Gesundheitsberufe in der 19. Legislaturperiode – eine vergleichende Analyse (I)

Teil 1: Spahns Motive, die wichtigsten Gesetzesänderungen – und ein Überblick über die Heilberufe im Modernisierungsmodus

Sabine Rieser

Die Reform/ Modernisierung zahlreicher (nicht-ärztlicher) Gesundheitsberufe ist eines der großen Themen im Bereich Gesundheit in dieser Legislaturperiode. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat auf der Basis des Koalitionsvertrags mehrere Vorstöße unternommen, um diese Berufe durch gesetzgeberische Vorgaben weiterzuentwickeln oder auf bestimmte Problemlagen einzugehen. Beispiele hierfür sind die Pflegeberufe, die Psychologen/ Psychologischen Psychotherapeuten und die Heilmittelerbringer. Doch auch bei der Reform der Gesundheitsberufe zeigt sich: Spahnscher Elan trifft auf komplexe Herausforderungen – eine zweiteilige Analyse. In diesem Beitrag: Spahns Motive, die wichtigsten Gesetzesänderungen und ein Überblick über die Heilberufe im Modernisierungsmodus.

 

Auf die Schnelle: Zahlreiche Reformen und ein Tempo wie bei der Digitalisierung

Wenn man die Vorstöße des Bundesgesundheitsministers zur Reform der (nicht-ärztlichen) Gesundheitsberufe von A wie Anästhesietechnische Assistenten bis zu Z wie Zahnärzte analysiert, kommt man als Erstes zu einem scheinbar paradoxen Befund. Einerseits hat Jens Spahn bislang weit mehr getan, als nur die groben Vorgaben hierzu im Koalitionsvertrag zu konkretisieren und abzuarbeiten. Andererseits fehlt immer noch das in Aussicht gestellte Gesamtkonzept für die Reform, an dem eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe seit Monaten feilt. Klugerweise – denn der Bund darf bei den Heilberufen strenggenommen nur die Erstzulassung regeln, Weiter- und Fortbildung sind Aufgabe der Länder. Auch beim Durchsetzen einer bundesweit einheitlichen Schulgeldfreiheit oder vergleichbaren Ausbildungsvergütungen für alle Gesundheitsfachberufe ist der Bund ohne die Zustimmung der Länder machtlos.

 

Paradoxie mit Methode

Doch die scheinbare Paradoxie ist in Wirklichkeit Methode: Spahn will ganz offensichtlich auch bei der Reform der Gesundheitsberufe nichts auf die lange Bank schieben. Der Bundesgesundheitsminister hat lieber Stück für Stück Fakten geschaffen und die Länder im vergangenen Jahr angetrieben. Deren Kritik an manchem Detail in Gesetzesvorhaben ist in mehreren Stellungnahmen des Bundesrats nachzulesen. Sogar die Anrufung des Vermittlungsausschusses empfahlen Bundesrats-Ausschüsse mehr als einmal, was in der Gesundheitspolitik selten vorkommt. Am Ende wurden bis 2019 gleichwohl zahlreiche Gesetze und Verordnungen über die parlamentarische Zielgerade gebracht. 2020 soll es mit den Reformen der Gesundheitsberufe weitergehen.

Damit wird grundsätzlich der Koalitionsvertrag umgesetzt: SPD und Union hatten der Weiterentwicklung aller Gesundheitsberufe einen eigenen Unterpunkt gewidmet. Sie hatten sich vorgenommen, die Aufgabenverteilung der Gesundheitsberufe neu zu justieren und den Gesundheitsfachberufen mehr Verantwortung zu übertragen. Und: Sie wollten die Ausbildungen der Gesundheitsfachberufe „im Rahmen eines Gesamtkonzepts“ neu ordnen.

