Die gemeinsame Selbstverwaltung braucht einen Neuanfang

Martin Degenhardt, Geschäftsführer Freie Allianz der Länder KVen (FALK)

Der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) hat die gemeinsame Selbstverwaltung – zumindest geistig, so scheint es – schon längst verlassen. Bei der aggressiven Destruktivität des GKV-SV drängt sich zunehmend die Frage auf, ob die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) nicht besser beraten wären, mit jemandem zu verhandeln, der an Patienten denkt und nicht nur an Geld.

Eines vorweg: Dieser Kommentar besteht aus mehr Frage- als Ausrufezeichen. Es gibt keine abgeschlossene Haltung der verfassten Ärzteschaft. Im Gegenteil; derzeit wird in der KBV, den KVen und Verbänden beraten, wie wir mit den aktuellen, tiefgreifenden Problemen der ambulanten Versorgung umgehen wollen. Diesen Entscheidungen, die eine Reaktion auf eine katastrophale Politik von Krankenkassen und in Teilen politischer Parteien sind, kann, will und werde ich nicht vorgreifen. Insofern gibt dieser Text eine derzeit relevante Stimmung in der Ärzteschaft wieder. Keine Beschlüsse – auch nicht von FALK.

 

Destruktives Verhalten seitens des GKV-Spitzenverbandes

Wir erleben seit Jahren ein vollkommen destruktives Verhalten des GKV-SV – grundsätzlich mit Bezug auf alle Themen. Wohlgemerkt hier ist zwischen Krankenkassen und Spitzenverband zu unterscheiden. In den einzelnen Krankenkassen gibt es durchaus noch Versorgungsinteressen, auch wenn diese meistens von dem Gedanken geleitet sind, Geld zu sparen. Auch in den Bundesländern ist die Zusammenarbeit zum Teil sehr vertrauensvoll. Am Ende wird aber auch auf der Landesebene viel zu wenig realisiert, weil die Kassen gemeinsam agieren müssen und sich oft mindestens ein Kassenverband querstellt.

Wenn es eine Organisation im Gesundheitswesen gab, die nichts zur Bekämpfung der Pandemie beigetragen hat, dann waren es zu Beginn die Krankenkassen. „Für Pandemie ist man nicht zuständig, da ist ja kaum jemand krank. Wir sind nur für kranke Menschen da“, hieß es oft sinngemäß. Jeder konstruktive Vorschlag der Ärzteschaft wurde wegen nicht vorhandener Rechtsgrundlagen abgelehnt. Wir mussten dann eine schaffen. Das BMG hat sich hier sehr bemüht. Der GKV-SV leider gar nicht. Am Ende waren es die KVen, die sich ums Testen, Impfen und Aufklären der verunsicherten Menschen zur Verfügung gestellt haben. Corona hat eindrücklich gezeigt: Für das Wohlergehen der Deutschen ist die GKV „nicht zuständig“. Die netten Vertreter haben noch ein „sorry“ hinterhergerufen. Mehr war und ist leider dort nicht drin.

 

Schwere Schäden für die ambulante Versorgung

Das gleiche Bild zeigt sich bei den Verhandlungen im sogenannten Bewertungsausschuss. Der GKV-SV fordert hier seit sechs Jahren (sehr kreativ!) eine Nullrunde. Das bedeutet nicht nur bei der heutigen Inflation jedes Jahr Nettohonorarverluste für unsere Praxen. Übersetzt: schwere Schäden für die ambulante Versorgung. Wir konnten das im System am Ende immer noch abwenden, aber auch hier bleibt die Frage erlaubt: Wozu braucht es einen GKV-SV, der nur Nullrunden fordert? Ich kann jede Ärztin und jeden Arzt verstehen, die bis spätabends in ihren Praxen sitzen und sich von diesen Bürokraten veräppelt vorkommen.

Womit wir zur spannenden Frage kommen: Wozu brauchen wir eigentlich noch einen Spitzenverband der Krankenkassen? Von all diesen Funktionären kommt seit Jahren kein konstruktiver Vorschlag, wie man die ambulante Versorgung verbessern kann. Stattdessen sechs Mal in Folge Nullrunden. Ich will nicht behaupten, dass die Meinung der deutschen Ärzteschaft gegenüber der aktuellen (und auch alten) Bundesregierung und Koalition derzeit besonders hoch wäre. Die Wunden nach der Streichung der Neupatientenregelung sind einfach zu tief. Ohne jede Evidenz, gegen jeden Rat ein funktionierendes Instrument zu streichen, das kann man niemandem erklären. Entgegen den Versprechen gibt es Leistungskürzungen in der Versorgung.

Und trotzdem stellt sich die Frage: Wäre ein solches BMG wirklich schlimmer für Versorgungsentscheidungen als der GKV-SV? Es wird doch jetzt schon viel zu viel detailliert im Gesetz geregelt. Um es klar zu sagen: Viel schlechter als heute kann es gar nicht mehr laufen. Im Gegenteil. Glaubt denn jemand, wir wären bei 2 Prozent Honorarsteigerung gelandet, wenn der Deutsche Bundestag öffentlich hätte darüber debattieren und entscheiden müssen, den Leistungsträgern in der Pandemie einen faktischen Nettoreallohn-Verlust zuzumuten? Mir fehlt dafür die Fantasie.

 

Selbstverwaltung in kollegialer und konstruktiver Form gefordert

Um auf die Frage zurückzukommen, die hinter diesem Kommentar steht: Wir wollen eine gemeinsame Selbstverwaltung, aber in einer – trotz unterschiedlicher Interessenlagen – kollegialen und konstruktiven Form, die kooperativ daran arbeitet, die ambulante Versorgung zu stärken, zu optimieren.

Hierbei stellt sich auch die Frage ob die einzelnen Kassen nicht deutlich mehr Mitspracherecht im Spitzenverband benötigen. In der KBV sind die Entscheidungen demokratisch legitimiert. Wenn dieses Prinzip beim Verband verstärkt würde, hätte das sicher Vorteile. Wenn demnach der GKV-SV keine ernsthaften – will heißen: konstruktiven – Angebote an die niedergelassenen Praxen macht, ist die Selbstverwaltung bald Geschichte. Dazu gehören auch Themen wie Bedarfsplanung, Digitalisierung und Qualitätssicherung.

Ohne Veränderung führt das mittelfristig in die Staatsmedizin, in der BMG und Finanzminister vorgeben, welche Leistungen noch möglich sind und welche nicht. Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Gebarens des GKV-SV gegenüber der Ärzteschaft erscheint das, so hart es klingen mag, zumindest nicht schlechter zu sein, als das heutige System. Ich habe in den vielen Berufsjahren noch nie so eine große Unzufriedenheit erlebt. Sowohl in den KVen und Verbänden, als auch in den Praxen vor Ort. Das zeigen nicht nur die hohen Teilnehmerzahlen bei den letzten Protestveranstaltungen.

Die Frage ist also: lieber eine Koalition der Willigen mit der Politik eingehen, als Teil einer Selbstverwaltung zu sein, die sich selbst und dabei die ambulante Versorgung gleich mit abschafft? Antwort offen. Damit liegt der Ball nun auf Seiten der GKV, die mit brauchbaren Vorschlägen auf uns zugehen muss, um wieder zu einer gemeinsamen Verständigung zu kommen.


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