25.06.2019
Sommerfest des GKV-Spitzenverbandes
Das Sommerfest des GKV-Spitzenverbandes ist ohne Zweifel einer der großen gesellschaftlichen Anlässe im Gesundheitswesen. Als Hüter der Versichertengelder verzichtet der Kassenverband dabei auf Firlefanz und Gloria; im großen Sitzungssaal gibt es (wenige) Reden und anschließend gutes Essen – wie immer im Freien. Beim „SpiBu“ traf sich am 25. Juni (fast) alles, was Rang und Namen hat – vor allem aus der Kassenlandschaft – und das aus gutem Grund: Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender, verabschiedete sich in den Ruhestand.
Der Saal war heiß. Doris Pfeiffer ließ sich die Gelegenheit dennoch nicht entgehen, als Gastgeberin dem spät erschienenen Minister ordentlich einzuschenken. Sie startete mit dem Bonmot „beim Wetter ist es wie in der Politik: Manches läuft heiß“; und Pfeiffer hatte dabei wohl die Reform der Selbstverwaltung im Blick. Die fand vor ihr keine Gnade. Entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheit zückte sie die verbale Keule: Die „Abschaffung der sozialen Selbstverwaltung“ – verankert in den Entwürfen des GKV-Faire Kassenwahl-Gesetzes und MDK-Reformgesetzes – habe ein „Beben in der Kassenlandschaft“ ausgelöst. Damit spielte sie auf die Verwaltungsräte bei den Medizinischen Diensten und im eigenen Hause an: die ehrenamtlichen, oft fachfernen Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sollen dort überwiegend durch Profis und Experten aus dem Gesundheitswesen ersetzt werden. Die amtierenden Verwaltungsräte fühlen sich durch diese Pläne offensichtlich gehörig auf den Schlips getreten; von „Geringschätzung ihrer Arbeit“ war die Rede. Es lag Verve in Pfeiffers Stimme; gleich zweimal richtete sie den Appell an die Gäste, diese Gesetze nicht Wirklichkeit werden zu lassen.
In einem Rundumschlag prangerte die mächtigste Frau des Gesundheitswesens dann noch den Trend zur Entmachtung der (anderen) Selbstverwaltung an: Sie nannte den G-BA und meinte vermutlich die geplanten Kompetenzen für das BMG bei der Methodenbewertung. Und sie nannte die gematik und spielte sicher darauf an, dass Spahn die für ihn erfolglose Gesellschaft nach jahrelanger Hängepartie unter seine 51 %-Fuchtel genommen hat. Wer die laufenden Gesetzgebungsvorhaben kennt, dem genügten die Schlagworte. Für differenzierte Kritik, eigentlich Pfeiffers Stammstrecke, fehlte in diesem Rahmen – nicht zuletzt wegen der brütenden Hitze – schlichtweg die Zeit. Gesagt werden musste es scheinbar trotzdem. Manches läuft eben heiß.
Im Anschluss dann der Auftritt Spahn: Geplant war die Rede des Ministers für den nichtöffentlichen Festakt zur Verabschiedung von Johann-Magnus von Stackelberg. Dieser war vor zwölf Jahren für die AOK in den ersten Vorstand des GKV-Spitzenverbandes eingezogen und geht nun – mit Auslaufen des zweiten Sechs-Jahresvertrages – in den verdienten Ruhestand. Wegen der Debatte zur Organspende war der Minister jedoch im Parlament gefordert und kam daher erst zum Sommerfest, um den GKV-Vorstandsvize anschließend gebührend zu verabschieden.