 

Das Gesamtkonzept von Bund und Ländern lässt auf sich warten

Noch im Mai hatte die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke zur Heilmittelversorgung betont: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird federführend innerhalb der Bundesregierung entsprechend dem Koalitionsvertrag die Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen neu ordnen und stärken und dafür ein Gesamtkonzept zusammen mit den Ländern erarbeiten. Bis Ende 2019 sind Eckpunkte als Basis für notwendige gesetzliche Änderungen geplant.“ Im Herbst stellte Jens Spahn persönlich klar, dass bald geliefert werde: Man arbeite an allen Berufsgesetzen seit Jahresanfang sehr intensiv mit den Ländern in der gemeinsamen Bund-Länder-AG, sagte er beim 2. Therapiegipfel der Heilmittelerbringer in Berlin. Ziel seien Eckpunkte bis zum Jahresende, aus denen dann ein mehrheitsfähiges Gesetz entstehen könne. Als wichtige Themen nannte er das Schulgeld sowie Schulträgerstrukturen. Ende Januar 2020 kündigte die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Weiss nun in der Fragestunde des Bundestags an, Eckpunkte des Gesamtkonzepts würden derzeit „mit den Ländern fachlich konsentiert“. Im I. Quartal werde die politische Konsentierung erfolgen, wofür sich „die Staatssekretärs-Arbeitsgruppe Wissenschaft und Gesundheit unter Beteiligung der Bundesregierung“ treffen werde.

 

2019: Stattliche Reformbilanz bei den Gesundheitsberufen – ein Überblick

Fakt ist: Der Bund und die Länder haben auch ohne Gesamtkonzept dafür gesorgt, dass eine Menge Reformarbeit für die Gesundheitsberufe angegangen wurde. Zig Vorhaben wurden erledigt oder sind auf den Weg gebracht. Die meisten sind dem Bereich Pflege zuzuordnen. Dessen allgemeine Stärkung in der zurückliegenden 18. Legislaturperiode wird in dieser Legislaturperiode in Form einer Pflegepersonalstärkung fortsetzt.

Abgeschlossen wurden mit Wirkung zum 1.1.2019 sowohl die 5. SGB-XI-Novelle zur Beitragssatzerhöhung in der Pflegeversicherung als auch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Außerdem griffen Regelungen im Pflegeberufereformgesetz von 2017, in das die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Pflegeberufe und die Pflegeberufe-Ausbildungsfinanzierungs-Verordnung eingeflossen sind. Es folgte das Pflegelöhneverbesserungsgesetz, in das ein Referentenentwurf des Pflegearbeitsbedingungenverbesserungsgesetzes eingearbeitet wurde, sowie die Verordnung zur Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen, mit der zuletzt unter anderem Stroke Units und Frührehabilitation der begonnenen Steuerung unterworfen wurden.

In der Umsetzung befindet sich mittlerweile eine Novellierung der Approbationsordnung für Zahnärzte; sie tritt zum 1.10.2020 in Kraft. Zum Jahresende gab der Bundesrat trotz mancher Kritik grünes Licht für die Gesetzentwürfe zur Reform der Psychotherapeutenausbildung und zur Hebammenreform (Kurzinformation zum aktualisierten Berufsbild in der Observer Datenbank). Letztere hatte eine Sonderstellung: Es eilte sehr. Mit der Novellierung musste die Bundesregierung bis 18. Januar 2020 eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen endlich umsetzen. Diese schreibt eine vollständige Akademisierung des Berufs vor. Parallel wurde die Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen erlassen. Auch die Approbationsordnung für Psychotherapeuten wird derzeit zwischen Bundesrat und Bundesregierung abgestimmt. Weiterhin wurde eine überarbeitete Approbationsordnung für Ärzte zum Jahresende auf den Weg gebracht. Im Referentenentwurf werden zahlreiche Maßnahmen aus dem Masterplan Medizinstudium 2020 aufgegriffen.

Auch das Gesetz über die Ausbildung zur Anästhesietechnischen Assistentin/ Anästhesietechnischen Assistenten und über die Ausbildung zur Operationstechnischen Assistentin/ Operationstechnischen Assistenten liegt mittlerweile vor. (Kurzinformation zum aktualisierten Berufsbild in der Observer Datenbank) Ziel war es unter anderem, die Qualifikationen in diesem Berufsfeld erstmals bundesweit zu vereinheitlichen und eine staatliche Prüfung vorzusehen. Dies geschah auf ausdrücklichen Wunsch der Länder. Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Berufsbilds und der Ausbildung der pharmazeutisch-technischen Assistentinnen und Assistenten hat mittlerweile das parlamentarische Verfahren durchlaufen. (Kurzinformation zum aktualisierten Berufsbild in der Observer Datenbank )

Im September hatte zudem der Bundesrat auf Antrag von Bayern und Rheinland-Pfalz einen Entwurf zur Änderung des Notfallsanitäter-Gesetzes vorgelegt. Dessen Ziel war es, eine neue Befugnisnorm einzuführen, die Notfallsanitätern bestimmte heilkundliche Maßnahmen erlauben würde. Eine Anhörung erbrachte, dass die Materie komplizierter zu regeln ist als gedacht. Bei diesem Vorhaben müssen Bund und Länder noch eine tragfähige Lösung finden.

