Große gesundheitspolitische Herausforderungen und ihre Bewältigung

Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK)

Das deutsche Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen. Mit der geplanten Krankenhausreform und der beabsichtigten Beschleunigung der Digitalisierung beherrschen zwei große Reformvorhaben die aktuelle gesundheitspolitische Debatte. Daneben stellen die beiden Entwicklungen des zunehmenden Fachkräftemangels sowie der stetig steigenden Arzneimittelpreise zwei Bedrohungen dar, welche die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems auf die Probe stellen.

Ein zentraler Punkt der gesundheitspolitischen Debatte auf Bundesebene ist bereits seit Monaten die Krankenhausreform. Lange hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit den Bundesländern gerungen. Oft war von einem Dissens in vielen Punkten zwischen Bund und Ländern zu lesen. Dann kam doch noch der Durchbruch: Den vorläufig letzten Höhepunkt bildete die mehrheitliche Einigung des Bunds mit den Ländern auf Eckpunkte zur Krankenhausreform. 14 von 16 Ländern stimmten für das Eckpunktepapier, Schleswig-Holstein enthielt sich und Bayern stimmte bekanntermaßen dagegen, möchte nach eigener Bekräftigung jedoch weiterhin konstruktiv mitarbeiten. Die nun mehrheitlich beschlossenen Eckpunkte bilden die Grundlage, um im nächsten Schritt einen konkreten Gesetzestext auszuformulieren. Dies soll über den Sommer geschehen. Vielleicht wird die Debatte in der Zwischenzeit etwas ruhiger. Spätestens wenn der Referentenentwurf bekannt wird, dürfte es wieder hoch hergehen. Eines ist sicher: Die Krankenhausreform wird uns in diesem Jahr und darüber hinaus noch intensiv beschäftigen.

 

Krankenhausreform notwendig

Es wird kaum jemanden geben, der die Notwendigkeit einer Reform unseres Krankenhauswesens in Abrede stellt. Dafür gibt es einen einfachen und doch gravierenden Grund: Es wird schlicht nicht genug Personal geben, um alle Krankenhäuser mit ihrem derzeitigen Leistungsspektrum weiter betreiben zu können. Deshalb begrüßen wir auch grundsätzlich das Bemühen, den Veränderungsprozess aktiv anzugehen und Struktur in diesen Prozess zu bringen. Schließlich geht es darum, der Bevölkerung, von der 90 Prozent bei den gesetzlichen Krankenkassen versichert ist, eine umfassende, qualitativ hochwertige und stabile Versorgung mit Krankenhausleistungen anbieten zu können.

So oder so stehen uns nun arbeitsreiche Monate bevor, denn eine Reform dieses Ausmaßes muss handwerklich gut gemacht werden, wenn sie langfristig tragfähig sein soll. Sonst droht ein Scheitern. Dabei muss ausdrücklich davor gewarnt werden, die Krankenhausreform noch komplexer zu machen, als sie ohnehin bereits ist.

 

Personalmangel erschwert Versorgung

Weit über die Dimension der anstehenden Krankenhausreform hinaus dürfte der bereits erwähnte Personal- bzw. Fachkräftemangel reichen. Dabei handelt es sich um einen Megatrend, der sich bereits heute mit steigender Tendenz im Gesundheitswesen bemerkbar macht und Anlass zur Sorge gibt. Laut Bundeswirtschaftsministerium sind bereits heute 352 von 801 Berufsgruppen mit Fachkräfteengpässen konfrontiert; 55 Prozent der Unternehmen sehen Fachkräftemangel bereits heute als Risiko. Und zu den besonders betroffenen Bereichen zählen die Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege. Der Mangel wird Prognosen zufolge weiter zunehmen. Denn: Die Geburtenzahlen der letzten Jahrzehnte reichen einfach nicht, um die Zahl der aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Arbeitskräfte zu kompensieren. Zudem ist die Frage der qualifizierten Zuwanderung in dem erforderlichen Ausmaß auch nicht einfach zu beantworten.

Damit kommt allen Akteuren, Entscheidern und Gestaltern im Gesundheitswesen eine große Verantwortung zu: Wie stellen wir die Versorgung derjenigen sicher, die auf uns vertrauen − der Patienten und der Versicherten? Je weiter der Fachkräftemangel voranschreiten wird, desto mehr müssen wir alle an einem Strang ziehen.

 

Mehr Effizienz durch Digitalisierung

Eine weitere Sorge bezieht sich auf die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems. Es dürfte jedem klar sein, dass steigende Beitragssätze auf Dauer keine Lösung sein können. Vielmehr werden wir im Gesundheitswesen (wie in allen anderen Bereichen auch) immer mit der Begrenztheit der Ressourcen konfrontiert sein und Wege finden müssen, damit bestmöglich umzugehen. Wenn der Fachärztemangel besonders in unterversorgten Regionen noch stärker durchschlägt, kommt dem Aspekt der Versorgungseffizienz eine besondere, zentrale Bedeutung zu.

