik und ergab Aufwendungen für Abschreibungen in Höhe von 12,93 Euro je Tag (Gebäude ohne Grundstück) sowie Zinsaufwände in Höhe von 9,11 Euro je Tag und damit insgesamt bei 22,04 Euro je Belegungstag.

Zur Berücksichtigung der unternehmerischen Risiken beim Betrieb einer Vorsorge- bzw. Rehabilitationseinrichtung wurde dem kalkulierten Vergütungssatz auch ein Unternehmerlohn in Form eines Gewinn- bzw. Risikoaufschlags in Höhe von 5,66 % auf die Kosten der Vorhaltung hinzugefügt. Bei Anwendung des Gewinn- bzw. Risikoaufschlags in Höhe von 5,66 % auf die Personal- und Kapitalkosten, die dem unternehmerischen Risiko vollumfänglich unterliegen, sowie 30 % der Sachkosten ergibt sich ein Unternehmerlohn je Belegungstag von 4,69 Euro.

 

Lohnen sich Investitionen in eine gute Versorgungsqualität?

Die Versorgungsqualität in Vorsorge- und Reha-Einrichtungen für Mütter, Väter und Kinder lässt sich auf den Ebenen Ergebnisqualität und Patienten-Zufriedenheit abbilden. Für die Darstellung der Ergebnisqualität werden dabei risikoadjustierte Angaben der Patientinnen und Patienten zur Einschätzung ihres Gesundheitszustands und Angaben aus dem ärztlichen Befundbericht ausgewertet. Wie zufrieden die Patientinnen und Patienten mit den erbrachten Leistungen sind, stellt eine subjektive Ebene der Qualität dar, die sich anhand von Befragungen im Rahmen des externen Qualitätssicherungsverfahrens der Krankenkassen (QS-Reha®) ebenfalls sehr gut auswerten und abbilden lässt. Trotz der vielschichtigen strukturellen Probleme, die aus der chronischen Unterfinanzierung entstehen, erreichen die Vorsorge- und Reha-Einrichtungen für Mütter, Väter und Kinder im QS-Reha® hohe Zufriedenheitswerte, was zu einem erheblichen Maß auch dem großen Engagement der Klinik-Mitarbeitern zu verdanken ist. Nachhaltige Effekte in der Gesundheitsentwicklung der Mütter, Väter und Kinder entstehen durch wirksame medizinische und therapeutische Prozesse in schlüssigen Konzepten, welche durch den Einsatz fachlicher Kompetenz für die Patientinnen und Patienten zielgerichtet erbracht werden. Die Qualität der Behandlung zeigt sich in der langfristigen Verbesserung der Gesundheit, einer Reduktion von Arbeitsunfähigkeits-Tagen sowie dem verringerten Einsatz von Medikamenten und ambulanten Anwendungen. Also ja, Qualität lohnt sich aus Sicht der Patientinnen und Patienten und unserer gesamten Gesellschaft. Aber:

Derzeit belegen die Krankenkassen Vorsorge- und Reha-Einrichtungen für Mütter, Väter und Kinder noch nahezu ausschließlich nach dem Preis. Gute Ergebnisse im QS-Reha®-Verfahren werden bei den Belegungsentscheidungen und Vergütungsverhandlungen nicht honoriert. Die Investitionsverantwortung in gute Struktur- und Prozessqualitäten und professionelle Personalstrukturen, die eine qualitativ hochwertige und nachhaltige Behandlungsqualität sichern, lastet allein auf den Schultern der Einrichtungen.

 

Versorgung akut gefährdet

Die Einrichtungen setzen sich in ihrer täglichen Arbeit engagiert für qualitativ hochwertige und effektive Vorsorge- und Reha-Maßnahmen ein. Sie haben sich aus ihrem Selbstverständnis und dem eigenen Qualitätsanspruch heraus zur Erfüllung der mit den Krankenkassen gemeinsam verhandelten Anforderungen auf Grundlage der Anforderungsprofile aus dem Jahr 2003 und des QS-Reha®-Verfahrens verpflichtet. Die Verantwortung dafür, dass auch in Zukunft bedarfsgerechte Vorsorge- und Reha-Maßnahmen für Mütter, Väter und Kinder angeboten werden können, tragen die Einrichtungen jedoch nicht allein. Es ist dringend erforderlich, die Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung zu verbessern und eine leistungsgerechte Vergütung durchzusetzen. Obwohl die Kosten und Anforderungen an Vorsorge- und Reha-Einrichtungen steigen, haben sich seit 2003 die Vergütungssätze bislang nicht adäquat weiterentwickelt. Die Finanzierungslücke in Höhe von ca. 35 Euro je Belegungstag ist nicht länger hinnehmbar. Politik und Kostenträger sind gleichermaßen gefragt, endlich Lösungen zu finden.

 

Thomas Bublitz

Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Privatkliniken e.V.

Konstanze Zapff

Referentin für den Geschäftsbereich Rehabilitation des Bundesverbandes Deutscher Privatkliniken e.V.


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