Darüber hinaus haben diverse Regelungen in weiteren aktuellen Gesetzen und Gesetzgebungsverfahren Auswirkungen auf die Gesundheitsberufe. Einige wesentliche Beispiele: So hat der Bundesrat beim Digitale-Versorgung-Gesetz dafür gesorgt, dass neben Ärzten auch Psychotherapeuten digitale Gesundheitsanwendungen verordnen können. Hebammen und Physiotherapeuten sowie Pflege- und Rehaeinrichtungen können sich freiwillig an die Telematikinfrastruktur anschließen lassen und bekommen ihre Kosten so wie die Ärzte erstattet. Im Referentenentwurf zum Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz ist unter anderem vorgesehen, dass der Grundsatz der Grundlohnsummenbindung zur Wahrung der Beitragssatzstabilität für den Reha-Bereich aufgehoben wird, damit „Vergütungsverträge bei erforderlichen Mehrausgaben der Einrichtungen, die etwa durch Tariferhöhungen bei den Gehältern der Mitarbeiter entstehen, angepasst werden“ können.

Umgesetzt wird schon das Terminservice- und Versorgungsgesetz, mit dem erhebliche Honorarverbesserungen für Heilmittelerbringer ermöglicht wurden sowie Optionen zu mehr Autonomie (Stichwort: Blankoverordnung). Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das zum 1. März 2020 in Kraft tritt, wird zudem ein Thema aufgegriffen, das bei sämtlichen Reformvorhaben im Bereich der Gesundheitsberufe ebenfalls eine Rolle spielt: Der Fachkräftemangel und notwendige gesetzliche Anpassungen angesichts der Mobilität der Fachkräfte in der Europäischen Union und mittlerweile auch aus Drittstaaten. Eine Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) kümmert sich zukünftig zentral um Anträge auf Visa, Berufsanerkennung und Arbeitserlaubnis – als Umsetzung eines Vorschlags der Konzertierten Aktion Pflege. Die DeFA soll alle Einrichtungen des Gesundheitswesens dabei unterstützen, internationale Fachkräfte zu gewinnen. Aus einem Bericht des Bundesinstituts für Berufsbildung (bibb) ging zuletzt hervor, dass 2019 insgesamt fast 30.000 Anträge auf Gleichwertigkeitsprüfung bezüglich der Berufsabschlüsse gestellt wurden – ein Anstieg von mehr als 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Fast zwei Drittel der Anträge kamen von Ärzten und Pflegekräften.

Nicht alles Begonnene wurde abgearbeitet. Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Vorort-Apotheken hängt unter anderem wegen offener europarechtlicher Fragen zur Gestaltung der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel im parlamentarischen Verfahren fest. Deshalb stehen auch Neuregelungen in Bezug auf moderne pharmazeutische Dienstleistungen aus, mit denen die Beratungs- und Dienstleistungskompetenz der Apotheker gestärkt werden soll. Vorgezogen und erlassen wurden allerdings im Herbst Änderungen der Apothekenbetriebsordnung und der Arzneimittelpreisverordnung. Teile daraus betreffen die Reformen der Gesundheitsberufe insoweit, als dass die Dienstleistung kleinerer und ländlicherer Apotheken gestärkt wird.

Ende Oktober 2019 hat das BMG zudem ein Rechtsgutachten zum Heilpraktikergesetz von 1939 ausgeschrieben. Dabei geht es um die Frage, wer zukünftig die Heilkunde ausüben darf. Auch dieses Vorhaben wird Auswirkungen auf Reformen der Gesundheitsberufe haben.

 

 

Älter als der Nachwuchs: Viele Berufsgesetze sind in die Jahre gekommen

Die gesetzlichen Grundlagen, auf deren Basis bislang besonders in nicht-akademischen Gesundheitsberufen ausgebildet und gearbeitet wird, sind teilweise stark in die Jahre gekommen. Das nun reformierte Hebammengesetz war im Kern 34 Jahre alt, das Psychotherapeutengesetz 21. Das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie gibt es seit 23 Jahren, das Gesetz über technische Assistenten in der Medizin 26 Jahre. Die Aufgaben in all diesen Berufen haben sich gewandelt, gesetzliche Basis und Vergütung nicht in erforderlichem Maß. Auch deswegen drängt Jens Spahn auf Reformen.

