Die Revolution im eigenen Kopf

Über die geplante Krankenhausreform und ihre vorhersehbaren Unwägbarkeiten

Maximilian Gerade

Das Leid der Altvorderen im Gesundheitswesen ist die Erinnerung. Und dazu gehört auch das Wissen, dass der heutige Bundesminister einer der vehementesten Befürworter der Einführung des schon damals vielfältig kritisierten hundertprozentigen DRG-Weges in der Krankenhausfinanzierung war. Eine persönliche revolutionäre Wendung? Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Herr Lauterbach in den Koalitionsverhandlungen 2017 die Idee der leistungsunabhängigen Erstattung der Pflegekosten (Pflegebudget) in der Koalitionsgruppe Gesundheit maßgeblich unterstützte. Von daher ist der neue Finanzierungsvorschlag selbst für ihn nur eine Evolution.

Seit Jahren ist es gesundheitspolitscher Konsens, dass die Anreizfunktion für Fallzahlerhöhung zumindest abgemildert werden sollte. Vorhaltekosten sind nicht neu: Anfangs wohl dosiert (Notfallstufen, Zentrumszuschlag, Sicherstellungszuschläge), wurden sie mit dem Pflegebudget als relevanter Prozentsatz an den Betriebskosten der Krankenhäuser eingeführt.

Auch eine detaillierte Differenzierung in der Krankenhausplanung ist nicht vom Himmel gefallen. Bis zum Ende der 2000er Jahre war es Tendenz in der Krankenhausplanung, sich immer mehr aus der Steuerung zu Gunsten der Selbstverwaltung zurückzuziehen. Beispielhaft wurden in vielen Ländern Investitionspauschalen statt einer steuernden Einzelförderung in dieser Zeit eingeführt. Die Krankenhäuser sollten selbst entscheiden, welches Investitionsvorhaben für sie wichtig sei.

 

Regierungskommission zweifelt an eigenen Vorschlägen?

Spätestens mit dem Strukturfonds und der sich verschärfenden Gefahr, dass ohne eine ordnende Hand die falschen Häuser besonders in der Fläche schließen mussten, steuerten mehr und mehr Länder um. Sie führten Strukturqualitäts-Vorgaben für Leistungen – welches Krankenhaus darf Schlaganfälle oder Herzinfarkte aufnehmen –, Personalvorgaben (z.B. Thüringen, NRW und HH) oder eine feingliedrige Planung ein. Jüngste Beispiele dafür sind Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und in der Tendenz auch Sachsen. Der Trend ist eindeutig: Kleinteiligere Planung und mehr Strukturvorgaben sowie die bereits in zahlreichen Ländern eingeführten Versorgungsstufen sollen dazu dienen, den Wettbewerb stärker zu strukturieren.

Es ist ohne Zweifel der Verdienst der Regierungskommission, diese drei Stränge der Strukturkosten, der Versorgungstufen und der weiter differenzierten Leistungsplanung zusammenzuführen und damit diese Trends zu verstärken. So weit so gut, aber dies als Revolution zu bezeichnen, ist wieder mal der ganz große Pinsel. Das Problem ist nur: Man kann sich jedes Bild perfekt malen – dadurch wird es aber noch lange nicht lebendig.

Ist auch Ihnen aufgefallen, dass die Regierungskommission selbst an der Umsetzungsmöglichkeit ihrer Vorschläge zweifelt? Auf Seite 10 der Stellungnahme findet sich die ominöse Passage, dass der Reformvorschlag eine juristische „Herausforderung“ sei, da insbesondere in kompetenzrechtlicher Hinsicht mit Blick auf Art. 74 Abs. 1 Nummer 12 und Nummer 19 a Grundgesetz es alles nicht so einfach geht. Spricht aus dieser Passage das verfassungsrechtliche Unwohlsein der juristischen Kommissionsmitglieder? Oder will sich die Kommission nicht auf den unsicheren Weg begeben, der wohl zurzeit im BMG favorisiert wird? Dort soll nämlich erwogen werden, ob die Planungsbefugnisse der Länder im KHG gar nicht verfassungsrechtlich geschützt sind, bzw. es sich bei der Einführung von Versorgungsstufen und Leistungsgruppen nur um eine Ausweitung der schon heute bundesrechtlichen Sozialversicherungskompetenz handeln könnte. Bei der Einführung der Notfallstufung ging es doch auch ohne die Bundesrats-Zustimmungspflicht. Und in Abkehr früherer sakrosankter Positionierungen des BMG wurde auch in der zweiten Entwurfsfassung des Notfallversorgungsgesetzes von Januar 2020 in Abstimmung mit dem Bundesjustizministerium auf eine Grundgesetzänderung verzichtet. Rettungsdienstliche Tätigkeit wurde in dem damaligen Entwurf als Teil der Patientenversorgung umdefiniert und damit unter das bundesgesetzliche Sozialversicherungsrecht eingeordnet.

