23.06.2022
AOP-Katalog – Krankenhäuser ohne Zentral-OP?
Dr. Karen Wismann
Dr. Stephan Balling
Das IGES-Gutachten zeigt das Ambulantisierungspotenzial in Krankenhäusern. Die Politik könnte versucht sein, angesichts knapper Kassen hier anzusetzen, um Effizienzreserven zu heben und Krankenkassengelder zu sparen. Wie Kliniken sich darauf vorbereiten.
Das IGES-Gutachten vom 1. April 2022 hat es in sich: 2.476 bisher stationär erbrachte Leistungen können den Wissenschaftlern zufolge künftig ambulant erbracht werden, der bisherige Katalog für ambulante Operationen (AOP) kann entsprechend erweitert werden. Sollte sich der wissenschaftsaffine Gesundheitsminister Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach diese jüngsten Erkenntnisse der IGES-Forscher zu Eigen machen, hätte das gravierende Folgen. Deutschlands Krankenhäuser sollten zeitnah eine AOP-Strategie entwickeln.
Verteilung der neuen OPS-Leistungen
Gesamt | Diagnostik | Bildgebung | Operationen | Therapie |
2476 | 546 | 164 | 1482 | 276 |
22% | 7% | 60% | 11% |
Quelle: IGES-Gutachten nach § 115, März 2022, sowie eigene Auswertung und Darstellung
Die finanzielle Gesamtsituation des Staates kann auch auf die Kliniken durchschlagen. Den gesetzlichen Krankenkassen stehen nach Jahren mit deutlichen Ausgabensteigerungen nun Jahre mit Defiziten bevor. Bundesgesundheitsminister Lauterbach durfte sich in der jüngsten Haushaltswoche über einen Rekordhaushalt von 64 Milliarden Euro freuen, 28,5 Milliarden Euro Steuermittel fließen über den Gesundheitsfonds zu den Krankenkassen. Da Bundesfinanzminister Christian Lindner aber auf ein Einhalten der Schuldenbremse pocht, wird dieser rekordhohe Zufluss ins GKV-System aus dem Steuersäckel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unbegrenzt anhalten.
Ohne Steuerzuschüsse in dieser Höhe drohen steigende Beitragssätze oder Leistungskürzungen. Jedoch versprach Gesundheitsminister Lauterbach Ende Mai im Deutschen Bundestag: „Ich will dieses historische Defizit beseitigen, ohne dass ich Leistungen kürzen werde.“ Der Minister will also Effizienzreserven heben. Das Ambulantisierungspotenzial könnte zum Sparschwein werden, erst recht, wenn das Ministerium in die Regelungen der Selbstverwaltung eingreift. Geht es nach den Krankenkassen, gilt dabei, dass ambulante Leistungen auf dem Niveau des EBM bezahlt werden. Von den im Koalitionsvertrag skizzierten Hybrid-DRG, die möglicherweise eine Vergütungshöhe zwischen EBM und DRG vorsehen, wollen die Kassen nichts wissen. Was sich hinter der Vokabel der Hybrid-DRG verbirgt, ist bisher reichlich unklar.
Kostenmanagement Gebot der Stunde
Nach Berechnungen von consus clinicmanagement führte eine konsequente, 100 %ige Umsetzung des IGES-Vorschlags für eine Erweiterung des AOP-Katalogs dazu, dass in Krankenhäusern rund 20 Prozent der bisherigen stationären Leistungen ambulant zu erbringen sind. Das entspricht im Mittel 10 Prozent der DRG-Erlöse über alle Versorgungsebenen (6,5 % bei Universitätsklinika). Kompensiert wird dieser Erlösrückgang aus stationären Leistungen nur teilweise von ambulanten Erlösen aus AOP. Sollte die Politik eine Vergütung dieser Leistungen auf EBM-Niveau anstoßen, werden Krankenhäuser unterm Strich daher deutlich geringere Einnahmen verzeichnen.
Klar ist: Die stationären Fallzahlen werden weiter zurückgehen. Die Folge für Krankenhäuser: Kostenmanagement ist und bleibt das Gebot der Stunde. Hier gibt es noch Potenzial, ohne die medizinische und pflegerischer Qualität zu reduzieren. Insbesondere Fixkosten gilt es gering zu halten, damit auch bei geringerer Betten-Auslastung zumindest die schwarze Null steht.
Doch neben der Frage, unter welchen Bedingungen Patienten stationär im Krankenhaus versorgt werden sollen, stellt sich für Kliniken auch die Frage der grundsätzlichen Ambulantisierungsstrategie. Hierbei gilt es vom ambulanten Sektor zu lernen. Krankenhäuser arbeiten mit wesentlich höheren Kostenstrukturen als ambulante Einrichtungen. Ambulante Operationen lassen sich dauerhaft nicht mit den Kosten eines Zentral-OPs finanzieren. Hier gilt es, die ambulanten Strukturen nachzubilden. Zugespitzt formuliert: Krankenhäuser müssen niedergelassene Ärzte werden. Der Aufbau von AOP-Zentren muss fester Bestandteil in der Ambulantisierungsstrategie eines Krankenhauses sein.
Erreichbarkeit für postoperative Patienten sicherstellen
Rechnet sich dann langfristig überhaupt noch ein Zentral-OP? Das IGES-Gutachten listet unter den Kontextfaktoren (K1) 242 DRGs auf, die grundsätzlich stationär zu erfolgen haben. Diese beinhalten u.a. Akutbehandlungen bei (potenziell) lebensgefährlichen Zuständen (z.B. Thrombosen, Blutungen, Sepsis, Polytrauma, Apoplex), große und komplexe chirurgische Eingriffe oder die Behandlung im Zusammenhang mit Organtransplantationen. Krankenhäuser sollten ihre Zentral-OPs auf diese Leistungen fokussieren. Reichen die Fallzahlen nicht aus, um mit diesen 242 DRGs einen Zentral-OP rentabel zu betreiben, steht das Krankenhaus vor der Existenzfrage.
Das muss nicht Schließung bedeuten. Vielleicht liegt die Zukunft dann in MVZ-ähnlichen Strukturen als AOP-Zentrum. Eine substanzielle Steigerung ambulanter Operationen wird künftig verbesserte nachgelagerte Versorgungsstrukturen erfordern. Auch hier kann eine Zukunft für Krankenhäuser liegen, wenn sie beispielsweise AOP-Zentren verbinden mit Einrichtungen der Kurzzeitpflege oder der (stationären) Rehabilitation.
Sicherzustellen ist auch eine Erreichbarkeit für postoperative Patienten, die zu Hause sind. Insbesondere für die Zeiten außerhalb der ambulanten Sprechstunden gilt es hier, durchgehende ärztliche Einschätzungen bei Fragen möglich zu machen. Insbesondere die Telemedizin bietet hier neue Chancen.
Noch ist unklar, wie solche neuen Versorgungsstrukturen finanziert werden können. Aber angesichts des Einsparpotenzials dürfte die Politik Ideen in dieser Richtung sehr offen gegenüberstehen.
Dr. Karen Wismann
Geschäftsführerin Medizin & Erlöse, consus clinicmanagement
Dr. Stephan Balling
Leiter Bereich Public Affairs, consus clinicmanagement
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