Die bundesdeutschen Hebammen mussten jahrelang zuschauen, wie innerhalb der Europäischen Union ein Land nach dem anderen die Ausbildung vollständig akademisierte. Lediglich in Modellstudiengängen durften sie dies erproben. Deutschland setzte als letzter dazu verpflichteter EU-Staat die entsprechende Richtlinie um. Bei der Vorlage des Kabinettsentwurfs erklärte Jens Spahn: „Künftig werden sie [die Hebammen] in einem dualen Studium auf die wachsenden Anforderungen in der Geburtshilfe vorbereitet. Praxis und Theorie sollen dabei gleichermaßen vermittelt werden. Mit dieser Reform machen wir die Hebammenausbildung moderner und attraktiver.“

Bei der Ankündigung der Reform der Psychotherapeutenausbildung stellte Spahn klar: „Das [alte] Gesetz wird heutigen Ansprüchen nicht mehr in vollem Umfang gerecht.“ Und aus Anlass eines ersten Gesetzentwurfs zur Weiterentwicklung des Berufsbildes der Ausbildung der pharmazeutisch-technischen Assistentinnen und Assistenten (PTA) betonte er: „Unser Gesundheitswesen braucht gut ausgebildete Fachkräfte. Und wir brauchen Ausbildungen, die auf der Höhe der Zeit sind… Der Beruf des pharmazeutisch-technischen Assistenten wurde 1968 erstmals gesetzlich geregelt. Im Vordergrund stand dabei die Unterstützung des Apothekers, vorwiegend für die Arbeit im Labor und bei der Rezeptur. Im Laufe der Jahre wandelten sich jedoch die Aufgaben in den Apotheken. Heute erwarten Patientinnen und Patienten in ihrer Apotheke eine gute Beratung und kompetente Information zu Arzneimitteln.“

 

EU-Gesetzgebung und Mobilität in Europa

Ein weiteres Element des Reformdrucks ist die Rechtsetzung in der Europäischen Union. Für Deutschland gelten die Regeln des europäischen Binnenmarktes – auch im Hinblick auf die Gesundheitsberufe. Die Richtlinie über die gegenseitige (automatische) Anerkennung von bestimmten Berufsqualifikationen (2013/55/EU) wurde 2013 modernisiert und musste bis 2016 umgesetzt werden. Damit wurde die Richtlinie 2005/36/EG verändert. Längst prägen EU-Vorschriften zur vorübergehenden Mobilität, zur Niederlassung in einem anderen EU-Land, zu verschiedenen Systemen zur der Anerkennung von Qualifikationen sowie zu Kontrollen in Bezug auf Sprachkenntnisse und akademische Titel den Bereich der Gesundheitsberufe. Im März 2019 verschickte die EU-Kommission Stellungnahmen an 24 Länder, darunter an Deutschland, und forderte sie auf, ihre Gesetze vollständig anzupassen. Die Forderungen umfassten unter anderem die Verhältnismäßigkeit von Sprachanforderungen, eingezogene regulatorische Hürden sowie notwendige Vorwarnmechanismen in den Anerkennungsprozessen.

Nicht-akademische Gesundheitsberufe stehen längst einerseits in Konkurrenz zu Berufsangehörigen aus anderen Ländern – und können andererseits ihr berufliches Glück anderswo in der Europäischen Union suchen, wenn ihnen die Arbeitsbedingungen hierzulande nicht gefallen. Man akquiriere schon länger Hebammen in Italien, erläuterte im April 2019 bei einem Parlamentarischen Hebammenfrühstück Jonas Sewing, Geschäftsführer des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses Speyer. Umgekehrt würden bundesdeutsche Hebammen bereits aus nordeuropäischen Ländern abgeworben. Diese Entwicklungen werden durch modernisierte Berufsgesetze und Verbesserungen bei den Vergütungen nicht unmittelbar aufgehalten. Aber ohne solche Anstrengungen werden erst recht immer mehr junge Menschen anderswo als in Deutschland nach einem Ausbildungsplatz Ausschau halten oder sich gegen einen Gesundheitsberuf entscheiden.