„Man kann Sie nicht als flatterhaft bezeichnen“ – mit diesem erdigen Kompliment würdigte Spahn die lange und geradlinige Karriere des Diplom-Kaufmanns der Uni Köln, der über das WIdO und den AOK-Bundesverband schließlich zum GKV-Spitzenverband kam, wo er als stellvertretender Vorstandsvorsitzender das Vertragsgeschäft der GKV zu verantworten hatte. Er kenne ihn schon seit der Zeit, als er vor 17 Jahren begann, Gesundheitspolitik zu machen. Da wäre man gerne Mäuschen gewesen. Der damals schon erfolgreiche AOK-Verbandsmanager beherrschte schließlich die Klaviatur der Kommunikation auf Knopfdruck – von Kommando bis hin zu liebenswürdiger Verbindlichkeit – je nach Anlass und stets getragen von einem (kleinen) Vorschuss an Respekt für sein Gegenüber. Es scheint so, als habe er bei Spahn von Anfang an den richtigen Ton getroffen. Dessen anerkennende Worte klangen persönlich und ehrlich gemeint.
Zu einem argumentativen Höhenflug setzte der Minister dann an, als er auf die Kritik von Doris Pfeiffer antwortete. Spahns These: Die Besetzung des Verwaltungsrates mit Einzelkassenvorständen bewege sich ganz in der Systematik der Selbstverwaltung. Schließlich seien die Kassenvorstände von deren Verwaltungsräten gewählt, die wiederum durch Sozialwahlen legitimiert seien. Das sei eine indirekte Legitimation, wie auch er sie als Bundesminister genieße. Der ein oder andere Verwaltungsrat im Publikum schüttelte fassungslos den Kopf über diese Begründung seines bevorstehenden Rauswurfes. Der Minister hatte mal wieder eine Duftmarke gesetzt.
Sein Stellvertreter, Thomas Gebhart aus der Südpfalz, hatte es schwer an diesem Abend. Eigentlich sollte er als parlamentarischer Staatssekretär das (einzige) politische Grußwort an die Gäste richten. Nachdem Jens Spahn nun selbst gesprochen hatte, fehlte es dem Redner aus der zweiten Reihe der Bundesregierung etwas an Aufmerksamkeit. Er drang kaum durch mit seiner Stimme, was möglicherweise auch an seinen doch recht allgemeinen Botschaften lag. Tapfer machte Gebhart das Beste aus seiner undankbaren Rolle: Er sprach und hielt sich kurz.
Als schließlich der Geehrte, Johann-Magnus von Stackelberg, selbst ans Mikro ging, verkniff sich dieser jede intellektuelle Kapriole, launige Rückblicke und langatmige Danksagungen. Seit jeher kein Freund großer Reden verabschiedete sich Stackelberg stattdessen mit einer rekordverdächtig kurzen und schnörkellosen Ansprache. Selbst diesen letzten Auftritt im Amt nutzte er, um für seine GKV in die Bütt zu gehen. Er sprang Doris Pfeiffer zur Seite und flankierte ihre Kritik an der geplanten Reform der Selbstverwaltung mit der schlichten Botschaft an den amtierenden Gesundheitsminister: „Das geht so nicht.“ Trocken und unprätentiös, wie man ihn kennt.
Mit Stackelberg verliert die Szene nicht nur ein Urgestein, das die gesetzliche Krankenversicherung kennt und repräsentiert, wie kaum ein anderer. Mit ihm geht auch ein Spitzenmanager mit einer Sammlung etwas aus der Mode gekommener Tugenden; er gilt als ehrenwert, anständig, verlässlich und immer fair. Mit seinen Abschiedsworten ist der Kanon an Verabschiedungen in den vielfältigen Kontexten seiner Arbeit zu Ende. Der Freiherr geht. Der Applaus war lange und freundlich.
Für die GKV stellt sich nun die Frage, ob seine verbandspolitische Haltung einen Erben oder eine Erbin finden wird. Stackelberg hat es weitgehend geschafft, den Kollektivvertrag gegen mächtige Einzelinteressen zu verteidigen. Der Kollektivvertrag als Grundpfeiler der Versorgung in Deutschland hat einen starken Fürsprecher im Spitzengremium der GKV verdient – und wohl auch nötig. Bewegte Zeiten, politisch wie persönlich. Beim Sommerfest 2020 wissen wir vielleicht schon mehr.
Sebastian Hofmann
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