Wir reden hier nicht über „alte Kamellen“, die seit Jahrzehnten beklagt, aber nicht gelöst wurden. Die technologischen Entwicklungen haben nämlich dazu geführt, dass uns zusätzliche und mächtige Instrumente zur Verfügung stehen: allen voran die elektronische Patientenakte (ePA). Klar ist, dass insbesondere Informationsmangel und Informationsverluste beim Übergang zwischen verschiedenen Versorgern verantwortlich für Ineffizienzen sind. Daher ist es gut, dass telemedizinische Angebote ausgebaut und dass es mit der ePA im Opt-out-System nun einen Lösungsansatz für das deutsche Gesundheitssystem geben wird.

Damit die ePA ihr Potenzial voll entfalten kann, müssen insbesondere folgende drei Erfolgsfaktoren berücksichtigt werden:

  • Nutzen für Patienten und Ärzte: Die Menschen müssen die ePA wollen und sie werden die ePA nur dann wollen, wenn sie die Erfahrung machen, dass der Alltag damit leichter und nicht komplizierter wird.
  • Die Akten dürfen nicht leer, sondern müssen voll sein. Es braucht einfache, aber umfassende Prozesse, um Daten, Behandlungsergebnisse, Therapien usw. in der Akte abzubilden und dort schnell und komfortabel abrufbar zu machen.
  • Wir dürfen die Akte nicht in staatliche Hände geben. Nur der Wettbewerb um die besten Aktenlösungen und auf den Aktendaten basierender Zusatzangebote wird einen Innovationsprozess auslösen, der die Akte immer besser machen wird. Weiterhin bedeutet das auch, dass die gematik nicht zu einer digitalen Omnipotenzbehörde ausgebaut, sondern sich auf schlichte Infrastrukturaufgaben beschränken sollte, wobei klar ist, dass selbst diese Aufgaben in unserem System nicht „schlicht“ sind.

 

Arzneimittelpreise: neue Rahmenbedingungen erforderlich

Digitalisierung (und damit auch die ePA) wird helfen, Effizienzziele zu erreichen. Auf Dauer wird das aber nicht reichen. Deshalb müssen wir auch einen anderen Bereich ansprechen, der für die Finanzierungsfähigkeit unseres Systems wichtig ist: die Arzneimittelversorgung und vor allem deren Preisgestaltung.

Es sei zunächst betont, dass es einige sehr gute Entwicklungen im Arzneimittelbereich gibt. Onkologische Erkrankungen werden immer mehr zu chronischen Krankheitsbildern und verlieren an einigen Stellen ihren lebensbedrohenden Charakter. Gentherapien sind eine andauernde oder zumindest langjährige Hoffnung für realistische Heilungschancen auch für eher seltene Erkrankungen. Das ist die gute Seite.

Auf der anderen Seite geben die mit diesen Innovationen einhergehenden Preisentwicklungen Anlass zur Sorge. Die vorherrschende Preisfindung hat nichts mit wie auch immer kalkulierten Kosten zu tun, sondern mit einer Orientierung an der gesellschaftlichen Belastbarkeit (in der Annahme der Industrie) und den Vergleichskosten für aktuell existierende Therapien. Wenn es so weitergeht, werden irgendwann alle finanziellen Spielräume, die für die persönliche Betreuung von Patientinnen und Patienten benötigt werden (siehe Fachkräftemangel und die Frage, wie Menschen dazu motiviert werden können, im Gesundheitswesen berufstätig zu sein), allein für die Finanzierung der Arzneimittelpreise aufgebraucht. Dies kommt einer Branche zugute, die zu den profitabelsten und renditestärksten überhaupt gehört.

Längst existieren Vorschläge, wie die Preisgestaltung von Arzneimitteln stärker an ihren kalkulatorischen Grundlagen ausgerichtet werden kann, ohne dabei die Gewinnerwartungen der Industrie komplett zu reduzieren. Es gilt einen Weg zu finden, um zu faireren Preisen zu kommen, die der Industrie weiterhin angemessene Gewinne ermöglichen, dabei jedoch das von den Beitragszahlenden zu finanzierende System nicht überfordern. Der internationale Krankenkassenverband AIM (Association International de la Mutualité) hat hierzu schon vor einiger Zeit ein Modell vorgelegt und versucht, dieses in Europa zu verankern. Denn die Arzneimittelpreise sind kein nationales Thema, sondern eines, welches zumindest auf europäischer Ebene bearbeitet werden muss.


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