Die Aufnahme von Fachkräften aus der EU und Drittstaaten ist allerdings komplex und wird kritisch beäugt: Sind die Qualifikationen tatsächlich vergleichbar – oder erwecken manche Zeugnisse nur diesen Eindruck? Führt Fachkräfteeinwanderung zu Lohndumping? Profitieren nur Städte – oder auch ländliche Gegenden? Gesundheitspolitiker stellt das Thema Fachkräfteeinwanderung vor große Herausforderungen. Akquirieren sie in Mexiko oder Vietnam Pflegekräfte, hält man ihnen Ausbeutung vor. Unterlassen sie das, müssen sie es sich zum Vorwurf machen lassen, diese tatenlos in andere Länder abwandern zu sehen. „Es ist nicht so, dass nur wir auf der Welt nach Fachkräften suchen“, merkte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Fachkräfteeinwanderungsgipfel kurz vor Weihnachten lapidar an. Im Rahmen der Fachkräftestrategie der Bundesregierung waren die Gesundheits- und Pflegeberufe bereits 2018 Thema. Um sie aufzuwerten, sollten „finanzielle Ausbildungshürden abgebaut und die Einführung von Ausbildungsvergütungen angestrebt werden“. Dies könne man aber nur mit den Bundesländern und den Sozialpartnern erreichen.

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das zum 1. März in Kraft tritt, mag nicht ausreichen. Doch es markiert einen Einsichtswandel. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat bei der ersten Lesung erwähnt, dass auch „in der Gesundheitsbranche, in der Pflege“ Betriebe händeringend Fachkräfte suchten. Man werde zuallererst zwar das Arbeitskräftepotenzial im Inland und in Europa nutzen. Aber das werde nicht reichen, um den Fachkräftebedarf hierzulande zu sichern. Deshalb gebe man „ein klares Bekenntnis zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten ab“, die aber gesteuert und geordnet kommen werde.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verwies beim Fachkräfteeinwanderungsgipfel aber auf weitere Facetten, wenn es um Lücken bei Fachkräften gehe: 50.000 Menschen hierzulande verließen jährlich die Schule ohne Abschluss, 1,1 Millionen Junge zwischen 20 und 30 Jahren hätten keine berufliche Erstausbildung. Hier, so die Implikation, liegen noch Potenziale – auch für Gesundheitsberufe. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat zudem im Mai 2019 im Bericht „Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich“ darauf verwiesen, dass im Frauenberuf Pflege Teilzeitbeschäftigung weit verbreitet ist. Ein weiterer Aspekt: Bei Altenpflegekräften spielte zuletzt die finanziell geförderte berufliche Weiterbildung eine große Rolle. Rund jede vierte Ausbildung zur Altenpflegefachkraft wurde über diesen Weg aufgenommen. Zwar herrscht kein Stellenmangel in der Altenpflege, im Gegenteil. Nach Erkenntnissen der BA werden aber meist Pflegefachkräfte gesucht. Nur neun Prozent der arbeitslos gemeldeten Altenpflegerinnen und -pfleger besaßen diese Qualifikation.

 

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Reformansätze

Analysiert man die bisherigen Reformen in den verschiedenen Gesundheitsberufen, findet man Gemeinsamkeiten wie Unterschiede. In Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag wird bei allen Reformen der Gesundheitsberufe mehreres auf einmal versucht: Die Ausbildungen und Berufsbilder zu modernisieren, teilweise auch durch Akademisierung; die Situation im Hinblick auf Schulgeldfreiheit und Ausbildungsvergütung zu verbessern; Wege zu mehr Autonomie aufzuzeigen oder vorzugeben; die notwendigen Regelungen im Hinblick auf die Rechtslage in der Europäischen Union zu treffen (Anerkennung von Berufsqualifikationen, Berufsausübungsfreiheit) und ebenso in Bezug auf Fachkräfte aus Drittstaaten.