Das wäre natürlich eine harte Konfliktlinie gegenüber den Ländern, die diesen Einfluss partout behalten wollen (siehe die jüngste Entschließung der GMK zum Verbleib der Planungsfunktion bei den Ländern). Der sonst übliche Deal „viel Geld gegen Abgabe von Kompetenzen“, der in anderen Politikfeldern immer funktionierte, wird der Finanzminister dem Gesundheitsminister für die Krankenhausreform nicht ermöglichen.

 

Schwierige Verhandlungen zwischen Bund und Ländern auf denkbar schlechter Grundlage

Es zeichnen sich schwierige Verhandlungen bei den Bund-Länder-Gesprächen zur Krankenhausreform ab dem 5. Januar ab, die auf denkbar schlechter Grundlage geführt werden:

  • Die Länder sind – bescheiden gesagt – durch viele unabgestimmte Entscheidungen des Bundesministers in diesem Jahr nicht sehr gut auf das BMG zu sprechen.
  • Sie haben es auch versäumt, sich auf eine gemeinsame konstruktive Position in der Krankenhausreform zu verständigen. Insofern bleibt ihnen nur der Schulterschluss über eine gemeinsame Ablehnung der Position der Regierungskommission übrig, wenn sie ihre Geschlossenheit nicht aufgeben wollen.
  • Ungeschickte Formulierungen in der Stellungnahme der Regierungskommission verhinderten, die aktiv in der Krankenhausplanung voranschreitenden Länder mitzunehmen. Selbst die progressiven Entwicklungen z.B. in NRW oder Niedersachen reichen der Kommission nicht, sind nicht ehrgeizig genug. Das ist politisch/taktisch unklug. Viel clever wäre es gewesen, Nordrhein-Westfalen als Paradebeispiel für den richtigen Weg zu loben und sich mit dem Land unterzuhaken. Jetzt treibt man Nordrhein-Westfalen in die Arme des bayerischen „Gegen-Gesundheitsministers“. Wäre es so falsch gewesen, wenn die Krankenhausplanung in einer ersten Stufe in 60 (wie in NRW) statt in 128 (wie von der Kommission gewollt) Leistungsgruppen differenziert würde? In einer zweiten Stufe könnte dann einen höhere Zielzahl bestimmt werden. Es wird wahrscheinlich eh nicht gelingen, eine solche große Menge an Leistungsgruppen, wie gewünscht, in einem Jahr inhaltlich und qualitativ zu entwickeln.

Aber es steht in der Tradition dieser Legislaturperiode, im BMG groß und revolutionär zu denken: 1.000 Gesundheitskioske, Ankündigungen von Rettungstaten in der Pflege und Kassenfinanzierung, mindestens 128 Leistungsgruppen in Jahresfrist. Es ist eben viel einfacher, eine Revolution anzukündigen, als sie ins Rollen zu bringen. Kann man sich wenigstens des „Fußvolkes“ sichern sein? Mitnichten: Die Selbstverwaltung sind Lobbyisten, die Länder bringen es nicht und die Krankenkassen stößt man vor den Kopf, indem man sie bei der Verteilung ihrer Versichertengelder durch staatliche Behörden ersetzen will.

Es ist wie immer im Gesundheitswesen: Es gibt viele Reformideen, kompetente Überlegungen, wie man die Zielvorstellungen in einem korporatistischen, nichtstaatlichen Gesundheitswesen umsetzen kann, werden nicht mitgeliefert. Da hilft es auch nicht, eine Revolution auszurufen.


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