Doch es stellen sich zugleich sehr unterschiedliche Herausforderungen an Reformen. In den Pflegeberufen beispielsweise herrschen ein erheblicher Fachkräftemangel und Flucht in die Teilzeit. Der Konzertierten Aktion Pflege zufolge kommen auf 100 offene Stellen in der Altenpflege 26 Arbeitssuchende, in der Kranken- und Kinderkrankenpflege 60. Die Ausbildungszahlen bei den Heilmittelerbringern sind seit 2010 tendenziell rückläufig, wie die Bundesregierung im November auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hin einräumte. Die Nachfrage nach Studienplätzen in Psychologie ist dagegen ungebrochen groß. Auch für die zukünftige Qualifikation in Psychotherapie dürfte dies so bleiben. Hebammen, Physiotherapeuten oder Logopäden erheben andere Ansprüche in Bezug auf den Umfang ihrer beruflichen Autonomie als Pharmazeutisch-Technische Assistentinnen.

Hinzu kommt: Zu Themen wie der Verkammerung nach dem Vorbild unter anderem der Ärzteschaft beziehungsweise der (Teil-)Akademisierung werden unterschiedliche Positionen in den Gesundheitsberufen vertreten. Die Bundestagsabgeordnete Bettina Müller (SPD) hat beim zweiten Therapiegipfel der Heilmittelerbringer auf einen weiteren Aspekt hingewiesen: Diskutiere man über die Akademisierung von Gesundheitsberufen, seien nicht nur ideologische Gründe ausschlaggebend, sondern auch praktische. Bei den Hebammen gehe es lediglich um 700 Frauen pro Jahr, bei den Physiotherapeuten hingegen um 7.000 Frauen und Männer. Die Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner (CSU) hatte bei der 1. Lesung des Hebammenreformgesetzes ähnliche Vergleiche angestellt: Anders als bei den Hebammen starteten in einen Pflegeberuf zuletzt 63.000 Auszubildende jährlich. Dies sei im Hinblick auf die Diskussion um eine Akademisierung ein großer Unterschied.

 

Gesundheitsberufe: Wer sind die – und wie viele?

Der Koalitionsvertrag enthält nur knappe Absichtserklärungen zu den Reformvorhaben rund um die Gesundheitsberufe. Doch es tauchen zwei verschiedene Begriffe auf: Gesundheitsberufe und Gesundheitsfachberufe. Versehentlich? Mit Absicht? Das Bundesgesundheitsministerium stellt in seinen Erläuterungen zum Thema auf seiner Homepage klar: „Eine Definition des Begriffs der Gesundheitsberufe gibt es nicht. Allgemein werden darunter alle die Berufe zusammengefasst, die im weitesten Sinne mit der Gesundheit zu tun haben. Nur für einen Teil der Gesundheitsberufe ist der Staat zuständig; viele entwickeln sich auch ohne Reglementierung, das heißt, ohne dass es eine staatliche Ausbildungsregelung gibt.“

Verbindende Elemente aller sogenannten Heilberufe sind dem BMG zufolge diese:

  • Das Führen der Berufsbezeichnung wird geschützt. Notwendig sind eine Approbation oder eine Berufserlaubnis. Sie werden auf Antrag erteilt, sofern nachgewiesen wird, dass die gesetzlich geregelte Ausbildung abgeleistet und die staatliche Prüfung bestanden wurde. Details zu Ausbildungen und Prüfungen sind in den Approbationsordnungen bzw. Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen enthalten.
  • Die Heilberufe zählen zu den sogenannten reglementierten Berufen im Sinne der Europäischen Richtlinie 2005/36/EG über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen. Sie ermöglicht es den Berufsangehörigen, ihren Beruf auch in anderen Mitgliedstaaten der EU auszuüben. Automatisch anerkannt werden dabei die Ausbildungen des Arztes, Zahnarztes, Tierarztes, Apothekers, der Hebamme sowie des Gesundheits- und Krankenpflegers. Für die übrigen Berufe sind Ausbildungsvergleiche/ Ausgleichsmaßnahmen vor einer Anerkennung vorgesehen.
  • Der Bund darf formal lediglich die Erstzulassung zu den Heilberufen regeln. Die Ausgestaltung der Curricula sowie Weiter- und Fortbildung sind Aufgabe der Länder. Sie haben diese teilweise auf Kammern übertragen. Wie etwas neu geordnet werden sollte und wer die Kompetenzen dazu hat, war und ist bei den Heilberufereformen Gegenstand von Debatten zwischen Bund und Ländern. Zwei Beispiele: Scharf kritisierte der Bundesrat die geplante Reform des Berufsbilds der Pharmazeutisch-technischen Assistenten und Assistentinnen. Diese sehe weder eine längere Ausbildung (drei statt 2,5 Jahre) noch mehr grundsätzliche Kompetenzübertragungen vonseiten der Apotheker vor. Die finanziellen Regelungen in Bezug auf Schulgeld und Ausbildungsvergütung seien unzureichend. Beim Aushandeln der Reform der Psychotherapeutenausbildung hatten die beteiligten Bundesratsausschüsse kühl darauf verwiesen, wo Bundeskompetenzen enden: Der Bund könne die Länder aufgrund der Wissenschaftsfreiheit nicht verpflichten, die gewünschten neuen Studiengänge einzurichten. Schon gar nicht, wenn er dafür nicht (anteilig) zahle.
  • Zu den akademischen Heilberufen zählen Apotheker, Ärzte, Psychologen/ Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Tierärzte, Zahnärzte.
  • Die nicht-akademischen Heilberufe werden häufig als Gesundheitsfachberufe bezeichnet. Dazu gehören unter anderem die Pflegeberufe, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Medizinisch-Technische Assistenten (MTA) – und bislang auch die Hebammen.
  • Abgegrenzt von den Heilberufen werden häufig die dualen Gesundheitsberufe gemäß Berufsbildungsgesetz (BBiG), das zum 1. Januar gerade novelliert wurde, beziehungsweise gemäß der Handwerksordnung. Das BBiG trat 1969 in Kraft und regelt Rechte und Pflichten von Auszubildenden und Betrieben. Zu den dualen Gesundheitsberufen zählen unter anderem Medizinische Fachangestellte (MFA), Zahnmedizinische Fachangestellte (ZFA) Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte, Augenoptiker oder Zahntechniker. Für Fragestellungen rund um das BBIG sind in erster Linie das Bundeswirtschafts- sowie das Bundesbildungsministerium zuständig.
  • Zur Situation der MFA hat sich die Bundesregierung Anfang Januar 2020 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion geäußert. MFA seien aus dem heutigen Gesundheitwesen nicht mehr wegzudenken: „Arztpraxen aller Fachrichtungen, MVZ, Krankenhäuser, Reha-Einrichtungen, aber auch Krankenkassen und öffentlicher Gesundheitsdienst kommen als Tätigkeitsbereiche in Frage.“ Im März 2019 listete die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit demnach rund 406.00 beschäftigte MFA auf, davon rund 221.000 in Vollzeit. Die Berufsausbildung stehe mit der entsprechenden Verordnung auf moderner Grundlage, der Beruf sei sehr beliebt bei Berufsanfängern, einen Fachkräfteengpass gebe es nicht – ein Urteil, das der Verband medizinischer Fachangestellter nicht teilt. Eine Akademisierung wie in den Heilberufen werde nicht diskutiert. Ein Antrag auf Neuordnung dieses Berufs, üblicherweise von den Sozialpartnern angestoßen, liege nicht vor.
  • Anders bei den zahnmedizinischen Fachangestellten: Hier wird seit Januar 2019 an einer Neuordnung gearbeitet; Ergebnisse einer ersten Analyse sollen im März 2020 vorliegen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion Ende Dezember hervor. Die Modernisierung wird demnach von der Bundeszahnärztekammer, dem Verband medizinischer Fachberufe sowie ver.di gleichermaßen unterstützt.
  • Weitere Gesundheitsberufe sind bislang (in den Bundesländern) uneinheitlich geregelt. So bilden Krankenhäuser seit Anfang/Mitte der 1990 Jahre Operationstechnische und seit 2004 Anästhesietechnische Assistenten aus. Grundlage waren bislang Empfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und länderspezifische Regelungen. Das Gesetz über die Ausbildung zur Anästhesietechnischen Assistentin/ Anästhesietechnischen Assistenten und über die Ausbildung zur Operationstechnischen Assistentin / Operationstechnischen Assistenten soll diese Praxis nun beenden. Auf der Basis der bisherigen Empfehlungen wurden die Qualifikationen in diesem Berufsfeld erstmals bundesweit vereinheitlicht und eine staatliche Prüfung vorgesehen.

 

Eine Übersicht über die Heilberufe (auf Basis einer Auflistung des Bundesgesundheitsministeriums), ergänzt um Informationen zu den jeweiligen Reformvorhaben, ist in der Observer Datenbank  zusammengestellt.

 

Sabine Rieser
Freie Journalistin für Gesundheitspolitik
Autorin Observer Datenbank und Observer Gesundheit


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